Dreamweb26.01.2015, Benjamin Schmädig
Dreamweb

Special: Die böse Macht der Träume

Der Ausgang ist von Streifenwagen umstellt, als Ryan die U-Bahn verlässt und bevor er es sich versieht, reißt ihn der Kugelhagel zu Boden. Ein anderes Ende hätte seine Geschichte nicht nehmen können – die Geschichte eines Mannes, der eine Hand voll Menschen ermordet hat. Wofür? Um die Welt zu retten. Davon war Ryan jedenfalls fest überzeugt.

Dreamweb (ab 19,98€ bei kaufen)

Dreamweb: ein Spiel von Neil Dodwell und David Dew, auf den ersten Blick ein unscheinbares Point&Click-Adventure, veröffentlicht im Jahr 1994. Von oben habe ich auf Ryan und seine Umgebung geschaut, wichtige Gegenstände gesucht, Glas mit Wasser kombiniert, es auf einen Schaltkreis gegossen, Zahlencodes gefunden, Dialoge geführt.

"Ich weiß, was zu tun ist"

Das Dreamweb: eine Sammlung von Gedanken, Träumen. Ist es im Gleichgewicht, halten sich Gut und Böse die Waage. Gewinnt eine Seite die Oberhand, droht Chaos. Und genau das sollen sieben Auserwählte erreichen. Sieben Menschen, die kurz davor stehen, in das Dreamweb einzudringen.

Die Zukunft der Menschheit ist in Gefahr.

Und so bitten die Wächter des Dreamwebs einen Menschen um Hilfe, in dessen Träumen sie schon seit einiger Zeit  

Dreamweb ist nicht nur dank der durchdachten Geschichte ein Spiel für Erwachsene.
Kontakt herstellen: Ryan.

Als sich ein Wächter ihm offenbart, weiß Ryan längst, was zu tun ist. Er soll die Welt von den Sieben befreien. Er wird sich eine Waffe besorgen, den Aufenthaltsort jedes Verschwörers ausfindig machen und sie erschießen oder auf andere Weise töten.

Blut und Regen

Das Spiel hatte ähnlich wenige Skrupel wie seine Hauptfigur. Pixelkunst und Speichergrößen setzten der Gewaltdarstellung zwar Grenzen, dennoch zerplatzten in Dreamweb Köpfe und ganze Körper.

Das Abscheuliche stand dem Spiel aber. Denn Dodwell und Dew traten nicht in die erzählerischen Fußspuren von Monkey Island oder Space Quest. Sie erschufen einen futuristischen Albtraum aus Gewalt, Arbeitslosigkeit und ständigem Regen.

Blade Runner diente als Vorbild, erkennbar schon am Donnern der einführenden Titelsequenz. In Nachrichten erfuhr man von einer namenlosen Stadt, die auf zunehmende Gewalt in den Straßen nur mit dem Aufrüsten ihrer Polizeikräfte reagieren konnte. Ryan selbst verlor seinen Job. Sein bester Freund war ein heruntergekommener Taugenichts.

Das Dreamweb wartet!

Das Spiel ist inzwischen kostenlos verfügbar: Für ScummVM erhältliche Fassungen gibt es legal auf der offiziellen Webseite .

Die Downloads enthalten auch das "Diary of a (Mad?)Man" - das Tagebuch enthält immerhin wichtige Hinweise, ohne die mindestens ein Rätsel nahezu unlösbar ist.

Funktionierende Science-Fiction

Die schmutzige Science-Fiction erschloss sich nicht nur über die Aufmachung und einen famosen Klang – der für Komposition und Ton verantwortliche Matt Seldon vereinte die ausweglose Melancholie ruhiger Synthesizer mit den Beats elektronischer Clubmusik. Dodwell und Dew waren auch clever genug, Spiel und Erzählung funktional zu verbinden.

Um verschlossene Türen zu öffnen, musste ich etwa jedes Mal den richtigen Code eingeben. Computer habe ich durch das Eingeben echter Befehle bedient. Und so unhandlich es für die Bedienung war: Ich musste Gegenstände immer erst dort ablegen, wo ich sie benutzen wollte, sie öffnen, bevor ich sie benutzen durfte und Türöffner betätigen, bevor Ryan den Ausgang erreichen konnte.

