Gamedesign16.07.2010, Jörg Luibl
Gamedesign

Special:

Im Rahmen unsere neuen Reihe zum Thema Gamedesign in Deutschland konnten wir mit Julian Kücklich sprechen. Er ist Literatur- und Medienwissenschaftler, der sich im Bereich der Game Studies über zahlreiche Publikationen einen Namen gemacht hat. Nach seiner Magisterarbeit zu Erzählstrukturen in Computerspielen (2003) war er an diversen Hochschulen tätig. Wie beurteilt er die Situation für den Nachwuchs in Deutschland?

4Players: Vor fast fünf Jahren haben Sie bei 4Players.de einen Gastbeitrag veröffentlicht: "Die Lust am Mogeln - Die Ästhetik von Cheats ". Interessiert Sie das Thema noch?

Julian Kücklich: Ja, das Thema interessiert mich natürlich weiterhin. Ich habe ja auch meine Dissertation über das Thema "Deludologie" (von lat. deludo - mogeln) geschrieben und denke, dass es ein Forschungsgebiet ist, in dem trotz der Arbeit von Kollegen wie Mia Consalvo (Cheating, MIT Press, 2007) und meiner eigenen Arbeit noch viel zu tun ist.

4Players: Was bedeutet das konkret?

Julian Kücklich: In letzter Zeit interessiert mich insbesondere der politische Aspekt von Cheats. Ich habe zum Beispiel

Julian Raul Kücklich ist Literatur- und Medienwissenschaftler. Er hat an der University of Ulster promoviert und von Oktober 2009 bis Juli 2010 als Dozent und Professor für Gamedesign an der Mediadesign-Hochschule Berlin tätig. Mehr unter http://playability.de .gerade einen Text für eine Ausstellung eines australischen Games-Art-Künstlers, Baden Pailthorpe (http://www.badenpailthorpe.com ), geschrieben. Baden benutzt in seiner Arbeit Cheats, um den politischen Subtext in Spielen wie Call of Duty: Modern Warfare herauszuarbeiten.

4Players: Die Spielewelt präsentiert in Shootern ja meist den aktuellen machtpolitischen Status quo. Werden Cheats auch für gesellschaftliche Botschaften genutzt?

Julian Kücklich: Politisch engagierte Künstler wie Joseph de Lappe benutzen "deludische" Methoden. De Lappes Projekt "Dead in Iraq" (http://www.unr.edu/art/delappe/gaming/dead_in_iraq/dead_in_iraq%20jpegs.html ) besteht z.B. darin, die Namen der im Irak gefallenen Soldaten auf America's-Army-Servern in den Chat einzugeben, was einige Spieler als eine Form des Griefing betrachten.

4Players: Was versteht man genau unter Griefing?

Julian Kücklich: Griefing ist ein Begriff, der ursprünglich aus der MMORPG-Sprache kommt. Er bezeichnet Verhalten im Spiel, das von anderen Spielern als unangenehm, störend, beleidigend oder anstößig empfunden wird. Das Spektrum reicht von harmlosen Streichen bis hin zur sexuellen Belästigung und Erpressung.

4Players: Mittlerweile sind Sie angehender Professor für Gamedesign. An welcher Universität lehren Sie und wie sind Sie in diese akademische Umlaufbahn gekommen?

Julian Kücklich: Bis vor kurzem war ich Dozent für Gamedesign an der Media Design Hochschule Berlin, Anfang Juni wurde ich zum Professor berufen. Leider gibt es da eine aktuelle Änderung, zu der ich aus rechtlichen Gründen nicht weiter Stellung nehmen mächte. Mein offizielles Statement dazu finden Sie unter http://inderst.wordpress.com/2010/07/11/zur-entlassung-julian-kucklichs .

4Players: In der Literatur oder unter Historikern gibt es Schulen, die bestimmte Weltanschauungen oder wissenschaftliche Sichtweisen vertreten. Welche Strömungen gibt es innerhalb der akademischen Spielewelt?

