Splinter Cell: Double Agent28.10.2006, Benjamin Schmädig
Splinter Cell: Double Agent

Im Test:

Er ist zurück! Sam Fisher muss einmal mehr dem Terrorismus den Garaus machen – doch diesmal ist alles anders. Denn in Splinter Cell: Double Agent (ab 25,00€ bei kaufen) infiltriert ihr den Gegner nicht von außen, sondern seid als Maulwurf unter den Verbrechern unterwegs. Was ändert sich für den Geheimagenten? Schleicht es sich bei Tageslicht anders als in den Schatten der Nacht? Und wie gelingt der futuristischen Stealth-Action ihr erster Next-Gen-Auftritt?

Dramatischer Einstieg

"Mein Name ist Sam Fisher. Ich war ein Held - jetzt bin ich ein gesuchter Mann. Ich habe Terroristen gejagt - jetzt bin ich einer von ihnen. Ich hab Befehle entgegen genommen - jetzt erledige ich sie." "Erledigen", oder wie es im englischen Trailer heißt: "execute" ("ausführen" oder "hinrichten"), das ist der Knackpunkt. Ein Agent, der die Menschheit etliche Male vor dem Tun ruchloser Terroristen bewahrte, macht den Verbrechern nicht länger den Garaus - er ist einer von ihnen.

Gleich nach dem ersten Auftrag nimmt das Unheil seinen Lauf, denn nachdem der Spion von seiner ersten Mission zurückkehrt, überbringt ihm sein Boss die furchtbare Nachricht: Sams Tochter

Coole Party: Über den Dächern von Shanghai feiert Sam den Jahreswechsel.
verlor bei einem Autounfall ihr Leben. Aber es kommt noch schlimmer, denn eine Organisation namens John Brown's Army (JBA) plant einen Anschlag auf Nordamerika und der einzige Weg, sie zu stoppen, führt Fisher ins Zentrum der Terroristen - als Doppelagent.

Der Einstieg ist mitreißend inszeniert: Eine Zwischensequenz zeigt in dramatischen Bildern Sams Reaktion auf den Verlust, während sein Boss Lambert erzählt, wie ihn die NSA ins Gefängnis wirft. Niemand weiß von dem geplanten Seitenwechsel, es gibt keine Sonderbehandlung für ehemalige Helden, Sam Fisher ist mit seinem Schmerz und den Verbrechern allein. Er verliert beinahe die Fassung und wirft sein Markenzeichen, die Kappe mit den drei grünen Punkten, in den Ozean. Weg mit den Konventionen. Der Spion zeigt sein Gesicht. Ubisoft will die eingefahrenen Bahnen der Vorgänger verlassen. Willkommen bei Double Agent!

Auf sich allein gestellt

Als die Sequenz vorbei war, hatte mich Splinter Cell voll gepackt. Nicht, dass das bei meiner Vorliebe für Stealth-Action erstaunlich wäre, doch die Entwickler krempeln die gewohnte Prämisse gleich zu Beginn wirkungsvoll um. Splinter Cell verspricht endlich mehr, als den Agenten ohne dramaturgisch sinnvollen Hintergrund rund um den Globus zu hetzen. Schon bei eurem zweiten Auftrag hat sich scheinbar alles verändert, denn während ihr einem Mitglied der JBA bei der Flucht helft, ist ein Messer eure einzige Waffe. Keine Pistole, kein Nachtsichtgerät, keine Hilfsmittel. Nur die Herkunft des OPSAT (eine Uhr, über die Sam Missionsziele abruft und elektronische Systeme knackt) an seinem Handgelenk bleibt ein ungelöstes Rätsel. Ihr müsst deshalb noch mehr als in den Vorgängern im Schatten bleiben und die Wachen per Hand ausschalten - was genau so funktioniert, wie ihr es gewohnt seid: Schleicht euch im Dunkeln heran oder lockt die Gegner durch Pfeifen und das Werfen von Gegenständen an. Sind sie nah genug an euch dran, schlagt ihr sie entweder bewusstlos oder nehmt ihnen das Leben. Mir ist allerdings schleierhaft, weshalb Sam keine liegen gebliebenen Pistolen oder Gewehre an sich nimmt. Ich weiß, dass damit das bleilose Schleichen gefördert würde, doch gerade bei einem Ausbruch und wenn ich später in einem Kriegsgebiet unterwegs bin, erscheint die Verweigerung unglaubwürdig.

