Merregnon 223.05.2003, Paul Kautz
Merregnon 2

Special:

Eine CD, die eine Geschichte erzählt: nicht mit gelesenen Worten wie ein Hörbuch, sondern allein durch Musik. Mit Klängen, die Bilder im Kopf des Hörers entstehen lassen, während er durch eine sagenumwobene Fantasy-Welt getragen wird - das ist Merregnon. Die zweite CD erscheint weltweit im August, bis dahin erfahrt Ihr alles über das Projekt in unserem mehrteiligen Special, das mit dem heutigen vierten Teil fortgesetzt wird.

Die im Jahre 2000 erschienene orchestrale CD Merregnon hat etwas Einzigartiges geschafft: viele verschiedene Musiker aus der Spiele- und Demoszene unter eine Haube zu bekommen, und sie alle musikalisch eine Geschichte erzählen zu lassen, die man parallel auch im reichhaltig illustrierten Booklet nachlesen konnte. Namen wie Chris Hülsbeck, Fabian Del Priore, Allister Brimble und Yuzo Koshiro sind an diesem Projekt beteiligt, was Merregnon nicht nur für Computerspieler zu einem Leckerbissen macht.

Im August dieses Jahres erscheint nun der zweite Teil des als Trilogie geplanten Soundtracks, der das Konzept des Vorgängers um einige wichtige Neuerungen erweitert: alles wird größer, schöner und besser. So werden die Stücke jetzt beispielsweise nicht mehr per Synthesizer und Keyboard, sondern von einem echten Orchester eingespielt und von echten Chören begleitet.__NEWCOL__Dabei handelt es sich um das Prager Symphonieorchester, dessen Künstler schon Spielen wie <4PCODE cmd=DGFLink;name=Splinter Cell;id=2738> oder <4PCODE cmd=DGFLink;name=Primal;id=1583> zu einer gigantischen Klangkulisse verholfen haben. Außerdem sind die Kompositionen ausgefeilter, das Design des Booklets und der Website stilvoller.

In den folgenden Wochen erfahrt Ihr bei 4Players alles über das faszinierende Musikprojekt - Interviews mit allen Komponisten, Hintergrundberichte von den Studioaufnahmen und vieles mehr. Letzte Woche stand uns Music Director Andy Brick Rede und Antwort, heute ist Komponist Chris Hülsbeck an der Reihe. Der 35-jährige war schon zu C64-Zeiten unter anderem dank seiner Soundtracks zu »The Great Giana Sisters« und »To Be On Top« eine Legende, und untermauerte seinen Ruf am Amiga mit Meisterwerken wie den Scores zu »Turrican« 1&2 oder »Apidya«. Am PC war der Altmeister unter anderem für den guten Klang bei »Extreme Assault« und »Star Wars Rogue Squadron« verantwortlich. Mehr Informationen zu seinem Schaffen findet Ihr auf seiner Homepage - doch nun zum Interview.

4Players: Erzähle uns bitte etwas über Dich: Wie lange machst Du schon Musik? Wie bist Du in die Spielemusik-Szene geraten, und welche Projekte liegen bereits hinter Dir?

Chris Hülsbeck: Ich wurde 1968 in eine recht musikalische Familie geboren. Meine Großmutter, meine Mutter und meine Tante waren Klavierlehrerinnen, mein Onkel spielt Trompete und Posaune. Wir hatten stets mindestens zwei Klaviere im Haus, auf denen ich mit fünf Jahren zum Leidwesen meiner Eltern herumzuklimpern begann. Sie versuchten mir natürlich klassischen Klavierunterricht zu geben, doch ich war schon immer mehr daran interessiert, meine eigenen Kompositionen zu spielen, also hegte ich kein tiefergehendes Interesse an der üblichen Ausbildung.

