Die Story & das Spiel27.03.2006, Jörg Luibl
Die Story & das Spiel

Special:

Wie vor fünfzehn Jahren: Über Dialog und Story in Adventures.

Ein Gastbeitrag von Fabian Walden; working-title.de

Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, dass ein milchgesichtiger Hänfling auf meinen Bildschirm stampfte und mir einen Satz entgegen schmiss, den ich wohl mein Leben lang nicht vergessen werde: "Mein Name ist Guybrush Threepwood und ich will Pirat werden!" Diese Worte waren 1990 der Einstieg in 'The Secret of Monkey Island', welches bis heute als der

Fabian Walden war zunächst als Tester unterwegs; jetzt schreibt er regelmäßig für das alternative Spiele-Magazin working-title .
Adventureklassiker schlechthin gilt, und, verdammt, es waren gute Worte! Mit diesem einen Satz erklärten die Entwickler von Lucasfilm Games nicht nur Sinn und Ziel des Spiels, sondern sie stellten auch gleichzeitig einen der besten Charaktere der Spielegeschichte und seinen großen Traum vor. Innerhalb kürzester Zeit identifizierte man sich mit Guybrush und verstand sein Handeln, so abstrus es auch sein mochte.

Nun sind seitdem rund fünfzehn Jahre vergangen und man sollte annehmen das Adventuregenre habe sich prächtig weiterentwickelt; das Erzählen von interaktiven Geschichten perfektioniert und die interessantesten Figuren hervorgebracht. Leider ist dem nicht so: Mitte der 90er-Jahre haben Adventures beinahe von heute auf morgen gänzlich ihre Bedeutung verloren, wurden lange Zeit tot gesagt und erwachen erst jetzt wieder mit noch immer schweren Atemzügen aus dem Koma. Auf so einen Patienten muss man Rücksicht nehmen, mag der ein oder andere sagen, ihm Zeit geben. Ganz im Gegenteil, behaupte ich.

Denn ein Blick auf den Spielemarkt zeigt: Jedes andere Genre hat da, wo es zählt, in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht. Rollenspiele lassen uns tatsächlich eine Rolle spielen und zwischen gut und böse wählen, Ego-Shooter stellen Kriege und Schlachten intensiver als jemals zuvor dar, einzelne Actionspiele wie 'GTA' gaukeln gar echte Handlungsfreiheit vor. Bei Adventures kommt es auf Rätsel und die Geschichte an, doch gerade an Letzterem hakt es eben: Der Spieler hat keinerlei Einfluss auf den von ihm verkörperten Charakter, auf sein Verhältnis zu anderen Figuren, nicht einmal auf den Ausgang einer einzelnen Szene.

Selbst kleine Details wie die Dialoge verlaufen wie auf Schienen: In der Regel stehen einfach ein paar Fragen zur "Auswahl", die alle nacheinander abgearbeitet werden müssen, bevor es weitergeht. Mal nachhaken oder gar eine Reaktion zeigen, welche die Beziehung zwischen den Charakteren verändern könnte? Nein, bloß nicht! Der Dialogzug hält nur nach Fahrplan. Menschen, die eine Geschichte eigentlich beleben sollten, verkommen so zu profillosen Datenträgern. Würden die Entwickler die Infos auf einen Zettel schreiben, anstatt sie einer Figur in den Mund zu legen, es würde keinen Unterschied machen.

Dieser Gastbeitrag ist Teil des Themas "Die Story & das Spiel". Weitere Essays findet ihr hier !
Dabei gab es in der Vergangenheit Beispiele, wie es besser geht: 'Baphomets Fluch' etwa ließ den Spieler mit jedem NPC nicht nur über die wichtigsten Themen sondern auch über alle Gegenstände kommunizieren, welche Held George bei sich trug. Wenn der sich dann etwa weigerte einen in der Hand versteckten Elektroschocker an einer alten Dame auszuprobieren, verriet das etwas über seinen Charakter. Wenn er es bei einem kleinen aber großmäuligen Dorfjungen hingegen versuchte und der auch noch darauf hineinfiel, dann verriet uns das auch etwas über George - und natürlich über sein Gegenüber. Zugleich gelang es Entwickler Revolution damit, einen guten Mittelweg zwischen langweiligem Geplapper und relevanten Dialogen zu finden: Wer viel über eine Figur wissen wollte, konnte viel erfahren. Aber er musste nicht.

Einen anderen, interaktiveren Weg haben Westwood mit der Spielumsetzung des Films 'Blade Runner' und Quantic Dream mit dem erfrischend innovativem 'Fahrenheit' beschritten: Beide ermöglichten es dem Spieler, wenigstens den Ausgang der Geschichte mitzubestimmen. Replikantenjäger McCoy konnte in 'Blade Runner' seinen Gesprächspartnern entweder freundlich, neutral oder aggressiv gegenübertreten und auf diese Weise unterschiedliche Antworten provozieren. Und Polizistin Carla sowie ihr Gegenspieler Lucas durften sogar das ganze Gespräch über verschiedenst reagieren, was sich vor allem auf ihre seelische Verfassung auswirkte. Nette Versuche, natürlich ein Fortschritt, aber doch noch so weit von dem entfernt, was möglich wäre.

