Fez17.04.2012, Jens Bischoff
Fez

Im Test:

Fez sorgte bereits auf dem Independent Games Festival 2008 für Aufsehen. Damals hatte aber wohl niemand gedacht, dass die Fertigstellung des Spiels noch ganze vier Jahre auf sich warten ließe. Letztes Wochenende war es endlich so weit und der im März mit dem Grand Prize des diesjährigen Independent Games Festivals prämierte Titel lief via Xbox Live Arcade vom Stapel. Hat sich das Warten gelohnt?

Der Hut der Erkenntnis

Auf den ersten Blick mag Fez wie ein klassisches 2D-Jump'n'Run aus den 80ern anmuten, das stilistisch in dieselbe Kerbe wie Sword & Sworcery schlägt. Titel-Sprite Gomez hat jedoch schon nach wenigen Minuten ein einschneidendes Erlebnis, das ihm die verborgene Dreidimensionalität seiner sich im Zerfall befindlichen Heimat offenbart. Nur er kann dank des titelgebenden Filzhuts die Tiefe des Raums wahrnehmen und sich zunutze machen.

Das heißt, dass der rot bemützte Pixelheld fortan nicht nur laufen, klettern und hüpfen, sondern auch die nach wie vor zweidimensional dargestellte Spielwelt in 90°-Schritten drehen und damit z. B. anfangs unsichtbare Türen erscheinen oder unüberwindbar geglaubte Abgründe verschwinden lassen kann. Klingt merkwürdig und wirkt anfangs etwas befremdlich, geht aber erstaunlich schnell in Fleisch und Blut über.

Eigentlich sorgt die Trixel getaufte Grafik-Engine lediglich dafür, dass durch die zweidimensionale Darstellung dreidimensionaler Räume direkt hintereinander liegende Flächen eins werden, egal wie weit sie eigentlich voneinander entfernt sind. Zwei sich gegenüberliegende Plattformen werden so durch eine simple Drehung zu einer einheitlichen Fläche, willkürlich angeordnet erscheinende Bretter zu einer Treppe usw.

Sein und Schein

Der Abstand zwischen diesen beiden Inseln kann sich durch einfaches Drehen der Perspektive in Luft auflösen.
Der Abstand zwischen diesen beiden Inseln kann sich durch einfaches Drehen der Perspektive in Luft auflösen.
Mal rotiert man sich wie in Nebulus spiralförmig Türme empor, mal muss man gezielt hin und her drehen, um Stufen zu bilden oder Durchgänge zu schaffen. Optische Täuschungen werden so zu realen Begebenheiten. Doch manchmal werden einem auch Streiche gespielt, in dem z. B. ein und dieselbe Türe an verschiedene Orte zu führen scheint oder sich die Konsole in bester Eternal Darkness-Manier aufzuhängen droht.

Manchmal gibt es zwar auch unfreiwillige Aussetzer sowie Bildstottern - echte Frustmomente bleiben dank äußerst reger Speicherautomatik jedoch aus. Zudem sind die einzelnen Spielabschnitte meist recht kompakt gestaltet und mit verschiedenen Möglichkeiten für schnelle Ortswechsel versehen. Die aufrufbare Gesamtkarte wirft zwar teils mehr Fragen auf als dass sie Antworten liefert, missen möchte man sie aber genauso wenig wie die praktische Zielvorschau vor dem Betreten bereits geöffneter Türen.

Wer sucht, der findet

Manchmal helfen auch Fauna, Witterung oder Tageszeit beim Lösen von Rätseln oder Bewältigen von Hindernissen.
Manchmal helfen auch Fauna, Witterung oder Tageszeit beim Lösen von Rätseln oder dem Bewältigen von Hindernissen.
Darüber hinaus gibt es auch Möglichkeiten zur Interaktion: So kann man z. B. Kisten bewegen, Druckplatten beschweren, Zeitbomben zünden, Kurbeln betätigen oder Schaltfedern aufziehen. Eigentlich alles hinlänglich vertraute Elemente, die in Verbindung mit der rotierenden Spielwelt allerdings ganz neue Facetten erlangen, während einen die meditativ angehauchte Soundkulisse geradezu in Trance versetzt.