Als Teenager begann ich mich schließlich für Synthesizer und Computer zu interessieren. Also besorgte ich mir einen C64, hauptsächlich wegen seines berühmten SID-Chips. Ich brachte mir das Programmieren bei, und hatte schnell meine ersten Musik- und Spieleprojekte entwickelt. Eines Tages veranstaltete ein deutsches Computermagazin einen Computermusik-Wettbewerb, den ich prompt gewann. Danach war es recht einfach, in der noch jungen Spielebranche einen Job zu bekommen. Über die Jahre war ich an über 80 Spielen beteiligt, von denen einige zum Kult wurden - wie beispielsweise die »Turrican«-Serie.__NEWCOL__1998 wanderte ich schließlich in die USA aus, um zusammen mit Lucas Arts und Factor 5 an den »Rogue Squadron«-Spielen zu arbeiten.

4P: Was ist Deine Aufgabe im Merregnon-Team?

CH: Ich war für die Komposition und Ausarbeitung zweier Titel verantwortlich: eines in der Mitte der Geschichte, und ein weiteres für den Abschluss, den man sich wie eine Art Film-Abspann vorstellen kann.

4P: Merregnon 1 basierte auf synthetischen Instrumenten aus dem Computer. Das hat sich mit dem zweiten Teil dank echtem Orchester samt Chor grundlegend geändert - wie hat sich das auf Deine Arbeit ausgewirkt?

CH: Es war wirklich nicht einfach die Musik korrekt für das Orchester aufzubereiten, zumal ich ja keine klassische Ausbildung vorweisen kann. Ich hatte schon gewisse Vorkenntnise, aber habe natürlich auch noch eine ganze Menge bei der Sache gelernt. Speziell die Orchestrierung und die Vorbereitung der Partituren waren eine Herausforderung, aber gleichzeitig sehr aufregend und es hat auch Spaß gemacht - ich kann es kaum erwarten, das fertige Produkt endlich in den Händen zu halten.

4P: Wie gehst Du an Deine Kompositionen heran? Welches Equipment und welche Tools benutzt Du, um Deine Werke zu schreiben?

CH: Ich benutze zum Komponieren einen recht normalen Windows-Rechner und als Software kommt Cubase VST von Steinberg zum Einsatz. In den letzten Jahren hat die Software gewaltige Fortschritte gemacht, es ist wirklich erstaunlich, was man heute mit einem leistungsfähigen Computer hinbekommt. Ich habe hier natuerlich auch ein vollwertiges Aufnahmestudio mit Synthesizern, Samplern und weiterer High-End-Hardware, die ich über die Jahre zusammengetragen habe.

Trotzdem habe ich in letzter Zeit fast nur noch am Computer gearbeitet, mit Software, die Hardware-Synthesizer und Sampler perfekt emulieren kann. Ein Vorteil ist beispielsweise, dass Du mit einem Software-Sampler (z.B. HALion oder Gigastudio) Sounds direkt von der Festplatte abspielen kannst, und so viel mehr Platz für realistisch klingende Instrumente hast. Aber natürlich kommt auch das noch lange nicht an ein echtes Live-Orchester heran.

4P: Wie empfindest Du Deine Position als Musiker in der Spielebranche? Wie ist die Akzeptanz und Zusammenarbeit mit anderen Musikern?

CH: Es ist definitiv kein leichter Job, aber es kann auch sehr viel Spass machen. Was ich gut finde ist, daß sich über die Jahre eine Gemeinschaft mit vielen professionellen Musikern und Sound-Leuten sowie begeisterten Amateuren und Einsteigern entwickelt hat. Vor allem das Internet und E-Mail haben sehr viel dazu beigetragen.

4P: Wo siehst Du die Zukunft der Spielemusik? Wird es schwieriger werden mithalten zu können?

__NEWCOL__CH: Die benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten haben sich seit den guten alten Tagen ziemlich verändert: früher musstest Du mehr Programmierer als Künstler sein, um Spielemusik zu machen. Heute konzentriert sich das viel mehr auf die Komposition, obwohl es natürlich auch nicht schadet ein paar Programmierkenntnisse zu haben. Aber es bleibt ein sehr herausforderndes Gebiet, und der Wettbewerb wird ebenfalls immer härter. Das Ganze lässt sich schön mit der Filmindustrie vergleichen: in und um Hollywood gibt es hunderte, wenn nicht gar tausende begabter Komponisten, und dennoch kennt man lediglich die Arbeit von einigen wenigen großen - es ist ja mittlerweile schon so, dass immer mehr Filmkomponisten Arbeit in der Spielebranche suchen.

