Overlord29.06.2007, Jörg Luibl
Overlord

Im Test:

Verrückte Einhörner, die Zwerge fressen? Halblinge, die zu fettleibigen Tyrannen mutieren? Und ein Elfenfürst, der einen ganzen Wald mit seiner Depression ins Verderben stürzt? Das darf nicht sein! Gebietet dem Wahnsinn Einhalt! Wenn das Gute dermaßen aufmuckt, dann muss das Böse die Welt der klassischen Fantasy wieder in Ordnung bringen - mit den guten alten Tugenden der Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung. Auf, auf, es gibt Schändliches zu tun!

Zauberhafte Schergenwelten

Hört ihr das? Poltern, bersten, kreischen, schmatzen, krachen, glucksen, jubeln - und all das aus Dutzenden Kehlen! Ich könnte da stundenlang zuhören. Vor allem in den Vorratskellern der fetten Halblinge macht das einen Heidenspaß. Ja, meine

Eure Schändlichkeit in voller Pracht. Aber Vorsicht: So stark wie ihr ausseht, seid ihr zu Beginn nicht...
Kobolde leisten wirklich gute Arbeit. Es sind ja erst zwanzig, aber irgendwann kann ich fünfzig kommandieren! Alles wird jetzt schon in null Komma nichts kurz und klein gehauen: Einfach den rechten Analogstick über Feld und Flur kreisen lassen und jeder noch so versteckte Winkel wird durchstöbert. Schaut mal: Jetzt setzen sich meine Schergen sogar Kürbishelme auf! Und da: Einer nutzt einen Besenstiel als Knüppel! Ich bin richtig stolz auf sie, wenn sie sich nach der Plünderung gleich einkleiden.

Erst draußen diese märchenhafte Idylle, die mit ihren Lichtschächten, schummrigen Wäldern und leuchtenden Feldern an Fable erinnert und zig Kreaturen von klassisch bis bizarr aufmarschieren lässt: Es gibt Trolle, Irrlichter, Zombies, Succubi, Einhörner, Minotauren, Rattenwesen, Faune, Granatgänse. Und jetzt drinnen dieses polternde Chaos, wo es in zig Farben spritzt, platzt und scheppert. Alles übrigens bis auf die hüftsteifen Schritte meiner Overlord (ab 1,99€ bei kaufen)figur butterweich animiert, stilistisch ein wenig an World of WarCraft erinnernd [oder sind die Zwerge etwa eine 1:1-Kopie? Nein, nein...] und dank sanftem Tag- & Nachtwechsel sogar bei Abendrot genießbar. Diese Fantasykulisse hat mich spätestens im düsteren Elfensumpf verzaubert, wo mich wabernde Wurzelstränge und tiefgrüne Tümpel begrüßen, während ein Einhorn sein blutiges Maul in einen Zwergenkadaver taucht - köstlich.

Es gibt nicht nur Skurriles der Marke Pratchett & Python zu sehen, sondern auch zu hören: Gefluche. Gejammer. Gezeter. Außerdem schleimen sich die Schergen in bestem Untertanendeutsch bei mir ein - die Lokalisierung ist bis auf einen bösen Rechtschreibfehler ("Sperkämpfer") wirklich gelungen! Es ist unheimlich schwer, den britischen Humor des

Erst, wenn ihr fleißig Artefakte in euren verwahrlosten Turm befördert, gewinnt ihr an Macht, Untertanen und Möglichkeiten.
Originals mit allen seinem Zynismus und scharfen Spitzen zu erreichen, aber das kann sich wirklich hören lassen; Gratulation an die deutschen Sprecher: ihr habt euren Job herrlich böse gemacht. Da dürfen sich die kleinen Racker auch mal einen Braten und dazu einen Schluck Wein gönnen.

Röstet sie wie Spanferkel!

Ja, auch ein böser Overlord gönnt seinen Untertanen Augenblicke der Muße. Vor allem, wenn die Kobolde mit funkelnden Schätzen um mich herum scharwenzeln - als Unhold von Welt brauche ich den Zaster, um meinen Turm zu verschönern: Erst habe ich sein Herz für schnelle Teleports erobert, dann den Kran für den Umbau und den Schmelzofen für meinen Schmied. Aber es fehlen Wächterstatuten, Teppiche, Zinnen, Fahnen! Es ist zwar schade, dass sich diese Verzierungen nicht spielerisch auswirken. Aber seit zwei Tagen ist eine Gefährtin namens Rosa eingezogen, hat alles geputzt, natürlich mit Rosen verziert und macht einen auf ehrgeizige Herrin:

Ihr habt doch Reichtümer, Eure boshafte Herrlichkeit?

