Metroid: Samus Returns14.09.2017, Jörg Luibl
Metroid: Samus Returns

Im Test: Modernisierte Wurzeln

Als die Retro Studios Ende der 90er Jahre von Nintendo beauftragt wurden, das klassische Metroid in die dritte Dimension zu übertragen, war das eine gewaltige Aufgabe. Umso höher muss man heute einschätzen, was man 2002 auf dem GameCube in Metroid Prime erleben konnte. Mercury Steam hat es da auf den ersten Blick wesentlich leichter: Der ein viertel Jahrhundert alte GameBoy-Klassiker Metroid II soll modernisiert auf dem 3DS zurückkehren. Nur ein solides Remake für Fans oder ein kreatives Erlebnis für Plattform-Abenteurer?

Immer ruhig bleiben

Wie soll ich hier wieder rauskommen? Das geht doch nicht! Samus doppelspringt verzweifelt an den Felsen hinauf, sucht erfolglos nach Halt und überall nach Geheimgängen, beschießt die Wände, morpht in einen Ball, rollt in jede Nische, aber aus diesem tiefen Krater gibt es scheinbar kein Entkommen. Dabei müsste sie wieder hinauf, denn ihr fehlt noch wicjtige Beute! Aber es ist einfach zu hoch. Ist sie vielleicht zu früh hier runter gesprungen? Fehlt ihr etwa eine Schwebe-Fähigkeit? Hat sie etwas übersehen? Oder ist das etwa ein richtig fieser Bug? Das kann ja wohl nicht sein!

Metroid: Samus Returns (ab 49,99€ bei kaufen) ist eine "Neuinterpretation" des zweiten Serienteils "Metroid II: Return of Samus", der 1991 für Game Boy erschien.
Erstmal durchatmen, ruhig bleiben und nochmal die Karte aufrufen. Da gibt es ja immer noch die bekannte Route weiter runter, tiefer rein in den Planeten SR388 mit seinen teilweise mutierten Aliens. Aber soll man wirklich so weite Wege zurücklegen, um dann wieder hierher zurückzukehren?

Ein Blick auf die automatisch aktualisierte Karte kann helfen. Schade ist, dass man sie nicht zoomen kann und vieles zu kleinteilig wirkt; schön ist, dass man Stellen darauf markieren kann und dass sie nicht auf Anhieb alles verrät, so dass es genug Geheimnisse wie versteckte Wege gibt. Die brüchigen Stellen kann Samus allerdings jederzeit über ihren neuen Scan-Impuls aufdecken. Aber hatte man da nicht bereits alles gefunden? Es hilft ja nichts, also Waffen raus und nochmal alles absuchen! Viele bekannte Tunnel, Türen und Feinde später findet Samus den unbekannten Bereich: Weil das Leveldesign so verschachtelt ist, hat sie ihn tatsächlich beim ersten Erkunden übersehen. Aber dort wartet genau die Beute, die sie elegant aus dem Krater bringen wird: der Spinnenball!

Das gute Gefühl der Sackgasse

Mercury Steam stellt das Abenteuer über eine 3D-Engine dar und im Gegensazt zum schwarzweißen Original erkundet man natürlich farbenfrohe Labyrinthe.
Damit klebt sie quasi an Wänden, kann hinauf rollen, so dass sich sogar an Decken die entferntesten Gewölbe erforschen lassen. Schon in den ersten Gebieten sorgt dieses "gute Gefühl der Sackgasse" für motivierende Erkundungsreize, weil man auf dem Weg von A nach B nicht nur kämpfen, sondern grübeln und kombinieren muss - und das zieht sich durch das komplette Abenteuer. Wie kommt man durch rot wabernde Säure, an eisblauen Hindernissen vorbei oder so schnell als gerade Vergiftete ins Wasser, dass man nicht stirbt?

Kaum fühlt man sich mächtig, sorgt das Leveldesign für einen architektonischen oder elementaren Konter, teilweise inklusive Zeitdruck: Manchmal muss man erst eine Rakete auf poröse Quader schießen, dann schnell morphen und dort hinauf, bevor er sich wieder materialisiert. An manchen Wänden und Decken klebt dann gelbes Zeug, das den Spinnenball abrutschen lässt. Natürlich sind gerade dort weitere Items oder Wege verborgen, die einen bereits ködern. Aber wie soll man daran vorbei kommen? Geht doch nicht! Also nochmal die Karte aufrufen, das Gebiet scannen...

