Rock Band09.05.2008, Mathias Oertel
Rock Band

Im Test:

Das Redaktionsbüro ist wie leergefegt. Die Plätze scheinen verwaist. Urlaubszeit? Sind alle auf diversen Gamers' Days? Mitnichten! Wenn man seine Ohren spitzt, hört man aus dem Nebenzimmer hämmernde Bassbeats, fette Gitarrenriffs und dröhnenden Gesang. Rock Band (ab 2,52€ bei kaufen) ist da und legt den Redaktionsalltag lahm. Wieder einmal. Kann das Musik-Spektakel den exzellenten Eindruck der Vorschau bestätigen?

Preisfrage

Ja: Wir haben uns aufgeregt, als EA die europäische Preisgestaltung sowie den Termin für Rock Band (RB) nach Monaten der Ungewissheit bekannt gegeben hat. Mehrfach. Und regen uns immer noch mit schöner Regelmäßigkeit über dieses Thema auf.

Aber wir haben uns auch die Frage gestellt, ob diese Preisgestaltung einen Einfluss auf die Wertung haben müsste? Dürfte? Könnte? Die Antwort jeweils: Nein! Daher werden wir an dieser Stelle nur noch ein einziges Mal erwähnen, dass es für uns angesichts der etwas lahmenden Argumentation von EA immer noch unverständlich ist, dass das Spiel im Vergleich zur US-

Sagt eurem alten Leben "Auf Wiedersehen". Es wartet harter Touralltag auf euch!
Variante aus dem Instrumenten-Pack heraus gerissen wurde und nur noch solo zum Verkauf steht. Und damit soll es auch genug sein. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche: Den Aufstieg der 4P-Redaktion zum Rock-Olymp...

Naja: Vielleicht nicht ganz bis hoch zum Olymp, aber zu einer Evolutionsstufe, die doch weit jenseits der Gitarren-Amöbe zu finden ist.

Roadies benötigt?

Doch bevor abgerockt werden kann, müssen erst einmal Instrumente ausgepackt, zusammengebaut und auf Funktionsfähigkeit sowie Verarbeitung gecheckt werden.

Mikrofon? Check. Gute Klangqualität - sollte man von dem USB-Mikro aus dem Hause Logitech, das übrigens auch schon bei Boogie zum Einsatz kam, auch erwarten können. Mit über viereinhalb Meter Kabellänge hat der Frontmann der zukünftigen Band zudem ausreichend Bewegungsfreiheit.

Gitarre? Check. Da die Guitar Hero-Serie (GH) sich auf Klampfen aus dem Hause Gibson spezialisiert hat, sind die Macher von Rock Band beim großen Konkurrenten Fender fündig geworden und liefern eine etwa 2/3 der Normalgröße erreichende Version der Kultgitarre "Stratocaster" ab. Montage ist hier minimal: Es muss nur der Kopf mit den versilberten (Plastik-) Wirbeln aufgesteckt werden. Die Verarbeitung ist solide. Und dennoch müssen sich Gitarreros, die bislang mit Activisions Helden aufgetreten sind, auf eine Umgewöhnung einstellen: Der Kippschalter z.B., der den Seitenanschlag simuliert, ist deutlich schmaler und gibt auch nicht mehr das notorische kleine Klicken der Mikroschalter in den Gibson-Instrumenten von sich. Im Gegenzug geben die Bundtasten nun Klickgeräusche von sich, die allerdings nur anfänglich stören. Deren Anzahl wurde allerdings aufgestockt: Auf dem leider zu billig und plastillin wirkenden Hals samt Griffbrett - hier hätte ein Holzmaserungseffekt wahre Wunder gewirkt - sind mittlerweile zwei Sets mit je fünf Tasten zu finden. Eines an der bekannten Position am oberen Halsende. Ein weiteres, das für schnelle Sololäufe (und kleine Finger) ideal ist, findet sich weiter unten. Die Tasten sind in das Griffbrett integriert - im Gegensatz zu den GH-Tasten, die quasi "auf" dem Hals sitzen.

