Full Auto18.02.2006, Benjamin Schmädig
Full Auto

Im Test:

Full Auto (ab 39,95€ bei kaufen) - ein Titel, der eigentlich alles verheißt, was man von einem zeitgemäßen Rennspiel erwarten kann. Sega steckt eine Hand voll Waffen, heiße Schlitten und die unverzichtbare Zeitmanipulation in einen Sack und will mit Next-Gen-Optik punkten. Höhepunkt soll aber die scheinbar vollständig zerstörbare Umgebung sein. Ungewöhnliches Prinzip oder herkömmlicher Racer?

Soundbrei

Nur selten entspringt die Akustik so sehr der Seele eines Spiels wie in diesem Fall: Sound und Musik weben einen Teppich, der ein klares Bild der Zerstörung zeichnet: Vor der Motorhaube knicken Metallstreben um als wären es Streichhölzer, links kratzt der Türgriff eines Kontrahenten Risse in den Lack und hinter dem Heck zerfallen ganze Fassaden zu Staub - die Kulisse erinnert an einen Dauerregen, bei dem Beton und Schrapnell auf die Straße rieseln. Aber es blitzt und donnert nicht. Es fehlt das Gewitter, das im Wasserguss Akzente setzt. Der große Knall bleibt aus. Auch musikalisch, denn das mittelmäßige Geschrammel aus Synthesizer und E-Gitarre untermalt die Action mit auswechselbaren Klängen.

Da kann es noch so befriedigend sein, durch die Fensterfront des Autohändlers zu rauschen, um dessen Verkaufsobjekte zu zerlegen und dem nahenden Hintermann eine wohl platzierte Mine vor den zerbeulten Spoiler zu legen. Da kann das Zerbersten der Gegner noch so eindrucksvoll in Zeitlupe festgehalten werden - der Sound weigert sich, dies mit krachenden

Dichtes Verfolgerfeld: Die Kontrahenten sind euch dank Gummiband-KI stets auf den Versen.
Samples zu unterlegen. Sicher: Der Rumms ist zu hören und jeder Aufprall sorgt für viel Kawumm. Aber die Höhepunkte sind so unauffällig abgemischt, dass sie fast unbeachtet verloren gehen.

Magere Karriere

Ebenso das Spiel: Es macht einen Heidenspaß, ganze Straßenblöcke in ein Meer der Verwüstung zu verwandeln und mit Vollgas durch das Chaos zu brettern. Es ist auch äußerst befriedigend, die Konkurrenten mit Raketen, Minen und Schrotflinte in rasende Feuerbälle zu verwandeln. Doch der Spaß am Zerstören hält nicht lange an. Warum? Weil sich die Freude an der opulenten Pracht schon nach wenigen Stunden in einem enttäuschten "Ist das alles?" verliert.

Ihr fahrt um die Wette; auf sich schnell wiederholenden Strecken; in immer gleichen Rennen. Ja - das ist alles. Zwar dürft ihr an verschiedenen Serien teilnehmen und könnt frei wählen, welchen Wettbewerb ihr absolviert, aber es geht immer um das Eine: Als erster über den Zielstreifen zu brettern und dabei möglichst viel Verwüstung anzurichten. Nur eine Hand voll Rennen verlangt von euch, ohne Waffen eine schnelle Zeit zu fahren oder eine bestimmte Anzahl Gegner zu plätten. Crash-Kreuzungen, Preview-Events, Crashbreaker-Rennen - die Konkurrenz zeigt, wie man Abwechslung schreibt. Full Auto kann das nicht. Dass nach und nach neue Serien zugänglich werden, ist schon der Höhepunkt in Sachen Motivation. Das reißen auch Multiplayerduelle im Splitscreen oder Acht-Mann-Rennen über Xbox Live! nicht heraus.

Es gibt sogar eine Art Story für jede Serie, so dass ihr euch mal als Gangster, mal als Agent ein Rennen liefert. Da ihr aber abgesehen davon stets die gleichen Wettbewerbe absolviert, wirken die Hintergrundinfos steril und aufgesetzt. Hinzu kommt eine eigenwillige Lokalisierung, die neben jeder Menge Peinlichkeiten allen Ernstes einen blöden Running Gag von mir einbringt: "Sudden Death" heißt hier tatsächlich "Plötzlicher Tod".

