NeverDead02.02.2012, Mathias Oertel
NeverDead

Im Test:

Irgendwie ist das von Rebellion für Konami entwickelte NeverDead (ab 12,75€ bei kaufen) vollkommen unter meinem Radar geblieben. Und das, obwohl es komplett auf meiner Linie liegt: Bei Dämonenjägern, Untoten und vollkommen überzogener Action werde ich schwach. Ist der kopflose Held vielleicht ein Geheimtipp?

Wieder mal Dämonenjäger

Es ist ja nicht so, dass es in der Spielewelt keine mehr oder weniger unsterblichen Dämonenjäger gibt. Devil May Cry’s Dante, die für mich immer noch gleichermaßen unterschätzte wie herausragende Hexe Bayonetta oder auch Krieg aus Darksiders sind nennenswerte Beispiele. Und wenn ein Team versucht, den Stereotypen frische Facetten abzugewinnen, wird meine Neugier geweckt. So geschehen bei NeverDead: Das setzt zwar im Wesentlichen auf die gleiche Formel, die bereits von Capcom und Platinum Games ausgereizt wurde – also Erforschung weitgehend linearer Abschnitte, Kämpfe gegen Dämonen in abgeschlossenen Arealen, dessen Ausgang nach dem Tod des letzten Gegners geöffnet wird und knallharte Bosskämpfe. Doch es gibt auch einige interessante Ideen, die aus NeverDead ein morbides Früjahrs-Highlight machen könnten.

Kopflose Unsterblichkeit

Der Protagonist Bryce ist seit seinem Aufeinandertreffen auf den Dämonenkönig Astaroth vor 500 Jahren unsterblich. Seine Frau kam dabei ums Leben und Bryce ist dazu verdammt, mit seiner Schuld und Reue zu leben – und dem Wissen, dass er ohne die Hilfe eines Mediums (wie seiner damaligen Herzallerliebsten) nur unwichtige Vertreter der Dämonenzunft der ewigen Ruhe zuführen kann, nicht aber die Drahtzieher hinter den Kulissen.

Dieses Element der Unsterblichkeit ist innerhalb des von Dante geprägten und von Bayonetta zum vorläufigen Höhepunkt getriebenen Genre zwar auch nichts Neues und wurde z.B. auch von Namco Bandais Knights Contract thematisiert. Doch meines Wissens ging bislang niemand so weit wie Rebellion: Sie führen die Unsterblichkeit zu neuen Ufern. Denn hier wird der Protagonist von seinen Gegnern oder bei Explosionen im wahrsten Sinne des Wortes auseinander genommen. Arme sowie Beine entfernen sich vom Rumpf und auch der Kopf sitzt nicht fest auf den Schultern und kann abgetrennt werden. An diesem Punkt streichen andere Unsterbliche die Segel, nicht jedoch Bryce.

Kopflos glücklich? Die "Dismemberment"-Mechanik ist eine der frischen Ideen, die leider zu inkonsequent umgesetzt wurde.
Kopflos glücklich? Die "Dismemberment"-Mechanik ist eine der frischen Ideen, die leider zu inkonsequent umgesetzt wurde.
Mindestens das Haupt kann man immer kontrollieren. Rollt man im Zustand einer „zerrissenen Persönlichkeit“ über andere Körperteile hinweg, kleben die quasi am Kopf fest. Und bewegt man sich zum Rumpf, genauer: den Hals, setzt sich der Körper mit allen vorhandenen Teilen wieder zusammen, fehlende Gliedmaßen kann man durch „drüberrollen“ einsammeln und wieder „einverleiben“. Wenn es schnell gehen muss, kann man auch eine Art Heilkraft einsetzen, die Bryce wieder komplett herstellt, die aber eine relativ hohe Abkühlzeit hat, bevor sie abermals aktiviert werden kann.

Spielerisch wertvoll?

Dieses Element hat jedoch nicht nur einen kosmetischen, für einen gewissen Splatterfaktor sorgenden Charakter. Denn auch die Dynamik in den Kämpfen kann dadurch empfindlich geändert werden: Ist man mit zwei Waffen ausgestattet und fehlt z.B. der linke Arm, kann man nur noch mit der rechten Waffe gezielt feuern. Wenn beide Arme fehlen, sind sowohl Projektile als auch das mächtige Schwert als Alternativwaffe nicht mehr nutzbar. Und die Feinde ohne Beine durch Tritte zu schwächen, ist ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit. Doch man hat nicht nur Nachteile durch abgetrennte Gliedmaßen, weswegen man den Vorgang auch eigenständig einleiten kann.

