Forza Horizon04.06.2012, Michael Krosta
Forza Horizon

Vorschau:

Eine offene Spielwelt, dröhnende Festival-Beats und Punktekombos für stylische Fahrmanöver? Das liest sich wie eine Mischung aus Dirt: Showdown und Burnout Paradise. Aber nicht wie etwas, was man mit Forza Motorsport in Verbindung bringt. Opfert Microsoft den Simulationsanspruch jetzt zugunsten einer hippen und zugänglichen Arcade-Raserei?

Schein und Sein

Mit einem lauen Gefühl im Magen und einer guten Portion Skepsis bin ich nach England gereist, um mir bereits im Vorfeld der Messe die E3-Demo von Forza Horizon (ab 26,79€ bei kaufen) anzusehen und die Entwickler von Playground Games mit Fragen zu überrollen. Ganz oben auf meiner Liste: Die Frage nach dem Warum. Warum will man aus einer Serie, die für ihren Simulationsanspruch bekannt und geschätzt wird, jetzt einen Arcade-Racer machen? Gibt es nicht schon genug von denen?

Doch schon nach der Einführung durch Dan Greenawalt, Creative Director bei Turn 10 und als Berater in Horizon involviert, kann ich aufatmen: Der Titel wird nicht nur von der Image Based Lighting-Technologie und anderen Tugenden von Forza Motorsport 4 profitieren - auch die realistische Fahrphysik soll weitestgehend erhalten bleiben!   

Eine große PS-Party

In der Demo darf man in der brandneuen Viper Gas geben.
In der Demo durften wir in der brandneuen Viper Gas geben.
Hinter dem Steuer des brandneuen Viper-Modells rase ich kurze Zeit später endlich selbst über die staubigen Pisten in Colorado, wo das komplette Spiel angesiedelt sein wird. Alles nur leere Versprechen oder bleibt man tatsächlich der Linie treu, ein möglichst authentisches Fahrerlebnis zu bieten? Ja, Forza Horizon sieht auf den ersten Blick aus wie ein Arcade-Racer der Marke Need for Speed - nur besser. Elemente wie Stilpunkte für lässige Drifts, Beinahe-Zusammenstöße oder Sprünge tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei. Über 30 Kombos soll es geben, mit denen man seine Popularität steigern kann. Doch wenn es ans Fahren geht, ist Horizon wieder das Forza, das man kennt und liebt - zumindest fast. Denn um Frust beim Erkunden der Spielwelt mit ihren vielen Kreuzungen und scharfen Kurven entgegenzuwirken, hat man leichte Änderungen an der Fahrphysik vorgenommen. So brechen die Boliden beim Anbremsen deutlich weniger aus und liegen folglich besser in der Spur. Hilfen wie die Traktionskontrolle lassen sich außerdem nicht mehr in mehreren Stufen regeln, sondern nur noch ein- und ausschalten. Und trotz dieser kleinen Veränderungen fühlt es sich herrlich vertraut an, wenn man mit der Viper in der gewohnt detailverliebten Cockpitansicht über die Piste prescht.

Wer sind Playground Games?

Playground Games wurde 2009 von den Industrie-Veteranen Gavin Raeburn und Ralph Fulton gegründet, die zuvor für viele Jahre bei Codemasters an diversen Rennspielen mitgewirkt haben. Angefangen mit 19 Angestellten zählt das Unternehmen mittlerweile über 100 Mitarbeiter. Viele von ihnen haben nach Schließungen von Studios wie Black Rock und Bizarre Creations ein neues Zuhause bei Playground Games gefunden. Auch ehemalige Leute von Rockstar North und Slightly Mad Studios sind mit an Bord. Das Gespenst vom simplen Arcade-Racer ist nach den Probefahrten jedenfalls endgültig vertrieben - und das, obwohl man auch beim Schadensmodell Kompromisse eingeht. Bisher finde ich in den Optionen lediglich die Wahl für die optische Darstellung von Schäden. Ob sie sich im fertigen Spiel auch auf die Physik auswirken werden, steht bisher noch offen, ist angesichts der großen Spielwelt aber unwahrscheinlich. Es sei denn, alle paar Kilometer findet sich eine Autowerkstatt am Straßenrand. Auf der einen Seite schade, auf der anderen verständlich: Wer will sich schon nach einem Unfall mit einem kaputten Wrack im Schneckentempo bis zur nächsten Schraubergarage schleppen? Aus diesem Grund räumt Greenawalt bereit ein, dass Anpassungen am Schadenssystem vorgenommen werden, ohne Details zu nennen. Allerdings fällt auf, dass der Detailgrad bei der Darstellung scheinbar etwas zurückgefahren wurde. Abfallende Teile sieht man z.B. nur noch selten und selbst bei schweren Einschlägen bleibt erstaunlich viel heil. Wie gehabt, lassen sich Unfälle mit der Rückspulfunktion ungeschehen machen. Und überhaupt: Was in erster Linie zählt, ist das Fahrgefühl - und hier hat mich Horizon auf jeden Fall positiv überrascht!  

