Marvel: Ultimate Alliance 202.10.2009, Mathias Oertel
Marvel: Ultimate Alliance 2

Im Test:

Einst auf dem PC eine Domäne, dann auf Konsolen zur Hochform aufgelaufen, ist das klassische Action-Rollenspiel mittlerweile meist nur noch eine Ansammlung bekannter Hack&Slay-Mechanismen, die zum Wiederkäuen freigegeben wurden. Doch es gab vor gut drei Jahren einen Hoffnungsstreif am Horizont: Die geballte Macht der Marvel Superhelden, die mit Ultimate Alliance nur ganz knapp Gold verfehlten. Jetzt sind die Weltenretter wieder da und kämpfen nicht nur gegen sich selbst, sondern auch gegen den Zahn der Zeit, der an den Mechaniken nagt.

Jeder gegen jeden

Die Fronten haben sich gebildet. Die Grenzen sind gezogen. Superhelden auf der einen Seite. Superhelden auf der anderen. Moment mal... Sollten bekannte Gesetzeshüter wie Captain America, Iron Man oder Spider-Man nicht gegen Super-Bösewichte kämpfen? Wieso treten Freunde auf einmal gegeneinander an und werden Teams wie die Fantastischen Vier oder die X-Men auseinander gerissen?

Statt Bösewichte zu jagen, kämpfen die Superhelden gegen sich selbst - alles nur wegen eines Politikums.
Grund dafür ist der so genannte "Registration Act", ein Gesetz, nach dem sich alle Superhelden namentlich registrieren lassen müssen, um im Zweifelsfall für Schäden und vor allem menschliche Verluste bei ihren Einsätzen haftbar gemacht werden zu können. Und das alles nur, weil durch eine Unachtsamkeit und angeheizt von populistischen Politikern ein tragisches Ereignis mit zahlreichen zivilen Opfern genutzt wird, um den Versuch zu unternehmen, die Superhelden zu überwachen.

Natürlich lassen das nicht alle ohne zu Murren über sich ergehen und die Helden-Gemeinschaft wird gespalten: Auf der einen Seite stehen die Regierungstreuen unter der Führung von Iron Man Tony Stark, auf der anderen folgen die Rebellen ihrem Anführer Captain America.

Alles wie gehabt, nur weniger

Die Story, die sich hauptsächlich um die gegeneinander antretenden Superhelden aus dem weitreichenden Marvel-Universum dreht, ist bei Ultimate Alliance 2 (UA2) die Hauptantriebsfeder der Motivation. Sie wird zwar nicht mit Hochglanz-Render-Filmen, aber sehr solide erzählt, hat die eine oder andere Überraschung zu bieten und weiß mit einem cleveren Einsatz der sich gegenseitig ausspielenden übermenschlichen Stars zu überzeugen.

Im Marvel-Universum gibt es nicht nur charismatische Helden. Mit Venom und dem Green Goblin sind auch zwei Antagonisten spielbar. 
Die spielmechanische Komponente hingegen zeigt sich bieder, konservativ und im Vergleich zum beinahe mit Gold ausgezeichneten, gut drei Jahre alten Vorgänger (4P-Wertung: 84%) rückschrittlich. Erinnern wir uns: Das auf den X-Men Legends-Spielen aufbauende Prinzip der Hack&Slay-Unterhaltung mit Helden-Hintergrund hatte einiges zu bieten. Ein umfangreiches Charakteraufstiegssystem z.B., bei dem selbst die aufrüstbaren Kostüme eine Rolle gespielt haben. Dazu ein Kampfsystem, das mit seinem teilweise schmerzenden Knopfgehämmer, aber auch Quicktime Reactions für weitaus mehr als 20 Stunden richtig gute Unterhaltung sorgen konnte - und das sowohl in der Kampagne als auch in den zahlreichen Nebenmissionen.

