skate25.09.2007, Paul Kautz
skate

Im Test:

Ein weiser Mann sagte einst »Man kann niemanden überholen, wenn man in seine Fußstapfen tritt« - ein Credo, das den Entwicklern von Skate (ab 33,71€ bei kaufen)boardgames in den letzten Jahren mehr als ein Mal den Schlaf geraubt haben dürfte. Denn egal, wer es auch wie versucht hat, kein Spiel konnte den Birdman Tony Hawk samt seiner Neversoft-Hits überflügeln. Warum sind sie alle gescheitert? Weil sie nach dem »Hey, das können wir auch!«-Prinzip gehandelt und nur schlecht kopiert haben, statt sich Gedanken über ein besseres, eigenes Spiel zu machen. Auftritt: skate.

Zeit für Veränderungen

Man kennt das ja: X gedrückt und damit die Geschwindigkeit haltend in eine Rampe rollen, an der Kante den Boneless auslösen, in der Luft zuerst einen Triple Kickflip, gefolgt von einem 720 Benihana. Kurz vor dem Aufkommen über einen Revert direkt in einen Nose Manual, X gedrückt halten, an der Kante mit einem Boneless Air gewinnen, und diesen mit einem lässig aus dem Ärmel geschüttelten 900 auch sinnvoll nutzen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, den die folgende Kombo in den Schatten stellt. Skateboarden ist der einfachste Sport der Welt!

Oder nicht?

Die Steuerung von skate geht völlig andere Wege als vom Genre gewohnt - das ergibt ein völlig neues Spielgefühl, erfordert aber auch einige Gewöhnung.
 Zugegebenermaßen stand ich in meinen 31 Jahren auf diesem Planeten noch nicht allzu oft auf dem Brett. Zum einen, weil ich keinen Sportgeräten traue, die keinen eingebauten Anker haben, zum anderen weil mir der eine von beiden Versuchen eine mittelschwere Gehirnerschütterung samt angeknackster Nase beschert hat. Gebrochenes Kind scheut das Skateboard, also habe ich mich fortan auf die virtuelle Umsetzung des Funsports (oder, wie man nicht zuletzt bei den X-Games regelmäßig sieht, vielmehr Extremsports) beschränkt. Und Gott, ich hatte und habe Spaß mit den Tony Hawk-Games, gerade der zweite und vierte Teil werden mir auch noch in 30 Jahren ein seliges Lächeln auf die dann runzeligen Lippen zaubern. Aber die Spiele waren im Grunde Arcade-Racer auf vier kleinen Rollen, einen Simulationsanspruch hatte die Serie nie, gegenteiligen Aussagen der Entwickler zum Trotz. Und auch skate ist keine Simulation. Aber sie kommt dieser Bezeichnung so nahe, wie man es mit einem Pad statt einem Board in der Hand nur kommen kann.

Der Trick mit dem Stick

Bei skate ist der Name Programm: Hier geht es um das reine Skaten, die Beherrschung des Boards, und nicht darum, möglichst 10.000 Tricks in eine lange Kombo zu packen. Das Board ist wichtiger als der Skater, das sieht man schon daran, dass die Kameraperspektive recht tief liegt und damit das Brett statt den Brettbediener in den Mittelpunkt rückt. Und wie auf dem echten Board ist auch hier die Kontrolle alles andere als intuitiv: EAs brandneues »Flickit«-System ermöglicht eine völlig andere Kontrolle des Skateboards, erfordert allerdings viel Geduld und Gewöhnung seitens des Spielers - anfangs macht man alles, nur nicht die Tricks, die man eigentlich beabsichtigt hat. Kein Wunder, dass das (auch überspringbare) Tutorial so umfangreich geraten ist...