Anders als im Vorgänger schießen eure Widersacher übrigens nicht mehr drauflos, wenn sie Pfiffe oder Geräusche hören, sondern suchen vorsichtig nach dem Ursprung. Das gibt euch die Chance, eine von Sams neuen Fähigkeiten einzusetzen: Lehnt er an einer Wand, versetzt er heran laufenden Feinden einen Schlag und nimmt die Geneppten in den Schwitzkasten. Eventuell rückt einer von ihnen wertvolle Hinweise heraus, die euch das Vorankommen erleichtern - in Chaos Theory seid ihr auf diese Art an wichtige Informationen gelangt. Doch Double Agent legt auf die Verhöre wenig Wert. Meist erfahrt ihr nur Kleinigkeiten, die euch

Ihr wartet auf den Double Agent-Test für Xbox, PS2 und GameCube?

Da zwei Teams an den Fassungen für 360/PC und aktuelle Konsolen gearbeitet haben, erwartet euch dort ein anderes Spiel. Der Test dazu folgt in Kürze!ohnehin bekannt waren. Das vorsichtige und zeitaufwendige Anschleichen zahlt sich damit kaum aus.

Vertrauen sie mir...

Belohnt werden dafür alle Vorgaben, die ihr für euren Auftraggeber erfüllt. Im Gefängnis geht es darum, den Anweisungen des JBA-Manns Jamie zu folgen. Löst ihr z.B. Alarm aus, gibt das Punkteabzug - und zwar nicht nur in der erweiterten Statistik nach Levelende, sondern auch beim Vertrauen, das man euch entgegen bringt. Merkwürdig stieß mir dabei auf, dass die Gegner immer noch genau in dem Moment Alarm auslösen, in dem sie euch entdecken. Und zwar ohne Funkspruch oder Knopfdruck; entweder sind die Gehirnströme sämtlicher Wachleute sowie die afrikanischer Soldaten mit einem Zentralrechner gekoppelt oder die Entwickler haben es sich sehr einfach gemacht. Wie spannend wäre es gewesen, wenn ihr sie ausschalten müsstet, bevor sie den Alarmknopf erreichen oder das Funkgerät einschalten! Schon die mittelalterlichen Schergen in Thief agierten da glaubwürdiger. Schnappen die Wachen hingegen nur ein Geräusch auf, dem sie nachgehen, winken sie Verstärkung heran - es geht doch!                     

Doch zurück zum Vertrauen, der größten und wichtigsten Neuerung. Um es kurz zu machen: Verliert ihr das Vertrauen eurer Auftraggeber, heißt es "Game Over". Lasst die Anzeige deshalb auf keinen Fall auf Null fallen. Aber wie erreicht ihr das? Indem ihr die euch aufgetragenen Ziele erledigt. Das klingt zwar einfach, doch häufig sinkt euer Ansehen schon, wenn ihr entdeckt werdet - und zwar jedes einzelne Mal. Dadurch fördert Double Agent das vorsichtige Vorantasten nicht nur, sondern erzwingt es erstmals aktiv. Obwohl ich mich ohnehin stets als stilles Mäuschen durch Splinter Cell, Hitman oder Thief schleiche, tut es gut, dass sich umsichtiges Vorgehen nicht nur auf Atmosphäre und Statistik auswirkt.

Was tun?

Und was wäre ein Doppelagent ohne moralisches Dilemma? Aufträge für die Gegenseite zu erledigen ist die eine Seite - seinen Job als

Klappt auch im Online-Spiel: Ihr entledigt euch eines Upsilon-Agenten.
Agent der Regierung zu machen, die andere. Damit ihr Sams Misere zu spüren bekommt, müsst ihr daher zusätzlich den Forderungen der NSA nachkommen. Da kann es schon mal passieren, dass die Terroristen Tote sehen wollen, während ihr genau das im Namen der NSA verhindern sollt. Oder ihr müsst eine Bombe platzieren und anschließend das Gebiet räumen. Wollt ihr für euren Chef Lambert aber noch das Entschärfen des Sprengkörpers  vorbereiten, könnte die JBA Verdacht schöpfen. Was macht ihr?

Genau diese Frage soll wie Schatten über all euren Handlungen liegen, denn ihr müsst stets beide Seiten zufrieden stellen. Aber ausgerechnet im Kern der Idee schwächelt Double Agent: Die Entwickler zwingen euch zu selten in Situationen, in denen ihr z.B. Unschuldige töten müsst, um Sams Tarnung zu wahren. Es gibt sogar nur eine Hand voll Stellen, in denen solche Augenblicke überhaupt entstehen können. Aber selbst in diesen wenigen filmischen Momenten verschenkt Ubisoft viel Potential.

