Defender of the Crown20.04.2015, Jörg Luibl

Special: Der strahlende Amiga-König

Gibt es so etwas wie einen tragischen König der Klassiker? Ein Spiel aus der Vergangenheit, das zu seiner Zeit nur so vor Ruhm und Pracht strotzte, dem man voller Inbrunst am Joystick huldigte, aber das man heute so belächelt wie die Monarchie oder Röhrenfernseher? Vielleicht ist es Defender of the Crown (ab 19,95€ bei kaufen) aus dem Jahr 1986.

Angelsächsisches Feuerwerk

Wow! Einfach nur grandios! Verdammt, das sieht so klasse aus, dass man Schwert und Lanze fast spüren kann – das ist ja wie im Film! Wie die Zeit doch vergeht, wie die Polygone mutieren und die Euphorie verfliegt. So ungefähr hab ich jedenfalls Ende der 80er noch gestaunt, als Defender of the Crown auf einer 15-Zoll-Röhre flimmerte, die ein Amiga 500 mit Motorola-68000-Prozessor und 512 Kilobyte Arbeitsspeicher befeuerte.

Wer kann England von den Normannen befreien und die Krone sichern? (Amiga)

Das Spiel hatte - isses zu glauben? - ein animiertes Hauptmenü, sah nicht nur fantastisch aus und verströmte unheimlich edles Flair im Stile klassischer Abenteuer-Filme wie Ivanhoe - Der Schwarze Ritter (1952). Es lebte auch von seiner lebendigen Regie mit tollen Überleitungen, plötzlichen Ereignissen sowie der lieblichen Musik von Richard Joseph. Das Spieldesign servierte zumindest einen frischen Mix aus Action und Strategie: In der Rolle eines von vier angelsächsischen Fürsten konnte man beginnend im Jahr 1149 mit einer Burg und nur zehn Soldaten jede Runde weitere Provinzen von den Normannen oder Angelsachsen  erobern, seine Armee aufstocken, aber auch Turniere veranstalten, Überfälle organisieren, Einnahmen sichern und sogar aktiv kämpfen.

Strategie und Action, Filmflair und Minispiele

Im Angesicht der Lanze: Die Action in Turnieren sorgte für Abwechslung. (Amiga)

"Wilfried of Ivanhoe", "Cedric of Rotherwood", "Geoffrey Longsword" oder "Walfric the Wild" hatten unterschiedliche Werte in den Bereichen Führung, Lanzen- sowie Schwertkampf. Heute wirken Letztere wie simple Minsipiele, aber damals waren das coole Herausforderungen in Echtzeit abseits der Eroberung. Sie bereicherten das ansonsten strategische Spielgefühl und trugen mit dazu bei, dass man sich regelrecht ins Mittelalter katapultiert fühlte – selbst Ladies konnte man als tapferer Haudegen befreien! Vieles an diesem gemischten Konzept erinnert an Sid Meier's Pirates, aber wo Letzteres zum unumstrittenen Kult wurde, verblasste der Glanz des Mittelalter-Abenteuers über die Jahre.

Gerade aus heutiger Sicht war auch die militärische Herausforderung schrecklich simpel: Man heuerte lediglich Soldaten und Ritter an, um mit ihnen zu verteidigen oder zu erobern, wobei einfach die Statistiken der Mannstärke nebeneinander runter rechneten – es gab also weder Formationen noch Manövertaktik oder gar eine Darstellung der Gefechte im Gelände. Man konnte lediglich aggressiv angreifen, defensiv standhalten oder fliehen. Spektakulärer waren da schon die Burginfiltrationen bei Nacht sowie die coolen Belagerungen, bei denen man mit Katapulten Löcher in die Mauern schießen konnte.

Eine Lady befreien? Dynastische Hochzeiten stilvoll feiern? Alles möglich. (Amiga)

Auch wenn heute vieles am Spieldesign sehr simpel anmutet: Damals war Defender of the Crown für mich der König unter den Zeitfressern, obwohl der Begriff Grafikblender schon durch die Gazetten geisterte. Aber das war eine Ära, in der der Amiga zu dem Spielecomputer schlechthin avancierte, gerade weil die Kulissen dort so brillierten. Der künstlerische Leiter James D. Sachs nannte den Commodore nicht ohne Grund die "ultimate artist's machine". Der Kampf um die englische Krone wurde zum Symbol für die Power des Heimcomputers und auch ein Fingerzeig für die Zukunft filmischer Inszenierung in Videospielen. Denn genau darauf wollten sich Phyllis und Bob Jacobs konzentrieren, als sie anno 1986 Cinemaware gründeten.

Aufstieg aus dem Nichts, unrühmliches Ende

Das schwache Remake setzte im Jahr 2003 nicht mehr auf vier Fürsten, sondern auf Robin Hood als Stargast und Ladies in lasziver Pose - aber die konnten das primitive Spieldesign auch nicht retten. (PC)

Dabei hatte das Team alles andere als Erfahrung: Defender of the Crown war tatsächlich das erste Spiel der Kalifornier – und gleich der Gründungshit. Und das, obwohl die Entwickler unter großem Zeitdruck standen und einige Mechaniken nicht finalisieren konnten; Pech bei Belagerungen war z.B. erst in späteren Versionen verfügbar. Angesichts des Erfolges waren Umsetzungen für andere Systeme wie C-64, Amstrad, Atari ST & Co zwangsläufig; selbst GBA sowie NES wurden berücksichtigt. Aber selbst wenn noch einige interessante Spiele wie das Action-Adventure „It Came from the Desert“ (1989) oder die Flugsimulation „Wings“ (1990) folgten, konnte die Insolvenz im Jahr 1991 nicht abgewehrt werden – übrigens auch aufgrund von Raubkopien.

Auch wenn der Nachruhm von Defender of the Crown stark bröckelt, ist es einer der prägenden Klassiker. (Amiga)

Der Nachruhm von Defender of the Crown sollte dann nochmal helfen, den im Jahr 2000 wiederbelebten Publisher in die Erfolgsspur zu bringen. Aber bei aller Nostalgie: Es gibt Klassiker, für die man sich ein Remake schwer vorstellen kann, weil das Spieldesign einfach nicht gut altert. Das demonstrierte dann auch Robin Hood: Defender of the Crown, das 2003 für PC, PS2 sowie Xbox erschien. Die Neuauflage fokussierte sich auf den sagenhaften Helden und konnte nicht mehr an die Faszination alter Tage anknüpfen. Sehr schonunglos traten vor allem die Defizite im Spieldesign zutage. Bei uns im Test (Wertung: 61%) hatte Robin in seinen Strumpfhosen große Probleme: „Diese Neuauflage hätte man sich wirklich sparen können.“ Daran konnte auch die Mithilfe von Kellyn Beeck nichts ändern, der ursprüngliche Spieldesigner von 1986. Er war übrigens auch involviert im unrühmlichen Age of Empires Online (2011). Also: Ruhe lieber in Frieden, Defender of the Crown!

 
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