Julian Kücklich: Die sogenannten Game Studies haben sich ja seit Ende der 1990er Jahre geradezu explosionsartig entwickelt und ausdifferenziert. Da ich mich seit dem Jahr 2001 aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Sicht mit Computerspielen beschäftige, konnte ich das "live" mitverfolgen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Disziplinen und Schulen, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Games beschäftigen. Der Streit zwischen "Ludologen" und "Narratologen", der in der Frühzeit der Game Studies für einige heftige Auseinandersetzungen gesorgt hat (an denen ich auch selbst beteiligt war), spielt zum Glück heute nicht mehr so eine wichtige Rolle. Wer sich näher dafür interessiert, kann sich gern meinen Artikel "Invaded Spaces" ansehen, den ich 2007 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift S.P.I.E.L. veröffentlicht habe (http://playability.de/pub/drafts/Invaded_Spaces.pdf ).

4Players: Wie wird das Kulturgut Spiel in den wissenschaftlichen Debatten beobachtet oder analysiert? Was interessiert Geisteswissenschaftler an diesem Medium?

Julian Kücklich: Wichtige Impulse kommen meines Erachtens zur Zeit insbesondere von Theoretikern, die sich bereits seit

Gamedesign in Hamburg: Wir waren an der Hochschule für angewandte Wissenschaften, wo man »Zeitabhängige Medien / Sound-Vision-Games« studieren kann. Was genau ist das? Mehr dazu im Special!längerer Zeit mit neuen Medien beschäftigen und das Thema Games erst jetzt für sich entdeckt haben. Dazu gehören Henry Jenkins, der sich durch seine Arbeit über Fankulturen einen Namen gemacht hat, McKenzie Wark, der sich lange Zeit mit der Hacker-Kultur beschäftigt hat und Alexander Galloway, der mit Protocol (MIT Press, 2004) ein wegweisendes Buch über Kontrolle und Macht im Internetzeitalter vorgelegt hat.

Klar ist, dass es bei all diesen Themen Überschneidungsbereiche mit der Computerspielkultur gibt und gerade diese transdisziplinäre Herangehensweise finde ich sehr spannend und fruchtbar. Aber auch die Arbeit von Wissenschaftlern aus den klassischen Game Studies, z.B. Jesper Juul, Ian Bogost und Nick Montfort, hat sich weiterentwickelt und spezialisiert, z.B auf Casual Games (Juul), Persuasive Games (Bogost) und Textadventures (Montfort). Zusätzliche Impulse kamen von Ethnologen wie TL Taylor und Celia Pearce, Ökonomen wie Edward Castronova, Juristen wie Jack Balkin und Beth Noveck und Gamedesignern wie Eric Zimmerman, Katie Salen und Celia Pearce.

Man sollte aber auch nicht vergessen, dass auch die Informatik weiterhin wichtige Grundlagenarbeit für die Computerspielentwicklung und -forschung leistet. Deshalb war ich sehr froh an der MDH in einem interdisziplinären Team mit Informatikern und einem Gamedesigner zusammenzuarbeiten. Ich habe in den neun Monaten, die ich dort war, sehr viel von den Kollegen gelernt. Sehr spannend für mich war zum Beispiel die Zusammenarbeit an The DeadLine, über das 4Players ja auch berichtet hat.        

4Players: Ja, das kam auch bei unseren Lesern gut an. Können Sie interessierten Lesern eine Lektüre für den Einstieg in die Welt der Spielwissenschaften empfehlen, die man ohne Latinum verstehen kann?

Julian Kücklich: Das gerade erschienene Buch von Celia Pearce (und ihrem Avatar, Artemesia) über die Uru-Diaspora, das ich zur Zeit lese, ist sehr empfehlenswert und auch sehr leserfreundlich geschrieben (Communities of Play, MIT Press, 2009).

4Players: Was ist Ihnen als Dozent für Gamedesign wichtig? Welche Werte und Unterrichtsstoffe wollen Sie vermitteln?

Julian Kücklich: Mir ist vor allem wichtig, dass die Studenten lernen, dass in Computerspielen nicht notwendigerweise Elfen, Drachen und Zwerge oder Raumschiffe und futuristische Wummen vorkommen müssen. Im Moment produziert die Spielindustrie ja viele Spiele, die sich sehr stark an etablierten Mustern und Genres orientieren, während innovative Konzepte vor allem aus der Independent-Szene und aus dem Social- und Mobile-Bereich kommen.