EA hat dem rechten Analogstick in der jüngeren Vergangenheit sehr viel Aufmerksamkeit beschert: In Fight Night Round 3 wird damit geboxt, in NHL 08 gecheckt und geschossen, FIFA 08 nutzt ihn ebenso für individuelle Tricks wie NBA Street Homecourt. In skate zündet der wabbelige Hebel alle Tricks; ob Ollie, Shuvit, Kickflip oder Manual, ein ruhiges, konzentriertes rechtes Händchen ist hier wichtiger als das Merken von Hoch, Runter, Viereck. Dieser Gedächtnisplatz wird für Stickeingaben benötigt, denn die Auswahl der möglichen Tricks

Je nach Stickbewegung macht euer Skater andere Tricks - präzise Eingaben sind damit oberste Skaterpflicht!
kann locker mit den Tony Hawks dieser Welt mithalten (mit Ausnahme der Liptricks, die es hier merkwürdigerweise nicht gibt) - und alle liegen auf dem Stick! Präzise Eingaben sind damit oberste Skaterpflicht, bis man die drauf hat, vergeht einige Zeit. Denn das Problem ist, dass viele Tricks ein ganz ähnliches Kontrollschema haben. So kann und wird es passieren, dass ihr einen bestimmten Move im Sinn hattet, aber einen ganz anderen auslöst - nur weil ihr den Stick leicht rechts bewegt habt, statt ihn völlig gerade zu halten. Prinzipiell ist das kein Problem, Trick ist schließlich Trick, aber bei Wettbewerben wie SKATE, in denen es darauf ankommt, einen vorgeführten Trick nachzumachen, wird schnell eines daraus. Schon ein simpler Ollie auf eine Rail ist eine Herausforderung, die nur mit präzisem Timing funktioniert, wenn man nicht die eigenen Knochen knacken hören will. Seid ihr dann im Grind, klebt ihr nicht etwa darin - stattdessen fordert die Physik schon nach kurzer Zeit ihren Tribut. Die linken und rechten Trigger dienen als Ersatz für die linke und die rechte Hand, mit der ihr in der Luft Grab-Tricks auslösen könnt. Und zum Beschleunigen reicht es nicht, einfach einen Button gedrückt zu halten, stattdessen müsst ihr rhythmisch den linken oder rechten Fuß bewegen, um Geschwindigkeit zu gewinnen. Ihr seht schon: Bei skate erwartet euch keinesfalls das gewohnte Trick-Gewitter, jeder Grab, Grind und Flip will wohlüberlegt sein - das macht das Spiel wesentlich schwerer, aber auch glaubwürdiger. Nur der Vollständigkeit halber sei hier noch die optionale Sixaxis-Unterstützung auf der PS3 erwähnt, die aber wohl selbst die Entwickler so nutzlos fanden, dass sie standardmäßig deaktiviert ist.           

Kein Platz für Mädchen!

Steuerungstechnisch unterscheiden sich skate und Tony Hawk also wie Board und Buckelwal - wie schaut's spielerisch aus? Da blieben die Entwickler von EA Black Box (ehemals Black Box Games) erstaunlich konservativ: Ihr müsst spezielle Tricks für Fotos oder Videos ausführen, Downhill-Rennen gewinnen, SKATE-Contests gewinnen (nein, keine Buchstaben-Sammelei, sondern eine HORSE-Variante), allgemeine Wettbewerbe für euch entscheiden oder Pro Challenges schaffen. Die werden

Die fiktive Stadt San Vanelona bietet abwechslungsreiche Skatespots - jeder Stadtteil bietet unterschiedliche Herausforderungen.
von den hiesigen Profis präsentiert, die man teilweise schon aus den Tony Hawk-Games, aber auf jeden Fall aus der Skater-Szene kennt - Namen wie Danny Way, Mark Gonzalez oder P-Rod haben einen guten Klang. Was eure eigene Figur betrifft, steht euch nach dem grandiosen Intro-Film der EA-typische Spielereditor zur Verfügung, in denen ihr euren Brettheroen personalisieren dürft: Körper, Gesicht, Outfit, Brillen, Board und mehr dürfen den eigenen Vorlieben angepasst werden, wofür aber verhältnismäßig wenig Optionen zur Verfügung stehen. Immerhin hat sich EA in Sachen Klamotten nicht lumpen lassen und jede Menge Original-Lizenzen integriert: Von Adidas bis Nike könnt ihr aus dem umfassenden, größtenteils aber erst freizuspielenden Sortiment der realen Händler wählen - wobei das Product Placement auch innerhalb des eigentlichen Spiels mit Außenwerbung und realen Telefonmarken subtil weitergeführt wird. Einen Haken hat der Player-Editor jedoch: Es können keine weiblichen Skater erstellt werden.