Die Idee ist eigentlich klasse: Emile, der die Terroristen mit eiserner Hand führt, fordert euch mehrmals dazu auf, bestimmte Personen hinzurichten - frei nach dem Motto "Beweise mir, dass du zu uns gehörst!" Dann könnt ihr die armen Schlucker einfach erschießen oder auf der Seite des Rechts bleiben. Dabei büßt ihr viel Vertrauen bei der Partei ein, gegen die ihr euch entscheidet. Ihr wollt die Unschuldigen leben lassen? Das funktioniert nur, wenn ihr ein hohes Ansehen bei den Leuten der JBA genießt, ansonsten verlieren sie ihr Vertrauen in euch und das Spiel ist zu Ende. So endete mein erster Anlauf der Szene in der Vorschau-Version: Ich hatte mich  nicht um meinen Status gekümmert und musste entgegen meiner Gewissensbisse den Abzug betätigen. Das Tolle daran: Mein vorheriges Vorgehen hat mich in diese Lage gebracht. Ich wusste genau, dass der Gefangene wegen meines Versagens durch Sams Hand sterben musste. Das Gefühl war großartig. Noch nie zuvor habe ich als Spieler eine so intensive Sequenz erlebt!

Emotionelle Funkstille

Aber nicht nur Sams Auftrag, auch die Medaille hat zwei Seiten. Beim zweiten Anlauf habe ich sorgfältig alle Vorgaben beider Parteien erfüllt - und mir mühelos so viel Vertrauen bei Emile erschlichen, dass ich

Wenn die Scheiben dieses Aquariums zerspringen, reicht den Putzfrauen kein einfacher Schrubber...
die Hinrichtung bedenkenlos in die Hände der Verbrecher legen konnte. Das moralische Dilemma verschwand, das Drama war verpufft und tatsächlich gilt: So lange ihr Double Agent so angeht, wie es die Entwickler fordern (erfüllt die Aufgaben von NSA und JBA), erwarten euch keine dieser starken Momente. Lapidar formuliert müsste man sich bewusst blöd anstellen, um bei den gerade mal fünf oder sechs Entscheidungs-Szenen keine Wahl zu haben. Doch wer wäre dann noch emotionell daran beteiligt? Kenner haben es besonders schwer, denn die werden auf keinem der drei Schwierigkeitsgrade ernsthaft gefordert.

Immerhin bestimmen drei eurer Entscheidungen darüber, welches Ende ihr erlebt. Ihr erhaltet allerdings nie einen Hinweis darauf, welche Wahl zu welchem Abspann führt. Und wenn er dann über den Bildschirm flimmert, seht ihr keine logische Fortführung eurer Entscheidungen; es werden einfach unterschiedliche Ereignisse ausgelöst, die mit eurem Tun nichts zu tun haben. Es wäre zudem schön gewesen, wenn ein Vertrauensverlust auf einer der beiden Seiten wenigstens euren Stand bei NSA oder JBA erschwert hätte. Und führen echte Entscheidungen eigentlich nicht zu verschiedenen Entwicklungen? Auch hier gilt: Fehlanzeige.

Die erzählerische Stärke nimmt nach der imposanten Einführung ohnehin ab, denn auch wenn viele kurze Einspielungen beeindruckend inszeniert wurden, entwickelt sich der Protagonist nach dem anfänglichen Einbruch nicht weiter. Selbst die Geschichte um das Attentat bleibt blass und hat mich nur an einer Stelle noch mal gepackt. Zwar ist Sams grimmige Attitüde wegen des Tods seiner Tochter sowie seinem düsteren Auftrag endlich nachvollziehbar und passt zu ihm wie die Faust aufs Auge, doch nachdem sein Hintergrund geklärt wurde, begnügen sich die Schreiber mit dem Status Quo. Wieso stirbt sein Kollege schon nach einem kurzen Auftritt in der ersten Mission? Mich hat er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht interessiert. Und wie kann man den Tod einer Tochter in drei Sekunden abhandeln, um das Thema danach fallen zu lassen? Das ist, als würde in Der Soldat James Ryan der Abspann über die Leinwand flimmern, bevor sich die Klappen der Landungsboote öffnen.                

Toller Ausblick, schlechte Sicht

Nach der Einführung gibt es auch keine vorberechneten Zwischensequenzen mehr, dafür protzt Splinter Cell mit beeindruckenden Echtzeit-Bildern. Fisher stapft über die verschneite Eiswüste des Ochotskischen Meeres, seilt sich zum Jahreswechsel an der Außenwand eines chinesischen Wolkenkratzers ab, schleicht durch das Kasino eines Luxuskreuzers und gerät in Kinshasa zwischen die Fronten eines Bürgerkrieges. Damit haben die Entwickler mehr Szenarien erschaffen als die Set-Bauer eines durchschnittlichen Bond-Films. Und es sieht hervorragend aus, was auf der 360 läuft! Die Sichtweite ist, vom Schneesturm-Abschnitt abgesehen, enorm - ihr macht selbst in weiter Ferne noch Details aus. In China seht ihr z.B. die Autos auf der tiefen Straße oder ein Feuerwerk am Horizont. Wenn Sam aus dem Wasser auftaucht, perlen Tropfen über die Kamera und an den Klippen der Eiswüste wird das Licht in verschiedene Farbspektren 