Die besten Rennstrecken der Welt?

Colorado ist mit seinem abwechslungsreiche Gelände ein Traum für Rennfahrer.
Colorado ist mit seinem abwechslungsreiche Gelände ein Traum für Rennfahrer.
Aber warum Colorado? Für die Entwickler repräsentiert der US-Bundesstaat mit seinen kurvenreichen Pässen, den mächtigen Canyons und unterschiedliche Gelände von unwegsamen Offroad-Passagen bis zu Asphaltstrecken das perfekte Ambiente für Freunde des gepflegten Rasen. Offroad? Ja: Erstmals wildert die Forza-Reihe auch in Rallye-Gefilden und bietet über 60 verschiedene Oberflächenstrukturen, die von Sand über Matsch bis hin zu Schotter reichen. Klar, immerhin finden sich im Studio viele Leute, die bereits an Titeln wie Colin McRae Rally, Pure & Co mitgearbeitet haben (siehe Kasten). Ein Wettersystem wird es aber auch hier nicht geben. Zumindest hat Playground Games die Engine mit einem dynamischen Tag-/Nachtzyklus erweitert, der auf der grandiosen IBL-Technik (Image Based Lighting) von Forza 4 basiert. Zudem wurde an der Zeichentiefe gewerkelt, so dass selbst weit entfernte Objekte wie Felsformationen oder Wälder gestochen scharf wirken. Probleme gibt es dagegen in unmittelbarer Nähe, wo Pop-ups in ungewohnter Häufigkeit auftreten. Zudem fordert die neue Streaming-Technologie einen Performance-Preis: War die hohe Bildrate von 60fps zuletzt ein Markenzeichen der Forza-Serie, wird sie hier auf die Hälfte halbiert. Das Geschwindigkeitsgefühl kommt aber trotzdem noch gut rüber.   

Startet die Party...und die Motoren

Vollgas? Ja!
Vollgas? Ja!
Wie bereits angedeutet, betten die Entwickler den Kampf um Positionen in den Renn-Events in den Rahmen eines Musikfestivals ein - das alles soll eine große PS-Party werden, bei der neben Motorenklängen auch kräftige Beats für Stimmung sorgen. Es ist nicht das erste Mal, dass der Festival-Gedanke mit Motorsport kombiniert wird - man denke nur an Motorstorm oder zuletzt Dirt: Showdown. Mit Forza Horizon will man aber jetzt noch einen Schritt weiter gehen, um das Gefühl und die Atmosphäre der Open Air-Parties einzufangen. Zu diesem Zweck hat man sich mit Rob da Bank zusammen getan: Er ist nicht nur seit zehn Jahren ein anerkannter DJ in Großbritannien und hat mittlerweile sogar eine eigene BBC-Show, sondern  auch Spezialist für das Ausrichten und Organisieren von Festivals. So ist er maßgeblich dafür verantwortlich, welche Tracks von prominenten und weniger bekannten Musikern bei den drei Radiosendern des Spiels rauf und runter gespielt werden. Unter anderem sollen Stilrichtungen von Dubstep über Elektro und Drum’n’Base bis hin zu Indie Dance sowie Heavy Rock und sogar Metal abgedeckt werden. Über eine genaue Songliste deckt Microsoft derzeit noch den Mantel des Schweigens - beim Anspielen bekam ich aber immerhin schon einen gelungenen Remix von Flo Ridas Chart-Hit „Good Feeling“ zu hören, der mit seinen schrillen Tönen aber eher an die Klänge von Skrillex erinnerte.

Davon abgesehen soll da Bank auch dafür sorgen, dass die Kulisse das Festival-Feeling ordentlich rüberbringt - sei es durch das Design der Zelte, den Aufbau der Bühnen oder Zubehör wie Lichtstrahler und Pyrotechnik. Immerhin wird das Partygelände der Knotenpunkt der offenen Welt. Von hier aus düst man nicht nur zum nächsten Wettbewerb, sondern besucht auch den Lackierer oder motzt den Boliden in der Tuningwerkstatt auf. Leider bekam noch niemand etwas davon zu sehen.