Habt ihr euer rollendes Alter Ego erschaffen, könnt ihr sofort loslegen - die fiktive Stadt San Vanelona steht euch zum größten Teil von Anfang an frei befahrbar zur Verfügung, der Rest wird nach und nach freigeschaltet. Auch euer Protagonist verändert sich im Laufe des Spiels nur optisch, und das auch nur auf Wunsch - es gibt keine verteilbaren Statistikpunkte, keine freizuschaltenden Tricks, alles ist von Beginn an da. Das mag zu Beginn verwirrend sein, aber ein Blick ins »Trickbook« schafft viele Fragezeichen aus der Welt: Das zeigt nicht nur alle möglichen Manöver samt der Ausführung, sondern führt auch präzise Buch darüber, wie oft ihr welchen Trick wie erfolgreich ausgeführt habt. San Vanelona ist sehr realistisch designt, Passanten und Autos flanieren die vielen Straßen und Plätze, das Ganze wirkt weitaus weniger eckig als die Pendants in

Die gelungene Grafik setzt auf Realismus - die eckigen Straßen früherer Tony Hawk-Games gehören der Vergangenheit an.
den TH-Games - nichtsdestotrotz gibt es genauso viele Trick-Möglichkeiten. Die einzelnen Viertel sind thematisch leicht unterschiedlich, in dem einen gibt es mehr Gelegenheit für Fliptricks, das andere bietet mit steilen Straßen bessere Voraussetzungen für coole Grinds. Ihr könnt die Straßen nach Belieben in Echtzeit erkunden, falls ihr schnell von A nach B kommen wollt, stehen euch zwei weitere Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder »beamt« ihr euch auf der spielinternen Übersichtskarte direkt zu einer Mission, oder ihr nutzt eine S-Bahn, die euch zu einer beliebigen Station fährt. Beide Varianten bieten eine Zeitersparnis, die durch die ziemlich langen Ladezeiten fast wieder wett gemacht wird - selbst auf der PS3, die vor dem ersten Spielen einige Gigabyte auf die Festplatte schaufelt. Immerhin: Sonst gibt's keine Ladezeiten. Und auch nicht viel Musik: Zwar erwarten euch 45 lizenzierte Stücke von Bands wie Nirvana, The Doors, Grateful Dead, David Bowie oder Cheap Trick (von deren »Surrender« auch eine Fahrstuhlmusik-Version für das Lademenü integriert ist), die aber nur zu bestimmten Gelegenheiten gespielt werden - beim entspannten Rollen durch die City bekommt ihr nur die hervorragend gesampelten Board- und Umgebungsgeräusche zu hören. Sowie natürlich die englischen Originalstimmen aller Sprecher - geht sogar so weit, dass der Original-Sprecher der X-Games (Sal Masekela) auch hier das entsprechende Event kommentiert!

Kamerad Kameramann

Technisch besticht skate vor allem durch die exzellenten Animationen seiner rollenden Helden: Die Bewegungen sind flüssig, glaubwürdig, stylisch. Der Rest ist nicht übel, aber auch nicht spektakulär: Die Stadt sieht gut aus, die Figuren wirken in Nahaufnahme wie von etwas dickeren Pixeln gezeichnet - das verleiht dem Ganzen einen interessanten, dezenten Comiclook. Wichtig ist vor allem, dass die Geschwindigkeit stimmt, zumindest auf der 360 gibt's kein Ruckeln weit und breit - auf der PS3 schleicht sich gelegentlich ein spürbares Zuckeln ins Bild, das dem Skatespaß aber keinen Abbruch tut. Ärgerlicher sind da s

