Flashback (Oldie)12.07.2012, Paul Kautz
Flashback (Oldie)

Special:

Aus Frankreich kommt viel Gutes: Wein, Käse, ordentliche Autos, eine putzige Sprache - und interessante Software. Das war schon vor Quantic Dream und Ubisoft so, wie nicht nur Little Big Adventure (hier geht's zu unserem Klassiker-Bericht) oder Alone in the Dark, sondern auch Spiele wie Flashback beweisen.

Heute mal dick aufgetragen

Ein Dschungel, ein Gegner, kein Gedächtnis, keine Ahnung, was zu tun ist - gut, dass Conrad B. Hart eine geladene Waffe dabei hat. Flashback geht sehr mysteriös los.
Ein Dschungel, ein Gegner, kein Gedächtnis, keine Ahnung, was zu tun ist - gut, dass Conrad B. Hart eine geladene Waffe dabei hat. Flashback geht sehr mysteriös los.
Wie jedes gute Spiel beginnt auch Flashback mit einer Flucht. Einer wilden Flucht. Conrad B. Hart hetzt durch düstere Korridore, hämmert hektisch eine Tür auf, kann gerade noch so auf dem Flugbike davon brausen, bevor ihn seine Häscher in die Finger bekommen. Und trotzdem nützt es nix, denn das Schiff der Verfolger ist nicht nur schneller, es hat auch die dicken Knarren. Eine Explosion später geht’s abwärts, nach kurzer Bewusstlosigkeit findet sich Conrad in einem Dschungel wieder, an seiner Seite eine nervend piepende Box. Oh, und kein Gedächtnis weit und breit. Klar.

Was danach folgt, ist nicht nur ein einzigartiges Action-Erlebnis, sondern auch eine Zitatesammlung aus populären Spielen und Filmen: Die Handlung ist eine Mischung aus Blade Runner, Running Man und Sie leben, die Technik erinnert an Prince of Persia, das Spielprinzip an Another World. Generell könnte man sehr leicht den Fehler machen, Flashback zu einem Another-World-Nachfolger zu erklären: Kein Wunder, hat es doch mit Delphine Software grundsätzlich dasselbe Entwicklungsstudio, es nutzt rotoskopierte Animationen und lebt von einer Mischung aus Action und Puzzles. Es ist aber kein Sequel:

Die geschmeidigen Bewegungen des Helden waren ein echter Hingucker - handwerklich saubere Rotoskopie sorgte für beeindruckende Animationen.
Die geschmeidigen Bewegungen des Helden waren ein echter Hingucker - handwerklich saubere Rotoskopie sorgte für beeindruckende Animationen.
Zum einen ist der Designer ein anderer (anstelle von Eric Chahi hatte Paul Cuisset die Zügel in der Hand), zum anderen ist Flashback deutlich actionlastiger. Ob das Spiel deswegen gleich die Bezeichnung "unquestionably the most eagerly awaited game for years" verdiente, wie der Packungstext reichlich unbescheiden verkündete? Das vielleicht nicht. Nichtsdestotrotz eine höchst ungewöhnliche und wichtige Erfahrung.

Und warum?

Zum einen war da die außergewöhnliche Präsentation. Auf den ersten Blick nichts besonderes: Simple 2D-Grafik, kleine Figuren. Wer zufällig gerade einen Kennerblick zur Hand hatte, nahm vielleicht wahr, dass das Bild quadratischer aussah als von normalen VGA-Titeln gewohnt. Das lag daran, dass Flashback eines der wenigen Spiele war, das nicht den 320x200-Standard von VGA, sondern einen Sondermodus mit 256x224 Pixeln nutzte. Es wurde noch nicht mal gescrollt, sondern steif von Bild zu Bild umgeschaltet. Was soll daran schon Besonderes sein?