Davon ist in UA2 nur noch das Kampfsystem übrig geblieben. Es gibt zwar jeweils ein Alternativkostüm für die über 20 Figuren freizuspielen, das hat jedoch nur optischen Charakter. Die Qual der Wahl der Fähigkeiten ist auch der Schere zum Opfer gefallen. Neben den normalen "Prügelangriffen" hat jeder Charakter schließlich haargenau vier Sonderangriffe zur Verfügung, die man beim Stufenaufstieg verstärken kann. Die leichte strategische Tiefe, die durch die Wahl der Kräfte in UA1 für Abwechslung vom Kloppmist-Einerlei gesorgt hat, fehlt hier vollkommen. Selbst bei den aufrüstbaren Eigenschaftsverstärkungen wurde gespart. Je nach eingeschlagenem Weg (Rebell, Regierung) kann es unter Umständen passieren, dass die eine oder andere Figur nur zwei Eigenschaften weiterentwickeln kann. Diese eindimensionale Charakterentwicklung hat zwar auch ihr Positives, nämlich eine stärkere Zeichnung der Figuren und damit auch einen höheren Nutzen jedes einzelnen Charakters im Team. Doch dem Rollenspiel-Ansatz, der im Genre mitklingt, tut dies keinen Gefallen.

Die Fusions-Attacken sind nicht nur eine spielerische Bereicherung, sondern sehen dazu auch noch klasse aus.
Da helfen auch die neuen "Boosts" nicht, die man immer wieder finden und von denen man drei gleichzeitig als Ausstattung mitführen kann. Je nach Art der Unterstützung werden z.B. bestimmte Schadenstypen (Feuer, Eis etc) verstärkt, es findet eine verbesserte Energieregeneration statt oder es wird pro erledigten Gegner zusätzliche Erfahrung ausgeschüttet.

Helden für alle

Andererseits jedoch ist der Einstieg in UA2 dadurch mit einer unheimlich geringen Hemmschwelle verbunden, da man ohne großartig auf die Entwicklung der Figuren achten zu müssen einfach das Pad nehmen und loslegen kann - was auch vom optionalen automatischen Upgrade-System unterstützt wird. Sowohl on- als auch offline kann man mit bis zu vier Spielern um die Häuser ziehen und böse Buben verdreschen. Dabei ist man offline natürlich wieder gewissen räumlichen Zwängen unterworfen, da sich alle auf einem Bildschirm aufhalten müssen. Sobald einer der Helden sich zu weit von seinen Kameraden entfernt und aus dem Bildschirm läuft, wird er wieder zurück gebeamt. Online wiederum wird man von leichten Lags geplagt, die allerdings nur minimale Auswirkung auf den Spaß haben, da es nicht auf zeitempfindliche Gruppentaktiken ankommt.

  

Wie man es kennt, werden auch bestimmte Gruppenzusammenstellungen mit Boni belohnt, so z.B. für Die Fantastischen Vier, eine nur aus Mutanten bestehende X-Men-Gruppe oder auch ein rein weibliches Prügelquartett, die Femmes Fatales.

Aber insgesamt gibt es einfach zu wenige Momente, die nicht nach "Been there, done that, got myself a lousy T-Shirt" schreien. Wie beispielsweise die Dialoge mit mehreren Antwortmöglichkeiten. Weht hier etwa ein kleiner Wind Bioware durch die Superhelden-Welt? Haben die Antworten vielleicht Auswirkung auf den weiteren Verlauf der Handlung?

Aufwändige Effekte werten die mitunter nur durchschnittlichen Kulissen deutlich auf.
Bevor hier Hoffnung keimt: Nein! Denn zum einen geht das Gespräch ganz normal seinen von den Entwicklern vorgesehenen Lauf, egal ob man dabei aggressiv, defensiv oder diplomatisch antwortet. Und zum anderen kann man durch entsprechendes Sammeln entsprechender Antworten nur weitere Boosts freischalten.

Und hier hat das Team von Vicarious Visions z.B. eine ganz große Chance verschenkt: Anstatt subtil über das Auswerten der Antworten festzustellen, ob man als Spieler schließlich zu den Rebellen ziehen muss oder sich Iron Mans Befürwortern des Gesetzentwurfes anschließt, holt man den Entscheidungs-Holzhammer raus. Nicht ohne vorher den Hinweis abzugeben, einen Speicherstand anzulegen, wird man gefragt, ob man Pro oder Kontra "Registration Act" ist - zu plump, zu einfach, zu uninspiriert.

Zweckmäßiger Zusammenschluss

Überhaupt schien Vicarious bestrebt, mit einem eher minimalen Aufwand den größtmöglichen Ertrag zu erzielen. Denn auch die neuen Fusion-Angriffe bleiben nach anfänglicher Faszination nicht mehr als eine weitere gute Idee, die nicht konsequent zu Ende gedacht wurde.