Als weitere Neuerung im Vergleich zu altbekannten Gitarrenmodellen ist der Umschalter, der am korrekten Ort platziert wurde. Während dieser Schalter in der Realität verwendet wird, um die Tonabnehmer auszuwählen und so dementsprechend den Klang der Gitarre zu verändern, nutzt Rock Band den Hebel um verschiedene Effekte wie Chrous, Flanger oder Wah-Wah in Soli und dem Overdrive zur Verfügung zu stellen.

Die Fender Stratocaster in der Rock Band-Variante ist solide verarbeitet und spielt sich etwas anders als die Gibsons aus den Guitar Heroes.
Strat vs. Les Paul

Wie spielt sich die Strat? Sehr sehr gut.  GH-Veteranen müssen sich zwar etwas umgewöhnen, da der Seitenschlag etwas schwammiger und bei ersten Solo-Läufen sowie Hammer-Ons und Pull-Offs fehleranfälliger scheint.

Doch dieses Gefühl schwindet nach kurzer Zeit und man stellt fest, dass es nicht die Gitarre war, die die Fehler gemacht hat, sondern der bedienende Musiker. Zusammen mit den "Soli"-Tasten und dem Effektschalter kommt eine neue Dynamik hinzu, die die Saiteninstrumente mindestens als gleichwertig zu denen der GH-Serie erscheinen lässt.

Apropos: Wer keinen Bock auf die Stratocaster hat oder sich für den Bassisten keine zweite Zusatzhardware kaufen möchte, kann auch die Gibson-Modelle anstöpseln. Zwar muss man dann auf die akustischen Effekte verzichten und auch das Kabel ist deutlich kürzer als bei dem Fender-Nachbau, doch da die keinen Einfluss auf Punktzahlen und Bewertungen haben, ist das kein Kontrapunkt.

Ist hier aber vielleicht sogar der Grund vergraben, weswegen hierzulande erst einmal die 360-Version erscheint? Denn wie wir in der Vorschau (für die uns ein PS3-Import vorlag) feststellen mussten, ist die Gitarrenkompatibilität auf der Sony-Konsole nicht gewährleistet und muss scheinbar immer noch in einem Patch-Rechtsstreit geklärt werden.

       

Schlag mich

Kommen wir zu den Drums: Das Set mit vier gummibeschichteten Trommelpads, die jeweils einen Durchmesser von fast 20 cm haben, sowie dem Pedal, das die Basedrum simuliert, ist dank der beigefügten Anleitung schnell und unkompliziert aufgebaut. Die Höhe lässt sich einfach regulieren und man kann im Notfall sogar ein "Tischtrommelset" zimmern, falls man in einem kleinen "Spielzimmer" mit Platzproblemen zu kämpfen hat. 

Das Drumkit musste in der Redaktion bereits einige Qualen über sich ergehen lassen, zeigt dabei aber keine Schwächen in Verarbeitung oder Funktionalität.
Ausgeliefert mit zwei echten Trommelstöcken haben zahlreiche Personen das Drumkit bereits malträtiert. Dazu gehören Möchtegern-Musikanten, die von Rhythmus weniger Ahnung haben als Gevatter Beckstein von Videospielen; Drummer, die glauben, dass ein harter Anschlag auch dafür sorgt, dass die Umsetzung im Spiel lauter klingt; Personen, die versucht haben, dass Basspedal durch den Boden in das darunter liegende Stockwerk zu treten. Und dennoch: Abgesehen von ein paar kleinen, aber die Funktionalität nicht beeinflussenden Dellen auf dem "Trommelfell"-Gummi hat die Hardware keine Blessuren davongetragen.

Ähnlich solide wie die Verarbeitung zeigt sich auch das Spielgefühl. Im Gegensatz zu den Gitarren wirkt das Trommeln sogar noch realistischer. Allerdings stellen sich nach einiger Zeit kleine ergonomische Probleme ein. So sind die vier Drumpads auf einer starren Linie angeordnet und die äußeren Trommeln lassen sich auch nicht in eine leicht gekrümmte bzw. eingedrehte Position bringen, die nicht nur angenehmer zu spielen wäre, sondern auch einem echten Drumset näher käme. 