Flashback entführt den Spieler u.a. auf die Heimatwelt der bösen außerirdischen Invasoren.
Flashback entführt den Spieler u.a. auf die Heimatwelt der bösen außerirdischen Invasoren.
Was auf Screenshots nicht erkennbar ist, wird leuchtend klar, wenn man das Spiel in Bewegung sieht: superflüssige Animationen! Das Stichwort dafür lautet Rotoskopie und war bereits Ende 1992, als Flashback zuerst auf dem Amiga erschien, ein alter Hut - nutzte doch schon das zwei Jahre ältere Prince of Persia dieses System, um den Helden anmutig durch Jaffars Kerker zu hetzen. Die grundsätzliche Technik war also nichts Besonderes, wohl aber die Art und Weise, wie sie genutzt wurde: Der Film mit den Bewegungen des Schauspielers wurde Frame für Frame auf dem Fernseher abgespielt, wobei über jedes Bild ein transparentes Blatt Papier auf den Bildschirm geklebt und die darunter liegende Silhouette abgezeichnet wurde. Diese Vorlage wanderte dann auf die Computermonitore der Grafiker, die sie via DeluxePaint abpinselten. Irre viel Arbeit, aber das Ergebnis war’s wert: Bewegungen, weicher als Seidenwasser, in entspannten 24fps. Insgesamt gab es gut 1.500 Animationsstufen im Spiel, etwa 800 davon gingen allein für den geschmeidig durch die Botanik rennenden, springenden und rollenden Helden drauf.

Das Spielprinzip war eine Mischung aus Action und Puzzles - hier im Bild eines der kleineren Rätsel aus der ersten Welt.
Das Spielprinzip war eine Mischung aus Action und Puzzles - hier im Bild eines der kleineren Rätsel aus der ersten Welt.
Das System hatte allerdings den Nachteil, dass gewisse Animationen erst komplett abgespielt werden mussten, bevor andere folgen konnten - sehr gut konnte man das z.B. bei den Rennbewegungen sehen, die zum Sprung führten. Resultat: Das Spielprinzip wurde etwas verlangsamt, das ursprünglich geplante rasante Actionspiel wurde ruhiger, gemütlicher.

Klanggewaltige Checkpunkte

Das heißt allerdings nicht, dass es einfacher wurde. Nein, ein Adjektiv wie "einfach" war hier mehr als fehl am Platze. Das lag allerdings nicht nur an den Gegnern, die schon auf dem einfachsten der drei Schwierigkeitsgrade sehr sicher trafen. Zwar konnte Conrad einige Treffer kassieren, später durfte er, gute Reflexe vorausgesetzt, noch ein kurzzeitig aktives Kraftfeld errichten, um feindliche Schüsse zu blockieren. Trotzdem: An allen Ecken und Enden konnte man in Elektrofallen verenden, zu tiefe Schächte hinunter fallen oder auf Minen treten. Nicht ganz so ausgeprägt gemein wie noch in Another World, aber fies genug. Vor allem in Verbindung mit dem de facto nicht vorhandenen Speichersystem:

Die Gefechte waren zum Teil sehr schwer - aber immerhin vertrug Conrad einige Treffer, bevor er in sich zusammensackte. Gemein: Ein Speichersystem gab es nicht, sondern lediglich temporäre Checkpunkte.
Die Gefechte waren zum Teil sehr schwer - aber immerhin vertrug Conrad einige Treffer, bevor er in sich zusammensackte. Gemein: Ein Speichersystem gab es nicht, sondern lediglich temporäre Checkpunkte.
Richtig "gesichert" wurde der Spielstand nur zwischen den Levels (die Anführungszeichen nutze ich deshalb, weil lediglich allgemein gültige Passwörter verteilt wurden) - und die waren zum Teil gigantisch groß! Besonders Abschnitte wie "New Washington", in denen man ständig zwischen denselben Orten hin und her geschickt wurde und damit mehrere Stunden verbringen konnte, waren eine ständige Gefahr für des Spielers Pumpe.