Natürlich. Schon 3000 Goldstücke! Und es werden jeden Tag mehr! Also geht doch nichts über eine Zerstörungstour durch ein reiches Hobbit-Dorf mit einem aggressiven Mob gieriger Schergen. Das freut die verbündeten Menschen, die mir nicht mehr ganz so laut zujubeln, entzückt die Lady und füllt die Kasse. Man schultert seine Axt und schaut finster dabei zu wie die kleinen Rowdys Gärten ruinieren, Wohnhöhlen ausräuchern und Schätze plündern. Und wenn ein Haufen schwer bewaffneter Hobbits im Weizenfeld lauert, reicht ein Feuerball und sie werden wie Spanferkel geröstet - das Korn brennt tatsächlich flächendeckend ab! Da knistert es richtig gemütlich aus den Boxen.

             

Kampftaktik gegen Bossbilbo

Aber Vorsicht: Was ist das? Da kommt eine Art Bossbilbo mit fleckiger Küchenschürze XXL und blutigem Hackebeil auf mich zu! Ekelhaft! Eine fettleibige Mutation dessen, was sich Tolkien mal unter dem Begriff Hobbit vorgestellt haben mochte.

Rote Schergen können aus der Distanz Feuerbälle werfen, sind aber im Nahkampf sehr verletztlich.
Furzend, schwitzend, rülpsend - was ist bloß aus dieser Fantasywelt geworden? Zwanzig Zentner Fleisch wälzen sich zusammen mit einer Wolke übler Gerüche aus dem Bau, direkt auf meine armen kleinen Schergen zu...na warte, ich bin nicht umsonst seine ausgesuchte Verderbtheit, der Overlord! Theoretisch könnt ihr in Schulterperspektive selbst zuschlagen oder zaubern.

Bevor ich mir jedoch selbst die Axt schmutzig mache, wähle ich als Feldherr eine Kampftaktik à la Goblin Commander . Formationen & Co gibt's zwar nicht, aber ihr habt  die Bewegungskontrolle über eure Truppentypen: Ich schicke meine verletzlichen roten Schergen nach hinten, damit sie aus der Distanz Feuerbälle werfen können - dort bekommen sie einen Verharrenbefehl. Meine kampftüchtigen braunen Schergen sichern sie vorne ab und hauen mit allem zu, was sie haben - Messer, Gabeln, Knochen. Eine kleine Gruppe grüner Schergen leite ich mit dem rechten Analogstick hinter diesen Stinkbossbilbo. Warum? Sie können sich nicht nur unsichtbar machen, sondern sehr viel Schaden im Rücken des Gegners anrichten - sie springen hinten drauf und hauen zu!

Eine Steuerung, viele Monster

Die Steuerung ist zwar im Großen und Ganzen intuitiv, aber es gibt kleine Macken: Erstens sind manche Schergen auf dem Weg zurück zum Overlord recht suizidfreudig, wenn man sie per Ruf versammeln will - anstatt z.B. über den schmalen Stamm geht es dann schon mal durchs Wasser und damit in den Tod. Zweitens kann man in dem Moment, wo man alle

Blaue Schergen können nicht nur schwimmen, sondern auch tote Kameraden wiederbeleben - wenn sie nah genug dran sind.
Schergentypen mit dem Sammelpunktbefehl auf eine Position fixiert hat, nicht mehr zwischen den Farben wechseln, um z.B. nur die roten aus diesem Pulk heraus nach hinten zu bewegen. Diese Manöver muss man leider vorher vollziehen. Unterm Strich hat man dennoch alles im Griff.

Und wenn der fette Hobbit nach dieser Flankierung noch lebt, schicke ich ihm selbst einen Feuerball auf den ranzigen Speckpelz! Aber der Hobbithüne fällt wie ein Baum und ich kann mich um die Expansion meiner Bosheit kümmern. Und die hat nach einem Kampf gegen eine riesige Seeschlange wieder beste Aussichten, denn neben braunen, roten und grünen kann ich endlich auch blaue Schergen einsetzen. Dafür musste ich ihr Nest aus einer riesigen Unterwasserhöhle bergen: Während zehn Mann das Nest trugen, musste ich vorne Pilze wegschlagen, an Flüssen stoppen, lauernde Feinde besiegen und Hindernisse wie Geysire oder Raubvögel umschiffen.

