Im Test:
Alles auf Anfang
Seit dem letzten Devil May Cry (DMC) ist viel hinsichtlich stylischer Action im Besonderen sowie kombogeladener Arenakämpfe im Allgemeinen passiert. Visceral Games hat für EA mit Dantes Inferno die Hölle erforscht, Sony hat Kratos auf einen weiteren olympischen Höhenflug geschickt. Und DMC-Erfinder Hideki Kamiya hat mit einer gewissen Bayonetta des Genre auf fantasievollste Weise ausgereizt. Nicht zu vergessen ein gewisser Gabriel Belmont, der in Castlevania Lords of Shadow unter der kreativen Hilfe von Hideo Kojima zur Hochform auflief.
Jetzt, mehr als vier Jahre nach DMC 4, kommt Ninja Theory (Enslaved, Heavenly Sword), nimmt sich des Urvaters der stylischen Action an und soll der Serie einen neuen Anstrich verpassen. Und das hat im Vorfeld bei den Fans des charismatischen Dämonenjägers zu heißen Diskussionen geführt. Man hatte die Sorge, dass die Briten es nicht schaffen würden, die dynamische Action in ein zeitgemäßes Gewand zu kleiden. Und man fürchtete basierend auf ersten Screenshots und Videos, dass die frische Ausrichtung der Hauptfigur nur Nachteile hätte. Man wolle keinen Emo-Dante, der Coolness-Faktor ginge verloren. Solchen oder ähnlichen Vorurteilen sah und sieht sich DmC - Devil May Cry ausgesetzt. Doch ich kann größtenteils Entwarnung geben.
Jugendliche Arroganz
Doch hier ist er in der Anfangsphase nur ein schwarzhaariger Heranwachsender, der seine arrogante "Fuck You"-Attitüde allerdings nicht als schützenden Schild vor sich her trägt, sondern sie in vollem Bewusstsein seiner nichtmenschlichen Herkunft auslebt. Erst das Zusammentreffen mit einer gewissen Kat (eine überaus gelungene Interpretation einer modernen Hexe, die ihre Magie teilweise in Sprühdosen konserviert) und seinem Zwillingsbruder Vergil startet eine schicksalhafte Verkettung von Ereignissen. Diese konfrontiert ihn mit seiner eigenen Vergangenheit und seiner Herkunft als Nephilim (ein Spross einer Engelsmutter sowie eines dämonischen Vaters), bevor nach etwa zehn Stunden das Finale wartet.
Erzählerisch gelungen, aber gewöhnlich
Zudem verliert man etwa in der Mitte den erzählerischen Faden, wirft neue Charaktere plötzlich ins Geschehen und entfernt sie ebenso schnell wieder, bevor man sich wieder in erster Linie auf das Trio konzentriert, das in einer postmodernen, totalitär überwachten sowie von Dämonen beherrschten Stadt um das Überleben der Menschheit kämpft. Auch wenn dadurch häufig der Eindruck entsteht, dass die Inszenierung wichtiger war als der Inhalt, schafft Ninja Theory dennoch die Gratwanderung, eine frische Geschichte zu inszenieren, ohne dabei die bekannte Mythologie außer Acht zu lassen: Kenner werden immer wieder über Situationen und Andeutungen stolpern, die mit den bisherigen Serienablegern zu tun haben. Und trotz aller Kritik gibt es auch einige Momente, die einen emotional packen. Nur sind sie zu spärlich gesät, um ein einheitliches Bild abzugeben. Anstatt die Figuren über einen längeren Zeitraum hinweg aufzubauen, konzentriert man sich auf einzelne Situationen. Diese werden dann zwar meist glaubwürdig inszeniert, doch der rote Faden fehlt häufig. Hier hätte Ninja Theory mit mehr Mut zum Risiko noch einiges mehr herausholen können - auch ohne die Mythologie der Serie zu verändern.
Schwache Lokalisierung
Außerdem möchte ich dringend dazu raten, die englische Sprachvariante einzuschalten. Die deutsche Version ist zwar technisch sauber übersetzt, wird aber für mein Empfinden etwas zu sehr auf einen religiösen Konflikt getrimmt, der vom Original zwar auch thematisiert wird, dies aber deutlich subtiler stattfindet. Viel schlimmer empfinde ich jedoch die Regie im Zusammenspiel mit der Besetzung. Während Dante mir eher altklug als rebellisch-schnoddrig vorkommt, was aber letztlich noch durchgehen kann, wirkt sein (eigentlich gleichaltriger) Zwillingsbruder Vergil wie ein väterlicher Mentor. Und Kat, die im englischen zwar fragil wirkt, ihre innere Stärke aber immer wieder andeutet, ist in der deutschen Version eher naiv, gelegentlich beinahe devot.
So dynamisch wie früher?
