Eine Spinne für alle Fälle
Das Videospiel-Dasein von Spider-Man ist beinahe so alt wie Konsolen: 1982 erschien auf dem Atari 2600 das erste Abenteuer von Peter Parker. Die erste Hochphase, für viele Spidey-Fans sogar die einzige, wurde allerdings erst 2000 von Neversoft im Auftrag von Activision eingeleitet, die dem Netzschwinger seinen ersten 3D-Auftritt verpassten. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit den Spielen, die zum ersten Film-Reboot von Sam Raimi mit Tobey MacGuire in der Hauptrolle unter der Regie von Treyarch entstanden und die einen durch das offene New York City jagen ließen. Zuletzt konnte Activision dem beliebten Superhelden jedoch kaum etwas abgewinnen – vielleicht auch, weil Warner mit Rocksteady und den Batman-Abenteuern Arkham Asylum sowie Arkham City das Superhelden-Spiel in der Zwischenzeit neu definierten.
Die dynamischen Kämpfe werden schick inszeniert.
Und dann kam vor zwei Jahren die überraschende Ankündigung seitens Sony, dass Insomniac Games an einem neuen Spiel rund um Spider-Man arbeitet, das exklusiv für die PS4 erscheinen soll. Und damit war meine Neugier geweckt, die nur von der Hoffnung übertroffen wurde, dass Insomniac nach dem sehr unterhaltsamen Sunset Overdrive erneut ein spaßiges Action-Spektakel in einer offenen Welt abliefern würde. Danach wurde es allerdings ruhig um den Titel. Auf der E3 im Jahr darauf überwogen die negativen Schlagzeilen (Stichwort: Quicktime Reactions) und erst in diesem Jahr wurde in Los Angeles erstmals spielbares Material präsentiert. Immerhin: Die Kollegen, die vor Ort in der zehnminütigen Demo versanken, waren begeistert vom simplen, aber kombolastigen Kampfsystem sowie der dynamischen Bewegung durch das offene New York City. Immer wieder wurden Vergleiche mit Rocksteadys Batman bemüht, wobei die Story-Elemente noch mit Fragezeichen versehen offen blieben.
Aller Einstieg ist leicht
Und zu denen gab es auf dem Vorschau-Event von Sony genug Informationen. Man wird weder die Ursprungsgeschichte neu erzählen noch sich an alten, neuen oder noch kommenden Filmen entlang hangeln. Der Anzug, den Peter Parker im Spiel trägt, hat zwar die beweglichen "Augen", die auch in Spider-Man Homecoming auf dem Kostüm angebracht waren und auch die Musik klingt in ein paar dramatischen Momenten ähnlich wie im Film, der Spidey dem MCU (Marvel Cinematic Universe) hinzufügte. Doch das sind die einzigen Berührungspunkte. Insomniac hat sich in enger Zusammenarbeit mit Marvel auf eine neue Geschichte geeinigt, in der Peter sich schon seit acht Jahren als Superheld durch New York schwingt, während er in einem Zweitjob als Assistent in einem Labor arbeitet und seinen wissenschaftlichen Neigungen nachgeht. Dass er hier nach Feierabend auch seinen Anzug repariert und verfeinert oder hilfreiche Gadgets entwickelt, gehört zu den neuen Geheimnissen, mit denen er im Laufe der Erzählung konfrontiert wird. Abgesehen davon, dass es auch dazu genutzt wird, sich erzählerisch von Homecoming und den von Tony Stark gesponserten technischen Errungenschaften entfernt. Viele andere
Auch Mary Jane Watson ("MJ") fehlt nicht in der Riege bekannter Figuren. Dennoch haben sich Insomniac und Marvel für die Story einige Überraschungen einfallen lassen.
bekannte Charaktere wie Mary Jane Watson (in den meisten Comics sein „Love Interest“) oder seine Tante May tauchen ebenfalls auf, spielen hier aber mitunter leicht andere Rollen als man es von ihnen kennt oder erwartet.
Dadurch wird ein interessantes Spannungsmoment aufgebaut, das Insomniac in die beiden erzählerischen Hauptthemen einbettet: Die Suche nach einem Mentor und die Suche nach einem Partner, die ihn bzw. die jeweils andere Seite seines Wesens (Spidey/Peter) antreiben. Ein Kernsatz, der für die Entwicklung nach Aussage von Insomniac eine große Rolle spielte, war „Die beste Spider-Man-Erfahrung ergibt sich, wenn Spideys und Peters Welten kollidieren.“ Und in den etwa zweieinhalb Stunden, in denen wir sowohl den erzählerischen Einstieg als auch die ersten Schritte in der offenen Welt unternehmen durften, scheint dieses Konzept aufzugehen. Nicht nur, dass man nach einer schick inszenierten Einstiegssequenz ohne große Einleitung durch den urbanen Dschungel schwingt, um „Kingpin“ Wilson Fisk dingfest zu machen. Man lernt während des Tutorials auf dem Weg dorthin nicht nur, wie man sich möglichst effektiv in allen Lebenslagen fortbewegt – was letztlich sehr einfach vonstatten geht und visuell stets ansprechende Ergebnisse liefert. Man wird in ersten unproblematischen Auseinandersetzungen mit dem ebenfalls leicht erlernbaren Kampfsystem konfrontiert. Das setzt im Detail zwar nominell auf weniger Knöpfe als die scheinbar als Vorbild dienenden Gefechte in Rocksteadys Batman-Serie. Dies kompensiert es aber dadurch, dass man die Umgebung stärker einbeziehen und natürlich seine Netzfähigkeit nutzen kann und so schon in der Anfangsphase spektakuläre Gefechte genießen darf. Mit den obligatorischen Levels, die Spider-Man aufsteigen darf, kommen nach und nach neue Kampfmöglichkeiten hinzu, während Spezialfähigkeiten der Anzüge (davon gibt es über 20 freizuschalten) und Upgrades ebenfalls Auswirkungen auf den Verlauf der Auseinandersetzungen haben können.