Der Weg zum Ziel

Ähnlich, aber nicht ganz so komplex wie in Pikmin 2  geht es nämlich nicht nur kämpferisch, sondern auch knifflig zu Sache: Wie kriege ich Artefakt A an Punkt B? Die Landschaft selbst ist voller Flussläufe, Sackgassen und Hindernisse. Säulen müssen weggeschleppt, Wände eingestürzt, Räder gedreht, Feuerwände und Giftwolken beseitigt werden, um voran zu kommen. Viele unzugängliche Orte kann man nur durch die geschickte Kombination der Fähigkeiten

Hier schleppen einfache braune Schergen das Gepäck meiner Gefährtin in den Turm.
erreichen, da man als Overlord an schmalen Stellen hängen bleibt. Und manchmal hilft eher die fiese Taktik als der direkte Kampf: Einzelne Schergen können Giftknospen aufnehmen und in einen Pulk von Feinden schleppen, wo sie explodieren! Oder ein Scherge klaut ein Ei aus dem Nest der Granat-Gänse, lockt damit die ganze Meute weg und die anderen können gefahrlos hinüber!

Erst mit den blauen Schergen kann ich nicht nur Tote wiederbeleben, sondern endlich auch ins Wasser, um versunkene Schätze zu bergen: Z.B. kleine Säulenteile, die sind wichtig für euren Turm, denn sie können eure Lebenskraft oder das Mana steigern. Außerdem können nur sie Irrlichter besiegen, die meine restlichen Schergen in einen blöden Tanz verwickeln. Hat man erstmal auf alle vier Untertanentypen Zugriff, kann man zwischen den Gruppen wechseln, um sie gezielt einzusetzen - die Kämpfe werden mit der Zeit immer anspruchsvoller, denn die Feindarmeen bestehen plötzlich aus Nah- und Fernkämpfern sowie zwei riesigen Minotauren. Wer da mit Augen zu und durch marschiert, wird sein verlustreiches Fantasyloo erleben...

        

Wo sind all die Schergen hin?

Und was ist, wenn es nicht klappt? Wenn man all seine Schergen in einem Bosskampf verliert? Dann muss man Geduld haben: Selbst ein Overlord braucht Lebensenergie für jeden seiner Untertanen. Und das bedeutet, dass ihr Schafe für

Wenn Minotauren oder Trolle auftauchen, sollte man seine Schergen gut unter Kontrolle haben.
braune, Feuerkäfer für rote, Giftkäfer für grüne und z.B. Frösche für blaue Schergen erledigen müsst. Braucht ihr zwanzig rote Schergen? Dann müsst ihr zwanzig rote Energiespender töten. Das kann nerven, wenn man gerade in einem Bosskampf alle verloren hat. Aber das spornt auch an, sich beim nächsten Mal eine bessere Taktik zu überlegen.

Richtig unterhaltsam wird es, wenn man die Qual der Wahl hat und die Spielwelt konsequent reagiert: Will man den Menschen die Rationen zurückgeben, die man den Halblingen abgeknöpft hat? Oder nutzt man sie, um seine eigene Lebensenergie zu stärken? Tut man Ersteres, wird man im Dorf bejubelt und gefeiert. Tut man Letzteres, wird man gemieden, der Wirt macht einem auch noch ein schlechtes Gewissen mit "toten Babys" und so manche Frau droht wütend mit der Küchenrolle - sehr schön! Es gibt ein Maß an Verderbtheit, das ihr mit euren Aktionen beeinflussen könnt. Echte Tyrannen töten dafür natürlich auch Unschuldige und stecken alles in die eigene Tasche. Leider fehlen Foltergegenstände oder effektive Bauwerke der Unterdrückung wie in Dungeon Keeper 2 . Ihr könnt weder Gruben noch Pranger, Kerker oder Galgen bauen.  Peter Molyneux dürfte dennoch seinen Spaß in dieser lebendigen Welt haben, denn man spürt quasi mit jedem Schritt eine Reaktion: Euer Hofnarr im Turm spricht euch z.B. nach jeder erledigten Quest mit einem anderen Spitznamen an: Retter der Jungfrau! Herr der Sümpfe! All das macht das Spiel unheimlich sympathisch.