Schon bei solchen Explosionen kommt die Grafik ins Stottern.

Blechschaden am teuren Oldtimer!

Dabei bieten die meisten Rennen die erhofften, spannenden Stoßstangenduelle. Habt ihr die einfache Fahrzeugphysik einmal im Blut, rast ihr mit einem Affenzahn über das Pflaster, schlittert mit angezogener Handbremse durch enge Kurven und gebt mit dem Turbo Gummi. Das Geschwindigkeitsgefühl von Burnout: Revenge liefert der 360-Racer zwar nie, angenehm flott seid ihr aber trotzdem unterwegs. Ein Verwischen der Optik beim Anwerfen des Nitros sorgt für den passenden Kick. Für zusätzliche Würze sorgen Zeitlupenstudien großer Sprünge sowie satter Explosionen.

Leider haben sich die Entwickler an der Darstellung der Gewalt überhoben, da Explosionen das Geschehen ins Stocken bringen und die zusammenfallende Stadt regelmäßig das große Ruckeln ausruft. Selbst die normale Fahrt wirft dem flotten Ablauf gelegentliche Stolpersteine in den Weg. Warum wird dabei nicht unbedingt klar, denn die Strecken sind streng abgegrenzte Areale, andere Wagen werden erst spät eingeblendet und bei genauem Hinsehen entpuppt sich die kaputtbare Umgebung als falscher Hase: Die Fassaden der Gebäude lassen sich komplett zerbröseln (was klasse aussieht!), aber ist der Putz einmal ab, kommen bombenstabile Wände zum Vorschein, auf denen nicht einmal Raketen Einschusslöcher hinterlassen.            

Große Wummen im Zweierpack

Für Blechschaden sorgt ihr vorrangig mit den vorn und hinten am Wagen montierten Geschützen, mit denen ihr den Weg frei räumt oder eurem Heck Raum zum Atmen verschafft. Minigun, Schrotflinte und Raketenwerfer schießen in Fahrtrichtung und werden bis auf das MG separat mit dem rechten Analogstick bedient. Mit Mine oder Granaten macht ihr euren Verfolgern das Leben schwer. Bei jedem der 21 Autos (vom schnieken Oldtimer über Jeep bis zum flotten Sportwagen) sucht ihr eine der vorgegebenen Kombinationen aus Front- und Heckwaffe aus. Frei wählen dürft ihr die Bleispritzen aber leider nicht.

Hinzu kommt, dass sich die Balance der Waffen wenig

Bumm! Die Fassade dieses Gebäudes ziert in Zukunft den Asphalt vorm Haus.
durchdacht zeigt. Ihr bekommt zwar mit fortlaufender Karriere größere Wummen spendiert, ständig steigende Durchschlagskraft sucht man aber vergebens. Schon das zweite Duo - Schrotflinte vorn, Granaten hinten - beseitigt die Mitbewerber dermaßen effektiv, dass ich später zwar alle verfügbaren Kombinationen gerne ausprobiert, aber ebenso schnell wieder vernachlässigt habe. Warum ist der schwer aufs Ziel zu lenkende Raketenwerfer z.B. genau so durchschlagskräftig wie die erwähnte Flinte?

Unverzichtbar: Viel Zeit

Einmal richtig ausgerüstet sorgt das Verschrotten für spürbare Adrenalinschübe. Es gelingt zwar selten, aber wenn ihr gerade eine Rampe verlasst und gleichzeitig einen Gegner in die ewige Boxengasse schickt, wollt ihr mehr davon. Es sind diese kleinen Höhepunkte, die dem Spiel Leben einhauchen. Sei es der direkte Verfolger, dem ihr kurz vor dem Ziel eine Mine in den Motor drückt oder eure Rakete, die sich auf Kollisionskurs mit einem Kontrahenten im Sprung befindet: James Cameron hätte solche Abschüsse nicht besser inszenieren können.

