Deadly Premonition10.12.2010, Benjamin Schmädig
Deadly Premonition

Im Test:

Jaan Pehchan Ho... dam di-damm di-damm. Kennt jemand den Eröffnungssong aus Ghost World? Klasse Film - schrecklicher Song. Geht aber partout nicht aus dem Fuß! Und während man verlegen tippt und schnippt, findet man auch noch Gefallen dran. Jaan Pehchan Ho... unbedingt youtuben! Oder die Ghost World-DVD kaufen. Oder gleich Deadly Premonition (ab 43,46€ bei kaufen) spielen. Dam di-damm di-damm...

Dark Town

Als Francis York Morgan in Greenvale ankommt, ist ein grausamer Mord geschehen. Natürlich, das ist schließlich der Grund, weshalb Morgan überhaupt in die verschlafene Kleinstadt fährt. Francis York Morgen ist nämlich Special Agent des FBI. Man solle ihn aber einfach nur »York« nennen, denn so nennt ihn jeder.

York wird es nicht einfach haben, den Mörder von Anna Graham ausfindig zu machen - jeder der skurrilen Einwohner Greenvales könnte es gewesen sein! War es etwa der Luftgitarre zupfende Keith? Die schrullige Sigourney, die stets einen Topf mit sich trägt?

Video. Gespenstisches Kleinstadt-Treiben. Ob man sich in Greenvale gerne gruselt, hängt davon ab, ob man den Prolog übersteht.Oder Harry Stewart, der sich hinter einer Gasmaske versteckt und nur über seinen Assistenten kommuniziert? Selbst FBI-Special Agent Francis York Morgan, den man nur York nennen soll, weil ihn alle so nennen, steht unter Verdacht. Immerhin scheint er der Einzige zu sein, der die Geister sehen kann, die sich in Greenvale herumtreiben. Und wer ist eigentlich Zach, zu dem der Ermittler ständig spricht?

Die Geister, die er rief

Nein, mit Ghost World und Jaan Pehchan Ho hat Deadly Premonition nichts zu tun - inhaltlich jedenfalls. Wo der Song allerdings ein Aushängeschild für das schräge B-Movie-Paradies Bollywood ist, ist Deadly Premonition ein Musterbeispiel für eine schräge Sparte der Videospiele, der viel zu wenig Beachtung zukommt: das B-Game. Technisch gesehen ist das Horror-Märchen nämlich potthässlich. Gelinde ausgedrückt! Rechteckige Flure und Gesichter aus dem Wachsfigurenkabinett wohin das Auge blickt. Ein Detailgrad aus der Pixelsteinzeit. Fahrgeräusche klingen entweder matter als das Summen einer Fliege oder brüllen lauter als ein Güterzug. Die Steuerung erinnert an Resident Evil - das erste! Entweder man bewegt sich oder man schießt. Der Schritt zur Seite liegt auf Schultertasten. Man wünscht sich in eine Zeit zurück, in der man wesentlich eleganter durch Silent Hill 2 streifen durfte. »Kneifzange!«, schreit die moderne Spielerseele. Und bekommt ein Messer, mit dem sie unbeholfen gegen tumb geradeaus schlurfende Geister fuchtelt, in die Hand gedrückt.

Schon in der Einführung schlurft der FBI-Mann durch gerade Gänge und eckige Räume, aus dunklen »Pfützen« kriechen gespenstische Untote hervor. Wie in Ringu »zappen« sie im Eiltempo auf Morgan zu, die schwarzen Augenhöhlen der entrückten Gesichter erinnern an Project Zero . Einige kriechen über den Boden, als hätten sie bei der besessenen Regan in Der Exorzist gelernt. Zum Glück muss Morgan nicht nur mit dem Messer fuchteln - der nicht enden wollende Munitionsvorrat seiner Dienstpistole leistet ihm stets treue Dienste. Und dann kommt York endlich in Greenvale an -

Versteht man die Figuren, wenn man die Sprachbarriere überwindet?
um sich einen dilettantischen verbalen Schlagabtausch mit dem Sheriff zu liefern und dessen blonde Kollegin mit atemberaubender Plumpheit anzuhimmeln. Wer genau jetzt Lust auf Deadly Premonition hat, hat zehn Jahre Film und Spiel verpasst.

Green Peaks

Wer Deadly Premonition jetzt zur Seite legt, verpasst allerdings auch tausend kleine und große Hinweise auf die Welt des Kinos und der interaktiven Unterhaltung. »In einem Ego-Shooter würde jetzt...«, »Erinnerst du dich an diesen Film, Zach?« Oft folgt eine nicht enden wollende Aufzählung wissenswerter und erfrischend nebensächlicher Fakten. Hier erfahren selbst Spielberg-Fans noch wichtige Einzelheiten - was Morgan seinem unsichtbaren Begleiter zuflüstert, geht direkt ins Nostalgiezentrum. Überhaupt darf man vermuten, dass Zach der direkt ins Spiel verpflanzte Draht zwischen Protagonist und Spieler ist...