Eine Frage der Übersicht

Schön ist, dass man sich theoretisch in jeden Landstrich teleportieren kann - also in die Regionen der Halblinge, Zwerge und

Diese Artefakte müsst ihr in den Turm schaffen, um eure Fähigkeiten zu verbessern.
Elfen. Trotzdem vermisst man eine übersichtliche und interaktive Weltkarte, die den eigenen Standort sowie die erledigten und offenen Quests anzeigt. Es gibt zwar eine gedrukcte Karte und eine kleine Übersicht im Turm, aber es ist nicht möglich, immer zum nächsten Teleport zu springen. Die Perspektive innerhalb des Spiels ist zwar mit der nahen Schulter- und einer entfernteren Draufsicht einfach zu wechseln, aber manchmal wünscht man sich auch hier mehr freien Blick. Vor allem, da man seine Schergen öfter über entfernte Distanzen bewegt, während man als Overlord an einer unzugänglichen Stelle verharren muss - hier hätte z.B. eine bewegliche Karte à la Pikmin geholfen.

Ansonsten läuft der Alltag als Overlord komfortabel ab: Man kann jeden Feind mit der Schultertaste fixieren und dann einen Zauber sprechen. Neben dem klassischen Gebrutzel kommen später noch Schildmagie und die Stärkung der Kampfkraft hinzu - vielleicht etwas wenig auf lange Sicht. Dafür dürft ihr im Turm fleißig Waffen und Rüstungen schmieden. Dazu schmeißt ihr Untertanen in die Esse, die z.B. eurer Axt je nach Farbe andere Boni verleihen. Waren genug grüne Schergen opferwillig, leuchtet die Schneide ebenso und ihr verursacht größeren Schaden.

Dieses System kostet natürlich jede Menge Untertanen, denn ihr müsst schon dreißig, vierzig opfern, um wirklich effektive Boni zu bekommen. Das bedeutet, dass nach einer Schmiedesitzung wieder Truppen fehlen und ihr Schafe und Käfer im Dutzendpack jagen dürft - das ist nicht gerade spannend. Vielleicht hätten die Triumph Studios hier auf Artefakte oder eine andere Energiequelle setzen sollen.

    

Fazit

Ich bin wirklich überrascht! Nach dem Spielen der ersten Missionen war ich zwar angetan von Art & Design, Humor & Taktik, aber noch nicht wirklich begeistert. Jetzt, nachdem ich erstmals alle vier Schergenarten kontrolliere und einen pompösen Turm der Boshaftigkeit besitze, macht das Overlord-Dasein einen Heidenspaß. Ja, es gibt ein paar Steuerungstücken, man vermisst eine übersichtliche Weltkarte und die Schergengewinnung kann in Routine ausarten. Außerdem gibt es zu wenige Gegenstände der Unterdrückung - so einen öffentlichen Pranger für Hobbits oder einen Galgen für Elfen hätte ich schon gerne gebaut. Aber die Triumph Studios haben hier ein zauberhaft böses Eroberungsspiel auf die Beine gestellt, das mich bis zum letzten Prozent Verruchtheit bestens unterhalten hat: kämpfen, rätseln, aufrüsten! Insbesondere die Reaktionen der Bewohner und der eigenen Diener sorgen schnell für das gute Gefühl, in einer lebendigen Spielwelt zu herrschen. Ob euch das gefallen kann? Nehmt die zauberhafte Idylle eines Fable, die Gruppentaktik eines Goblin Commander, nicht ganz so komplexe Landschaftsrätsel wie in Pikmin und dazu einen kräftigen Schuss Terry Pratchett. Heraus kommt sehr gute, sehr ansehnliche und sehr witzige Unterhaltung für Couchlords!

[Leider konnte uns Codemasters noch keine PC-Fassung zukommen lassen. Der Test dazu sowie die Beurteilung der Multiplayer-Modi für PC und Xbox 360 liefern wir nach. Anm. d. Red.]

Pro

idyllische Fantasy-Kulisse
gelungene Steuerung
viel Wortwitz & schwarzer Humor
Bewohner reagieren auf euch
Kampftaktik & Landschaftsrätsel
interessante Bosskämpfe
Schergen nehmen Waffen auf
Hauptquartier erweitern
stimmungsvolle Zwischensequenzen
sehr gute deutsche Lokalisierung
wirklich klasse Musikuntermalung

Kontra

keine übersichtliche Weltkarte
ab und zu suizidfreudige Wegfindung
Wiederholungsroutine für Schergengewinnung

Wertung

360

Pikmin trifft Goblin Commander: Herrlich böser Spaß für Fantasy-Fans!

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.