In der Eiswüste sind die Wachen nur schwer aus der Ferne zu sehen - Sam allerdings ebenso.
gebrochen. Die Oberflächen wirken zwar etwas unscharf, doch das fällt in der detaillierten Umgebung kaum auf. Erkauft wird die Qualität mit einem gelegentlichen Stottern, besonders bei nahen Explosionen pausiert der Ablauf scheinbar kurz. Gestört hat mich das nie, denn auf schnelle Reaktionen und punktgenaues Zielen kommt es selten an. Ebenso großartig: Das akustische Umfeld. Das Anschwellen der Musik, wenn ihr euch einem Gegner nähert, das Piepen der technischen Spielereien, die krachenden Explosionen des afrikanischen Bürgerkiegs sowie die Unterhaltungen der vor euch postierten Wachen erwecken den High-Tech-Thriller eindrucksvoll zum Leben.

Weniger gut hat Ubisoft die Kamera im Griff, denn die befindet sich so dicht hinter Sam, dass er immer wieder euer Sichtfeld blockiert. Die Übersicht verabschiedet sich in solchen Augenblicken. Mir persönlich macht der verkleinerte Bewegungsradius der Kamera und die damit verringerte Übersicht sogar ohne ein Close-Up des Agenten zu schaffen. Wo vorher Informationen über Sams Gesundheit und Waffen standen, seht ihr dafür mehr als bisher, denn die Entwickler haben fast alle Anzeigen gestrichen. Ob ihr beim Rennen lärmt oder eine geschmissene Flasche Krach macht, hört ihr schließlich selbst. Alle anderen Angaben, wenn ihr z.B. Gegenstände aufheben, Gegner von hinten packen oder Türen öffnen könnt, werden bei Bedarf eingeblendet. Dazu zählt auch der Zustand eurer Schutzweste: Da sich dieser nach einigen Sekunden wieder herstellt (Verbandskästen braucht ihr nicht mehr), verschwindet das Symbol nach kurzer Zeit.

Ich sehe was...

Neben einem Ticker mit euren aktuellen Aufgaben seht ihr jetzt, ob Sam für Wachen sichtbar ist oder nicht. Diese beiden Zustände und ein roter Punkt für den Fall, dass Sam entdeckt wurde, sind die einzigen verbliebenen Werte in Bezug auf eure Sichtbarkeit. So richtig gefällt mir die neue Einfachheit nicht, denn das starre Entweder-oder-Prinzip raubt die noch in Chaos Theory aufgebaute Illusion, dass ich unter verschiedenen Lichtverhältnissen unterschiedlich stark zu erkennen bin. Letzten Endes funktioniert das Spiel mit dem Licht zwar wie gehabt (in hellen Ecken seid ihr zu erkennen, in dunklen nicht), mir war der variable Zustand aber lieber. Zumal Double Agent meine Hoffnung auf dynamische Lichtverteilung maßlos enttäuscht. Sind meine Erwartungen zu hoch gesteckt, dass ich bei einem Titel der nächsten Generation, welcher sich um das Spiel von Licht und Schatten

Beim Absprung aus dem Flugzeug müsst ihr erst den Fallschirm und anschließend den Hilfsfallschirm innerhalb eines Zeitlimits öffnen.
dreht, mit in Echtzeit berechnetem Lichteinfall rechne? Stattdessen gibt es erneut festgesetzte Zonen, in denen Sam entweder sichtbar ist oder eben nicht. Spätestens, als dieser riesige Scheinwerfer direkt auf ihn schien, hätte sich etwas an diesem Zustand ändern müssen!

Interessant wurde es für mich erst dort, wo ich mit Sam erstmals bei Tageslicht geschlichen bin. Da es bei Splinter Cell bislang darum ging, wie gut ihr ungesehen von einem Schatten zum nächsten Schatten gelangt, war die Frage: Funktioniert das auch bei Tageslicht? Muss ich auf andere Dinge achten als bei Nacht? Ja und nein. Zum einen seid ihr noch immer meist in finsteren Gängen unterwegs - der Schwerpunkt liegt deshalb weiterhin auf dem Verstecken im Dunkeln. Bei Helligkeit spielen wenige Szenen und nur einer von zehn Aufträgen führt euch komplett ins Licht. In der Eiswüste verhindert z.B. ein Schneesturm die freie Sicht und die restlichen beleuchteten Gebiete fordern kein Umdenken. Sicher: Ihr schleicht den Wachen dort nicht im Schutz der Finsternis direkt vor der Nase entlang, sondern rückt dann vor, wenn sie euch den Rücken zukehren. Das gab es jedoch schon in den vorherigen drei Teilen.