Keine Angst vor Big Drops - skate bietet euch auch die Chance, an den X-Games teilzunehmen.
chon die bereits erwähnten langen Ladezeiten, zumal sie oft genug nur schwer verständlich sind: Schafft man eine Herausforderung nicht beim ersten Mal, muss man sich erst umständlich durch einige Menüs hangeln, dann wird kurz geladen, und erst danach darf man erst nochmal probieren. Macht man das ein Mal, ist es kein  Problem. Macht man das zwei Mal, ist man ein bisschen genervt. Macht man das sieben Mal, geht einem die Prozedur höllisch auf den Sack! Auch die Kameraperspektive ist zumindest gewöhnungsbedürftig: Prinzipiell sieht man sich nicht von hinten, sondern durch die Linse eines mitskatenden Kumpels (der sich gelegentlich mit einem schlauen Spruch zu Wort meldet), der schräg hinter einem fährt - das erinnert ein wenig an Resident Evil 4 und ist nicht immer optimal. Davon abgesehen ist die Kameraführung mit dramatischen Wackeleien, Blur-Effekten und verspielten Grafikfiltern, die bei entsprechenden Situationen zugeschaltet werden, sehr gelungen.

Neben der »Kampagne« gibt es noch drei weitere Spielvarianten: Zum einen das »Freeskate« für Solisten, in dem ihr nach Belieben durch die Stadt gurken dürft. Zum anderen gleich zwei Mehrspielermodi: »Party Play« erlaubt vier lokalen Skatern entweder eine flotte Runde SKATE oder eine Spot Battle. In der anderen Varianten erwarten euch online sechs Spielmodi für ebenso viele Brettkünstler - eine Highscorejagd, ein Rennen oder natürlich auch hier ein SKATE-Wettbewerb.        

Fazit

skate braucht Zeit, skate braucht einen geduldigen Spieler, der idealerweise das ruhige Händchen eines Neurochirurgen hat. Schon die Tony Hawk-Games sind mit Dutzenden Kombos nicht die einsteigerfreundlichsten Spiele aller Zeiten, skate setzt da nochmal locker einen drauf: Ein guter Trick ist hier keine austauschbare Animation, die man ohne Probleme 14 Mal in einer Line zünden kann. Ein guter Trick ist hier harte Arbeit. Das beinhaltet natürlich enormes Frustpotenzial, entfaltet aber nach einer Weile der Gewöhnung aber auch eine Befriedigung, die es in diesem Genre bislang nicht gab: Wenn ein Trick gut gelandet wird, hat man das Gefühl, ihn sich auch verdient zu haben! Somit hat skate mit den Birdman-Spielen nicht viel gemeinsam, außer dass beide auf Skateboards spielen - ich bin sehr gespannt, wie sich das neue Tony Hawk’s Proving Grounds (PG) im Vergleich dazu macht. Denn von der innovativen Steuerung abgesehen bietet skate bewährte Missionskost sowie verhältnismäßig wenig Personalisierungsmöglichkeiten - genau diese Lücke soll PG ja schließen. Wie auch immer: Wenn ihr ein Faible für Funsportgames pflegt und kein Problem damit habt, euch frustrieren zu lassen, dann ist skate für euch gegenwärtig das Spiel der Wahl!

Pro

innovative Steuerung
glaubwürdiges Spielgefühl
gute Grafik
tolle Animationen
exzellente Soundkulisse
sehr große, intelligent designte Stadt
herausfordernde Missionen

Kontra

steile Lernkurve
gewöhnungsbedürftige Steuerung
problematische Kameraführung
gelegentliche Grafikfehler
lange Ladezeiten
seltenes Ruckeln (PS3)

Wertung

360

Gelungenes Skate-Spiel mit innovativer Steuerung, die aber einiger Gewöhnung bedarf.

PlayStation3

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