Immerhin gab es innerhalb der Levels gelegentliche Checkpunktstationen, an denen man temporär abspeichern durfte, und an die man automatisch zurück versetzt wurde, wenn man ablebte. Die galten allerdings nur für das aktuelle Spiel: Musste man zwischendurch aufhören und Flashback beenden, durfte man beim nächsten Start die Mission von vorn beginnen. Putziges Detail: Die Mega-Drive-Version des Spiels hatte mit üblen Platzproblemen zu kämpfen, die detaillierten Animationen (von denen viele, wie die meisten der kurzen Einspieler, bereits entfernt werden mussten) fraßen den begrenzten Speicher ratzfatz weg - im normalen RAM war einfach kein Platz mehr für die Checkpunkte. Die kreative Lösung der Entwickler: Man nutzte einfach ein paar freie Bytes im Speicher des Soundchips!

Explosive Mäuse und andere Fabeltiere

Die gute Handlung wurde in stylischen Echtzeit-Cutscenes fortgeführt - aus denen in den CD-Versionen scheußliche Renderfilme wurden.
Die gute Handlung wurde in stylischen Echtzeit-Cutscenes fortgeführt - aus denen in den CD-Versionen scheußliche Renderfilme wurden.
Conrad mag elegant wie ein junger Hirsch durch den Dschungel, die garstige "Death Tower"-Spielshow, über die Erde oder den Heimatplaneten der Morphs sprinten und hüpfen, für den Spieler war der Einstieg nicht leicht. Vor allem, wenn er wahnsinnig genug war, mit der Tastatur loslegen zu wollen. Klar, es geht - aber schon damals war auch am PC das Gamepad die bessere Wahl. Seinerzeit gab es nicht die Auswahl von heute; mit dem Gravis Gamepad , einem schamlosen Klon des SNES-Controllers, hatte man den jungen Helden super im Griff. Und wenn die Action erstmal floss, dann floss sie richtig: Rennen, weit springen, direkt in eine Rolle übergehen und in dieser die Waffe zücken, um am Ende der Kullerei direkt einen gut gezielten Schuss auf einen nichts ahnenden Gegner abzugeben, direkt danach weiter in den Sprint - alles kein Problem, und auch heute noch ein echter Hingucker. Manchmal musste man auch vorsichtig und unerkannt vorgehen; in solchen Fällen war ein gezielt geworfener Stein, um den Gegner abzulenken, meist die Vorgehensweise der Wahl. Oder man ließ einfach eine explodierende Maus die Drecksarbeit verrichten. Keine Sorge, Peta-Fans - die Maus war nicht echt.

New Washington war ein gigantischer Level, in dem man mit der U-Bahn wieder und wieder zwischen den einzelnen Berichen herumreisen musste.
New Washington war ein gigantischer Level, in dem man mit der U-Bahn wieder und wieder zwischen den einzelnen Berichen herumreisen musste.
Echt gut war dagegen die Soundkulisse. Und echt ungewöhnlich, gab es doch während des Spiels keine Musik zu hören - die blieb den Echtzeit-Zwischensequenzen vorbehalten. Innerhalb der Levels erschallten nur Umgebungsgeräusche und Soundeffekte wie die krachenden Pistolenschüsse. Die einzige Ausnahme war die Version für Sega-CD - die bot einen durchgehenden (und sehr guten) Soundtrack sowie (wie die anderen CD-Versionen auch) schreckliche Renderfilme anstelle der stylischen Cutscenes.

Der Pate im Weltraum

Aber worum ging’s denn nun eigentlich? Conrad B. Hart, brillanter junger Wissenschaftler, entdeckt im Jahre 2142 über eine Art Superbrille, dass die Menschen nicht allein auf der Erde sind - die Außerirdischen sind unter ihnen! Diese Entdeckung bringt ihm nicht den Nobelpreis, sondern eine Betäubung nebst Entführung seitens der enttarnten Morphhäuter. Er kann seinen Peinigern gerade noch so entkommen... uh, da wären wir wieder am Anfang des Artikels. Die nervend piepende Box entpuppt sich als Holowürfel, aus dem er von einem virtuellen Abbild seiner selbst die Anweisung erhält, nach New Washington zu reisen und dort einen alten Freund zu besuchen, der alle Gedächtnislücken schließen würde.