Zugegeben: Kleine Einfälle machen die Welt glaubhafter - wenn der Schneesturm im Ochotskischen Meer mal schwach und mal stark weht und so die Sichtweite beeinflusst oder dass Sam mit aufgesetzter Sonnenbrille in Kinshasa nicht sofort erkannt wird - aber eine Dynamik wie im angekündigten Assassin's Creed, dank der ihr in einer Menschenmenge untergeht, nutzt der Doppelagent nicht. Außerdem gibt es kaum Figuren, die unterschiedlich auf Sams Erscheinen reagieren. Eine Hand voll Einwohner in Kinshasa, das war's. Im Hauptquartier der Terroristen könnt ihr euch zwar frei bewegen, das ist im eigenen Unterschlupf aber keine Überraschung.                      

In der Höhle des Löwen

Richtig gelesen: Fisher ist nicht nur erzählerisch nah am Feind dran - ihr stattet dem Zentrum der Terroristen auch vier Besuche ab, bei denen ihr eine Vielzahl von Aufgaben erledigen könnt. Da will Enrica, dass ihr einen toten Piloten aus ihrem Zimmer schafft, für Emile müsst ihr Minen zusammenschrauben, einen Trainingskurs absolvieren usw. Spannend sind die Ausflüge deshalb, weil ihr etliche primäre, sekundäre, sogar tertiäre Ziele erledigen könnt. Darunter fallen jedoch nicht nur die Vorgaben der JBA; auch Lambert will, dass ihr euren Job macht. U.a. braucht er Daten über die Mitglieder der Terroristen sowie geheime Dokumente und hätte gerne eine Wanze auf dem Dach platziert. Einige Vorgaben sind leicht zu erreichen, schließlich dürft ihr euch frei bewegen. Doch wenn euch ein Verbrecher beim Schnüffeln entdeckt, fliegt die Tarnung auf.

Interessant wird es dann, wenn ihr in Bereiche vordringt, die für Sam Sperrzone sind. Wird er dort gesehen, weisen ihm die Terroristen mit Nachdruck den Weg zur Tür. Ich habe mich z.B. in Enricas Zimmer geschlichen, wo mich die Dame beim Spitzeln erwischt hat. Daraufhin ist sie umgehend aufgesprungen und hat mir zu verstehen gegeben, dass wir so etwas in Zukunft

Was macht ihr?
unterlassen sollten. Zum Glück bin ich ihren Forderungen gefolgt, denn mit jeder Sekunde, die ich weiter dort verbracht hätte, wäre mein Ansehen gesunken. Nach 25 Minuten müsst ihr dann zurück zum Startpunkt. Bis dahin könnt ihr aber tun und lassen, was ihr wollt bzw. für richtig haltet.

Heimatstadt vs. Hauptquartier?

Doch so klasse, wie die Abstecher ins Hauptquartier auf dem Papier klingen und sich zunächst auch anfühlen, so wenig unterscheiden sie sich vom Rest des Spiels. Die Tatsache, dass sich ganze vier der zehn Missionen am selben Fleck abspielen, hinterließ bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Ihr erhaltet zwar mit jedem Mal Zugang zu neuen Räumen, grundsätzlich kennt ihr das Areal allerdings nach der ersten halben Stunde. Abgesehen davon fühlt sich das Herumstöbern im Kern wie ein gewöhnlicher Auftrag an, denn wie gehabt müsst ihr meist unentdeckt bleiben und erledigt Vorgaben, um das Vertrauen von JBA und NSA aufrecht zu erhalten. In Thief 3 hatte mir das Schlendern durch Garretts Heimatstadt besser gefallen. Die Idee ist die gleiche, doch das mittelalterliche Szenario war lebendiger: Es gab es keine abgetrennten Sperrzonen; stattdessen musste ich die überall präsenten Patrouillen umgehen. Das Hauptquartier wirkt dagegen starr. Eine dichte Atmosphäre entsteht allein durch JBA-Mitglieder, denen ihr alle Nase lang über den Weg lauft, bei der Arbeit zuseht und deren Gespräche ihr belauscht.