Doch wie schon gesagt: Die Story ist wichtig, aber letztlich nur ein Vehikel für die Action. Und genau hier hat Ninja Theory bei seinen letzten Arbeiten nie komplett überzeugen können – sowohl Heavenly Sword als auch Enslaved blieben bei den Kämpfen vergleichsweise oberflächlich. Das wäre jedoch für DmC der Todesstoß, denn die bisherigen Teile lebten von ihrer Kampfdynamik. Doch Ninja Theory hat seine Hausaufgaben gemacht. Bereits in den ersten Kämpfen, in denen Dante nur auf sein Schwert Rebellion sowie die Pistolen Ebony und Ivory zurückgreifen kann und ein überschaubares Bewegungsarsenal zur Verfügung hat, kann man sich über eines nicht beklagen: Dynamik. Als Veteran fühlt man sich sehr schnell wie zu Hause, während Einsteiger ebenso zügig den nahtlosen Wechsel zwischen den Angriffsoptionen zu schätzen wissen. Und bevor man sich versieht, schnetzelt und ballert man sich durch die Dämonenbrut, als ob man nie etwas anderes gemacht hätte. Als Belohnung erhält man wie bisher die so genannten Orbs, von denen die roten als Währung bei Engelsstatuen für Gegenstände eingetauscht werden können, die grünen die Gesundheit auffüllen, während man sich für die weißen bei entsprechender Ansammlung neue Fähigkeiten anschaffen kann.
Pure Kreativität
Die Kreativität, die in Ansätzen bei den Figuren zu spüren ist und bei der Kampfmechanik an Fahrt aufnimmt, läuft bei den Schauplätzen zu Hochform auf. Insgesamt erreicht man zwar nicht das vollkommen durchgeknallte Fantasiefeuerwerk, das die Hexe von Platinum Games abfeuert. Doch innerhalb des düsterer angelegten Konzeptes der unsichtbar in der realen Welt streunenden Dämonen, die Dante nur im Limbus bekämpfen kann, zieht Ninja
Zudem kann man sich nie sicher sein, dass die Levelstrukturen, wie man sie zu diesem oder jenen Zeitpunkt sieht, auch noch in ein paar Sekunden Bestand haben. Mondus kann den Limbus verändern und nutzt diese Fähigkeit auch, um Dante immer wieder Stolpersteine in den Weg zu legen: Hier bricht die Erde weg, dort stürzen Häuserschluchten zusammen und bilden eine immer enger werdende Gasse, aus der man unter Zeitdruck fliehen muss und manchmal wird einem durch in die Levelgeometrie eingesetzte Texte einfach nur gesagt, was der Antagonist von einem hält. "You're trapped" ist dort zu lesen, "Kill him" oder einfach nur ein herzhafter Fluch: "Fuck you Dante!" Die Welt wird quasi zu einem weiteren Darsteller - mitunter sogar zu einem, der mehr Charakter zeigt als manche Hauptfigur; natürlich auch deshalb, weil die Schauplätze allgegenwärtig sind, während die Figuren immer wieder auf- und abtreten. Zudem versteckt sich in den weitgehend linearen Abschnitten auch das eine oder andere Geheimnis, das man nur zu sehen bekommt, wenn man zeldaesk die Fähigkeiten der Waffen nutzt, um Türen zu öffnen. Echte Rätsel hingegen bilden die Ausnahme und auch die wechselseitige Interaktion zwischen Limbus und Echtwelt bleibt bis auf eine Sequenz leider nur ein Konzept. Man sieht zwar immer wieder, wie Geschehnisse im Limbus Auswirkungen auf die echte Welt haben, doch diese sind zu einem Großteil geskriptet.
Kreative Bosskämpfe
Apropos Charakter: Die wenigen Bosse, denen man begegnet, haben es in sich. In bester Arcade-Manier mehrstufig und stets neue Taktiken fordernd, zieht Ninja Theory hier fast alle Register. Vor allem der Endkampf im zehnten Kapitel hat es mir angetan. Ich habe selten einen Boss in einem Spiel gesehen, der derart überzeugend eingeführt wird und dessen Taktiken und Kampfanforderungen auf Spielerseite so überzeugend in Einklang gebracht werden. Man braucht Timing und gute Kenntnis der eigenen Waffen, um seinem fiesen Treiben ein Ende zu setzen, wobei hier wie im gesamten Spiel "fair, aber fordernd" gilt. Die Dämonin, die am Ende des wiederum klasse designten "Disco-Abschnitts" wartet, ist dagegen nur gehobener Standard, wobei man hier zudem verpasst hat, rechtzeitig ein
Die Unterschiede zwischen den Versionen halten sich in überschaubaren und vor allem wertungsirrelevanten Grenzen - auch wenn die Sony-Konsole in einem (nicht replizierbaren Fall) abstürzte und neugestartet werden musste. Die PS3 zeigt insgesamt die intensiveren Farben und klareren Texturen, vor allem im ersten Abschnitt, hat aber unter dem Strich stärker als die Xbox 360 mit den üblichen Texturstreaming-Problemen der Unreal-Technologie zu kämpfen. Zudem sind die Schatten auf dem Sony-System krümeliger und hier findet man im Update-Menü immer wieder kleine Nachladephasen, wenn beim Scrollen durch die Liste ein frisches Beispielvideo aufgerufen wird. Doch letztlich ist nichts davon so gravierend, dass man eine Version ab- oder aufwerten müsste.
