Inversion13.07.2012, Mathias Oertel
Inversion

Im Test:

Wenn ein Spiel wieder und wieder verschoben wird, ist das normalerweise kein gutes Zeichen. Doch nur wegen des kontinuierlich nach hinten gelegten Veröffentlichungstermins sollte man Inversion (ab 7,18€ bei kaufen) noch lange nicht abschreiben - oder vielleicht gerade deswegen? Steckt in dem Gravitations-Shooter der Will Rock- und TimeShift-Macher mehr, als man anfänglich annimmt?

Abgefahren, aber interessant

Inversion macht erzählerisch zu Beginn neugierig. Die Zivilcops Davis und Leo möchten vor Beginn ihrer Schicht  Davis' Tochter einen Besuch abstatten, um ein Geburtstagsgeschenk zu überbringen. Doch auf dem Weg dorthin bricht die Hölle in der Metropole Vanguard City los: Die Erde bebt, die Schwerkraft wird punktuell aufgehoben und zu allem Überfluss fallen auch noch die so genannten Lutadore, muskelbepackte sowie schwerbewaffnete Nomaden, über die Stadt her. Wer oder was dahinter steckt, wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel sei gesagt: Dialoge und Charakterzeichnung lassen Schauspieler wie Steven Seagal, Jean Claude Van Damme oder Chuck Norris wie Mitglieder der Royal Shakespeare Company aussehen. Dennoch birgt das B- bzw. C-Film-Niveau auch einige amüsante Szenen, die mich neugierig gemacht haben, wie es weiter geht.

Allerdings verliert sich die Handlung irgendwann: Die Suche von Davis nach seiner Tochter ist eigentlich ein starker erzählerischer Motivator, wird aber schließlich abstrus konstruierten sowie schlecht inszenierten SciFi-Theorien geopfert. Titel wie die Gears of War-Serie oder Bulletstorm haben auch nicht gerade mit Oscar-reifen Drehbüchern und

Die Gefechte in der Schwerelosigkeit sind intensiv, werden aber überstrapaziert.
Die Gefechte in der Schwerelosigkeit sind intensiv, werden aber überstrapaziert.
Charakterzeichnungen übnerzeugt. Doch gegen das, was hier gegen Ende vom Stapel gelassen wird, ist Marcus Fenix in etwa so tiefschürfend wie Hamlet.

Generische Action-Kopie

Geschichte? Figuren? Erzählstruktur? Geht’s noch? Das ist Action, da braucht man so etwas nicht! Bis zu einem gewissen Grad könnte ich diesen Einwand nachvollziehen - oder würde ihn vielleicht sogar selbst anführen. Vor allem, wenn die Action über alle Zweifel erhaben wäre. Doch da dies nicht der Fall ist, hätte die Geschichte in manchen Momenten Wunder wirken können, um von dem Standard-Geballer abzulenken, das sich zu einem Großteil an bekannten Größen orientiert.

Die Perspektive, die Waffenauswahl, das Deckungssystem und die stark verwackelte Kamera beim Laufen kennt man woher? Richtig: Gears of War! Doch dies ist nicht der einzige Shooter, an dem sich Inversion zu orientieren versucht und dabei mal mehr, mal weniger erfolgreich ist.

Trotz der Möglichkeit, Gravitation zu verändern, bietet Inversion größtenteils nur Deckungs-Ballereien von der Stange.
Trotz der Möglichkeit, Gravitation zu verändern, bietet Inversion größtenteils nur Deckungs-Ballereien von der Stange.
Beim Gegner- und Weltdesign (vor allem in der Anfangsphase) lassen sich Einflüsse von id Softwares Rage spüren. Bei den Dialogen, dem (in der Theorie möglichen) Online-Koop sowie einigen Team-Aktion wiederum ist die Inspiration von EAs Army of Two deutlich zu sehen.