Trotzdem: Die Abstecher ins Hauptquartier sind spannend (so spannend wie Splinter Cell seit jeher nun mal ist) und die Antagonisten bekommen erstmals ein Gesicht. Weil ihr sie im Alltag erlebt und weil ihnen Sam zu Beginn und am Schluss einer Mission oft begegnet. Die hervorragenden Sprachaufnahmen tun ihr Übriges, um die Gegenspieler als Personen greifbar zu machen. Michael Ironside gibt zwar seinen bislang eindrucksvollsten Sam Fisher, doch die anderen Schauspieler stehen ihm kaum nach. Nicht zuletzt hat sich Ubisoft auch um eine saubere deutsche Lokalisierung gekümmert und die Tage der staubigen Missionsbeschreibungen sind endlich gezählt: Zwar verlangen euch die Ladezeiten viel Geduld ab, dafür seht ihr beim Warten Bilder vom Zielgebiet, während ihr die Einsatzbesprechung hört.

Lärmpistole

Die Neuerungen im Großen bringen als keine echten Änderungen. Die spannende erzählerische Prämisse lösen die Entwickler ebenso wenig ein. Doch sie haben an den Details geschraubt. Was hat sich im Kleinen getan?

Grundsätzlich schleicht Sam agil wie eh und je, klettert an Rohren entlang, räumt Leichen aus dem Weg, wechselt per Tastendruck in die Ego-Perspektive, aus der er schießen, sich aber kaum

Solche Schatten zeigen euch im Mehrspieler-Modus, wo es lang geht.
bewegen kann und nutzt eine Vielzahl technischer Spielereien. Letztere werden um Bewegungs-Minen bereichert, die ihr an Wänden befestigt. Eine weitere Ergänzung ist das Ultraschallgerät: Ähnlich wie der Geräuschpfeil in Thief wirft es ein lautstarkes Projektil in den Raum, das dir Gegner von euch weg lockt. Weshalb von euch weg? Weil ihr sie dann in Ruhe von hinten ausschalten könnt. Die Idee finde ich fantastisch, allerdings besitzt das Gerät unbegrenzte Munition, was es zu einer Art Wunderwaffe macht. Es hat mir das Vorankommen jedenfalls leichter gemacht als mir lieb war. Das Radar schlägt in eine ähnliche Kerbe, denn ab jetzt seht ihr jederzeit die ungefähre Position aller Gegner. Es ist nicht mehr nötig, euch erst einen Überblick über die Situation zu verschaffen - was wiederum den Nutzen von Wärme- und Nachtsichtgerät entwertet.

Ebenfalls hinzugekommen ist die Art und Weise, wie Sam die Gadgets beschafft. Denn in Double Agent wird das Erfüllen von Aufgaben, die ein unauffälliges Vorgehen fordern, mit dem Erhalt weiterer Spielereien belohnt: Dazu zählen z.B. verbesserte Hacking-Software sowie ein elektronischer Dietrich. Besonders das Hacken und weitere Minispiele bringen diesmal viel Abwechslung in den Agentenalltag. Denn ihr könnt Minen für die JBA basteln, müsst einen Hubschrauber vor dem Absturz bewahren, eine Art Sudoku-Rätsel lösen, nach dem Sprung aus einem Flugzeug rechtzeitig die Fallschirmschnur ziehen und vieles mehr.                

Wachablösung?

Am Verhalten der Wachen haben die Entwickler hingegen nicht geschraubt. Schade, denn das heißt auch, dass ein Gegner im Schatten an Sam vorbei spaziert, solange er ihn nicht berührt. Das klappt leider auch dann, wenn ihr gerade seinen Kumpel im Schwitzkasten verhört oder an der Wand direkt unter ihm hängt. Manchmal bemerken sie euch zwar, doch alles in allem stecken in Double Agent die Wachen aus dem Vorjahr, mitsamt ihren Stärken und Schwächen. Was ihnen zum Glück meist zum Vorteil gereicht, denn sie gehen bei Feuergefechten in Deckung, umgehen eure Position, leuchten mit Taschenlampen in dunkle Ecken und das Beste: Sie wecken ihre bewusstlosen Kameraden. Dem Spielfluss tut das natürlich gut, aber Himmel, was habe ich geflucht, als ein nach zehn Minuten endlich entschärfter Polizist kurz darauf wieder aufstand!

Natürlich hätte ich den Soldaten umgehen können, schließlich gibt es in Double Agent wieder unterschiedliche Wege, Lüftungsschächte und Rohre, die euch verschiedene Möglichkeiten zum Vorrücken bieten. Splinter Cell bleibt sich zwar treu und fordert im Vergleich zur Thief-Serie ein geradliniges Vorgehen, doch auf dem Weg dahin habt ihr viele Freiheiten. In diesem Jahr sogar mehr als zuvor, denn den Doppelagenten erwarten einige weitläufige Areale. Besonders in Kinshasa genießt Sam die Offenheit in vollen Zügern. Dort sucht er sich einen von vielen

Kinshasa: Im Bürgerkrieg habt ihr alle Hände voll zu tum, um nicht zwischen die Fronten zu geraten.
Wegen durch die Häuserschluchten, während um ihn herum Granaten explodieren und Gewehre knattern. Der Tumult macht es dem Spion leicht, an Soldaten vorbei zu schleichen, aber wird er auf offener Straße entdeckt, hat er keine Chance.