Die Neigung des Basspedals, das im Übrigen mit einem ansprechenden Widerstand ausgestattet ist, kann bei längeren Sessions ebenfalls für den einen oder anderen Krampf sorgen. Diesem kann man jedoch entgegenwirken, wenn man sich eine kleine "Behelfsanhebung" bastelt, die man unter dem hinteren Teil der Konstruktion befestigt und sich somit eine etwas angenehmere Fußhaltung verschafft.

Und wie bringt man bitte vier Instrumente plus Gampad als Navigation für den Sänger an der mit drei USB-Ports ausgestatteten 360 unter? Ganz einfach: Mit dem im Paket liegenden USB-Hub, der sogar eine eigene Stromversorgung mitbringt. So stellt EA vorbildlich sicher, dass man umgehend auspacken und loslegen kann. Für die später erscheinende PS3-Version sollte man diese Dreingabe ebenfalls überlegen - man sollte nicht vergessen, dass die 40GB-Variante ebenfalls nur über zwei USB-Steckplätze verfügt.

"I wanna be a Rock Star"

Kein Spiel ist bislang diesem Textfragment von Nickelback so nahe gekommen wie Harmonix' neuestes Machwerk. Der Bandgedanke steht absolut im Vordergrund. Klar: Konamis DrumMania hat schon vor Urzeiten den Grundstein für rhythmische Trommeleien gelegt. Guitar Freaks hat das Gleiche für virtuelle Klampfen geschafft - lange bevor die Guitar Heroes dieses Prinzip auf eine neue, immens populäre Stufe hoben und eine neue Ära einläuteten. Und wer an Gesangs-Spiele denkt, assoziiert dabei hauptsächlich Sonys Singstar-Serie.

RB führt all diese Elemente zusammen, setzt dem Gitarristen, dem Trommler und dem Sänger einen Bassisten an die Seite und schon geht der Punk ab - im wahrsten Sinne des Wortes. Die Spielmechanik entfernt sich dabei zwar weder von dem GH-Prinzip (Noten müssen mit der richtigen Taste im richtigen Moment getroffen werden, gilt auch für den Drummer) noch von Singstar (entscheidend für den Erfolg sind Einsatz und Tonhöhe), doch das Zusammenspiel all dieser Elemente sorgt zusammen mit einigen kleinen Modifikationen für ein bislang ungeahntes Maß an Dynamik und Bandgefühl.

Zu diesen Modifikationen gehört z.B., dass der Auftritt nicht automatisch beendet ist, wenn ein Bandmitglied zu viel Mist baut und eine schwierige Passage nicht bewältigt. Sollte z.B. der Drummer an einem Lauf verzweifeln und diesen versemmeln,

Mit vier Spielern ist der Bildschirm randvoll mit Infos.
kann er nicht weiterspielen - logo, denn Anspruch muss sein! Jetzt kann aber ein anderer aus der Band einen Teil seiner "Overdrive"-Energie (das Gegenstück zur "Star Power" aus der GH-Serie) nutzen, um den Drummer zu retten und wieder ins Boot zu holen. Aber Vorsicht: Auch dies ist kein Allheilmittel. Denn wenn der Drummer noch zwei Mal aus dem Rahmen fällt, heißt das nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Band "Game Over".

Im Gegenzug können alle Musiker ihre individuellen Multiplikatoren durch gleichzeitigen Einsatz von Overdrive mit einem fetten Gesamtmultiplikator versehen, der die Gesamtpunktzahl kurzzeitig in astronomische Höhen schnellen lässt.

So weit, so gut, aber auch so weit im Wesentlichen nur eine bekannte Variation dessen, was inhaltlich in anderen Titeln ab geht - daran können auch Sonderinhalte wie separate Soli-Bewertung etc. nicht mehr viel ändern.