Wenig Aussagenkraft

Vorsicht: Absturzgefahr!
Vorsicht: Absturzgefahr!
Überhaupt ist die Demo, die Besucher dieser Tage auf der E3 zu sehen bekommen werden, nicht besonders repräsentabel für das, was Forza Horizon bieten will. Zwar bekommt man neben dem Fahrgefühl bereits einen Eindruck vom Punktesystem, das neben Drifts und Windschattenfahren auch die Zerstörung der Umgebung belohnt, doch wird man hier nur auf einer abgesperrten Strecke gegen geskriptete KI-Gegner ins kurze Rennen geschickt. Verlässt man sie, wird man schon nach wenigen Metern wieder automatisch zurückgesetzt. Okay, auf einer Messe hat man nur die Möglichkeit für eine derart komprimierte Vorstellung. Zum Glück konnten wir während unserer Studiotour noch ein paar Details mehr erfahren. So wird es z.B. so genannte Showcases geben, bei denen ein Mustang gegen einen Mustang antritt. Klingt nicht so spektakulär? Nun gut, ich sollte dabei sagen, dass es sich um ein Rennen eines Ford Mustangs gegen den Mustang P-51 handelt, ein einmotoriges Jagdflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. Und das macht die Sache gleich außergewöhnlicher und spannender. Bleibt zu hoffen, dass die Entwickler noch mehr solcher abgedrehten Ideen verwirklichen. Zudem besteht die Hoffnung, dass es mehr als 1:1-Duelle und Rennen in einem überschaubaren Starterfeld von etwa acht Fahrzeugen geben wird. Warum ich darauf komme? Im Rahmen einer Präsentation durch die offene Spielwelt prangte in einer Ecke bei der Positionsangabe der 250. Platz. Könnte man bei Playground Games vielleicht Massenrennen von diesem Kaliber ins Auge fassen? Zumindest würde es zu der Aussage passen, dass manche Rennen durchaus etwas länger ausfallen als die üblichen fünf Minuten.

Gefahr des Sekundenschlafs?

Die Wagenmodelle strotzen vor Details.
Die Wagenmodelle strotzen vor Details.
Allerdings sehe ich die potenzielle Gefahr, dass man sich zu sehr in der Ödnis einer offenen Welt verliert - ein Problem, das z.B. dem ambitionierten Open World-Rennspiel Fuel zum Verhängnis wurde. Um dem entgegenzuwirken, haben sich die Entwickler zwei Dinge einfallen lassen: Zum einen schaltet man mit der Zeit Garagen frei, von denen man die Expedition beginnen und zwischen denen man durchschalten kann. Man wird also nicht gezwungen, ewig lange bis zum nächsten Wettbewerb zu fahren, obwohl sich die Entwickler wünschen, dass Spieler viel Zeit hinter dem Steuer verbringen. Aber nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es wollen. Auch versteckte Herausforderungen und Aussichtspunkte sollen den Entdeckergeist wecken. Zum anderen gibt es ein GPS-System, das einen auf Wunsch zum nächsten Karriere-Event dirigiert.

„Bitte links abbiegen“    

Das Besondere daran: Das GPS funktioniert komplett sprachgesteuert - sofern man Kinect sein Eigen nennt. Ansonsten hält man sich mit der Implementierung von Microsofts Kamerasystem überraschend zurück, denn weder das hervorragende Head Tracking aus Forza 4 noch die optionale Lenkung via Gesten halten Einzug in Horizon. Leider fällt auch ein Autovista-Modus zum Erkunden der Fahrzeuge unter den Tisch. Alternativ wird eine Autoshow angeboten, bei der bis auf das Drehen der Kamera keine Interaktionen möglich sind. Schade, denn denke ich an Veranstaltungen wie VW-Treffen oder sonntägliche Fahrten zum Nürburgring, gewähren die Besitzer von getunten Geschossen gerne einen Blick unter die Motorhaube und posieren mit ihren polierten Schlitten. Zumindest wird es wieder einen Fotomodus geben, mit dem man die Flitzer ins rechte Licht rücken und der Community präsentieren kann. Welche Modelle und Hersteller an Bord sind, wird noch nicht verraten. Allerdings kann man davon ausgehen, dass der Fuhrpark nicht so üppig ausfallen wird wie beim „großen“ Forza Motorsport. Stattdessen wird man sich wohl wie EA bei Need for Speed: Shift auf eine Auswahl hochkarätiger Exemplare. Im Rahmen der Session konnte ich neben der brandneuen Viper schon einen Blick auf einen Ford GT, BMW M5, Subaru Impreza, Ferrari 458 Italia, Mercedes SLR, Alfa Romeo Competizione und einen Maserati werfen. Was zukünftige Downloadinhalte angeht, brachten die Entwickler im Gespräch einen interessanten Gedankengang ins Spiel: So könnte es möglich sein, dass sich in Zukunft beide Reihe - also Forza Motorsport und Horizon - DLC-Pakete teilen könnten, damit die Fahrzeuge in beiden Spielen verwendet werden können. Eine interessante Idee…