Abtauchen

Ganz anders unter Wasser: Sam hat das Tauchen entdeckt, was ihn nicht nur durch Abwasserkanäle und Meerestiefen zum Ziel bringt; er kann sich dort auch ungesehen bewegen. Falls er nicht gerade von euch weg nach vorne schwimmt, macht er zwar nicht immer, was ihr verlangt, doch es erweitert eure Fähigkeiten um einen sinnvolle Zugabe. Besonders das Aufbrechen der Eisdecke, um einen Gegner ins Meer zu reißen ist klasse! Beim Tauchen habe ich allerdings meinen größten Frustmoment erlebt, als Sam auf einmal fest hing und sich partout nicht vom Platz bewegen wollte. Mir blieb nur der Neustart des Levels. Auch an anderen Flecken will der Agent nicht immer so, wie ihr es wollt: Dann bleibt er wie festgeklebt neben Gegenständen oder Geländern stehen und lässt sich erst Sekunden später fortbewegen. Falls bis dahin ein Gegner in seine Nähe kommt, kann das tödlich sein.

Im Gegenzug wirkt Double Agent glaubwürdiger als seine Vorgänger, da Sam in vielen Missionen mit anderer Ausrüstung unterwegs ist. Mal steckt der Spion in voller Montur, mal muss er sich auf Messer und Fäuste verlassen, später trägt er nur Aufnahme- und Ultraschallgerät bei sich und ein andermal fehlt ihm seine Sichtbrille. Und er sieht jedes Mal verdammt gut aus! Nach einem Blick in Sams Gesicht steht für mich fest: Diesen Menschen werde ich nie hänseln!

Spione gegen Soldaten!

Ebenfalls beeindruckend sind die die Mehrspieler- Runden über Xbox Live!, für die der Versus-Modus stark erweitert wurde. Im Grunde erwartet

Schnelle Wachentsorgung: Sam bricht das Eis von unten auf und zieht den Gegner ins Wasser.
euch ein völlig neues Splinter Cell, in dem agile Spione mit High-Tech-Ausrüstung gegen die schwer bewaffnete Upsilon-Truppe antreten. Das Ziel der Agenten ist es, Daten aus den Upsilon-Computern zu stehlen und zurück zum Stützpunkt zu bringen. Dafür benutzen sie ein Gerät am Handgelenk, das bis auf zehn Meter Entfernung die Rechner knackt, Scheiben und Lampen zerstört sowie die Elektronik der Gegner lahm legt! Richtig klasse sind die Spione aber vor allem deshalb, weil sie katzengleich durch die Levels pirschen.

Dabei sind sie mehr als doppelt so schnell wie Kollege Fisher - im direkten Zweikampf mit den Gegnern haben sie trotzdem keine Chance. Deren MGs pusten ihnen eilig das Lebenslicht aus und die ferngelenkten Upsilon-Sonden sind mit ordentlich Sprengstoff vollgepackt. Außerdem tragen die Soldaten einen Peilsender, der jede Bewegung in der nahen Umgebung anzeigt. Spione müssen daher geschickt vorgehen, auf die Dächer ausweichen, Lüftungsschächte nutzen, an Rohren empor klettern und den Hof per Seilwinde überwinden. Somit nutzen beide Parteien völlig unterschiedliche Wege, was das Spiel für jede Seite nur spannender macht. Spione rutschen außerdem unter Garagentoren durch oder schwingen sich in eine Öffnung in der Decke - beides direkt aus dem Lauf heraus!

Nicht zuletzt könnt ihr einem Clan beitreten und spezielle Partien nur für Auseinandersetzungen Clan gegen Clan erstellen. Und in der Koop-Variante geht ihr etliche Missionen gemeinsam an. In Sachen Multiplayer ist Double Agent einzigartig, sowohl im Vergleich anderen Titeln als auch unter seinen Vorgängern. Auch wenn ich als Internet-Agent ganz offensichtlich eine Niete bin: Ich hatte selten soviel Spaß am Online-Spiel!          