Welttournee

Was Rock Band so außergewöhnlich macht und deutlich von der Konkurrenz abhebt, ist der kaum enden wollende Karrieremodus, der euch als Band zur Verfügung steht. Hier startet ihr mit euren Mitstreitern als kleine unbedeutende Band in eurer Heimatstadt (es stehen einige bei der Bandkreierung zur Verfügung, aus Deutschland ist Berlin dabei) auf einer kleinen Bühne und müsst mit erfolgreichen Auftritten die Fans begeistern - und nebenbei euer Konto aufstocken. Mit mehr Fans kommen größere Gigs zustande, nach und nach kommen neue Bewegungsmittel wie Busse bis hin zum Flugzeug hinzu, das euch Auftritte auf anderen Kontinenten ermöglicht und im Laufe der Zeit das komplette Song-Kontingent freispielt.

    

Apropos Songs: In der deutschen Version stehen im Vergleich zur US-Version, die mit 58 Songs aufwartet, satte 67 Songs zur Verfügung. Unserer Meinung nach hätte man in einem Spiel namens "Rock Band" zwar auf Tokio Hotel verzichten können, zumal der Song unserer Einschätzung nicht nur der schwächste der neun Zugänge für den deutschen Markt, sondern der gesamten Lied-Palette ist. Dafür gibt es aber mit den H-Blockx und den Toten Hosen auch Bands, die man fast

Coole Live-Atmosphäre samt mitsingender Zuschauer - nur eines der kleinen Rock Band-Mosaiksteine.
schon zu den Urgesteinen zählen kann. An dieser Stelle wollen wir auf eine Aufzählung aller oder auch nur der wesentlichen Songs und Interpreten sparen und auf die Liste verweisen, die ihr im Kasten weiter unten findet. Nur so viel sei gesagt: Mit Ausnahme von ein paar Tracks würden alle mitgelieferten Songs einem sündhaft teuren Rock-Sampler gut zu Gesicht stehen. Und: Ein erfreulich großer Anteil ist komplett lizenziert und daher in der Original-Version vorhanden. Doch selbst diejenigen, die von der Harmonix-Hausband gecovert wurden, zeigen sich wie bei den GH-Spielen als täuschend echt nachgeahmt. Mit einem breiten und steten Nachschub-Angebot auf dem XBL-Marktplatz steht auch zukünftigen Konzerten mit frischem Material nichts mehr im Wege. 

Doch zurück zur Tour: Hier verzichtet man sehr schnell auf den linearen Ablauf, der alle Genre-Kollegen kennzeichnet. Sehr schnell hat man viele Städte mit noch mehr Auftrittsorten und nochmals so vielen Gigs zur Verfügung. Dabei beschränkt sich eure Performance unter Umständen auf nur einen Song. Noch häufiger allerdings müsst ihr ein "Set" abliefern. Dabei wiederum können die zu spielenden Lieder bereits feststehen oder werden per Zufall "vom Publikum" bestimmt.

Auch die Anzahl an Songs im Set variiert stark: Sind es anfangs gerade mal zwei oder drei, habt ihr später bei Festivals ein komplettes Konzert mit fast 20 Songs abzuspulen - gute und Schweiß treibende Unterhaltung für den gesamten Abend ist vorprogrammiert.

Rock Band-Tracklist (alphabetisch)