Es gab zudem wesentlich mehr Gegenstände als für das Lösen der Aufgaben notwendig waren – die Welt von Dreamweb existierte auch ohne das Spiel. Das machte sie greifbar. Die ungeschönte Darstellung von Sex und Gewalt machte sie im Sinne eines guten Thrillers glaubwürdig.

Dreamweb war ein erwachsenes Spiel, bevor Spiele damit begannen, langsam erwachsen zu werden.

Verrückt?

"Erwachsen" nicht nur wegen der Inhalte und seiner krassen Bilder. Erwachsen war vor allem eine Erzählung, deren wichtigste Hinweise in dem Adventure gar nicht erwähnt wurden. "Diary of a (Mad?)Man" hieß das kleine Buch, das dem Spiel beilag: Ryans Tagebuch, geschrieben von Stephen Marley .

Als die Arbeiten an Dreamweb schon fortgeschritten waren, suchten Dodwell und Dew einen weiteren Autor. Keinen für die Handlung des Spiels, aber einen, der die Vorgeschichte ihres Protagonisten erzählen sollte. Sie fanden Marley, der zu diesem Zeitpunkt bereits drei Fantasyromane veröffentlicht hatte.

Und Marley hatte eine Idee, wie er Ryans Charakter entscheidend formen könnte.

(Alb)traum und Wirklichkeit

Das Dreamweb: Ryan wird von Albträumen geplagt. Ein Mann im roten Umgang beobachtet ihn da. Bald fürchtet er sich davor schlafen zu gehen. Seine Einträge werden dann kürzer, die Schrift unsauberer.

Gleichzeitig verfolgen ihn im echten Leben die Nachrichten über einen Mörder und irgendwann findet er eine verlassene Kirche, St. Septimus (Siebter), in der er meint den Mörder zu treffen. Oder war dies nur Teil eines Traums? Realität und Traum gehen immer weiter ineinander über, während er geheimnisvolle Symbole in sein Tagebuch krakelt.

Irgendwann weiß Ryan, dass er derjenige ist, der den Mörder und sechs andere töten soll. Deshalb sagt er „Ich weiß, was zu tun ist“, als ihn der Wächter des Dreamwebs – eine Gestalt im roten Umgang – um Hilfe bittet.

 

Bevor Ryan seine abscheuliche Aufgabe erfüllen kann, benötigt er zunächst eine Waffe.
 

Und tötet sieben Menschen, die er bereits in irgendeiner Form aus seinem Umfeld kannte.

Ob das Dreamweb nur ein Hirngespinst war, lösen Dodwell, Dew und Marley nie auf.

Der lange Schatten

Interessanterweise erwacht Ryan zu Beginn des Spiels mit offenen Augen, bevor ich ihm eine dunkle Sonnenbrille aufsetzen konnte... ja, ich weiß, dass ich viele Aspekte auf ein nostalgisches Podest überhöhe. Nüchtern betrachtet war Dreamweb nur ein finsterer Thriller mit vielen guten, aber auch mit frustrierenden Rätseln. Es war zudem nicht das einzige Spiel, das mehr als ein lustiges Abenteuer sein wollte.

Neil Dodwell und David Dew vereinten allerdings Spiel und Erzählung, Musik und Aufmachung so nahtlos miteinander, wie es bis heute selten gelingt. Über interessante Facetten erzählten sie eine ernsthafte Geschichte, die Jahre später noch zum Nachdenken anregt.

Denn Ryans Absturz in menschliche Abgründe ist ebenso abscheulich wie menschlich.

Eine neue Chance?

Zuletzt arbeiteten Dodwell und Dew übrigens an L.A. Noire – im gleichen Jahr zeigte sich Stephen Marley an neuen Projekten im Bereich der Videospiele interessiert . Vielleicht kommen die drei ja als unabhängige Entwickler noch einmal zusammen.

 
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