Deshalb haben meine Kollegen und ich zum Beispiel die Gamedesignerin Heather Kelley zu einem Vortrag an die MDH eingeladen. Heather war in der Vergangenheit bei Ion Storm und Ubi Soft an großen Produktionen wie Thief und Splinter Cell beteiligt, aber in letzter Zeit kümmert sie sich als eine der Kuratorinnen des GAMMA-Festivals vor allem um den Nachwuchs aus der Indie-Szene (http://www.kokoromi.org/gamma01 ).

4Players: Es geht also während des Studiums nicht nur um das Analysieren des spielerischen Mainstreams, sondern auch um die Sensibilisierung für kleinere, aber evtl. wertvollere Aspekte?

Julian Kücklich: Ja, auch der Experimental Games Club (EGC) an der MDH, der von meinem Kollegen Thomas Langhanki konzipiert und vom Fachbereich Gamedesign gegründet wurde, ist ein Versuch, die Genres und Konventionen der Computerspielkultur ein Stück weit aufzubrechen. Bis zuletzt haben wir gemeinsam mit den Studenten aller drei Jahrgänge an einem Spielkonzept zum Thema kulturelle Differenz auf Basis einer Comicvorlage von Shaun Tan (The Arrival) gearbeitet. Das war für die Studenten und uns sehr spannend, weil wir mit lose strukturierten Teams (Gamedesign, Art, Programmierung) gearbeitet haben, die sich gegenseitig mit ihren Ideen inspiriert haben.

4Players: Wir Tester üben ja jeden Tag Kritik an Spielen, reden über Fehler und Schwächen. Wie wichtig ist die Kritik in einem Studium für Gamedesigner?

Julian Kücklich: Was die Werte und Skills betrifft, die ich in meinen Seminaren vermitteln will, sind an erster Stelle kritisches Denken und analytische Fähigkeiten zu nennen. Denn meines Erachtens muss ein guter Gamedesigner alles hinterfragen und in der Lage sein Spiele konzeptuell auseinander zu nehmen und neu wieder zusammenzusetzen. Bahnbrechende Innovationen sind ja nicht nur in der Computerspielwelt eher selten. Aber wer ein gutes Gespür dafür hat, wie Spiele funktionieren, kann auch selbst gute neue Spielkonzepte entwickeln.

Ich will aber auch Bewusstsein dafür schaffen, dass Games-Entwicklung nicht im luftleeren Raum stattfindet. Es gibt dabei ethische, soziale, politische und ökonomische Fragestellungen, mit denen sich angehende Gamedesigner auseinandersetzen sollten. Auch theoretische Herangehensweisen sind für Gamedesigner sehr wichtig, weil Theorie ein Werkzeug ist, um konventionelle Denkmuster aufzubrechen. Es ist zwar nicht immer ganz einfach den Bezug zwischen Theorie und Praxis herzustellen, aber wenn es gelingt, ist das sehr produktiv.

4Players: Worum ging es in Ihrem letzten Seminar?

Julian Kücklich: Mein aktuelles Seminar "Vektorgrafik und Animation" konnte ich leider nicht zu Ende führen. Das tut mir insbesondere für die Studenten im zweiten Semester Gamedesign an der MDH Berlin leid. Sie waren mit großem Interesse und Eifer dabei, weil das Seminar auch der Vorbereitung ihres 2D-Projekts dient. Das ist die erste große "Bewährungsprobe" für die Gamedesigner an der MDH.

Zuvor habe ich im vierten Semester Spielregeln und dann Projektmanagement unterrichtet. Besonders das Projektmanagement-Seminar hat viel Spaß gemacht, weil die Studenten in Eigenregie eine Ausstellung über Computerspielgeschichte für die Lange Nacht der Wissenschaften an der MDH konzipiert und organisiert haben. Die Ausstellung war bei den Besuchern ein riesiger Erfolg und ich war wirklich sehr stolz, dass die Studenten das so professionell gemacht haben. Und nicht nur die Studenten, sondern auch ich, haben dabei sehr viel über Gruppendynamik und die Arbeit in einem großen Team gelernt.