  • Aerosmith - Train Kept a Rollin' (Cover)
  • Beastie Boys - Sabotage
  • Black Sabbath - Paranoid (Cover)
  • Blue Oyster Cult - Don't Fear the Reaper
  • Blur - Beattlebum (*)
  • Bon Jovi - Wanted Dead or Alive
  • Boston - Foreplay/Long Time
  • Coheed & Cambria - Welcome Home
  • David Bowie - Suffragette City
  • Deep Purple - Highway Star
  • Die Toten Hosen - Hier kommt Alex (*)
  • Faith No More - Epic
  • Fallout Boy - Dead on Arrival
  • Foo Fighters - Learn to Fly
  • Garbage - I Think I'm Paranoid
  • H-Blockx - Countdown to Insanity (*)
  • Hole - Celebrity Skin
  • Iron Maiden - Run to the Hills (Cover)
  • Jet - Are You Gonna Be My Girl
  • Juli - Die perfekte Welle (*)
  • KISS - Detroit Rock City
  • Les Wampas - Manu Chao (*)
  • Metallica - Enter Sandman
  • Molly Hatchet - Flirtin' With Disaster
  • Mountain - Mississippi Queen (Cover)
  • Muse - Hysteria (*)
  • New Pornographers - Electric Version
  • Nine Inch Nails - The Hand That Feeds
  • Nirvana - In Bloom
  • Oasis - Rock 'n' roll star (*)
  • OK Go - Here It Goes Again
  • Pixies - Wave of Mutilation
  • Playmo - New Wave (*)
  • Queens of the Stone Age - Go With the Flow
  • Radiohead - Creep
  • Red Hot Chili Peppers - Dani California
  • R.E.M. - Orange Crush
  • Rolling Stones - Gimme Shelter
  • Rush - Tom Sawyer (Cover)
  • Smashing Pumpkins - Cherub Rock
  • Soundgarden - Black Hole Sun
  • Stone Temple Pilots - Vasoline
  • Sweet - Ballroom Blitz (Cover)
  • The Clash - Should I Stay or Should I Go
  • The Hives - Main Offender
  • The Killers - When You Were Young
  • The Outlaws - Green Grass & High Tides (Cover)
  • The Police - Next to You
  • The Ramones - Blitzkrieg Bop
  • The Strokes - Reptilia
  • The Who - Won't Get Fooled Again
  • Tokio Hotel - Through the Monsoon (*)
  • Weezer - Say It Ain't So
  • Yeah Yeah Yeahs - Maps

 

 

* = Exklusiv in der deutschen Version

Dazu kommen 13 Indie-Tracks, die solo als Sonderkonzert in der normalen Karriere gespielt werden können.

Die Band ist alles - solo bist du nix!

Die ganze virtuelle Kohle, die ihr mit euren hoffentlich erfolgreichen Auftritten einnehmt, könnt ihr im Shop gegen neue Klamotten, Tattoos, Schmuck, sonstige Anhübschungen sowie neue Instrumente eintauschen. Und damit sind wir schon beim nächsten Aspekt: Einer enorm umfangreichen Personalisierung.

Das beginnt bereits bei der Erstellung der Figur: Name, Herkunft, Geschlecht und Aussehen können in zahlreichen Parametern eingestellt werden. Und eben im Nachhinein unter Einsatz von Geld umfangreich modifiziert. Natürlich könnte man argumentieren, dass dies nur sinnloser Schnickschnack ist. Und: Ich kann dem uneingeschränkt zustimmen. Man muss es ja auch nicht machen. Aber: Wer sich wirklich mit seiner Figur identifizieren will, findet sich unversehens (vor allem in der Anfangsphase des "schnellen Geldes") häufiger im Shop als auf der Bühne wieder.

Bis hierhin könnte man fast schon annehmen, dass Rock Band ein Titel ohne großartige Macken ist: Die Hardware ist gut, das Rhyhthmus-Spielprinzip wird auf eine neue Stufe gehoben und die Karriere ist schier endlos...

Doch gerade im Zusammenhang mit den Figuren kriegt die Fassade des durchdacht scheinenden Musikprojekts erste Risse. Die Figuren-Erstellung ist zwar umfangreich, lässt aber ausgerechnet eines nicht zu: Multitalente. Also Figuren, die z.B. sowohl als Sänger als auch als Gitarrist zum Einsatz kommen können. Und obwohl mit den Foo Fighters als auch mit Nirvana zwei Bands vertreten sind, in denen Dave Grohl aktiv ist bzw. war, sind Musiker seines Schlages als Figuren in RB nicht vorgesehen. Hier müsst ihr euch im Vorfeld festlegen, entweder als Vokalist, als Schlagzeuger oder als Saitenhämmerer euer Geld zu verdienen; späteres Umsteigen wird nicht unterstützt.

Zwar ist es möglich, einen Musiker in mehreren Bands spielen zu lassen. Aber dort jeweils nur mit seinem angestammten Instrument. In Kombo A als Gitarrist aufzutreten, in Kombo B als Sänger ist nicht möglich.

Leider zieht sich dieses Prinzip auch durch die Solo-Karriere, die ohnehin nur ein sprödes und im Vergleich zu den Mehrspieler-Modi, zu denen auch wunderbar funktionierende Online-Auftritte und Duelle um Punkte usw. gehören, erschreckend konservatives Beiwerk zu sein scheint.

