Special: Der Urvater der Lebenssimulationen
Mann oder Frau?
Die moderne Spielewelt spiegelt immer mehr unseren Alltag wider. Heutzutage kann man in einem Abenteuer wie Dragon Age: Inquisition auch homosexuelle Magier spielen. Das klingt im Jahr 2014 nicht besonders aufregend - zumindest nicht in Westeuropa. Aber vielleicht kann man im kommenden Minority-DLC ja vegane sunnitische transsexuelle FDP-Politiker spielen? Erst dann müsste man mal in eine verzwicktere Minderheitenrolle schlüpfen! Aber mal ernsthaft: Was zwischenmenschliche Beziehungen angeht, stecken Spiele noch in den Kinderschuhen. Und dass man schwul, lesbisch oder sonstwas "sein" darf, hat manchmal weniger mit Toleranz, sondern vielmehr mit Marketing und Zielgruppen zu tun.
Da war man 1986 auf C-64, DOS & Co schon weiter: Alter Ego, das heute als Urvater der Lebenssimulationen gilt, ermöglicht zwar nicht das Spielen eines homosexuellen Charakters, aber belässt es auch nicht bei
Vom Säugling zum Erwachsenen
Aus der Perspektive eines Säuglings wird man z.B. neugierig auf Objekte gemacht, an die man sich ganz unterschiedlich herantasten kann - oder eben nicht. Heraus kommen süffisante Texte wie dieser hier:
"CONGRATULATIONS! You've found your hand. This may not seem like much of a big discovery but it is. You will have to learn how to control your hands as part of childhood development. When you are an adolescent, those hands are going to get you into quite a bit of trouble -- because that requires a different kind of hand control."
Es kommen zig Szenen hinzu, die den Alltag in einer Familie widerspiegeln: Hilft man seinem Vater draußen oder glotzt man weiter seine Lieblingsserie? Zieht man
Schön ist, dass man in fast allen Situationen sowohl eine emotionale Grundstimmung als auch eine Aktion wählen kann: Man kann also z.B. wütend oder ruhig dieselbe Antwort geben - und so ist immer angenehm offen, was passiert und wie das eigene Profil im Hintergrund ergänzt wird. Favaro hat für seine Szenen laut eigenen Aussagen hunderte Interviews ausgewertet, in denen er Leute u.a. nach den besonderen Momenten in ihrem Leben gefragt hat.
Die Lebenssimulation
Mal abgesehen vom angenehm humorvollen Unterton, der schonmal die Langeweile des eigenen Alltags spitz kommentierte, machen die banalen und ernsten Situationen immer wieder neugierig, denn jede eigene Reaktion zieht Konsequenzen für die nächste Situation oder das spätere Leben nach sich - übrigens inklusive dem frühen Tod. So entwickelt man seinen Charakter u.a. intellektuell, emotional, sozial und physisch. Über sieben Lebensalter hinweg wird im Hintergrund ausführlich Statistik betrieben - darunter auch weiche Werte wie Zufriedenheit, Sozialverhalten, Nettigkeit, Glaubwürdigkeit oder Selbstbewusstsein bis hin zu Beruf, Einkommen und auch Beziehungen.
Action, Raumschiffe, hand-Auge-Koordination? Alles Fehlanzeige! Ich war damals gerade mal dreizehn Jahre alt und hätte lieber irgendein Shoot'em Up oder
Alter Ego war seiner Zeit mit seinem fast schon psychoanalytischen Ansatz weit voraus und war mehr als eine trockene Multiple-Choice-Umfrage. Man konnte auf spielerische und witzige Art erfahren, welche Konsequenzen so manche Entscheidung nach sich zieht. Nicht in der pathetischen Fiktion mit zig Partnerwahlmöglichkeiten, sondern auf dem alltäglichen Niveau - lange vor dem Erfolg der Sims. Und das mit vielen unerwarteten Ereignissen und Wendungen, die es auch heute noch zu einem überraschenden Erlebnis machen.
Oftmals wurde es bereits an Favaro herangetragen: Alter Ego hätte einen modernen Nachfolger mit noch mehr Varianten verdient - vielleicht als Kammerspiel mit all der mimischen Ausdruckskraft heutiger Engines. Was wäre alles möglich, wenn man das Spielprinzip in die dritte Dimension übertragen würde? Schon 2007 hat Favaro in einem Interview Sony als potenziellen Geldgeber ins Spiel gebracht - leider ohne Erfolg. Immerhin könnt ihr Alter Ego zur Not im Browser spielen - bis 2009 wurde es aktualisiert; es gibt auch iOS- und Android-Varianten für knapp fünf Euro. Vielleicht muss ich es doch nochmal nachtesten.
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