Und was, wenn es eurem eigenen Vehikel das Bodenblech wegreißt? Aus, vorbei, Neustart? Keineswegs. Denn Full Auto spielt ähnlich mit der Zeit wie z.B. SCAR: Verglüht euer Wagen an der Bande oder verpasst ihr eine enge Kurve, dann dreht doch einfach die Zeit zurück! "Reparatur" nennt sich das eigenwillig ins Deutsche übersetzte "Unwreck", welches ihr mit jedem angerichteten Schaden auffüllt. Seht besser zu, dass ihr stets eine volle Anzeige

"Reparatur" heißt die unglückliche Übersetzung des Englischen "Unwreck".
habt, denn die Konkurrenz ist ausgesprochen hartnäckig und versteht es prächtig, euch das Heck zu ramponieren oder Granaten auf eurer Ideallinie zu platzieren. Ein kurzer Druck auf den richtigen Knopf genügt aber und schon habt ihr einen zweiten Versuch. Prägt euch den Button gut ein, denn ohne "Reparatur" ist das Spiel unschaffbar schwer: Die Gummiband-KI sitzt euch so dicht im Nacken, dass ein Rennen ohne schweren Blechschaden kaum möglich ist. Nicht selten sorgt das Zurückdrehen der Zeit allerdings dafür, dass ihr einmal, zweimal oder sogar dreimal direkt vor dem Lauf eines der Hintermänner landet und sofort schrottreif geschossen werdet.

Taktik-Shooter auf vier Rädern?

Von der Reparatur über die Waffenwahl, das separate Steuern der Frontwaffe bis hin zum Turbo, den ihr mit Powerslides, Sprüngen oder sonstigen Stunts auffüllt: Full Auto verlangt nicht nur das Beherrschen von Gas und Bremse, sondern fordert vor allem taktisch abgebrühtes Fahren: Wie sichert ihr euch in der letzten Runde noch ausreichend Panzerung, um heftigen Beschuss und eine leere Reparatur-Anzeige zu überstehen? Es gibt Momente, da erinnert Segas Racer mehr an einen Shooter als an ein Rennspiel.

Aber keine Angst: Habt ihr den Dreh einmal raus, zeigt sich das Spiel als reinrassiger Racer. Ihr jagt mit viel Übersteuern durch die Kurven, zündet im richtigen Moment Turbos und macht einen Bogen um allzu heftiges Dauerfeuer. Das Zielen über den rechten Stick sowie das Rücksetzen der Zeit sorgen hingegen für zusätzliche Würze und lenken nicht vom Geschehen ab. Überhaupt wird schnell klar, dass die blanke Zerstörungswut hier nichts zu suchen hat, denn solange ihr als Abrissunternehmen über den Kurs hetzt, seht ihr von der Konkurrenz höchstens die Bremsleuchten. Und genau da liegt auch das Problem: So herrlich das Kaputtmachen auch sein kann, so herkömmlich zeigt sich Full Auto beim genauen Hinsehen.        

Fazit

Full Auto ist genau richtig für all jene, denen Burnout: Revenge zu wenig gekracht hat. Hier rummst und knallt es an jeder Ecke und zwar am laufenden Band. Zum Glück hat sich Sega aber nicht auf die destruktiven Reize verlassen, sondern verlangt, dass ihr neben den Waffen auch das Fahrwerk unter Kontrolle habt – heraus kam ein Spiel, das den Rennfan mit fordernden Duellen versorgt. Nach wenigen Stunden sackt die Motivation allerdings spürbar ab und es wird klar, dass Full Auto nicht die Summe seiner Zutaten ist, sondern ein gewöhnliches Rennspiel mit einer interessanten Note. Habt ihr euch einmal daran satt gesehen, wie die teilweise zerstörbare Stadt zerbröselt, gibt es dort nichts mehr zu entdecken. Es bleibt der fade Beigeschmack, dass Full Auto mit einer motivierenden Karriere und abwechslungsreichen Events viel mehr hätte sein können als ein taktisch anspruchsvoller aber uninspirierter Arcade-Racer.

Pro

mehr Zerstörung als in jedem anderen Rennspiel
lenkbare Waffen
mitunter rasante Schusswechsel
teilweise schicke Wagen (Oldtimer)
ordentliches Geschwindigkeitsgefühl
abgenutzte, aber coole Zeitmanipulation

Kontra

<P>
andere Autos erst spät im Bild
Waffen nicht frei kombinierbar
stark ruckelanfällige Grafik
unmotivierender Karriere-Modus
dröhnender, aber langweiliger Soundtrack
schlechte deutsche Lokalisierung</P>

Wertung

360

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.