Um zu sehen, wie Dialoge vielleicht in ein paar Jahren ablaufen könnten, dazu muss man schon einen Schritt weg von den kommerziellen Spielen wagen und sich im "Untergrund" umsehen. Da gibt es zahlreiche nennenswerte Projekte, aber zwei möchte ich besonders hervorheben: Zum einen ist das 'Façade', welches die Entwickler mutig als Prototyp eines interaktiven Dramas bezeichnen. Der Spieler platzt in einen Ehestreit zweier Freunde und kann sich mit beiden Charakteren relativ frei und in Echtzeit per Texteingabe unterhalten. Entweder versucht er, den Grund für den Streit aufzuspüren und zu schlichten, oder aber er heizt die Szene noch mehr an, indem er Position für eine der beiden Seiten bezieht. Natürlich funktioniert das System nicht einwandfrei, aber mit dem entsprechenden Budget und ein wenig Zeit, ließe sich daraus viel machen. Denn muss es nicht langfristig das Ziel sein, den Spieler selbst sprechen zu lassen, ihm eine Stimme zu geben?

Das zweite Beispiel ist das bald sechs Jahre alte Textadventure 'Galatea', in welchem sich der Spieler mit einer Statue unterhält, ebenfalls per Texteingabe grob die Themen vorgibt und sich dann überraschend lässt, was der Gesprächspartner alles von sich gibt. Mehr noch: Die Statue merkt sich, über welche Themen der Spieler bereits mit ihr geredet hat, sie stellt selbst Fragen und prägt sich auf diese Weise einen eigenen Eindruck von ihrem Gegenüber, welcher sich auch in ihren Antworten niederschlägt. Ich habe 'Galatea' bestimmt zehn Mal gespielt und jedes Mal ein anderes Ende erlebt. So müssen ansprechende Dialoge aussehen.

Wenn es also schon Einzelpersonen gelingt, Abwechslung und Tiefe in die Gespräche zu bringen, warum schaffen es dann die großen Teams der kommerziellen Entwickler nicht? Gerade den ständig bemängelten geringen "Wiederspielbarkeitswert" von Adventures könnten sie deutlich erhöhen, wenn es echte Auswahlmöglichkeiten bei den Dialogen gäbe, sich die Charaktere entwickeln und sich ihre Beziehungen zueinander verändern würden. Auch mehrere Lösungswege wären möglich: Breche ich als Polizist im Verhör einen Mörder, indem ich alle Spuren suche und ihn mit harten Fakten konfrontiere, ihm vielleicht drohe? Oder versuche ich es auf die sanfte Tour, sammle Informationen über ihn, heuchle Verständnis und bringe ihn dazu, mir zu vertrauen, mich zu mögen? Guter Bulle, böser Bulle - das mag ein Klischee sein, aber sogar solch ein Klischee wäre schon eine deutliche Steigerung gegenüber den typisch emotionslosen Langweilern der Marke Martin Holan aus 'Nibiru'.

Um auf die Frage des Warum zurückzukommen: Wie so oft spielt natürlich das Geld eine Rolle. Ein paar Dialoge mit vorgegebenen Fragen und Antworten hinzuklatschen, das ist vergleichsweise schnell gemacht und die Adventureklientel akzeptiert es. Etwas Neues hingegen stellt immer ein Risiko dar und in diesem Fall auch noch einen wesentlich größeren Aufwand: Mehr Einfluss und Interaktivität für den Spieler bedeutet vor allem mehr Arbeit für die Entwickler. Außerdem müssen für jede mögliche Situation Auswege gefunden werden: Was passiert etwa, wenn ein Spieler als besagter Polizist jeden Befragten einschüchtern will? Eigentlich sollte es den ein oder anderen geben, der darauf mit Trotz reagiert und zur Strafe einfach gar nichts von sich gibt. Dennoch müsste das Spiel irgendwie weitergehen, eventuell zusätzliche Szenen oder Charaktere gewissermaßen als Umleitung zum Ziel hervorbringen. Aber lohnt sich das überhaupt, wenn ein Großteil der Käufer diese Seite des Spiels wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht bekommt?

Letztendlich ist die Frage, wo das Adventuregenre mit seinen Erzählungen hin will: Möchte es am Rande des Abgrunds verharren und hoffen, dass kein Windstoß wie vor zehn Jahren kommt und es wieder nach unten befördert? Oder möchte es ein paar Schritte auf sicherem Boden machen, neue Spieler gewinnen, alte zurückholen? Dann sollte es nicht auf der Stelle treten, sondern etwas versuchen. Und seine Handlungen interaktiver und mit interessanteren Charakteren zu erzählen, ist sicher nicht der schlechteste Ansatz dafür.

       

 
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