Und nicht nur inhaltlich, auch spielerisch öffnen sich plötzlich Türen, die man diesem Relikt bislang nicht zutrauen konnte. Wer hätte denn gedacht, dass sich Morgan in Greenvale frei bewegen kann? Es ist der urtypische Verschnitt des amerikanischen Kleinstadt-Horrors: Der FBI-Außenseiter ist in einem beinahe menschenleeren Hotel irgendwo am See untergebracht. Die Stadt ist fünf Minuten mit dem Auto entfernt, über den Fluss liegt das Geschäftsviertel - falls man Supermarkt, Tankstelle, Waffenhändler und Kneipe zwischen ein paar Einfamilienhäusern so nennen kann. Kraftwerk, Schrottplatz und Aussichtspunkt liegen in der fernen Umgebung verstreut. Dass man ausschließlich auf vorgegebenen Pfaden und Straßen unterwegs ist, fällt in dem weitläufigen Gelände kaum auf. Twin Peaks heißt hier Greenvale. Greenvale ist das, was Bright Falls  sein sollte: ein offener, frei begehbarer Schauplatz.          

Aus Mangel an Vergleichen

Und irgendwie beginnt man unter dem Einfluss der detailversessenen Anspielungen die Lücken im Aufbau dieser wackeligen Theaterbühne zu übersehen. Man findet sich damit ab, dass sich Autos - aus Mangel an Vergleichen - wie schwammige Putzlappen bewegen. Man geht nicht mehr davon aus, dass Landkarten bequem lesbar sein müssen, sondern verdenkt sich in die unhandliche Übersicht hinein. Man übersieht auch, dass einige Figuren nicht nur verquere Sätze sprechen, sondern sich wie starre Roboter bewegen.

Es hieß übrigens erst »Rainy Woods«, woraus später »Deadly Premonition« werden sollte. Warum? Im Echo auf den ersten Trailer anno 2007 fiel sehr häufig der Name »Twin Peaks«.

Die Entwickler wollten eine so starke Ähnlichkeit aber vermeiden - und steckten deshalb zusätzliche Entwicklungszeit in das Spiel. Heraus kamen inhaltliche Änderungen, ein neues Gesicht für den Protagonisten sowie zusätzliche Sprachaufnahmen.Man überhört sogar, dass sich die wenigen Musikstücke ständig wiederholen. Man lässt sich in die Akkorde fallen und darauf ein, dass Deadly Premonition schlecht gemacht - aber verdammt gut gedacht ist.

Natürlich muss York geradewegs zum angezeigten Ziel fahren, damit die Geschichte weiter geht. Ob er das aber zur vorgegebenen Zeit des aktuellen Tages erledigt oder am nächsten, bleibt ihm überlassen. Vielleicht erkundet er lieber in aller Ruhe - die Vehikel rollen mit sehr gemütlichen 100 bis 150 Kilometer pro Stunde - die Umgebung. Was hat es mit den Gebeinen auf sich, die in Greenvale und Umgebung verstreut sind? Was steckt hinter dem traurigen Geist im Tunnel? Oder ist es an der Zeit, etwas zu essen? Er könnte einen Fisch angeln oder im Hotel speisen. Sollte er mal wieder den Dreitagebart rasieren oder gar im Kaffee lesen? Hunger, Müdigkeit und Gesundheit spielen eine wichtige Rolle im Alltag des FBI-Manns. Denn kommt er seinen Grundbedürfnissen nicht nach, verliert er Kraft. Schläft er, nimmt sein Hunger zu. Entweder schaut er deshalb rechtzeitig im Hotel vorbei oder kauft Vorräte wie Kaffee und Plätzchen. Man muss nicht eilig nach etwas Essbarem suchen - man teilt sich den Tag einfach entsprechend ein.

Geld erhält Morgan beim Erforschen seiner Umgebung; Sammelkarten sind besonders ertragreich. Außerdem lohnt sich jede investigative Arbeit wie das Spähen durch Fenster oder das Beobachten der Umgebung durch die Ferngläser am Aussichtspunkt. Wirklich sinnvoll ist das selten, der Atmosphäre tut es aber gut. Wechselt York seinen Anzug nicht rechtzeitig, schwirren außerdem Fliegen um den Ermittler; 24 Stunden dauert es, wenn er seine Kleider in die Wäsche gibt. Erschreckend, aber diesen alltäglichen Trott vermittelt Deadly Premonition sogar besser als die Rockstars der offenen Welt. Das verschlafene Nest ist keine Metropole und dass man das an Land und Leuten spürt, ist viel wert! Nur nachts - bei Nacht bricht hier die Hölle los...

