Blue Dragon01.09.2007, Mathias Oertel
Blue Dragon

Im Test:

Wer mit den Namen Hironobu Sakaguchi, Nobuo Uematsu und Akira Toriyama etwas anzufangen weiß, wird vermutlich schon längst mit der Zunge schnalzend in der spielerischen Nippon-Vergangenheit schwelgen. Immerhin stehen diese Namen u.a. für Final Fantasy und Dragonball Z. Doch was hat die Rollenspiel-Kollaboration dieses Trios bei ihrem Xbox 360-Debüt zu bieten?

Und alles ist Vergangenheit

Ein weißer Bildschirm, auf dem nur die Worte Press "Start" prangen. Dazu eine minimalistisch stimmungsvolle Klavierkomposition aus der Feder von Kult-Komponist Nobuo Uematsu (u.a. Final Fantasy-Serie), die nächstes Jahr bestimmt im Repertoire des Videogame-Pianisten Martin Leung zu finden sein wird.

Das Charakterdesign kann sich sehen lassen und ist ebenso stimmig wie die restliche Kulisse. Hier haben wir übrigens die nervigste sowie die interessanteste Figur auf einem Bild!
Und schon geht der wehmütige Blick nach innen und ich erinnere mich an die Zeiten, in denen die japanischen Rollenspiele (JRPG) angetrieben von Serien wie Final Fantasy (FF) und Dragon Quest (DQ) gerade den Kinderschuhen entwachsen und sich über Importwege ein immer größeres Publikum sicherten. Die Erinnerung wird wach an die ebenso frustrierenden wie faszinierenden Momente, die ich beim Spielen der japanischen Version von FF VII erfahren durfte. Ich öffne meine Augen: "Press Start". Na dann los!

Helden und Skepsis-Fanatiker

Auf dem Papier scheint Blue Dragon (ab 23,99€ bei kaufen) die Inkarnation ruhmreicher JRPG-Zeiten für eine neue Generation darzustellen, wozu nicht nur die Musik von Uematsu-San  beiträgt. Für das Charakter-Design zeichnet Akira Toriyama verantwortlich, der u.a. an DragonBall Z mitgearbeitet hat. Und als Kapitän hält Final Fantasy-Meister Hironubu Sakaguchi höchstpersönlich mit seinem neuen Mistwalker-Studio das Ruder in Händen. So weit, so gut?

Eigentlich ja - wenn nicht das Team von Artoon in die Entwicklung involviert wäre und automatisch eine Art Zweckskepsis hervorruft. Nicht von ungefähr scheinen die größten Erfolge der Japaner in Yoshi´s Island auf dem DS zu liegen. Oder wer erinnert sich noch wohlgesonnen an Titel wie Blinx - The Time Keeper auf der Xbox? Eben! Von dem halben Totalausfall Vampire Rain auf der 360 ganz zu schweigen... Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und ich gehe davon aus, dass Artoon aus den Fehlern des 360-Einstands gelernt haben und die Hardware jetzt besser im Griff haben. Und dann bleibt natürlich noch die Frage, wie weit Sakaguchi-San in beratender Funktion zur Seite stand oder ob er letztlich auch Entscheidungen gefällt hat.

Sieht fast so aus wie Yoda, ist aber bei weitem nicht so sympathisch: Nene, ein Erzschurke in der Blue Dragon-Welt!
Moderne Klassik

Vielleicht geht es euch auch so: Eigentlich habe ich mit klassischer Musik nicht viel am Hut. Ich werde nicht mit Beethovens Symphonien warm, kann sie aber dennoch aufgrund der Macht wertschätzen, die ihnen innewohnt und die sich selbst meinen ungeschulten Ohren offenbart.

Mit Kompositionen moderner Klassik wie z.B. Phillip Glass hingegen könnte ich mir bei einem gemütlichen Rotwein die Abende auch ohne zu zocken, reihenweise um die Ohren schlagen.