Ansonsten standen bei meinen Studenten in den letzten beiden Semestern z.B. "Spielregeln", "Soziale und ethische Aspekte von Computerspielen" und "Kommunikationsdesign" im Stundenplan. Als nächstes hätten wir uns dann mit "Virtuellen Welten" beschäftigt. Dieses Modul war bei den Studenten in Vergangenheit sehr beliebt, weil ich dabei eine virtuelle Währung, die "Goldenen Kücklichs" (GK) eingeführt habe. Dafür gab es zwar nichts zu kaufen, aber wir haben viel darüber gelernt, wie virtuelle Ökonomien funktionieren. Wenn ich mich richtig erinnere stand der Kurs zuletzt bei 1.000.000 GK zu einem WoW-Goldstück.

4Players: Welche Voraussetzungen sollte man als Student mitbringen, um Gamedesigner zu werden?

Julian Kücklich: Zunächst natürlich ein großes Interesse für Spiele und zwar nicht nur für Computerspiele , sondern auch Brett- und Kartenspiele, Gesellschaftsspiele etc. Wichtig ist auch die Fähigkeit strukturiert zu denken und zielstrebig und diszipliniert zu arbeiten. Kreativität spielt natürlich auch eine wichtige Rolle, wobei es mir wichtig ist hervorzuheben, dass nicht nur Gestalter (Konzeptkünstler, Animatoren, Modellierer etc.) kreativ arbeiten, sondern selbstverständlich auch Programmierer.

Als angehender Gamedesigner sollte man auf jeden Fall auch andere Interessen mitbringen, da ein guter Game Designer in der Lage sein muss, über den Tellerrand seines Fachgebiets hinaus zu sehen. Alle anderen Fähigkeiten, egal ob es sich um Programmierung, Gestaltung, Projektmanagement oder betriebswirtschaftliche Kenntnisse handelt, werden normalerweise im Rahmen eines Gamedesign-Studiengangs vermittelt.

Bei der Auswahl einer geeigneten Akademie oder Hochschule sollten die Bewerber daher darauf achten, dass die Vielfalt des Berufsbildes auch im Curriculum sichtbar wird. Gamedesign ist nun mal grundsätzlich ein interdisziplinäres Feld und die Studiengänge sollten entsprechend strukturiert sein.  

4Players: Was ist der Unterschied zwischen einer staatlichen und einer privaten Hochschule im Bereich des Lehrens?

Julian Kücklich: Der Unterschied besteht grundsätzlich erst mal in der sogenannten Betreuungsdichte, d.h. dem Verhältnis von Dozenten zu Studenten. An privaten Hochschulen ist dieses Verhältnis oft sehr gut, also ca. 1:10 bis 1:20, was bedeutet, dass die Studierenden eigentlich immer einen Ansprechpartner haben. An staatlichen Hochschulen ist das Verhältnis gerade in den Bachelorstudiengängen meist schlechter, aber ich habe dazu keine genauen Zahlen. Ich muss aber fairerweise dazu sagen, dass sich die staatlichen Hochschulen bemühen, die Betreuungsdichte zu erhöhen.

Private Hochschulen haben oft auch bessere Budgets für externe Lehraufträge. Das heißt, dass es ihnen leichter fällt, Spezialisten aus der Industrie als Lehrbeauftragte einzusetzen. Damit will ich natürlich keineswegs die Qualifikationen der Kollegen an den staatlichen Hochschulen in Frage stellen. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung bei der Anwerbung externer Dozenten, wie schwierig es ist qualifizierte Leute für spezielle Themen wie z.B. Shader-Programmierung zu finden. Denn mit den Gehältern und Honoraren, die in der Industrie gezahlt werden, kann weder eine private noch eine öffentliche Hochschule mithalten.

4Players: Welche anerkannten Abschlüsse gibt es in Deutschland für Gamedesigner?

Julian Kücklich: Die staatlich anerkannten Abschlüsse sind entweder Berufsausbildungen oder tatsächliche wissenschaftliche Studiengänge, die zum Bachelor of Arts (B.A.), Bachelor of Science (B.Sc.) oder zum Master of Arts/Science (M.A. oder M.Sc.) führen. Daneben gibt es natürlich auch noch eine Vielzahl nicht akkreditierter Ausbildungen und Studiengänge.

