Im Test:
Eine Kugel macht den Unterschied
Berlin wird von alliierten Bombern angegriffen. Flaks feuern unentwegt Geschosse in den Nachthimmel. Doch der Lärm stört mich nicht - ganz im Gegenteil. Er hilft mir bei der Tarnung. Ich kauere hinter einer Mauer. Die deutschen Wehrmachtssoldaten haben mich bislang nicht bemerkt. Übrigens auch nicht ihren Kameraden, an den ich mich herangeschlichen und den ich aus kurzer Distanz erledigt habe. Dabei ist das Versteck für ihn nicht besonders gut ausgewählt. Doch die Zeit war knapp und ich hatte nicht den Luxus, einen besser geschützten Ort für ihn zu suchen...
Ich schaue mich mit dem Fernglas um. Dort, in etwa 200 Meter Entfernung, es können auch 250 sein, ist mein Ziel, ein hochrangiger deutscher Wissenschaftler. Ich lege an. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, entdeckt zu werden. Sollte einer der Infanteristen auf mich aufmerksam werden, muss er erst mal zu mir gelangen - seine Überraschung, wenn er die zu meiner Absicherung ausgelegten Landminen und Stolperdrähte entdeckt, möchte ich eigentlich nicht missen. Aber ich muss mich auf meinen Auftrag konzentrieren.
Ich habe sein Gesicht in meinem Zielfernrohr genau vor mir. Ich leere meine Lunge und senke meine Herzfrequenz, um das Gewehr so ruhig wie möglich zu halten. Die Zeit läuft wie verlangsamt. Um die Kugel-Gravitation auszugleichen, lege ich etwas höher an. Der Moment ist gekommen. Ich drücke ab.
Er hatte keine Chance. Die Kugel durchschlägt seinen Unterkiefer, bahnt sich einen Weg durch die Luftröhre und zerschmettert seine Wirbelsäule, bevor sie seinen Körper wieder verlässt, an Wucht verliert und deformiert in der Wand stecken bleibt.
Mein Auftrag ist noch nicht vorbei. Ich habe noch ein paar Ziele auszuschalten – und nicht mehr viel Zeit: Während deutsche und russische Streitkräfte um die Vorherrschaft in der Hauptstadt kämpfen, ist eine V2-Rakete mit tödlichem Nervengas auf London gerichtet…
Atemlose Spannung...
Doch es ist nicht nur das Szenario, das mich ans Pad geschweißt hat. Denn Rebellion setzt hier nicht auf ein wildes Schusswechsel-Stakkato, sondern schafft es in den besten Momenten, für eine atemlose Spannung zu sorgen, bei der man für überlegtes Vorgehen und Schleichen im Schatten belohnt wird. Bleibt man unentdeckt, spioniert das Gebiet mit dem Fernglas aus und schafft man es, sich über Fallen die ggf. nach einem suchenden Feinde vom Hals zu halten, während man die Truppen mit seinem Scharfschützengewehr im wahrsten Sinne des Wortes auseinander nimmt, hat man eine deutlich höhere Überlebenschance.
Von grenzdebil bis gefährlich clever
Wird man entdeckt, kann man dank der in diesen Momenten eher debil agierenden Gegner, die ungeachtet von auf sie einströmenden Gewehrsalven unentwegt durch ein und denselben Durchlass stürmen, zwar auch überleben. Doch da man selber nur wenig
Interessant wird es vor allem dann, wenn sie über einen getöteten Gegner stolpern, den man unvorsichtigerweise hat liegen lassen, oder wenn sie Zeuge eines "Snipes" werden: Sie rufen ihre Kollegen zusammen und organisieren eine Suche, die man nicht nur einfach in der vermeintlich sicheren Deckung aussitzen kann. Und so kommt es schließlich zu einem interessanten Jäger-und-Gejagter-Spiel, bei dem die Rollen ständig getauscht werden – bis entweder die Feinde (es gibt keine unendlichen Wellen, sondern nur ein bestimmtes Kontingent pro Abschnitt) oder man selber am Ende ist.