Wohin diese Reise führen soll? Ganz einfach: Im Wesentlichen bedient Blue Dragon viel von dem, was man mit dem Klischee "Japan-Rollenspiel" sowohl im positiven als auch negativen verbindet. Dazu gehören z.B. extrem abgefahrene Charaktere, die man entweder hasst oder liebt. Irgendetwas dazwischen ist nicht drin - ich z.B. komme weder mit dem immer wieder arrogant scheinenden Shu und vor allem mit dem keifenden Knuddel-Knäuel Maromaru nicht klar& Aber auch das klassische rundenbasierte Kampfsystem bietet eine Reminiszenz an die gute alte Zeit. Oder auch der leicht an Final Fantasy erinnernde Jingle, der nach einem erfolgreichen Kampf eingespielt wird, während der den siegreichen Hieb ausführende Charakter für den Zuschauer posiert. Das weitestgehend klassische Item-System, das auch vor der Phönix-Feder (hier allerdings als Kralle) zur Wiederbelebung gefallener Kameraden nicht zurückschreckt, gehört ebenfalls dazu. Ebenso das feste Speichersystem mit Punkten, die ab und an etwas zu weit auseinander liegen und die Spielesitzung unter Umständen länger dauert als man ursprünglich veranschlagt hat. Diese Liste könnte man noch weiter führen.

Schaut man sich im Gegenzug an, welche Wege Square-Enix mittlerweile beschreitet, wirkt Blue Dragon mit seinen Reminiszenzen leicht anachronistisch, entfacht dadurch aber für Fans einen nicht zu unterschätzenden Charme.

       

Detailsuche

Doch es gibt auch zahlreiche Abweichungen von der allseits bekannten Formel. Der leicht an einen lila Yoda erinnernde Oberbösewicht Nene, der eine Robotarmee befehligt, gehört allerdings nicht dazu. Zwar bietet die weitestgehend lineare Story immer wieder kleine Wendungen und Überraschungen (die am Rande der Vorhersehbarkeit schrammen), doch leider dauert es meist viel zu lang, bis der rote Faden weiter gesponnen wird. Und die Zeit dazwischen verbringt man mit der Erforschung der Gebiete und Kämpfen. Vielen Kämpfen. Das Tempo der Erzählung pendelt sich zwar später auf einem passablen Niveau ein, doch gerade in der als Tutorial konzipierten Anfangsphase können Ungeduldige schnell aufstecken. Es ist nicht  jedermanns Sache, sich nach einer interessanten Einstiegssequenz für gut vier Stunden durch Anweisungen, Erklärungen und Monstermassen zu kämpfen bevor der nächste wesentliche Story-Einspieler kommt. Und bis man seine komplette Gruppe beisammen hat, werden viele vielleicht schon das Pad ins Korn geworfen haben. Das ist schade, denn ab diesem Moment wird auch die Zeichung der Charaktere deutlicher und bietet mehr Identifikationspunkte.

Nur am Anfang kämpft ihr mit Shu und seinen Freunden. Später übernehmen die "Schatten" die geballte Angriffskraft.
In der wichtigen Anfangsphase verschenkt Blue Dragon viele Sympathien. Doch andererseits haben Kampfsystem und Charakteraufstieg viele kleine versteckte Stärken, die nicht nur eingesessenen JRPG-Spielern gefallen dürften.

Kampf-Zweierlei

So hat man sich bei Blue Dragon z.B. vom klassischen Zufallskampf abgewandt und sich auf zwei unterschiedliche Systeme festgelegt. In den zahlreichen Dungeons, die sich übrigens komplett von Feinden leeren lassen, verfolgt man einen ähnlichen Weg wie z.B. Final Fantasy XII und lässt euch die Monster schon von Weitem sehen, um euch eine entsprechende Taktik festzulegen. So könnt ihr auch warten, bis der oder die Gegner euch den Rücken zuwenden, um sie dann hinterrücks anzugreifen und euch dadurch einen kleinen Vorteil im Gefecht zu sichern.

In den frei begehbaren, aber dennoch deutlich begrenzten Außengebieten hingegen tauchen immer wieder Monster auf und ersetzen so quasi die Zufallsmechanik, wie man sie seit Urzeiten kennt. Der Clou: Ihr könnt natürlich jederzeit versuchen, aus dem Blickfeld der Gegner zu verschwinden, bis sie ihre Verfolgung aufgeben - vorausgesetzt, ihr wollt nicht kämpfen. Wozu wir aber im Zweifelsfall immer raten würden. Doch dazu gleich mehr.

Mit den später verfügbaren "Field Skills" lassen sich bei der Begegnung mit Feinden besondere Grundvoraussetzungen schaffen. So könnt ihr z.B. schwächere Gegner bei Berührung mit gleichzeitiger Anwendung der Fähigkeit sofort ausschalten, ohne erst in den ohnehin ungleichen Kampf zu müssen.