Allerdings hat Saber Interactive mit Titeln wie Will Rock oder TimeShift eine nicht von der Hand zu weisende Baller-Kompetenz vorzuweisen. Und diese wird in den Gefechten (vor allem in den Bosskämpfen) konsequent ausgespielt. Sprich: Die Action per se ist solide, leistet sich abseits tumber KI kaum Schnitzer, reißt einen aber auch wahrlich nicht vom Hocker  und bietet einige nervende Trial&Error-Sequenzen. Damit meine ich nicht einmal die gegen Ende herben Bosse, bei denen man leider zu sehr auf das Wiederkäuen (und das Multiplizieren) bereits besiegter Feinde setzt.

Schwerkraft-Spielereien

Um sich vom Kugelhagel-Einerlei abheben zu können (vor allem, wenn man derart viele Titel zitiert), ist etwas Besonderes nötig. Und Inversion hat tatsächlich eines dieser besonderen Elemente: Gravitation - genauer: die Manipulation derselben.

Der Held ist schwerelos, die Gegner rechts befinden sich in einem anderen "Gravitations-Vektor": Momente wie diese kommen leider zu selten vor.
Der Held ist schwerelos, die Gegner rechts befinden sich in einem anderen "Gravitations-Vektor": Momente wie diese kommen leider zu selten vor.
Man trägt einen so genannten "Gravlink" auf dem Rücken, mit dem man die Schwerkraft temporär und räumlich begrenzt entweder aufheben oder verstärken kann. Standardgegner lassen sich so z.B. aus ihrer (häufig auch konventionell zerstörbaren) Deckung spülen und sind in der kurzzeitigen Schwerelosigkeit ein leichtes Opfer – das gilt natürlich auch bei erhöhter Schwerkraft, die dafür sorgt, dass sie auf den Boden gepresst werden. Welche Auswirkungen das hat, spürt man gelegentlich auch am eigenen Leib: Einige Bosse verfügen auch über einen Gravlink und nutzen ihn rege.

Weiterhin kann man das Gimmick auch als Inversion-Variante der Half-Life’schen Gravity Gun nutzen. Schwebende Gegenstände können aufgenommen und als Projektil auf Gegner geworfen werden. Die Gravitations-Manipulation wird auch als Grundlage für das eine oder andere "Rätsel" angewandt: Hier kann man sich einen Durchgang schaffen, dort an fetten Drahtseilen hängende Container dank erhöhter Schwerkraft zu Boden bringen und als zusätzliche Deckung nutzen. Doch in dieser Hinsicht wäre sicherlich mehr möglich gewesen. Denn so ist es nicht mehr als eine sicherlich gut gemeinte, aber deutlich der Action untergeordnete Spielerei, die einem zwar in bestimmten Situation hilft, aber dem Ballern keine wesentliche neue Facette hinzufügt.

"What’s our vector, Victor?"

Für Abwechslung sorgen anfänglich auch die Schwerelosigkeitszonen sowie die "Vektorwechsel". Hinter Ersterem verbergen sich Gebiete, in denen man sich zwischen schwebenden Plattformen bewegt und sich dabei mitunter Gefechte mit den Lutador liefert. Und bei Letzterem wird durch das Betreten bestimmter "Schwerkraft-Portale" der Vektor gewechselt, der letztlich für die Gravitation verantwortlich ist.

Die Welt steht auf dem Kopf... Naja, zumindest auf der Seite...
Die Welt steht auf dem Kopf... Naja, zumindest auf der Seite...
Vor allem dieses Feature sorgt für interessante Momente: Wenn man über ein Dach läuft, eines der Wechselportale betritt, nun das Bild auf die für Davis und Leo veränderten Schwerkraft-Verhältnisse reagiert und kippt, sorgt dies für ein flaues Gefühl im Magen. Das wird noch verstärkt, wenn man gegen Feinde kämpft, die in einem anderen Vektor stecken, so z.B. wenn man an einer Hauswand hinunterläuft und gegen Lutador kämpft, die sich am Boden ein Gefecht mit Rebellen liefern.

Das Problem mit beiden Elementen: Die Schwerelosigkeitszonen werden überstrapaziert, so dass ich bereits mittelfristig innerlich gestöhnt habe, als Davis wieder einmal abhob. Und die Vektorwechsel, die grundsätzlich ein richtig cooles Element sind, werden später gar nicht mehr aufgegriffen - abgesehen davon, dass mich die Einschränkung durch vorgegebene Portale stört. Wie cool wäre es denn, wenn es einen Abschnitt gäbe, in dem man selbstständig den Wechsel initiieren und sich damit neue Taktiken und Deckungen schaffen könnte? Doch leider muss man auf solche Elemente verzichten, die Inversion deutlich von anderen Ballereien abgegrenzt hätte.

