Comanche: Operation White Lightning06.05.2011, Paul Kautz
Comanche: Operation White Lightning

Special:

Manchmal braucht man zur Lösung eines Problems einen Hubschrauber. Schwer bewaffnet muss er sein, agil, idealerweise fürs gegnerische Radar unsichtbar. Und er muss noch nicht einmal in Wirklichkeit existieren, das erhöht den Spaßfaktor nur! Wie damals, im Jahr 1992...

»640KB ought to be enough for anybody« (angeblich Bill Gates, irgendwann in den 80ern)

Grafik, die die Kinnlade verschiebt: Ende 1992 gab es kein besser aussehendes Spiel als Comanche!
Grafik, die die Kinnlade verschiebt: Ende 1992 gab es kein besser aussehendes Spiel als Comanche!
Heutzutage ist das Spielen für PC-Freunde einfach: DVD einlegen, installieren, evtl. noch das eine oder andere Gigabyte an Patches saugen, loslegen, über Bugs ärgern. Anfang der 90er Jahre, zur Hochphase von MS-DOS, war das lange nicht so leicht - was meist mit dem Speicher zu tun hatte. Vor DOS-Extendern und dem Flat-Modell von Windows 95 war RAM in Ebenen eingeteilt: Es gab den konventionellen Systemspeicher (maximal 640KB), dann UMA (Upper Memory Area) und HMA (High Memory Area) für Systemprogramme - und erst danach den erweiterbaren Speicher in Form von EMS (Expanded Memory) oder XMS (Extended Memory). Das Phänomen der »Bootdiskette« existiert heute nur noch in Märchen und Schauergeschichten, doch damals war es Standard, für jedes aufwändigere neue Spiel erstmal eine spezielle Bootdisk anzulegen, damit das olle Teil auch richtig lief - bzw. ab MS-DOS 6.0 einfach eine ausufernd lange autoexec.bat zu programmieren, so dass man direkt zum Start bequem die richtige Konfiguration für sein Lieblingsspiel wählen konnte.

»Der spinnt doch!« (Paul Kautz, 1992)

Comanche war in dieser Hinsicht eine Diva. Denn die Segnungen von Speichermanagern wie QEMM oder EMM386 vertrug es gar nicht, kein derartiges Programm durfte seinen Dienst verrichten, da Comanche im so genannten »Native Modus« lief, der sich mit ihnen nicht vertrug. Dadurch wurde umso weniger Grundspeicher frei, von dem das gute Stück Software natürlich ebenfalls extraviel wollte. Richtig fies wurde es mit der CD-Version, denn der CD-Treiber musste auch noch in den Speicher gequetscht werden. Kurz gesagt: Damals war der Start eines Spiels noch richtige Männerarbeit. Und Comanche zum Laufen zu bekommen war eine Aufgabe für Chuck Norris!

Die Gegner waren dumm wie Stroh, aber dennoch kreuzgefährlich. Vor allem gegnerische Helikopter gingen gerne mal auf Kollisionskurs...
Die Gegner waren dumm wie Stroh, aber dennoch kreuzgefährlich. Vor allem gegnerische Helikopter gingen gerne mal auf Kollisionskurs...
Aber es lohnte sich. Ooooooh ja, es lohnte sich. Man muss im Hinterkopf behalten: Ende 1992 sahen 3D-Spiele noch so aus . Comanche hingegen sah so aus. Wer jemals die selbstlaufende Demo in einem Spieleladen oder im Kaufhaus mit eigenen Augen erleben konnte, war unfähig, a.) seinen Augen jemals wieder zu trauen und b.) die Sabbersturzbäche zu kontrollieren. Es sah nicht nur verdammt gut aus, sondern viel zu gut für die damalige Zeit. VGA-Karten setzten sich gerade durch, Spiele wie Wing Commander 2 oder kurz darauf Strike Commander (das wir hier besprochen haben) machten deutlich, wieso man ohne die Power von 256 Farben einfach nicht mehr leben wollte bzw. sollte. Aber trotzdem: Wo kam diese 3D-Grafik her, die wunderbar hügelige Landschaften ermöglichte, während die Konkurrenz nur untexturierte, bestenfalls flach schattierte Polygone auf die Reihe bekam?