Der PC - des Teufels Höllenmaschine
Leicht zeitversetzt konnten wir uns auch der PC-Version widmen, die inhaltsgleich ist. Dementsprechend raten wir auch hier, innerhalb von Steam auf die englische Sprachspur umzuschalten, um die Atmosphäre genießen zu können. Viel wichtiger ist jedoch: Auch die Kämpfe haben am Rechner nichts von ihrer Dynamik oder Intensität eingebüßt. Wer ein Gamepad nutzt, bekommt das identische Spielerlebnis wie die Dämonenjäger mit PS3 oder Xbox 360. Doch auch bei der Steuerung mit Maus und Tastatur hat sich Ninja Theory nicht lumpen lassen. Allerdings musste ich von der enthaltenen Möglichkeit Gebrauch machen, die Tastatur frei zu belegen. Mit allen zur Verfügung stehenden Bewegungsmöglichkeiten ist das Keyboard auf sehr engem Raum und für mich vor allem beim Ausweichsprung unglücklich belegt. Aber den Knoten in den Fingern konnte ich nach einem kurzen Abstecher ins Optionsmenü und den folgenden kleinen Tastenänderungen schnell Lebewohl sagen.
Wer die Wahl hat, ob er vielleicht zum Start auf PS3 oder 360 loslegen soll oder vielleicht doch noch die paar Tage bis zum versetzt stattfindenen PC-Release warten soll, hat eine schwere Entscheidung vor sich. Wer nur einen halbwegs potenten PC sein Eigen nennt -es sollten minimal ein Dualcore-Prozessor mit mind. 2,4 (Intel) bzw. 2,8 (AMD) GHz sowie eine Grafikkarte vergleichbar den GeForce 8800 GTS- oder Radeon HD 3850-Modellen im System schlummern- könnte sich auch die Konsolenversionen holen. Wessen Rechenknecht allerdings jenseits (oder zumindest gleichwertig) der empfohlenen Konfiguration mit Quadcore-Prozessor, 4 GB RAM sowie mind. einer Radeon HD 6950 ausgestattet ist, sollte schweren Herzens warten: Die Kulisse am Highend-PC ist den Konsolen überlegen.
Fazit
Ninja Theory hatte große Fußstapfen zu füllen - immerhin hat Devil May Cry das Genre der "stylischen Action" quasi im Alleingang aus der Taufe gehoben. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der erzählerische Fokus auf den jungen Dante und seine Herkunft wird stilsicher und glaubwürdig inszeniert, bleibt aber größtenteils gewöhnlich. Serienkenner werden dabei einige Anspielungen erhaschen, mit denen deutlich wird, dass man die Geschichte des Dämonenjägers nicht neu erzählen, sondern nur die Facette seiner Jugend hinzufügen möchte. Allerdings bleiben einige Fragen unbeantwortet und wie schon bei Enslaved lassen die Briten einige Nebenfiguren nach gutem Einstieg erzählerisch im Regen stehen und vernachlässigen sie. Bei der Kampfmechanik gibt man sich ebenfalls keine Blöße und serviert einen zeitgemäßen Kompromiss aus alter Dynamik sowie neuen Möglichkeiten mit behutsamen Änderungen. Man hat sich gut angeschaut, was innerhalb des Genres seit Teil 4 passiert ist und dementsprechend reagiert. Man bringt einen gewissen Kratos ganz schön ins Schwitzen und selbst meine Lieblingshexe Bayonetta musste dank der flüssigen Kombos, die vom nahtlosen Umschalten zwischen acht Waffen profitieren, um ihre Vormachtstellung bangen, bleibt aber letztlich das Maß aller Dinge. Dazu kommt ein überaus fantasievolles Artdesign. Alles wirkt wie aus einem Guss, so dass ich über die gelegentlich spröden Texturen hinwegsehen kann. Und auf dem PC sucht man sogar die vergebens: Die Rechenknecht-Version ist die visuell ausgereifteste. Die deutsche Lokalisierung hingegen ist jedoch auf allen Systemen nur in Ausnahmefällen gelungen und meist ein Stimmungskiller. Ich empfehle die englische Sprachversion. Glückwunsch an Ninja Theory und Capcom: Der Neustart ist gelungen.
Pro
Kontra
Wertung
360
Dynamische Kämpfe und ein fantasievolles Artdesign: Ein gelungener Neustart der Serie mit einem frischen Helden.
PC
Inhaltlich identisch zu den Konsolen-Fassungen, spielt der PC die Vorzüge der Unreal-Technologie gnadenlos aus und zeigt die visuell ausgereifteste Version.
PlayStation3
Auch wenn man sich an den neuen Helden erst gewöhnen muss: Dank dynamischer Kämpfe und einem fantasievollen Artdesign ist der Neustart der Reihe gelungen.
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