Dabei spielen auch gewisse Unterschiede eine Rolle, so etwa, ob man seinen "finalen Rettungsschuss" durch Umgebungsgeräusche wie Kirchenglocken, Donner, Lautsprecherdurchsagen oder Bombenabwürfe kaschiert hat oder er für alle in der Umgebung deutlich hörbar war. Während sich bei Ersterem eine leichte Panik innerhalb der Soldaten breitmacht, da man unentdeckt geblieben ist, fällt bei Letzterem die Reaktion und das Rufen nach Verstärkung deutlich aggressiver aus.
Starker Beginn, gleichförmiges Ende
Dennoch sind die Verhaltensmuster der Gegner vor allem gegen Ende zu vorhersehbar, so dass die Spannung einen deutlichen Knick hinnehmen muss. Hat man einmal ein paar Kniffe heraus, wie man die nach einem Suchenden verwirren kann und hält man sich von all zu heftigen Gefechten fern, kommt man selten in Gefahr. Es ist schade, dass die Vielfalt und die Atmosphäre der ersten gut zwei Drittel der etwa zehn bis zwölf Stunden dauernden Kampagne gegen Ende nachlässt.
Durchschnittlich mit Gore-Höhepunkten
Was die Kulisse betrifft, ist dieses Spiel nicht auf der Höhe der Zeit. Im Hintergrund flirren auf beiden Konsolen die Kanten, einige Texturen sind unnötig matschig, man trifft auf die eine oder andere unsichtbare Grenze, findet Clipping-Probleme und die Animationen sind auch gelegentlich unsauber. Was jedoch alles nur unwesentlich den Spielspaß mindert. Meinem Spannungsgefühl ist es gleichgültig ob die Mauer, hinter der ich kauere und hoffe, dass der Gegner mit seinem kleinen Trupp umkehrt, nicht in ihrer höchsten Auflösung erstrahlt oder dass eben diese Soldaten sich in Extremsituationen abgehackt bewegen.
Ebenso haben die extrem harten "Kill-Cams" einen höchst geringfügigen Einfluss auf die Wertung. Was verbirgt sich dahinter? Bei einigen besonders spektakulären Schüssen wird nicht nur der Flug der Kugel von einer Kamera im Matrix-Stil eingefangen und verfolgt, sondern auch der Einschlag in all seiner Schonungslosigkeit mit "Röntgenbild" gezeigt. Man sieht haarklein, wie Knochen splittern, die Kugel die Schädeldecke durchdringt oder Rippen
Wo ist der Feind?
Problematischer in dieser Hinsicht ist die Akustik. Man schafft es zwar, neben den obligatorischen herrlich ruhigen Momenten einen glaubwürdigen Kriegshintergrund aufzubauen, bei dem Bomben einschlagen oder in der Ferne Scharmützel ausgetragen werden. Und bei Einsatz einer 5.1-Anlage kann man sich auch nicht über zu wenig Subwoofer-Brummen oder fehlende Klangwucht beschweren.
Doch bei einem enorm wichtigen Punkt hat man bei der Soundabmischung gepennt: Der Ortung der Feinde über das Gehör. Wo Titel wie die dritten Teile der Battlefield- oder Modern Warfare-Serien einem auch akustisch fantastische Anhaltspunkte liefern, aus welcher Richtung sich Feinde nähern, steht man hier in dieser Hinsicht quasi im Regen. Nicht nur, dass man sich die immer wieder gleichen Soundsamples anhören muss, wenn man verzweifelt den letzten Gegner sucht, der sich irgendwo versteckt hält. Darüberhinaus hat man nur über die allgemeine Lautstärke der Kommentare eine ungefähre Ahnung, ob man dem Feind jetzt näher kommt oder nicht - von einer Richtungsbestimmung kann man nur träumen.