Die wissenschaftlichen Studiengänge haben den Vorteil, dass sie neben dem praktischen Handwerkszeug auch gute theoretische Kenntnisse vermitteln, während die Ausbildungen oft wesentlich praxis- und projektorientierter sind. Die Ausbildungen sind daher eher für den schnellen Einstieg in die Industrie geeignet, während auf Basis eines wissenschaftlichen Abschlusses eine längerfristige Karriereplanung möglich ist.

Die Bachelor- und Master-Studiengänge zielen darauf ab, die Absolventen in mittlere oder auch höhere Managementpositionen zu bringen. Ich muss aber dazu sagen, dass in der Industrie oft viel stärker auf das Know-How und die Projekterfahrung geachtet wird als auf Abschlüsse und Noten.

Ein wissenschaftlicher Abschluss bietet natürlich auch die Möglichkeit zur akademischen Weiterqualifizierung, bis hin zur Promotion. Im Moment gibt es zwar meines Wissens in Deutschland keine Doktorandenprogramme für Gamedesigner, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Unser Team an der MDH hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt, aber wir sind aufgrund der uneinheitlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern zu keinem abschließenden Ergebnis gelangt.

4Players: Wenn man sich das Studienangebot für kommende Gamedesigner anschaut: Welche Qualität hat die deutsche Hochschulausbildung und was könnte man verbessern?

Julian Kücklich: Deutschland hat sich aus kulturellen und politischen Gründen mit der Einrichtung von Gamedesign-Studiengängen lange sehr schwer getan. In dieser Zeit ist vor allem in den USA, Großbritannien und Asien viel Aufbauarbeit geleistet worden. Das macht es für deutsche Hochschulen sehr schwer, Gamedesign-Studiengänge auf internationalem Niveau anzubieten. Auch der Fachkräftemangel ist natürlich ein Problem: sowohl die deutsche Games-Industrie, als auch die deutsche Games-Forschung sind insgesamt, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht auf internationalem Niveau.

Die privaten Hochschulen und Akademien haben in diesem Bereich Pionierarbeit geleistet. Die öffentlichen Hochschulen sind ja erst später auf den Zug aufgesprungen, als sie gesehen haben, dass es einen Bedarf für diese Studiengänge gibt. Allerdings habe ich den Eindruck, dass einige private Hochschulen zu schnell gewachsen sind und noch Nachholbedarf in Bezug auf wissenschaftliche Arbeit und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses haben.

Meine Kollegen und ich haben uns während meiner Zeit an der MDH sehr dafür eingesetzt, diese Maßnahmen voranzutreiben, aber natürlich sind neun Monate eine zu kurze Zeit, um solche grundlegenden Änderungen durchzusetzen. Man muss ja auch sehen, dass die meisten privaten Hochschulen privatrechtliche GmbHs sind, die nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten über den Einsatz ihrer Mittel entscheiden müssen. Aber das ist ein Thema, das viele private Hochschulen betrifft, nicht nur die, die Gamedesign anbieten.

Ich denke aber, dass gerade an den staatlich akkreditierten Hochschulen die Qualität der Dozenten und der Ausstattung auf einem zufriedenstellenden Niveau ist. Es gibt natürlich Verbesserungsbedarf, aber man darf nicht vergessen, dass wir uns hierzulande immer noch in der Aufbauphase befinden, während es in anderen Ländern etablierte Studiengänge gibt, deren Studenten und Absolventen international erfolgreich sind.

4Players: Es gibt in Deutschland einige Akademien, die sehr viel Geld für die Ausbildung zu einem Artist, Programmierer oder Gamedesigner verlangen. Würden Sie jungen Studenten zu der Investition raten?

Julian Kücklich: Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, weil neben der persönlichen finanziellen Situation, der Qualität der Dozenten und der Ausstattung an der Hochschule, der Betreuungsdichte und der angestrebten Position in der Industrie auch noch weiter gehende Faktoren berücksichtigt werden müssen. Klar ist, dass internationale Abschlüsse mehr wert sind, aber teilweise auch erheblich mehr kosten. Klar ist auch, dass die Absolventen international bessere Chancen haben, wenn sie ihr Studium an einer englischsprachigen Hochschule absolvieren. Der deutsche Markt ist ja im internationalen Vergleich sehr klein.