4P: Denkst Du, dass es notwendig oder zumindest von Vorteil ist, über Musiktheorie (wie beispielsweise Notenlesen) Bescheid zu wissen, oder ist Talent das Wichtigste?

CH: Ohne Talent geht natürlich gar nichts. Doch wie ich selbst auf die harte Tour erfahren musste, ist es einfach nötig gewisse Dinge zu wissen bzw. zu lernen, wenn man fürs Orchester schreiben will. Ich hatte in den Jahren davor schon einige Grundkenntnisse gesammelt, zum Beispiel wie die einzelnen Instrumente einzeln und im Zusammenspiel klingen koennen. Doch dann eine komplette Notation so hinzubekommen, daß sie von echten Musikern gespielt werden konnte, das war eine vollkommen neue Erfahrung.

Ich wälzte mehrere Monate lang in meiner Freizeit Bücher über Orchestrierung und Musiktheorie, was ziemlich anstrengend war. Doch jetzt fühle ich mich schon recht gut unterrichtet - was nicht zuletzt auch der Hilfe von Andy Brick zu verdanken ist, unserem Music Director und Dirigenten, der auch klassisch studiert hat und sogar schon für Disney-Filme komponiert hat.

4P: Spielemusik gewinnt weltweit, und besonders in Japan, immer mehr an Akzeptanz. Hat das einen Einfluss auf Deine Arbeit - wird es schwerer, konkurrenzfähig zu bleiben?

CH: Es erstaunt mich immer wieder, wie sich die Qualität von Spielemusik in den letzten Jahren kontinuierlich steigern konnte, und wie viele begabte Leute es in der Branche gibt. Natürlich verstärkt das auch den Wettbewerb, aber im Endeffekt sorgt es vor allem dafür, dass der Spielemusik endlich mehr verdiente Aufmerksamkeit geschenkt wird.

4P: Wo siehst Du Dich selbst in fünf Jahren? Was sind Deine Ziele und Absichten?

CH: Nachdem nun sozusagen die Büchse der Pandora geöffnet ist, kann ich die Finger nicht mehr davon lassen. Ich bin sehr dankbar, daß ich an

Merregnon teilhaben konnte und möchte meine Kenntnisse in orchestraler Komposition vertiefen, und hoffe, eines Tages mal einen vollständigen Spiele-Soundtrack mit einem großen Orchester einspielen zu können. Eigentlich war mein langfristiges Ziel mal irgendwann Filmmusik zu machen, aber möglicherweise sind Spielesoundtracks einfach mein Schicksal und vielleicht wird sich das so professionell weiterentwickeln, daß es eine ähnliche Erfüllung bietet.

__NEWCOL__4P: Wie hat sich Spielemusik in den letzten Jahren verändert, verglichen mit dem Anfang Deiner Karriere?

CH: Der gesamte Entwicklungsprozess ist wesentlich professioneller geworden. Möglicherweise ist die Verspieltheit der alten Tage etwas auf der Strecke geblieben, doch dafür ist die Musik heute für die Spiele mehr maßgeschneidert und passt sich oftmals dem Geschehen auf dem Bildschirm an. Es ist nicht mehr das, was ein Zuhörer als "typische" Spielemusik beschreiben würde.

4P: Kannst Du uns etwas über Deine gegenwärtigen Projekte erzählen?

CH: Ich arbeite derzeit intensiv an einer weiteren Episode der Rogue Squadron Serie (Star Wars Rebel Strike). Leider darf ich ansonsten nicht viel darueber sagen, aber keine Bange - es wird sicher bald mehr davon zu lesen sein.

Nächste Woche, im fünften Teil unseres Merregnon 2-Specials, ist Komponist Markus Holler unser Interviewpartner. Der junge Musiker plaudert über seinen Spielealltag, seine Schwäche für Flöten und berichtet uns über die Schwierigkeiten, allzu abgefahrene Klangideen vom Synthesizer auf ein echtes Orchester zu übertragen - wir lesen uns nächste Woche!

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.