So kann man z.B. einen Arm wunderbar als Köder werfen und die blindwütig hinterher laufenden Standardgegner aus dem „Hinterhalt“ erledigen. Oder man besorgt sich für seine Erfahrungspunkte (quasi die spielinterne Währung, es gibt keinerlei Rollenspiel-Elemente oder Charakteraufstieg) das „Explosions“-Upgrade, mit dem man seine

Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Selbst solche Explosionen können Bryce nicht umbringen.
Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Selbst solche Explosionen können Bryce nicht umbringen.
entfernten Gliedmaßen in Granaten verwandeln und detonieren lassen kann. Weitere Aufrüstungen betreffen Durchschlagskraft der Fern- und Nahkampfangriffe, Möglichkeiten, die Abkühlzeit für die Heilung zu senken und einiges mehr, das durchaus dafür sorgt, seine Spielweise (eher Fern- oder Nahkampf) zu spezialisieren. Der Haken an der Sache: Man hat nur beschränkten Platz, seine Fähigkeiten auszurüsten, was vor allem dann zur taktischen Crux wird, wenn man etwas ausrüsten möchte, das mehrere Plätze in Anspruch nimmt. Was gibt man dafür wieder ab? Oder lässt man alles so, wie es ist und hat evtl. Schwierigkeiten, die Gegner effektiv zu dezimieren?

Unspektakuläre Kulissen

Wenn alle Stricke reißen, kann man in den gerade mal durchschnittlichen Kulissen auch versuchen, die Umgebung einzusetzen, um die Feinde zu besiegen. Säulen brechen ein, Balkone stürzen auf den Boden, Putz fliegt in großen Stücken von den Wänden: Mitunter hat man das Gefühl, dass die Frostbite Engine hier ihren Dienst verrichtet. Bis man feststellt, dass viele Elemente immer nach dem gleichen Schema zerlegt werden, wodurch die physikalische Zerstörung schnell  ihren Reiz verliert.

Arm dran oder Arm ab?

Bryce Boltzman und sein nervender Sidekick Arcadia...
Bryce Boltzman und sein nervender Sidekick Arcadia...
Glücklicherweise hat Rebellion unter der Führung von Konamis Shinta Nojiri (hat lange mit Hideo Kojima u.a. an der Metal Gear Solid-Serie gearbeitet) auch den Wert von Bryces Unsterblichkeit für Rätselelemente erkannt.

Dort ist ein Raum, in dem der Schalter zur nächsten Tür wartet, aber man hat keine Ahnung, wie man reinkommen soll? Vielleicht sollte man probieren, seinen Kopf zu entfernen und in den Belüftungsschacht zu werfen, der (hoffentlich) dorthin führt. Immerhin könnte man sich ja im Raum wieder zusammensetzen und dann den Schalter betätigen.

Wie kriegt man Licht in die zappendusteren Flure, die selbst bei maximalem Gamma-Wert nicht zu navigieren sind? Ganz einfach: Man stellt sich neben eine Feuerquelle und wird so zu einer wandelnden Fackel – sterben kann man nicht.

Diese kleinen Rätsel lockern die mitunter frenetische Action, die aufgrund der unglücklich reagierenden Kamera schnell hektisch und unübersichtlich werden kann, immer wieder angenehm auf. Aber sie kommen für meinen Geschmack etwas zu kurz und werden leider zu wenig variiert. Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel: Ich war von NeverDead quasi konditioniert, den Kopf irgendwohin zu werfen, so dass ich bei einem (im Nachhinein

Bryce in allen Einzelteilen.
Bryce in allen Einzelteilen.
simplen Rätsel) erst spät auf die Lösung kam. Denn um den Stromkreis zu überbrücken, ist der Kopf zu klein, aber man hat ja noch andere Möglichkeiten, Gliedmaßen abzutrennen oder zu werfen.

Grau ist alle Theorie

Konzeptionell kann ich an all diesen Elementen nichts aussetzen. Jeder Mosaikstein passt grundsätzlich und hat das Zeug, die angesprochenen Anführer der Dämonenjäger-Front ins Schwitzen zu bringen. Doch ziemlich schnell wird deutlich, dass hier zwischen Anspruch und Wirklichkeit, sprich Bryce auf der einen und Dante bzw. Bayonetta auf der anderen Seite, ein verdammt großer Abstand besteht – in nahezu jeder Hinsicht.

Obwohl die Gefechte angenehm hektisch sind und man problemlos zwischen Fernkampf (auf den Schultertasten) und Schwert (auf dem rechten Stick) wechseln kann, ist man ein gutes Stück von der Dynamik entfernt, die man von anderen Titeln in diesem Bereich kennt. Und das ist vor allem der unglücklich gelösten Schussmechanik zuzuschreiben.