Ziel der teils ungemein kreativen Hindernisbewältigung ist aber nicht nur das Vordringen in die immer bizarreren Tiefen der geheimnisvollen Spielwelt, sondern auch das Sammeln verschollener Würfelfragmente, um den sich in schwarzen Löchern manifestierenden Zerfall der Spielwelt aufzuhalten. Hin und wieder stößt man auch auf gut versteckte Artefakte, findet Schlüssel, um verriegelte Türen zu öffnen, und studiert Schatzkarten, um an verborgene Orte zu gelangen. Selbst Fauna, Witterung und Tageszeit sind weit mehr als nur schmückendes Beiwerk.

Sterben kann man übrigens nicht. Stürzt man in die Tiefe oder nimmt sonst wie Schaden, wird man völlig straffrei an den letzten Ort mit festen Boden unter den Füßen zurückversetzt und kann den verpatzten Sprung direkt nochmals angehen oder einen anderen Weg suchen. Geschick und Fingerfertigkeit sind dabei nur selten gefragt. Im Vordergrund stehen vielmehr Beobachtungsgabe und Kombinationsfähigkeit. Gegner gibt es z. B. überhaupt keine und auch zeitlich wird man fast nie unter Druck gesetzt.

Zu früh gefreut

Die gelben Würfelfragmente sind noch relativ leicht zu finden, deren lilafarbenen Gegenstücke erfordern schon mehr Anstrengung.
Die gelben Würfelfragmente sind noch relativ leicht zu finden, deren lilafarbenen Gegenstücke erfordern schon mehr Anstrengung.
Die 32 für das Beenden des Abenteuers nötigen Würfel sind schnell gesammelt. Die eigentliche Herausforderung besteht allerdings darin, eben so viele Antiwürfel aufzustöbern, um auch die letzte Türe und deren Geheimnis zu lüften. Doch dafür braucht es weit mehr als nur ein gutes Auge und helles Köpfchen. Auch des Englischen sowie dessen ein oder anderer Besonderheit sollte man trotz eingedeutschter Texte mächtig sein, um merkwürdige Runen in verständliche Worte zu verwandeln.

Andere Symbole sind wiederum universell und selbst simple Vibrationen oder gewöhnliche Bewegungen können Schlüssel sein. Manches Geheimnis offenbart sich sogar erst nach Spielende, wenn man die Welt mit anderen Augen zu sehen bekommt. Fez ist jedenfalls weit mehr als nur eine originelle Perspektivenknobelei à la echochrome, SHIFT oder Crush, es ist eine fast schon philosophische Odyssee durch Zeit und Raum, die in meinen Augen ähnlich fasziniert und verblüfft wie seinerzeit Braid.

Fazit

Fez besticht nicht nur durch seine außergewöhnliche Grafik-Engine Trixel, die 2D und 3D phantasievoll ineinander fließen lässt. Auch die damit verbundenen Überraschungen, Herausforderungen und Stimmungen sind einzigartig. Man durchstreift eine charmant pixelige Würfelwelt voller Geheimnisse und versteckter Hinweise, die es vor dem Zerfall zu bewahren gilt. Man beobachtet, notiert, grübelt, experimentiert und sinniert über das, was auf dem Bildschirm passiert. Es gibt keine Gegner, keine Punkteprämien, keinen Zeitdruck - selbst der Tod ist nur ein kurzes Zurückblenden. Man kann in aller Ruhe die immer wieder aufs Neue verblüffende Spielwelt erforschen bis sämtliche Geheimnisse gelüftet und Bruchstücke zusammengefügt sind. Bezaubernd, faszinierend, einzigartig.

Wertung

360

Rätselhafte Reise durch Zeit und Raum - bezaubernd, faszinierend, einzigartig.

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