Die Antwort lautet: Aus der Medizintechnik. Dort werden so genannte Voxel (ein Kunstwort aus »Volume« und »Pixel«) schon seit vielen Jahren verwendet, um dreidimensionale Darstellungen des Körpers zu ermöglichen - z.B. in der Magnetresonanztomographie. In der interaktiven Unterhaltung spielten sie dagegen bis 1992 keine Rolle. Eines Tages wurde Programmierer Kyle Freeman auf die Technik aufmerksam und experimentierte mit ihr. Das Resultat der Bemühungen in Assembler war ein 3D-System, mit dem sich nach damaligen Schätzungen etwa 500 mal so viele Details in eine 3D-Landschaft packen ließen wie mit herkömmlicher Polygontechnik! Klar ist das eine Milchmädchenrechnung, denn wer seine nach dem ersten Schock herausgefallenen Augen wieder eingekurbelt hatte, stellte schnell fest, dass die Comanche-Landschaft zwar phänomenal aussah, es außer den Hügeln aber nicht viel zu sehen gab. Genau genommen existierte nur ein Gebäude im Spiel (eine Maya-Pyramide) sowie ein

Dans le dunkel c'est bon munkel: Der Restlichtverstärker verschaffte Übersicht in pechschwarzer Nacht.
Dans le dunkel c'est bon munkel: Der Restlichtverstärker verschaffte Übersicht in pechschwarzer Nacht.
Landestreifen; spätere Missionsdisketten erweiterten die Sehenswürdigkeiten um ein paar Bäume. Außerdem hatte das Voxel-System den großen Nachteil, dass ebenjene Pixel aus der Nähe betrachtet extrem blockig aussahen - für eine höhere Auflösung war die Technik seinerzeit einfach zu schwach.

Zu Tode gerast

Anfang der 90er hatte niemand NovaLogic auf dem Radar. Die Kalifornier hatten 1990 die solide U-Boot-Sim WolfPack entwickelt, aber sonst nicht viel mehr - in Sachen Simulation führte damals kein Weg an MicroProse oder Spectrum Holobyte vorbei. Und dann wurde auf der 1992er ECTS einfach das fast fertige Comanche - Maximum Overkill (das bei uns den weniger Krachbumm-kompatiblen Untertitel »Operation White Lightning« trug) aus dem Hut gezaubert, das grafisch die komplette anwesende Konkurrenz hohnlachend auf die Plätze verwies: Das (kurz darauf patentierte) »VoxelSpace«-System zeigte hügelige Landschaften, in denen es keinen geraden Meter gab; grüne Auen, Kraterberge, verschneite Regionen, Schluchten, Täler, Seen, Flüsse - mit der ersten Missionsdisk kamen sogar noch Reflexionen auf den Wasseroberflächen und verschiedene Wettereffekte dazu! All die Pracht durfte aus mehreren Perspektiven bestaunt werden: Cockpit, Blick nach links, rechts oder auf den hinten sitzenden Copiloten sowie mehrere Außenansichten waren möglich.