Das Konzept dahinter ist verdammt cool. Jeder Superheld kann mit einem x-beliebigen Gruppenmitglied einen Sonderangriff vom Stapel lassen. Diese Fusion-Angriffe gliedern sich in drei Kategorien: Direkte Angriffe auf ein Ziel, Attacken auf alle in einem Bereich befindlichen Gegner sowie eine steuerbare Angriffsform.

Das Problem hierbei ist, dass sich viele der Fusionen konzeptionell ähneln. Sie sehen zwar allesamt gut aus, doch der Überraschungseffekt hält sich irgendwann in Grenzen.

Daredevil Seite an Seite mit den X-Men: Marvel-Fans können ihre Fantasie ausleben.
Zudem lässt sich auch nicht im Gruppenmenü einsehen, welche Fusionsart die jeweiligen Mitglieder im Zusammenspiel zur Verfügung haben. Wer jetzt gezielt nach einer "Target-Fusion" sucht, muss immer wieder Helden tauschen und schauen, ob das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Das wird aber immerhin dadurch erleichtert, dass man nicht mehr an Speicherpunkten sein muss, um Teammitglieder austauschen zu können.

Überhaupt wird mit Ausnahme der belohnenden Boni zu wenig Wert auf die Zusammenstellung der Gruppe gelegt. Gab es im Vorgänger zumindest hin und wieder Momente, in der ein bestimmter Held mit von der Partie sein musste, ist es hier gleichgültig. Die ohnehin zu selten eingestreuten und viel zu leichten Rätsel lassen sich mit einer beliebigen Gruppe lösen. Die Kämpfe sind dank des guten Balancings auch mit allen Kombinationen machbar.

Doch insgesamt wäre in diesem Bereich -wie in so vielen anderen auch- mit etwas Mut zum kalkulierten Risiko mehr möglich gewesen. Zumal der Vorgänger mit seinen Inhalten durchaus Hoffnung machte, dass mit UA2 dieses Risiko eingegangen würde.

Kein Plastik, sondern echte Helden

Hinsichtlich der Kulisse hält sich der Fortschritt leider ebenfalls in Grenzen. Mit der Abkehr vom plastillinen Action-Figuren-Look des Vorgängers hin zu einer eher von Hollywood inspirierten Darstellung der Protagonisten wurde zwar ein Schritt nach vorne gemacht, doch hinsichtlich des restlichen Umfeldes bleibt man ähnlich konservativ wie bei den Spielmechaniken.

Action, Action und noch mehr Action. Von "Rollenspiel" ist mit der abgespeckten Charakter-Entwicklung kaum etwas zu spüren.
Es gibt nach wie vor keine offene Welt, sondern nur überschaubare Abschnitte, die über die jeweiligen "Verteiler"-Karten wie z.B. Stark Tower oder das S.H.I.E.L.D.-Hauptquartier erreicht werden können.

Wer allerdings jetzt vermutet, dass die Designer die Möglichkeit beim Schopfe packen und mit den eingeschränkten Abschnitten ein Grafik-Feuerwerk sondergleichen abfackeln, sieht sich ebenfalls auf dem Holzweg.

Die Umgebungen sehen insgesamt passabel aus und mit Ausnahme von einer Hand voll explosiver Fusionen, die einen Teil der mitunter zerstörbaren Umgebung eindrucksvoll in Schutt und Asche legen, läuft alles auf beiden bislang getesteten Systemen schön flüssig. Doch im Texturdetail gibt es von Karte zu Karte teils herbe Unterschiede - beinahe so, als ob Designer unterschiedlicher Fertigkeit- oder Erfahrungsstufen ausgewürfelt hätten, wer sich um was kümmern soll.

Uninspirierte Innenarchitektur wechselt sich ab mit idyllisch-futuristischen Waldgebieten, dunkle Minenschächte geben sich die Klinke in die Hand mit etwas zu sterilen Gefängnisstrukturen. Alles sauber, alles solide, aber letztlich zu uneinheitlich und damit nur purer Durchschnitt - genau wie ein Großteil der Animationsbibliothek. Einzig die Effekte bei den Fusionen und den übrigen Spezialangriffen sind immer wieder einen Hingucker wert.