Oder aber ihr sorgt dafür, dass euch die Gegner quasi bis ans Ende der Welt verfolgen. Welchen Sinn dies hat? Ganz einfach: Ihr könnt vor Kämpfen einen Einzugskreis aufrufen. Nun habt ihr die Wahl, alle in diesem Kreis befindlichen

Die Kämpfe laufen zwar tendenziell klassisch und damit rundenbasiert ab, bieten aber einige interessante Einflussmöglichkeiten.
Gegner anzugreifen oder euch auch einzelne herauszupicken und das Gefecht zu starten. Bei bestimmten Gegnertypen kann es allerdings auch passieren, dass sich die Monster untereinander angreifen und euch so die Arbeit abnehmen - nett!

Drachenrunden

Die Kämpfe an sich wiederum laufen bis auf eine Ausnahme weitestgehend klassisch und rundenbasiert ab. Zwar kämpft ihr nur in der Anfangsphase selber; später übernehmen die blauen Schatten, die an die FF-Beschwörungen erinnern, das Geschehen. An den wesentlichen Kampfhandlungen ändert sich allerdings nichts - statt der Charaktere greifen eben nur ihre blauen Schatten an...

Etwas Schwung und ein Hauch Taktik kommt in die Gefechte durch die Möglichkeit, bestimmte Zauber und Nahkampfangriffe aufzuladen. Hier könnt ihr auf einer Leiste einsehen, wann sowohl eure Gruppenpartner als auch die Gegner an der Reihe mit ihrem Zug sind. Nun habt ihr die Wahl, das Aufladen länger ausfallen zu lassen und damit auch mehr Schaden (bzw. stärkere Heilung, verbesserte Verstärkungszauber etc.) anzurichten - auf Kosten eines Verschiebens der Position in der Angriffsreihenfolge.  

Oder aber ihr nehmt den Standardzauber und seid sofort an der Reihe. Dadurch gewinnt das Kampfgeschehen deutlich an Reiz - vor allem durch die fordernden Bosskämpfe, die nicht nur Taktik, sondern auch einen geschickten Einsatz der zur Verfügung stehenden Elemente fordern. Einem Eiswesen tritt man am besten mit Feuerattacken gegenüber - klar.   

Die Kulisse von Blue Dragon ist nicht überwältigend, aber hinsichtlich Stimmung und Design von Anfang bis Ende gelungen.
Doch was, wenn es nach bestimmten Angriffen die Empfindlichkeit wechselt? Wohl dem, der die Fähigkeiten seiner Schatten aufeinander abgestimmt hat. Mit insgesamt neun Klassen vom klassischen Nahkämpfer bis hin zum Heiler und dem üblichen Magiebegabten, deren Fähigkeiten ihr kombinieren könnt, gibt es ausreichend Spielraum, um die Figuren seinem Stil anzupassen.

Über Gegenstände und Kleidung hingegen gibt es kaum Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Mit anfänglich vier Slots, in die ihr Ringe, Armbänder etc. packen könnt, ist die Individualisierung eher dürftig - zumal man meist sowieso bei allen Figuren die gleichen Ausrüstungsgegenstände anlegt, die ohnehin nicht optisch angezeigt werden.

Technisch sauber

Blue Dragon wird sicherlich nicht als das Rollenspiel in die Geschichte eingehen, das eindrucksvoll mit Kulissen der nächsten Generation protzt. Auf den ersten Blick wirken die comichaft überzeichneten Figuren sowie die Umgebungen sogar recht bieder. Doch hat man sich daran gewöhnt, dass die Charaktere äußerst sparsam mit Mimik umgehen und lässt man sich auf die Welt ein, beginnt ein Wandlungsprozess, was die Wahrnehmung betrifft. Dann nämlich wird z.B. das skurrile Gegnerdesign deutlich, das sich wunderbar mit den unter dem Strich als sehr stimmig zeigenden Umgebungen ergänzt. Öde Wüsten, dicht bewachsene Wälder mit idyllischen Seen, trostlose Ruinen, technisch fortgeschrittene Raumschiffe - hinsichtlich der Kulisse wird Abwechslung geboten. Einzig die verstreuten Dörfer, in denen ab und an sogar Nebenmissionen warten, könnten etwas belebter sein.