Rainy Woods

Und dann ist da die Legende vom Regen. Es gießt in Strömen. Ein Tastendruck und die Scheibenwischer des Polizeiwagens schalten von langsam auf schnell. Blinker setzen, links abbiegen, in drei Minuten sollte York am Ziel sein. Die verheißungsvolle Ruhe wird nur unterbrochen, wenn er auf Knopfdruck mit Zach oder seinen Mitfahrern spricht. Wenn es regnet, versinkt das träge Greenvale in einer unheilvollen Lethargie, denn die Einwohner fürchten sich vor einer uralten Legende.

Spielerisch und technisch ist Deadly Premonition ein echter Horror. Atmosphärisch setzt es allerdings markante Zeichen!
Im Regen bleibt die Schule geschlossen, die Menschen in ihren Häusern. Alle wissen um das Schicksal, das über dem Ort lauert. Doch wer weiß etwas von dem Mord an Anna Graham? Agent Morgan sucht am Tatort nach Hinweisen, er befragt die Einwohner. Erst wenn er im Rahmen der Handlung alleine ist, umschließt ihn plötzlich eine Wand aus rotem Gestrüpp. Dann weiß Morgan: Sie sind hier.

Dann hilft ihm auch die gute Atmosphäre nichts; dann muss er auf verkrampften Füßen und mit sperrigen Waffen durch einförmige Horrorschläuche laufen, die jedes zeitgemäße Spiel um gefühlte Dekaden unterbieten. Hier einen versteckten Schalter, da ein Ersatzteil finden. Neben der Dienstpistole kommen natürlich größere Kaliber sowie mächtigere Schlagwaffen hinzu. Wichtig ist die sinnvolle Zusammenstellung der Ausrüstung, weil die Stellfläche im Rucksack begrenzt ist. Das macht die furchtbar trägen, unübersichtlichen Kampfkapitel freilich kaum erträglicher. Einen spannenden Kampf erlebt man nur dann, wenn das Spiel unvermittelt mehrere Geister vor Morgans Nase setzt. Leider ringt man dann hauptsächlich mit der Steuerung. Ehrlich spannend sind hingegen Momente, in denen sich Morgan verstecken und die Luft anhalten muss. Ebenso Reaktionstests, in denen der Geisterjäger den Kampf mit einem starken Gegner nur dann überlebt, wenn man im richtigen Augenblick die angezeigten Tasten drückt. Letztlich ist das einzig wirklich Gute an diesen Labyrinthen allerdings die Gewissheit, dass man ihnen irgendwann entkommen wird, um sich wieder in die Gelassenheit des mysteriösen Greenvale fallen zu lassen.     

Fazit

Jaan Pehchan Ho... dam di-damm di-damm. So ein Schlager brennt sich manchmal tiefer ins Ohr als einem lieb ist. Denn dieses Greenvale, das aus technischen und spielerischen Relikten geschustert wurde, zieht jeden, der genau hinsieht, in einen unerwartet stimmungsvollen Bann. Das abgelegene Nest ist verschlafen und schrullig. Seine Einwohner sind verquere Charakterköpfe in einem clever konstruierten Mordfall. Während man im Gespräch mit den schrägen Kleinstädtern Mord und Mythen auf die Schliche kommt, entdeckt man nicht nur einen riesigen Schauplatz - man kümmert sich auch um Hunger, Schlaf und Hygiene des Ermittlers. Man löst geheimnisvolle Legenden auf, entdeckt Anspielungen auf Film und Spiel, spioniert und findet so ganz unmerklich den Groove dieses dissonanten Schlagers. Irgendwann verzeiht man ihm sogar die unausstehliche Steuerung; besonders die geradlinige Horroraction fordert ungemütlich viel Verständnis. Und nein: Deadly Premonition erweckt zu keinem Zeitpunkt den Eindruck eines guten Spiels. Mit seinem kauzigen Charme und vielen sympathischen Ideen ist es aber das beste B-Game des Jahres!

Pro

trotz enger Pfade weitläufige offene Welt
freiwillige Nebenmissonen
langer Tag-/Nachtrhythmus, auch für Nebendarsteller
schräge Figuren / spannende Suche nach Mörder
Anspielungen auf Filme und Videospiele
Wechselspiel zwischen Schlaf, Hunger und Gesundheit

Kontra

visuell und akustisch mäßig bis inakzeptabel
völlig veraltete, unbequeme Steuerung
sehr schlecht einsehbare Karte
kaum freies Entdecken – Aktionspunkte stets vorgegeben
furchtbare Fahrphysik

Wertung

360

Ein spielerischer und technischer Horrortrip, der atmosphärische Zeichen setzt - das B-Game des Jahres!

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