So grandios die VoxelSpace-Engine auch Landschaften darstellen konnte, so schlecht war sie beim Rest: Es gab kaum Polygonobjekte im Spiel, Gegner bestanden aus grob aufgelösten und animierten Sprites.
So grandios die VoxelSpace-Engine auch Landschaften darstellen konnte, so schlecht war sie beim Rest: Es gab kaum Polygonobjekte im Spiel, Gegner bestanden aus grob aufgelösten und animierten Sprites.
Hinter den blauen Augen lauerte allerdings auch eine hässliche Fratze: Außer der Landschaft und den beiden 3D-Objekten bestand alles andere aus extrem niedrig aufgelösten Bitmaps - gegnerische Helikopter und Panzer zuckelten und hopsten wild durch die Botanik, die Explosionen waren extrem blockhaft. Außerdem war die Landschaft eine mittlere Mogelpackung: Das tatsächliche Einsatzgebiet war ziemlich klein und drehte sich quasi im Kreis; flog man stur geradeaus, kam man immer wieder an denselben Objekten vorbei. Und witzigerweise hatte Comanche zwar ziemlich hohe Hardwarevoraussetzungen (ein 486er und mindestens vier MB RAM sollten idealerweise im Gehäuse ihren Dienst verrichten), aber zu hoch durften sie dann doch nicht sein: Wie z.B. auch bei Wing Commander 2 hatten die Entwickler keine Frameraten-Obergrenze definiert - je schneller die CPU schuftete, desto flotter flitzte der Komantsche dahin. Resultat: Ab einem Pentium-Prozessor lief das Ganze unspielbar schnell. Spätere Missionsdisks wurden daher mit einem Patch ausgeliefert, der das Spiel künstlich verlangsamte; auf der alle Extramissionen (insgesamt waren es 100!) zusammenfassenden CD-Version pappte sogar ein Aufkleber mit folgendem Text: »Auch lauffähig auf Pentium-Systemen« - das war mal was Neues!

Rambo am Steuer

1992 war der Boeing-Sikorsky RAH-66 Comanche noch reine Prototyp-Zukunftsmusik: Erst 1996 hob der erste Helikopter tatsächlich ab (und ging kurz darauf auch schon wieder zu Boden - das Programm wurde 2004 eingestellt). Und wenn schon Zukunft, dann richtig, weswegen das Spiel auch im Jahre 2002 handelt: Vor neun Jahren haben also Drogensyndikate die Weltherrschaft übernommen und müssen nun vom mutigsten Helikopterpiloten aller Zeiten mit Raketenpower auf den rechten Weg gebombt werden. Und es hat schon seinen Grund, warum der Packungstext nur hinsichtlich der Grafik immer wieder das Wort »realistisch« bemühte - spielerisch war Comanche Arcade pur: Die drei Waffensysteme (MG, Stinger- und Hellfire-Raketen) waren gut beladen,

Die Landschaft bot mehr als genug Abwechslung - man schwirrte über grüne Auen, verschneite Hügel und an Vulkankratern entlang. Mit späteren Missionsdisketten gab es sogar reflektierende Wasseroberflächen.
Die Landschaft bot mehr als genug Abwechslung - man schwirrte über grüne Auen, verschneite Hügel und an Vulkankratern entlang. Mit späteren Missionsdisketten gab es sogar reflektierende Wasseroberflächen.
das Flugmodell war extrem simpel, das Missionsdesign beschränkte sich auf mehr oder weniger ausformulierte Versionen von »Heb ab, erledige alle Gegner, komm zurück!« - eine zusammenhängende Geschichte gab es nicht, nur lose Einzelmissionen.

Die meisten Aufträge flog man am Tag, einige im Sonnenuntergang, manche während eines Schneesturms (wobei man die paar träge über den Bildschirm wackelnden Weißpixel kaum als echtes Tosen bezeichnen konnte) - und manche fanden in der vom Grün des Restlichtverstärkers beleuchteten dunklen Nacht statt. Meist war man allein unterwegs, gelegentlich wurde man von befreundeten Flügelmännern begleitet, denen man Anweisungen geben konnte - und musste, denn von sich aus konnten die Dumpfbacken eigentlich nur abstürzen (begleitet von einem gekreischten »Mayday! I'm going down! MAYDAY!«). Damit waren sie allerdings nicht allein, denn die gegnerische KI war keinen Deut besser: Auf die Entfernung ballerte sie zugegebenermaßen zielsicher (Sogar zu gut: Gelegentlich rasten Raketen mitten durch Hügel auf einen zu.), aber auf nahe Distanz fiel den feindlichen Piloten tatsächlich nichts Besseres ein, als den Spieler dauernd zu rammen - ein klassisches Helikopter-Manöver, habe ich mir sagen lassen. Der eigene Heli vertrug einige Treffer, wobei nach und nach mehr Bordsysteme ausfielen - und irgendwann hieß es »The enemy is celebrating your defeat!« Hing man an einer Mission fest, musste man sich durchbeißen: Die ersten paar ließen sich noch frei auswählen, danach musste zuerst eine geschafft werden, damit die nächste freigeschaltet wurde. Was spätestens bei den späteren Missionsdisks (»Global Challenge« und »Over the Edge«) in echte Knochenarbeit ausartete!