Der Autolog-Faktor

Endlich: Die Engine wurde um einen Tag-/Nachtzyklus erweitert.
Endlich: Die Engine wurde um einen Tag-/Nachtzyklus erweitert.
Genau wie bei EAs Autolog-System werden auch hier sämtliche Events mit den Ergebnissen der Freunde abgeglichen und man kann sich jederzeit Herausforderungen schicken. Durch ein internes Nachrichtensystem bleibt man außerdem in Kontakt. Im Rahmen des Festivals sollen über 100 Renn-Events angeboten werden - zusätzlich wird man auch beim Cruisen durch die Spielwelt andere Fahrer zu einem Sofort-Duell herausfordern können. Ein Fragezeichen steht noch dahinter, wie das alles funktionieren wird: Fahren da einfach andere Onlinefahrer durch das virtuelle Colorado? Und wenn ja: Wie viele gleichzeitig und wer entscheidet, auf welchen Spieler man trifft? Fest steht nur, dass man im Gegensatz zu anderen Open World-Rennspielen wie Test Drive: Unlimited hier keine eigenen Routen festlegen oder in einem Editor basteln darf - schade. Allerdings versprechen sich die Entwickler viel von der Verlagerung der bekannten Spielplatz-Modi wie „Katz und Maus“ in eine offene Welt, denn schon bei Forza Motorsport 4 oder PGR erfreuten sich diese actionreichen Variationen abseits der klassischen Rennen einer großen Popularität. Für Nervenkitzel dürften außerdem die so genannten Pink Slip-Wettbewerbe bieten, bei denen man seinen Wagen aufs Spiel setzen muss.

Ausblick

Ich hatte im Vorfeld viele Bedenken, ob Microsoft mit Forza Horizon den richtigen Pfad einschlägt oder auf die schiefe Arcade-Bahn gelangt, mit der man den Ruf der Serie vermutlich gegen die Wand fahren würden. Jetzt, nachdem ich selbst durch Colorado gerast bin und die Pläne der Entwickler gehört habe, kann ich wieder ruhiger schlafen: Mit Elementen wie Drift- und Speedpunkten, Radarfallen und Festival-Gedöns wirkt das Spiel zwar in eine Arcade-Verpackung gesteckt, doch in ihrem Inneren pocht immer noch das Herz einer Simulation, auch wenn man die Fahrphysik leicht angepasst und entschärft hat. Trotzdem bleibt im Kern das fantastische Forza-Feeling erhalten - mit dem Unterschied, dass man jetzt in einer freien Welt aufs Gaspedal drückt anstatt auf klassischen Rennstrecken seine Runden zu drehen. Aufgrund des abgespeckten Schadenmodells geht es bei den Positionskämpfen jetzt außerdem eine Spur härter zur Sache - eine Crashorgie wie Dirt: Showdown oder Burnout muss man aber nicht befürchten, denn dafür steht man mit den Reifen noch zu sehr in der wirklichen Welt. Sorgen mache ich mir nur, ob es Playground in Zusammenarbeit mit Turn 10 gelingt, das virtuelle Colorado mit genug Leben und Abwechslung zu füllen. Nichts ist schlimmer als eine riesige Spielwelt, bei der man vor lauter Langeweile hinter dem Steuer einschläft. Coole Events wie das Rennen „Auto gegen Flugzeug“ und nicht zuletzt die geballte Erfahrung des Teams machen allerdings Mut, dass sie mich bei der Stange halten können, zumal auch Tuning- und Lackieroptionen die Motivation aufrecht halten dürften. Obwohl die E3-Demo noch nicht besonders aussagekräftig sein mag, freue ich mich wahnsinnig auf Forza Horizon, selbst wenn es die vollwertige Simulation eines Forza Motorsport nicht ersetzen kann. Aber das will es auch nicht. Forza Horizon biegt als Ableger der Reihe auf eine alternative Route ab, bei der ich gerne den Blinker setze.  


Eindruck: sehr gut / Fit4Hit

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