Hier ist es noch unverständlicher, dass man sich drei Figuren anlegen muss, wenn man alle Facetten für Solisten ausschöpfen möchte. Andererseits kann ich auch nicht nachvollziehen, wie man sich bei Harmonix angesichts der durchweg motivierenden und nonlinearen Band-Karriere im Einzelspieler-Modus so staubtrocken gibt. Wie zu guten alten GH-Zeiten (Teil 1 und 2 wohlgemerkt) "tourt" ihr durch festgelegte Clubs, spielt ein fest gelegtes Fünfer-Song-Set nach dem anderen und habt irgendwann alles freigeschaltet. Na vielen Dank. Oder auch: Been there, done that, didn´t get myself a friggin' t-shirt, because it was too boring...

Wäre es zu viel verlangt gewesen, auch hier die ohnehin bereits vorhandene Möglichkeit der nichtlinearen Welttournee durchzuziehen? Von einem jederzeit "In-and-Out" für gerade reinschneiende Gastmusiker oder einem "Jam Session"-Modus für Online-Solisten, die nach Bandanschluss suchen, ganz zu schweigen.

Sowieso ist auch die Bandgeschichte bei genauem Hinsehen nicht so durchdacht wie es anfänglich scheint. Was wiederum mit den Charakteren zusammen hängt. Denn es ist auch unmöglich, seine Figur bzw. seine komplette Band auf Memory Unit zu exportieren und mit zu einem Freund zu nehmen.

      

Das ideale Horror-Szenario sieht folgendermaßen aus: Um den heimischen Frieden nicht übermäßig zu stören und die Nerven des Partners/der Partnerin zu schonen, treffen sich die vier Bandmitglieder (jeder mit seinem eigenen Rock Band)  im wöchentlichen Rhythmus reihum. Denn obwohl der Online-Modus gut und lagfrei funktioniert, kommt die richtige Atmosphäre natürlich vor allem beim gemeinsamen Spiel vorm Bildschirm auf.

Im Fall der vorgeschlagenen "Probenraum-Tournee" muss allerdings auf jeder Konsole mangels Exportfunktion eine neue Band angelegt werden. Sprich: Ihr spielt quasi vier Karrieren.

Wer auf Solopfaden unterwegs ist, bekommt nur halben Spaß. Die Einzelspieler-Karriere ist kaum mehr als zweckmäßig und bei weitem nicht so umfangreich und vielschichtig wie die Band-Tournee.
Natürlich kann man jetzt folgendermaßen argumentieren: "Stell dich nicht so an. Dann nimm doch die Konsole immer mit! Oder spiel gleich online!" Könnte man. Doch auch das ständige Mitschleppen des Spielsystems ist nicht optimal. Und es dient als weiteres Beispiel dafür, dass nahezu alles, was mit Multifunktionalität und Benutzerfreundlichkeit hinsichtlich der Charaktere zu tun hat, noch viel viel Platz nach oben offenbart.

Live dabei

Einige würden diese "Luft nach oben" sicherlich auch hinsichtlich der Kulisse sehen. Zugegeben: Auf den ersten Blick wirkt Rock Band beinahe wie ein Relikt einer vergangenen Generation und scheint hinter dem Hochglanz-Comic-Look von Guitar Hero III den Kürzeren zu ziehen.

Ja: Der Stil ist anders. Krümeliger. Und er legt mehr Augenmerk auf Effekte und eine ausgeklügelte Bühnenshow. Und auch die Figuren sehen insgesamt etwas rauer und einen Tick realer aus als ihre GH-Kollegen - ohne allerdings den Comic-Look vollkommen beiseite zu wischen.

Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man die feinen Animationen wahrnimmt, die sich im Gegensatz zu GH nicht nur auf den Gitarristen als Hauptakteur fokussieren, sondern über die gesamte Band erstrecken. Angefangen von den feinen Gesichtsanimationen des Sängers bis hin zum dynamischen Bearbeiten der Drums hinterlässt auch das pure Zuschauen einen richtig guten Eindruck. Allerdings nicht für die Akteure vor dem Schirm, die vor allem ab Stufe 3 damit ausgelastet sein dürften, die richtigen Noten zum richtigen Zeitpunkt zu spielen.