Dass die Helden nur Englisch sprechen, ist per se nicht schlecht, da die Sprecher größtenteils mit viel Elan bei der Sache sind. Dass aber nicht einmal deutsche Untertitel zu finden sind, ist bedauerlich. Denn so werden die ganzen Ansätze, über die beinahe zu einsteigerfreundliche Charakter-Entwicklung neue Heldenfans ins Boot zu holen, wegen einer möglichen Sprachbarriere abgeblockt.

 

Fazit

Die Helden kommen in die Jahre - und verlieren damit langsam an Faszination. Scheiterte die ultimative Marvel-Allianz vor gut drei Jahren denkbar knapp an Gold, sind die Hack&Slay-Auseinandersetzungen mittlerweile sehr weit davon entfernt. Anstatt auf den herausragenden Merkmalen des Vorgängers aufzubauen, wurde an genau den falschen Stellen rationalisiert und Elemente gekürzt. Einzig das gute und eingängige Kampfsystem mit aktivem Block wurde durch die optisch eindrucksvollen Fusions-Attacken aufgewertet. Und wenn die gelungene Story nicht wäre, hätten die Marvels deutlich schlechter abgeschnitten. Denn z.B. die Charakterentwicklung wurde zu stark zurückgestuft: Anstatt dem Spieler die Möglichkeit zu geben, innerhalb bestimmter Richtlinien die Figuren seinem Spielstil entsprechend zu entwickeln, findet eine Gleichschaltung und Reduzierung von sowohl Fähigkeiten als auch Eigenschaften auf das Nötigste statt. Dadurch werden die einzelnen Figuren zwar gestärkt und interessanter, woran auch das gelungene Balancing einen Anteil hat, doch der Rollenspielfaktor wird dadurch auf ein Minimum reduziert. Auch der Umfang wurde insgesamt deutlich reduziert, was nicht nur am Fehlen der aufrüstbaren Kostüme des Vorgängers festzustellen ist. Konnte man mit den ersten Superhelden noch weit über 20 Stunden verbringen, ist man hier nach deutlich weniger als der Hälfte der Zeit fertig. Zwar hat man dann erst einen der beiden Erzählstränge bis zum Ende gesehen, doch mit einer klug positionierten Spielstand-Speicherung kann man das zweite Finale erleben, ohne all zu viel Zusatzzeit investieren zu müssen. Schade, Vicarious Visions: Anstatt die Superhelden unsterblich zu machen und mit frischen Mechaniken zum Hack&Slay-Olymp zu führen, hat das Team sie in der Vergangenheit schwelgen lassen. Eine Vergangenheit, die zweifellos zu unterhalten versteht. Aber ebenso eine Vergangenheit, deren Faszination langsam, aber sicher nachlässt - auch wenn die Kulisse unter dem Strich einen gelungenen Hintergrund für die Prügeleien abliefert. Für die möglichen zukünftigen gemeinsamen Abenteuer von Captain America, Iron Man & Co sollten die spielmechanischen Weichen aber mehr auf Risiko gestellt werden, damit die Superhelden nicht den Anschluss verlieren.

Pro

über 20 Helden zur Auswahl
eingängige Kampfmechanik
Multiple Choice-Dialoge...
eindrucksvolle Fusionsattacken...
eigene Teams erstellbar
einiges zu entdecken
interessante Story
bis zu vier Spieler on- und offline kooperativ

Kontra

nur rudimentäre sowie eingeschränkte Charakterentwicklung
linear- ... die aber viel zu wenig Auswirkung haben- ... von denen aber viele sehr ähnlich sind
umständliches Ausprobieren der Fusionen
im lokalen Multiplayer unübersichtlich und eingeschränkte Bewegung
visuell eher bieder

Wertung

360

Trotz guter Story und gelungenen Fusions-Attacken: Die Marvel-Helden halten zu sehr an Altbekanntem fest und liefern "nur" grundsolide Hack&Slay-Unterhaltung ab.

PlayStation3

Solides, unkompliziertes Hack&Slay mit interessanter Story, das leider verpasst, auf den Stärken des Vorgängers aufzubauen und statt dessen inhaltlich einen Schritt in die Vergangenheit macht.

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