Die Herrschaft der Superpixel

Comanche entpuppte sich für die junge Firma als Bad im Geldspeicher: Das Hauptprogramm nebst der Missiondisketten verkaufte sich wie wahnsinnig. Klar, dass man die Maschine so lange wie möglich zu melken gedachte: Es gab über die Jahre verteilt drei Nachfolger, das erste VoxelSpace-System kam auch in der Panzer-Rumpelei Armored Fist  zum Tragen (und demonstrierte da, dass ihm Bodennähe nicht gut stand), die Delta Force  rannte durch Voxel-Landschaften. Es war sogar eine Comanche-Version für das SNES in Arbeit, das den neuen SuperFX-Chip nutzte (wie StarFox ) - doch die wurde leider mitten in der Entwicklung eingestellt.

Zusammen ist man weniger allein: Die Flügelmänner waren hirnlos, nahmen aber Befehle entgegen.
Zusammen ist man weniger allein: Die Flügelmänner waren hirnlos, nahmen aber Befehle entgegen.
Die Voxel haben den Kampf gegen die Polygone verloren - da sich ihre Berechnung im Gegensatz zur linearen Algebra nicht einfach per Zusatzchip beschleunigen lässt und texturierte, schattierte und postprozessierte Polygone einfach auf lange Sicht mehr Details lieferten. Nichtsdestotrotz sorgten sie für einige der schönsten Bilder der Spielegeschichte - nicht nur in Comanche, sondern auch in Outcast , Blade Runner oder Crysis. Das Bemerkenswerte an ihnen ist, dass sie nicht so schlecht altern wie krude Polygone: Klar, aus heutiger Sicht wirkt das Ganze aufgrund der hölzernen Sprites und der generell mickrigen VGA-Auflösung natürlich antiquiert - und dennoch mag ich die fließende Darstellung der Landschaft immer noch sehr. Als ich für den Oldie des Monats die DOSBox anschmiss, den alten Flightstick auspackte und zum ersten Mal wieder die grausam quäkige Musik vernahm, war ich sofort wieder im Jungkautz-Modus: Ich erinnerte mich wieder an die Wette mit meinem Kumpel, wer den Canyon, der direkt gegenüber der ersten Startfläche lag, als Erster mit Vollgas und ohne anzustoßen durchqueren konnte. Ich erinnerte mich an das nervenzerfetzende, durch Hügel getarnte Anschleichen an gegnerische Stellungen, während die Bordelektronik den nahenden Comanche-Tod aus den Boxen plärrte. Ich erinnerte mich an die Mission »Joker's Wild«, in der man mit 999 Raketen bewaffnet gegen 30 wahnwitzig angreifende »Werewolf«-Gegnermaschinen antreten musste. Das Ganze hatte mit einer Flugsimulation mal so gar nichts zu tun;  der »Realistisch bis zum Abwinken«-Spruch aus dem damaligen ASM-Test war, wie soll man sagen, ein Haufen Bullshit. Aber die Grafik blendete hervorragend den Verstand aus. Gunship 2000 war mir zu träge, Falcon 3.0 bedurfte einer ganz besonderen Stimmung, damit es seine volle Wirkung entfaltete. Comanche dagegen war pures Adrenalin - hohl, prachtvoll, herrlich laut! Der beste Abreger vor Doom.

Paul Kautz

Comanche in stiller Aktion: Schaut euch die Screenshots an!

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.