Fazit

Am Anfang war ich noch begeistert: Ich habe mich in Ruhe im Hauptquartier der JBA umgesehen, viel ausprobiert, aber nicht auf die Missionsziele geachtet. Zum Lohn musste ich einen armen Schlucker gnadenlos erschießen. In diesem Moment habe ich Double Agent geliebt! Denn meine eigenen Taten haben zu dem drastischen Erlebnis geführt. Später wurde ich vorsichtig, habe so gespielt, wie es die Entwickler wollen: Ich achte darauf, keinen Alarm auszulösen, erledige möglichst viele Vorgaben - und kann mich bei den Hinrichtungen auf einmal frei entscheiden. Das moralische Dilemma ist weg, die quälende Entscheidung fällt flach, das Drama der Szenen verpufft. Meine Begeisterung verschwand spätestens dann, als mir klar wurde, dass die dritte Fortsetzung das spielerische Neuland nur mit den Zehenspitzen berührt. Vor allem von den weitläufigen Gebieten, in denen ihr noch dazu bei Tageslicht unterwegs seid, habe ich mehr erwartet. Es wurmt mich, dass ich nicht dazu gezwungen werde, neue Taktiken in den hellen, weiten Arealen zu entwickeln. Doch Sams Vorgehen, seine Fähigkeiten, seine Waffen, wurden bis auf Ausnahmen seinem letzten Ausflug entnommen. Lediglich Draufgänger, die bisher jede Gegenwehr über Kimme und Korn ausgeschaltet haben, müssen umdenken.. Zum einen, weil der Spion teilweise ohne seine Ausrüstung unterwegs ist und zum anderen, weil euch die Auftraggeber bei unvorsichtigem Verhalten das Vertrauen entziehen. Und dann heißt es "Game Over". Schön, dass der wichtigste Aspekt der Stealth-Action mit logischen Mitteln forciert wird - schade, dass die Entwickler das Vertrauensprinzip nur dazu nutzen, euch zum Erfüllen bestimmter Ziele zu drängen. Warum passen weder meine Gegenspieler noch die NSA ihre Einstellung im Verlauf der Geschichte an mein Tun an? Gerade wegen der gelungen Charakterisierung aller wichtigen Figuren muss auch eine Entwicklung stattfinden. Warum ist der Tod von Sams Tocher nur eine lästige Notiz wert? Wieso lassen sie das moralische Dilemma in Sams Kopf unter den Tisch fallen? Solche Schnitzer dürfen einem hochkarätigen Titel, der zudem mit Metal Gear Solid konkurriert, nicht passieren. Trotzdem: Den Next-Gen-Einstieg hat der Agent gepackt, denn Splinter Cell erweckt zum vierten Mal eine beeindruckende Kulisse samt intensiver Akustik zum Leben und spielt sich nach wie vor klasse. Die Steuerung geht flott von der Hand und ihr habt viele Möglichkeiten, eine Situation zu lösen. Nur Kleinigkeiten stören den Ablauf, wenn sich Sam z.B. einfach nicht vom Fleck bewegt oder er wieder einmal fast bildschirmfüllend das Blickfeld blockiert. Vielleicht hätte Ubisoft besser dran getan, den Vorzeigespion komplett umzukrempeln anstatt ihm halbherzige Neuerungen überzustülpen. In Double Agent wirkt Sam Fisher alt und unflexibel, nur die Agenten des Versus-Modus' kommen in den Genuss von unverbrauchter, exzellenter Stealth-Action. Scheinbar muss er sich neue Wege durch das Licht und den Schatten suchen, um zu alter Stärke zurückzufinden.

Pro

großartige Entscheidungs-Momente…
Sam Fisher gewinnt Charakter
greifbare Bösewichter
abwechslungsreiche Szenarien
unterschiedliche Ausrüstung
Ausflüge ins JBA-Quartier
Erfüllen von Aufgaben bringt Ausrüstung
Vertrauensbalken fordert leises Vorgehen
großartige englische/gute deutsche Sprecher
knackige Geräusche
spannende, situationsbedingte Musik
Unterwasser-Abschnitte
forderndes Vertrauensprinzip
viele Missionsziele
hohe Weitsicht
einige offene Plätze statt enger Gänge
toller weiterentwickelter Gegen-Modus
Koop-Modus und Clan Wars über Xbox Live!
gesprochene Einsatzbesprechung beim Laden
Minispiele und Knacken von Safes
mehrere Vorgehens-Möglichkeiten
packender Ausflug ins kriegerische Kinshasa

Kontra

- ... von denen es leider zu wenige gibt
Alarm wird automatisch ausgelöst
Gegner laufen direkt an Sam vorbei
Verhöre bringen wenig Informationen
lange Ladezeiten
Missionen bei Tag fühlen sich nicht anders an
starre Licht
und Dunkelzonen
erzählerisch schwach
Vertrauen beeinflusst Spielverlauf kaum
Sam nimmt selbst im Krieg keine Waffe auf
bleibt mitunter hängen
Übersicht leidet unter Kameraführung
nur sechs Aufträge außerhalb des JBA-HQ
Ultraschallgerät und Radar bringen zu große Vorteile

Wertung

360

Trotz toller Ideen: Sam Fisher stagniert auf hohem Niveau.

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