Ebenfalls nettes Beiwerk sind die coolen Ladebildschirme, die entweder mit den von euch kreierten Bandmitgliedern oder irgendwelchen Variationen eures Bandnames, so z.B. in einem Stern auf dem Walk of Fame für unauffällige, aber effektive Stimmung sorgen.

Bei der Gesangsspur kommt es wie bei Sonys Singstar vor allem auf die richtige Tonhöhe an.
Hinsichtlich der Akustik geht RB mittlerweile sogar zwei Schritte weiter als die versammelte Konkurrenz. Dass das Publikum bei guten Leistungen mitgeht und begeistert applaudiert, ist nichts Neues. Wenn Zuschauer bei entsprechend erfolgreichen Läufen allerdings anfangen, mitzusingen und in spontanes Jubelgetöse auszubrechen, ist die Illusion eines "Live"-Auftritts nahezu perfekt.

Dass es im Gegenzug vorkommen kann, dass je nach ausgewähltem Charakter für den Sänger/die Sängerin, der eine oder andere Song vom falschen Geschlecht interpretiert wird, ist bei einer kompletten Band kaum störend und entspricht der Natur von Coverbands. Spielt man ohne menschliche Gesangsbesetzung oder solo als Drummer/Gitarrist ist es allerdings bedenklich, dass die CPU es tatsächlich sehr häufig schafft, die weiblichen Sänger mit eindeutig männlichen Polygon-Modellen zum Leben zu erwecken und umgekehrt. Es wirkt eben einfach etwas merkwürdig wenn z.B. in einem Set zu "Enter Sandman" von Metallica eine Frau als Sängerin auf der Bühne steht und mit James Hetfields Stimme singt. Doch auch das ist etwas, was man angesichts des enormen Party-Spaßes, den Rock Band entfacht, locker verschmerzen kann...    

Fazit

Preisdiskussion und Dollarumrechnungskurs hin oder her: Wer sein Geld für die Instrumentenedition sowie das Spiel über die Ladentheke schiebt, bekommt im Gegenzug ein fantastisches Gesamtpaket. Haufenweise Songs, solide verarbeitete Hardware, eine motivierende Band-Karriere, coole Kulissen und haufenweise Personalisierungsmöglichkeiten für die eigenen Figuren – kurzum: Partyspaß mit Langzeitgarantie. Doch einige Schönheitsfehler –nein: Ich meine nicht den Preis oder den Song von Tokio Hotel- verhindern einen Aufstieg in noch höhere Wertungsregionen. Der Einzelspieler-Modus ist im Vergleich zur Band-Karriere erschreckend trocken und muss sich auch Guitar Hero III deutlich geschlagen geben. Und dass man keine Multitalente (z.B. singende Schlagzeuger, Einer-für-Alles) erstellen oder seine Figuren exportieren und auf Memory Card mit zu einem Freund nehmen kann, stößt ebenfalls sauer auf. Doch trotz aller Mankos gehört Rock Band zur Creme de la Creme der Party- und Musikspiele und ist nicht nur dank der bereits üppig vorhandenen Download-Songs eine lohnenswerte Anschaffung. Rock On!

Pro

solide Verarbeitung der Instrumente
umfangreiche Mehrspieler-Karriere
Partyspaß ohne Ende
über 60 größtenteils lizenzierte Songs (davon neun exklusiv für Deutschland)
umfangreiche Personalisierungsmöglichkeiten
Guitar Hero II-/III-Hardware kompatibel
Publikum geht aktiv mit (Mitsingen, Klatschen)

Kontra

sehr trockener Einzelspieler-Modus
Benutzer-unfreundliches Charakter-Export-System
keine Multitalent-Figuren möglich

Wertung

360

Die Preisdiskussion überschattet, dass sich hinter Rock Band ein Rhythmus-Juwel mit Spaßgarantie im Multiplayer-Modus verbirgt.

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