Wenn die deutschen Hochschulen Gamedesigner ausbilden wollen, die sich auch international gegen die starke Konkurrenz durchsetzen wollen, müssen sie sich sehr anstrengen. Hier führt der Weg meines Erachtens nur über ein stärkeres Engagement in Wissenschaft und Forschung, internationale Kooperationen (also z.B. Austauschprogramme für Studenten, Dozenten und Absolventen), stärkere lokale Vernetzung und die Verpflichtung renommierter Dozenten und Gastprofessoren.

Meine ehemaligen Kollegen und ich sind ja international gut vernetzt und es ist uns gelungen international renommierte Gamedesigner wie Heather Kelley (siehe oben), Katie Salen (die Mitverfasserin der "Gamedesign-Bibel" Rules of Play) und Richard Bartle (der Miterfinder des MUD und Autor von Designing Virtual Worlds) für Gastvorträge an der MDH zu gewinnen. Ich hoffe, dass es den Kollegen gelingt, darauf aufzubauen und Leute solchen Kalibers für Gastprofessuren und für die Durchführung von Workshops, Master Classes und Summer Schools zu gewinnen.

Ich denke nur so wird es den privaten Hochschulen mittel- und langfristig möglich sein, sich gegen die Konkurrenz der staatlichen zu behaupten und die Abwanderung potenzieller Bewerber ins Ausland einzudämmen. Aber es ist natürlich klar, dass die Bewerber nur dann bereit sein werden, die hohen Studiengebühren zu bezahlen, wenn sie dafür einen echten Mehrwert erhalten.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das natürlich ein schwieriges Thema, weil viele private Hochschulen vor den damit verbundenen Investitionen zurückschrecken. Aber angesichts der momentanen Situation im Ausbildungsmarkt und der großen Umbrüche in der Gamesbranche bleibt den Hochschulen aus meiner Sicht keine Alternative.

4Players: Wenn Sie auf die letzten fünf Jahre des Mediums Spiels zurückblicken: Was hat sich innerhalb des Gamedesigns auf der einen und innerhalb der Gesellschaft auf der anderen Seite verändert?

Julian Kücklich: Genau zu diesem Thema habe ich gerade letzte Woche auf der Games Convention Online in Leipzig gesprochen, aber ich will Ihnen jetzt keinen 40-minütigen Vortrag halten. Im Wesentlichen kann man sagen, dass die Gamesbranche gerade auf allen Ebenen - Business-Modelle, Design, Zielgruppen, gesellschaftliche Akzeptanz, Technologie, etc. - eine große Transformation erlebt. Einige Trends sind positiv, zum Beispiel die Erschließung neuer Zielgruppen und die größere gesellschaftliche Akzeptanz von Games, die damit einhergeht.

Andere Entwicklung betrachte ich mit Sorge, z.B. die rapiden Veränderungen bei den Vertriebswegen und Geschäfts- und Finanzierungsmodellen. Hier besteht die Gefahr, dass klassische Developer, die jahrelang an einem Titel arbeiten, quasi über Nacht von jungen, agilen Mobile- oder Social-Games-Developern ausgebootet werden. Die Gamesindustrie muss als ein Art Ökosystem betrachtet werden, in dem starke Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Sektoren bestehen. Das gerät dann durch solche Entwicklungen schnell aus dem Gleichgewicht, mit möglicherweise schlimmen Folgen für die Firmen und ihre Mitarbeiter.

Ich habe auch im Rahmen meines Antrittsvortrags als Professor an der MDH über dieses Thema gesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass die Gamedesign-Ausbildung zwar ein Stück weit immun gegen Trends sein muss, aber dass diese Trends natürlich genau beobachtet werden müssen, um die Leute nicht am Markt vorbei auszubilden. Auch hier haben viele ausländische Hochschulen einen Vorteil, weil sie einfach näher an den internationalen Zentren der Gamesentwicklung sind. Angesichts der aktuellen Situation im Gamesmarkt werden sich deutsche Entwickler, Publisher und Bildungseinrichtungen innovative Konzepte überlegen müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren.

4Players: Vielen Dank für das Gespräch.    

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.