Hallo "Running Man": Conrad kämpft sich durch die "Death Tower"-Show.
Hallo "Running Man": Conrad kämpft sich durch die "Death Tower"-Show.
Klar, dass damit der Ärger erst anfängt. Die Geschichte sollte ursprünglich auf "Der Pate" basieren, Publisher U.S. Gold hielt seinerzeit die Lizenzrechte daran. Aber das Entwicklerteam pfiff auf die Lizenz und machte sein eigenes Ding. Ist wohl auch besser so, denn ein Michael Corleone, der Hechtsprünge und Ausweichrollen auf einer violetten Alienwelt macht, ist eine merkwürdige Vorstellung.

Flashback, dessen Entwicklung 1991 begann, wurde nach seiner Amiga-Premiere auf sehr viele Systeme umgesetzt - u.a. PC, Mega Drive, SNES, FM Towns, Mac, Sega-CD, 3DO, Jaguar und iOS. Den amerikanischen Versionen (die neben einem scheußlichen Cover auch den käsigen Untertitel "The Quest for Identity" trugen) lag ein von Marvel gezeichneter Comic bei, der in bunten Bildern die Vorgeschichte erzählte. Die Mischung aus Plattformgehangel und pausenloser Action war nicht jedermanns Sache, was sich auch in den damaligen Wertungen widerspiegelte - von 59 (PC Player) bis 94 (C&VG) reichte das Spektrum. Die Verkäufe waren anfangs nicht schlecht, aber auch nicht irre gut, jedoch entpuppte sich das Spiel als Ausdauerläufer - eine Zeit lang hatte es sogar einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde sicher, als bestverkauftes französisches Spiel aller Zeiten! Klar, dass ein Nachfolger sein musste, der leider in eine deutlich andere Richtung ging: Fade to Black , erschienen 1995, war komplett 3D - und ließ zumindest mich komplett kalt.

Flashback gilt mittlerweile als Abandonware, ist also in den Weiten des Internets recht leicht zu finden. Es auf modernen Systemen zum Laufen zu bekommen erfordert dagegen etwas Fummelarbeit - wie so oft ist DOSBox eine große Hilfe. Es geht allerdings auch noch einfacher: "REminiscence" ist eine quelloffene Beta-Engine, deren Entwickler es sich zur Aufgabe gemacht haben, Flashback auf aktuelle Plattformen zu bringen. Bonusnutzen: Es gibt Quicksave/-load und eine direkte Levelanwahl.
Viel größer war meine Freude, als kurz nach der Jahrtausendwende ein echtes 2D-Sequel namens Flashback Legends angekündigt wurde, das 2003 auf GBA erscheinen sollte. Dazu kam es aber leider nicht mehr: Delphine Software ging 2002 pleite, Flashback Legends in der Konkursmasse unter.

Und damit bleibt Flashback einzigartig. Klar hat das Spiel deutliche Prinz-Parallelen; Nörgler könnten behaupten, dass hier klirrende Klingen einfach gegen knorrige Knarren getauscht wurden. Aber es war viel mehr als nur ein weiteres 2D-Jump-n-Run. "Selten habe ich ein Spiel mit dichterer Atmosphäre gespielt als Flashback" - so ein Zitat aus dem Test der Power Play 4/93, das den Nagel mit chirurgischer Präzision auf den Kopf trifft. Die einzigartige, stimmungsvolle Soundkulisse, das futuristische Ambiente, die interessante Handlung, die fetzige Action, die fantastischen Animationen - all das morphte zu einem verdammt beeindruckenden Gesamterlebnis.

Paul Kautz

Conrad B. Hart in stiller Aktion: Schaut euch unsere Screenshots aus Flashback an

 
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