Viele kleine Aktionen sorgen immer wieder für Anspruch: Manchmal muss man die Bombe des Morphballs mehrfach so geschickt zünden, dass man durch kombinierte Explosionen in höhere Bereiche eines Schachts katapultiert wird. Und spätestens, wenn man Feinde vereisen kann, entstehen weitere coole akrobatische Möglichkeiten: Da schweben z.B. kleine Aliens wie aus einem Geysir in die Luft, die man auf dem höchsten Punkt mit dem Eis treffen muss, damit sie für kurze Zeit erstarren und eine Plattform ergeben, auf der Samus wiederum abspringen kann, um höhere Punkte oder Simse zu erreichen. Es ist klasse, wie vielfältig man in den per Fahrstuhl sowie Teleporter verbundenen Zonen experimentieren und kombinieren kann. Ob man ein neues Gebiet öffnet, hängt meist von erfolgreich aktivierten Apparaten ab, die z.B. den Säurespiegel senken, so dass tiefere Ebenen frei werden. Dafür braucht man allerdings eine bestimmte Zahl an DNS-Beute. Also heißt es: Metroids suchen und besiegen! Aber Vorsicht: Auch in den Kämpfen, vor allem gegen die kleineren und größeren Bosse dieser Art, muss man schnell und clever agieren.

Anspruchsvolle Kämpfe

Mist, ich wollte doch erst als Morphball etwas auf den Feind zurollen, dann die Bombe legen, schnell zurück in die Menschengestalt und dann die Rakete abfeuern, aber...ich hab mich verdrückt...arghs...zu spät...bin tot. Das ineinander fließende Klettern und Kämpfen muss man erstmal verinnerlichen. Denn das freie Zielen per linker Schultertaste plus Analogstick, teilweise aus der hängenden Deckung, sowie der situative Waffenwechsel von Beam zur Eis & Co über Daumentouch, plus rechte Schultertaste für die Rakete, verlangen eine gute Hand-Auge-Koordination. Vor allem, wenn Samus auch noch den Greifhaken oder Supersprünge in petto hat. Schade ist, dass ich nicht das Steuerkreuz als Alternative einsetzen kann. Aber unterm Strich ist auch der Analogstick okay - zudem gibt es feine visuelle Hilfen, denn der orange Suchlaser wechselt z.B. bei Feindkontakt inklusive einem dezenten Pinggeräusch auf Rot. Außerdem gibt es faire Speicherpunkte, vor allem vor Bossen, so dass man selten größere Strecken wiederholen muss.

Hurra, der Konter hat gesessen!
Das kreativste Manöver im Nahkampf ist der Konter: Greift ein Alien an, muss Samus rechtzeitig X drücken, um den Feind abzuwehren und ihn so kurzzeitig für ihre eigene Attacke zu schwächen, die automatisch trifft - was übrigens toll aussieht. Das erfordert etwas Übung, aber erhöht die Spannung. Schade ist jedoch, das einige Feindarten zu häufig vorkommen und linear attackieren, so dass man sich daran gewöhnt. Aber der Konter ist auch in den Bosskämpfen meist der Schlüssel zum Erfolg, wobei man ihn sowie den Waffenwechsel dort noch besser timen muss. Selbst in den kleinen Arenen wird man gefordert, denn die Verhaltensmuster der Monster, die die wertvolle DNS-Beute einbringen, mit der man ihre okkulten Apparate aktiviert, werden mit jeder Stunde komplexer - man muss ständig in Bewegung bleiben, auf Schwächen warten und dann reagieren. Hier merkt man, dass Mercury Steam bereits in Castlevania: Lords of Shadow ein klasse Kampfsystem mit Riposte entwickelt hat.

Außerirdische Tropfsteinhöhlen

Beam, Eis, Rakete? Irgendwas muss doch helfen!
Und nicht nur hinsichtlich des Leveldesigns sowie der Kampfmechanik überzeugen die Spanier: Auch die Präsentation ist klasse! Ich schalte den 3D-Effekt eigentlich immer aus, aber in Metroid: Samus Returns verstärkt er den visuellen Eindruck. Man durchstreift monumental designte Kulissen mit angenehmer Tiefenwirkung und toller Architektur, die teilweise wie außerirdische Tropfsteinhöhlen anmuten. Es gibt Grotten und Katakomben, in denen es wabert, plätschert und wuselt. Außerdem verstärkt die Soundkulisse mit ihren stimmungsvollen Geräuschen das mysteriöse Flair. Wer Metroid auch aufgrund dieser geheimnisvollen Stimmung mochte, wird sich wie Zuhause fühlen.