Lass mal lieber…
Ebenfalls schenken können hätte man sich die Sammelgegenstände. Die 100 in den Abschnitten versteckten Goldbarren z.B. wirken vollkommen deplatziert. Thematisch passender sind die über 35 Flaschen, die man entdecken und wegsnipern muss. Doch nur weil es passender ist, heißt es noch lange nicht, dass es eine gute oder gar sinnvolle Ergänzung der Mechanik ist. Dabei hätte man diese Anreize zur Erforschung der Levels gar nicht benötigt. Denn wer sich die Mühe macht und sich abseits des Idealweges umschaut, findet nicht nur neue Möglichkeiten, den Feinden auszuweichen oder ihnen Fallen zu stellen - auch die eine oder andere Kiste mit Munitionsnachschub wartet auf Spürnasen.
Selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad, bei dem man keinerlei Zielhilfen mehr bekommt und nicht nur Gravitation, sondern auch Wind die ballistische Kurve beeinflusst, hat man nur höchst selten mit Munitionsknappheit zu kämpfen.
Kooperativer Kampf
Wer keine Lust hat, alleine im Zweiten Weltkrieg für Unruhe zu sorgen, kann sich einen Online-Freund schnappen und gemeinsam auf die Jagd gehen. Dabei bieten die Spielmodi mit einer Ausnahme jedoch keine Überraschung: Man kann entweder einzelne Missionen der Kampagne kooperativ in Angriff nehmen, unter Zeitdruck Gegenstände sammeln, bevor das Gebiet bombardiert wird, während man von den Feinden verfolgt und unter Beschuss genommen wird oder in einer Horde-Variante Welle auf Welle von Gegnern erledigen - nett, aber nichts Besonderes.
Einzig die Überwachung weicht vom stereotypen Muster ab: Hier ist ein Spieler als "Agent" dafür verantwortlich, Ziele zu markieren. Diese wiederum werden vom anderen Spieler, dem "Scharfschützen" unter Beschuss genommen. Die Abhängigkeit der Protagonisten voneinander sorgt für eine interessante Dynamik. Doch selbst mit diesem Modus erreicht man nicht die Langlebigkeit der Action-Schwergewichte, so dass die Koop-Ballerei sich nicht entscheidend auf die Wertung auswirken kann.
Fazit
Rebellions Scharfschütze stand lange auf der Kippe zur guten Wertung. Die Action ist hinsichtlich des Tempos angenehm "langsam", wird mit Stealth-Elementen angereichert und bietet über die Mehrheit der gut zehn bis zwölf Stunden langen Kampagne abwechslungsreiche Missionen. Dass es letztlich nicht gereicht hat, ist nicht allein der häufig unsauberen, aber letztlich stimmigen Kulisse zuzuschreiben. Die zerbombten Areale sind angenehm groß und geben einem zahlreiche Möglichkeiten, Hinterhalte zu legen. Ebenfalls nicht allein verantwortlich ist die KI, die ständig zwischen aufmerksamem Wachverhalten sowie mitunter klugem Verfolgen auf der einen Seite und moorhuhnhaftem Lemmingtrieb mitten ins Gewehrfeuer auf der anderen wechselt. Und es ist ganz bestimmt nicht das Szenario: Nach all den modernen oder futuristischen Kriegsführungen der letzten Jahre wirkt der Zweite Weltkrieg auf mich wieder unverbraucht. Doch in der Summe und zusammen mit einigen anderen Mankos wie der unsauberen Soundabmischung, die zwar kracht und wummt, es einem aber nicht ermöglicht, seine Gegner zu orten, verschenkt Sniper Elite V2 zu viel Potenzial. Ungeachtet dessen kann man jedoch angenehm taktische sowie spannende Scharfschützen-Action auf B-Film-Niveau erleben.
Wertung
360
Gelungene Scharfschützen-Action mit taktischen Ansätzen, die aber von einigen Unstimmigkeiten ausgebremst wird.
PlayStation3
Gelungene Scharfschützen-Action mit taktischen Ansätzen, die aber von einigen Unstimmigkeiten ausgebremst wird.
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