Zahnloser Säbelzahntiger

Gefühlt werden 95% der Actionspiele auf PS3 und 360 von Unreal-Technologie angetrieben. Das wäre vielleicht auch hier eine probate Lösung gewesen. Das soll nicht heißen, dass die proprietäre Saber 3DEngine (mit Havok-Physik) nichts auf dem Kasten hat. In TimeShift hat sie in einer ähnlichen Kombination akzeptable bis sehenswerte Erlebnisse abgeliefert.

Die Kulisse geht größtenteils in Ordnung, begeistert aber nur selten.
Die Kulisse geht größtenteils in Ordnung, begeistert aber nur selten.
Doch mittlerweile muss man (zumindest in dieser Form) Titeln wie Gears of War, Resistance 3, BulletStorm usw. den Vortritt lassen - deutlich! Mimik, Umgebungen, Effekte: Alles passt irgendwie, zündet aber nicht so, wie man es sich wünschen würde und vor allem nicht so, wie es nötig wäre, um im Konzert der Großen mithalten zu können. Von Zeit zu Zeit kann man sich zwar auch an schick anzuschauenden Panoramen ergötzen, doch solche Momente bilden die Ausnahme. Viel häufiger bekommt man matschige Texturen, Kanten und sporadisch unzureichende Kollisionsabfrage (sprich: Clipping) zu Gesicht. Immerhin gibt sich die Engine keine Blöße, wenn es um die Bildrate geht. Weder auf der PlayStation 3 noch auf der Xbox 360 zeigt sich ein störendes Ruckeln.

Fazit

So oft die Veröffentlichung verschoben wurde, so sehr passt der europäische Juli-Termin: Kein anderer Shooter weit und breit, der Inversion gefährlich werden könnte. Und das ist auch gut so. Denn abseits einer häufig zu selten, dann wiederum zu redundant genutzten Gravitations-Veränderung hat die Ballerei nichts Herausragendes zu bieten. Die Kulisse ist größtenteils durchschnittlich. Die anfänglich wenigstens noch auf B- bzw. C-Film-Niveau liegende Story verliert gegen Ende auch noch das letzte Selbstwertgefühl, wird unzusammenhängend und lässt ihre Figuren im Stich. Und die Action? Die bemüht sich, das Gears of War-Konzept samt Deckungssystem zu replizieren, macht dies nicht einmal schlecht und garniert das Ganze mit Gegnerdesign irgendwo zwischen Borderlands und Rage. Dabei möchte man allerdings einen eigenständigen Eindruck hinterlassen, was angesichts der zu häufig generisch wirkenden Ballereien nur gelingt, sobald die Gravitation bzw. der Wechsel von Vektoren ins Spiel kommen. Es gibt schlimmere Machwerke als Inversion, aber Saber Interactive ist nur noch ein Schatten seines TimeShift-Selbst.

Pro

Gravitations-Veränderungen...
passable Waffenauswahl
harte Bosskämpfe...
Action mit Deckungssystem à la Gears of War
gelungenes Gegnerdesign

Kontra

... deren Potenzial allerdings bei weitem nicht ausgeschöpft wird
hanebüchene Story
... die jedoch manchmal unfair werden
auf Dauer ist die Action zu eintönig und vorhersehbar
Bossmarathon in späteren Abschnitten
technisch maximal durchschnittlich
kaum Mitspieler für Online-Matches

Wertung

360

Action von der Stange mit anfänglich interessanter, dann aber absurder Story sowie viel versprechenden Gravitations-Manipulationen, deren Potenzial allerdings größtenteils ungenutzt bleibt.

PlayStation3

Action von der Stange mit anfänglich interessanter, dann aber absurder Story sowie viel versprechenden Gravitations-Manipulationen, deren Potenzial allerdings größtenteils ungenutzt bleibt.

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