Spielgrafik oder Renderfilm? Egal, denn mit Blue Dragon sind die Unterschiede so minimal wie nie zuvor...
Und in einem Punkt wird schließlich sogar doch deutlich, dass hier eine Xbox 360 ihre Dienste verrichtet: Endlich sind Rollenspiele an dem Punkt angelangt, dass zwischen Renderfilmchen und Engine-Sequenzen kaum noch ein Unterschied auszumachen ist. Auf der PS2 wurde der erste Schritt in diese Richtung zwar ebenfalls schon mit FF XII unternommen, doch so minimal wie in Blue Dragon waren die Unterschiede noch nie. Das gibt Hoffnung, dass in Zukunft die Illusion einer durchgängigen interaktiven Welt noch größer wird.   

So stimmig sich die Kulisse darstellt, so große Sorgenfalten legen sich hinsichtlich der Akustik auf die Stirn. Denn abgesehen von der bereits angesprochenen Anfangsmelodie liefert Uematsu weitestgehend Standardkost ab. Ähnlich wie Jeremy Soule in Oblivion: Titelmusik hui, der Rest ok. Allerdings kann der mit Brachial-Gitarren versehene Track bei den Bosskämpfen für einen sehr gelungenen und vollkommen unerwarteten Kontrapunkt sorgen.

Was die Sprachausgabe betrifft, ist löblich, dass man in der uns vorliegenden Version aus Deutsch, Englisch und Spanisch wählen kann. Eine weitere Version (UK/FR) lässt für echte Hardcore-Fans sogar die japanische Sprachausgabe zu! Doch auch die englische und deutsche Variante sind sehr gut gelungen - das typische Pathos inklusive.

Trotz eines Umfangs von drei (!) DVDs bleibt aber auch hinsichtlich der Sprachausgabe ein schaler Beigeschmack: Gesprochene Texte vernimmt man nur in den umfangreichen Renderfilmen. Im Spiel selbst bleiben sämtliche Unterhaltungen so steril und unvertont, wie man es nur von PSone- oder vielen Wii-Spielen kennt. Im in diesem Test oftmals strapazierten Final Fantasy XII war der Anteil an unvertonten Gesprächen deutlich geringer.   

Fazit

Blue Dragon wird weder auf die 360 im Speziellen noch auf die Rollenspiel-Historie im Allgemeinen eine solche Wirkung erzielen, wie es Squares Final Fantasy-Serie auf diversen Systemen geschafft hat. Dafür ist das Abenteuer von Shu, Maromaru & Co. zu sehr in alten Prinzipien verhaftet, ohne wirklich etwas neu zu erfinden. Die behutsam vorgenommen Modernisierungen machen Blue Dragon aber auch für Spieler interessant, die bislang wenig mit den Klischee behafteten japanischen Rollenspielen am Hut hatten. Interessante Variationen des rundenbasierten Kampfsystems, spannende Bosskämpfe, eine übersichtliche Charakterentwicklung sowie ein gelungenes und stimmungsvolles Design auf der einen Seite, akustische Inkonsequenzen und eine sehr spät in Gang kommende Geschichte auf der anderen: Trotz der Mitarbeit von Sakaguchi-San bleibt der Eindruck, dass es sich bei dem auf drei DVDs ausgelieferten Abenteuer um eine Fingerübung handelt. Das ist per se zwar nicht negativ auszulegen, doch auch Blue Dragon bleibt der ganz große RPG-Wurf verwehrt. Schön anzuschauende und faszinierende Nippon-Unterhaltung alter Schule, aber nicht bis in die letzte Konsequenz verfeinert. Trotzdem: Als Einstimmung auf Lost Odyssey oder Eternal Sonata sowie als Überbrückung bis Mass Effect kann ich mir wahrlich schlechtere Spiele vorstellen.

Pro

behutsam modernisierte Reminiszenz an klassische Mechaniken
feines Gegnerdesign
Zauber und Nahkampfattacken können aufgeladen werden
spannende Bosskämpfe
interessante Einstiegsphase
geringe Unterschiede zwischen Rendersequenzen und Spielgrafik
gute Lokalisation

Kontra

kaum Mimik
Sprachausgabe nur in den Renderfilmen
lang gezogenes Tutorial
Musik immer wieder mit Schwächen
weitestgehend linear

Wertung

360

Klassische Spielmechaniken behutsam modernisiert und mit stimmungsvollen Kulissen ausgestattet. Nicht nur für Fans lohnenswert...

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