Wie kann man zappendustere Abschnitte erhellen? Simpel: Bryce versucht sich als lebende(?) Fackel
Wie kann man zappendustere Abschnitte erhellen? Simpel: Bryce versucht sich als lebende(?) Fackel
Wobei es mich in diesem Fall stark wundert, dass Rebellion ausgerechnet dieses Element verhaut. Denn man kann von Titeln wie Judge Dredd: Dredd vs. Death, Rogue Warrior oder Rogue Trooper halten, was man will – die Ballermechanik hat gepasst. Hier jedoch kommt sie erst nach kostspieligen Upgrades so weit in Fahrt, dass sie einigermaßen unterhält, ohne jedoch wirklich zufrieden zu stellen. Selbst mit Justierung der Sensitivität der X- und Y-Achse sowie der zukaufbaren Zielerfassung ist es immer wieder frustrierend, sich auf Feuergefechte mit den erbarmungslos angreifenden Dämonen einzulassen. Dafür soll ich die wertvollen Ausrüstungsplätze opfern? Und um die Schuss-Problematik zu kompensieren, muss ich ja die Nahkampf-Fähigkeiten verbessern. Was im Gegenzug dazu führt, dass ich weniger Platz für die dringend notwendige Baller-Optimierung habe. Das hätte anders gelöst werden müssen, zumal die angesprochene Kamera-Problematik ebenfalls ihren Teil dazu beiträgt, die ballistischen Auseinandersetzungen störrischer als nötig zu machen.

Erzählerisches Stückwerk

Hinsichtlich Inszenierung und Charakterzeichnung liegt man ebenfalls hinter dem Standard zurück. Wo Capcoms Dante mit Coolness punkten konnte und Platinum Games‘ Edelhexe mit Sex Appeal und Wortwitz glänzte, bleibt Bryce zumeist farblos. Mit seinem Sidekick Arcadia (eine naive Agentin einer Dämonenjäger-Firma) liefert er sich zwar Wortgefechte, die in seltenen Fällen sogar mal mit witzigen Einzeilern enden. Doch das erzählerische Potenzial, das in seiner 500 Jahre dauernden Tortur schlummert, kommt nur in den aufwändig produzierten CG-Sequenzen zum Tragen, die zeigen, wie er zu seiner

Was ist mit dem Multiplayer?

In der Theorie unterstützt NeverDead Mehrspieler-Herausforderungen für bis zu vier Teilnehmer. In der Praxis war es leider nicht möglich, Spieler zu finden. Daher fließt dieser Bereich nicht in die Wertung ein. Unsterblichkeit kam. Hier bekommt man einen Einblick in seine Persönlichkeit. Doch selbst hier verschenkt man Potenzial: Ich hätte gerne in diese Sequenzen eingegriffen und aktiv an der Erzählung teilgenommen.

Denn das selbst minimale Aktivität im richtigen Moment effektiv eingesetzt werden kann, zeigt Rebellion in einer kurzen Sequenz kurz vor Schluss: In einer Ruhephase ist man in Arcadias vor Dämonen sicherer Wohnung und hat die Möglichkeit, mit verschiedenen alltäglichen Einrichtungsgegenständen zu interagieren und so eine andere Seite von Bryce kennenzulernen. Eine unwichtige vielleicht, aber dennoch ist das der Weg, den man auch an anderen Stellen hätte einschlagen müssen, anstatt sich immer wieder auf die gleichförmige Action zu konzentrieren. Denn wer hätte gedacht, dass der unsterbliche Protagonist Gefallen an Judge Dredd-Comics findet, um sich die Zeit zu vertreiben?

Fazit

Was Rebellion und Konamis Shinta Nojiri sich haben einfallen lassen, klingt konzeptionell richtig gut: Das Prinzip des untoten Dämonenjägers ist zwar nicht neu, doch die buchstäbliche Unsterblichkeit exzessiv auszureizen, indem man seine abtrennbaren Körperteile bei Rätseln gezielt einsetzen kann, um in neue Bereiche vorzustoßen, ist bemerkenswert. Aber in der Umsetzung wirkt vieles ebenso zusammengestückelt wie der Held: Die Kamera z.B. wird in den hektischen und trotz aller Ansätze letztlich weitgehend gewöhnlichen Gefechten immer wieder zum Stolperstein. Die skurrile Charakterzeichnung schafft im Gegensatz zu Bayonetta leider nicht den Spagat zwischen Komik, Selbstironie und Coolness, so dass die Dialoge gezwungen witzig klingen. Und die sich anbietenden Rätsel werden nur sporadisch eingestreut. Zur Ehrenrettung muss ich allerdings sagen, dass sie dann durchweg gelungen sind. So wandelt Bryce stets mit einem seiner ausreißbaren Beine an der Grenze zur Belanglosigkeit. Die andere Seite, die mich jedoch immer wieder ans Pad gelockt hat, besteht aus passablem Leveldesign, fordernden Bosskämpfen und hektischer Action zu treibenden Hammer-Gitarren u.a. von Megadeth. Bryce hätte das Zeug gehabt, Dante und Bayonetta zu einem heißen Tanz aufzufordern, aber dazu fehlt ihm mehr Eleganz und Charakter.

Wertung

360

Konzeptionell hat Rebellion gute Arbeit geleistet. In der Umsetzung leistet sich aber vor allem die Schussmechanik herbe Aussetzer, so dass Dante und Bayonetta nie in Gefahr geraten.

PlayStation3

Was nutzt das interessante Konzept, wenn bei der Umsetzung handwerkliche Fehler gemacht werden? Vor allem die Ballermechanik hat Luft nach oben...

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