Frische Zusätze und amiibo-Exklusivitäten

Hinsichtlich der Erzählung halten sich die Spanier zwar an die Chronologie sowie den Plot des Originals vom GameBoy: Um die Wurzel eines Alienübels zu bekämpfen und die so genannten Metroids zu vernichten, ist Kopfgeldjägerin Samus Aran wie ein einsamer Rächer alleine unterwegs - ein stimmungsvolles Intro fasst nochmal alle Ereignisse in einem Rückblick zusammen, so dass auch Einsteiger ohne Kenntnisse des ersten Teils informiert sind. Aber wer aufmerksam erkundet, wird weitere Facetten der Story und viele kleine Zusätze finden, die es so nicht auf dem GameBoy gab. Zum einen hatte man

Einige mutierte Aliens lauern als Bosse auf Samus.
damals nicht diese Vielzahl an Waffensystemen, das Leveldesign war nicht so verschachtelt, es gab keine Karte und auch keine zusätzliche Energie namens Aieon, die Samus z.B. verbraucht, um den Scan der Umgebung einzusetzen. Für meinen Geschmack ist das übrigens zu günstig, so dass man nahezu überall komfortabel die blau leuchtenden Geheimwege finden kann.

Und noch etwas gab es damals nicht: amiibos. Warum ich diese gut designten, aber exklusive Inhalte freischaltenden Figuren nicht mag, habe ich bereits erläutert. Sie schalten nicht nur Bonusgalerien und -spielhilfen, sondern auch einen zusätzlichen Schwierigkeitsgrad namens Fusion-Modus frei. Dieser ist nochmal fordernder als der schwierige Modus, den man auch ohne dieses Spielzeug bekommt, wenn man auf "normal" das Finale erreicht.

Fazit

Wow, das hat richtig Spaß gemacht! Als treuer Begleiter von Samus Aran kann ich nur den Hut ziehen. Mercury Steam hat mich schon in Castlevania: Lords of Shadows begeistert und sie demonstrieren auch hier ihre Designqualitäten. Bei allem Lob für die Spanier darf man Yoshio Sakamoto natürlich nicht vergessen, der als Producer von Nintendo maßgeblich beteiligt war. Sie haben nicht einfach ein altes Metroid vom GameBoy modernisiert, sondern eines der technisch und inhaltlich besten Spiele seiner Art entwickelt. Es gibt viele Interpretationen von Abenteuern in der Seitenansicht - von Hollow Knight über Headlander oder Song of the Deep bis Ori and the Blind Forest. Aber das hier hat auch im Kampf sowie der Akrobatik richtig Biss und trifft meinen Nerv mit seinem angenehm hohen Anspruch. Zwar ist die Steuerung etwas gewöhnungsbedürftig, manche Gegner tauchen zu oft auf, das Sammeln von DNS kann müßig sein und die amiibo-Exklusivitäten nerven. Aber das ist sowohl eine kreative Hommage an die Traditionen als auch über den Konter, die Rätsel sowie die Inszenierung ein frischer Impuls für die Reihe. Hier wird man auf allerhöchstem Niveau unterhalten und durchstreift die bisher ansehnlichsten 3D-Kulissen. Einen besseren Sargnagel für den 3DS konnte es gar nicht geben!

Pro

ausgezeichnete Modernisierung eines Klassikers
sehr ansehnliche Kulissen
kreativer Konter im Nahkampf
hilfreiche Karte mit Notizfunktion
freies Zielen und Schießen in 360-Grad
viele Erkundungsreize und Bonusköder
hervorragendes Art- und Leveldesign
tolle Kombinationen und Akrobatikrätsel
spannende Bosskämpfe
stimmungsvolle Musikuntermalung
kaum überflüssige Laufwege, Lifte & Teleports
angenehmes Speichersystem
markanter 3D-Effekt

Kontra

keine alternative Steuerung (nur Analogstick)
etwas überfrachtete Steuerung
manche Gegner tauchen zu oft auf
Karte lässt sich nicht zoomen
DNS-Sammelei kann müßig werden
Scan-Impuls müsste teurer sein
nervige amiibo-Exklusivitäten

Wertung

3DS

Mercury Steam hat nicht einfach ein altes Metroid vom GameBoy modernisiert, sondern eines der technisch und inhaltlich besten Spiele seiner Art entwickelt.

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