Im Test:
Der K(r)ampf um Graia
Orks sind ätzend! Wenn ich eine Lektion aus Space Marine gelernt habe, dann ist es diese. Aber ich sollte nicht verallgemeinern – immerhin treiben die Monster in zig Filmen (u.a. Herr der Ringe), Fantasy-Büchern sowie anderen Videospielen ihr Unwesen und wissen dabei durchaus zu begeistern. Doch wenn ich mit Captain Titus von den Space Marines und seinen beiden Begleitern Veteran Sergeant Sidonus sowie Veteran Leandros losziehe, um die Fabrikwelt Graia vor der Ork-Invasion zu befreien, gehen mir die "Grünhäute" ziemlich schnell auf die Nerven.
Das hat mehrere Gründe: Zum einen stellen die Orks rund zwei Drittel der Kampagne die einzige feindliche Spezies dar. Zwar gibt es Variationen vom koboldartigen Grot über bewaffnete Ballaboys bis hin zu gepanzerten Bossen, doch hat man sich schon nach kurzer Zeit an der grünen Meute satt gesehen. Zum anderen treten die Orks meist sehr zahlreich auf - mehr als 30 Gegner gleichzeitig auf dem Bildschirm sind hier keine Seltenheit. Im Prinzip spricht das für ein schönes Metzelfest, wenn man mit Nahkampfwaffen wie dem Kettenschwert, der Energieaxt oder dem mächtigen Energiehammer kräftig austeilt. Tatsächlich bereiten die brachialen Auseinandersetzungen am Anfang noch Freude, doch führen die ewig gleichen und nicht enden wollenden Ork-Wellen schon bald zu Ermüdungserscheinungen und Frust-Attacken, weil Relic es immer wieder übertreibt, indem sie dem Trio einfach zu viele Gegner auf den Hals hetzen. So kommt es zu unfairen Stellen, bei denen man schon auf dem normalen der drei Schwierigkeitsgrade das Gefühl hat, oft nur durch Glück zu überleben.
Hinrichtung zum Leben
Einen Teil dazu trägt die fragwürdige Spielmechanik bei: Deckungssystem? Gibt's nicht, denn ein Space Marine versteckt sich nicht. Heilpakete? Gibt‘s nicht, denn was sich Space Marine schimpft, muss auch ohne klar kommen. Hilfe von Kameraden? Gibt’s nicht – aber das wäre auch zu viel erwartet von einer KI, die ohnehin kaum geradeaus schießen kann, aber trotzdem niemals K.O. geht. Da es nicht einmal ein rudimentäres Befehlssystem gibt oder die optionale Möglichkeit, dass andere Spieler in die Rollen von Sidonus und Leandros schlüpfen, um kooperativ Unterstützung zu leisten, ist man in der Kampagne auch unabhängig von einigen Solo-Anschnitten generell auf sich alleine gestellt.
Geschützt wird man von einem regenerativen Schild – geht man den Kampfhandlungen ein Weilchen aus dem Weg, wird er wieder erneuert. Kritisch wird es, wenn man den Schutz bereits verloren hat und weitere Treffer einsteckt, denn da es keine Block-Funktion gibt, nimmt die Lebensleiste rapide ab. Die einzige Möglichkeit, diese zurückzugewinnen, besteht im Ausführen von Exekutionen: Dazu muss man den Gegner zunächst mit einem Schlag betäuben, bis ein Symbol über dessen Kopf erscheint. Danach gilt es, die Hinrichtung mit einem weiteren Knopfdruck zu initiieren – bei manchen Gegnern ist auch ein
Orks, Orks und noch mehr Orks: Welle für Welle metzelt man sich durch die grünen Monster. |
Ödes Kampfsystem
Bei den Nahkämpfen geht es brachial zur Sache. |
Diese Frage könnte man auch beim Kampfsystem stellen, das diesen Namen eigentlich kaum verdient: Das Metzeln beschränkt sich auf stupides Knopfgehämmer – großartige Kombos gilt es nicht zu erlernen und auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Nahkampfwaffen halten sich in Grenzen. Block und Konter hätten für sehr viel mehr Dynamik innerhalb der Handgemenge gesorgt – stattdessen bekommt man billige "Hau drauf-Action", die selbst ein Schimpanse innerhalb von einer Minuten verinnerlicht haben dürfte. Mit Bolter & Co wird ebenfalls nur 08/15-Action serviert; einzig der Vergelter-Werfer, mit dessen Hilfe man Sprengladungen verschießt und manuell zündet, sticht positiv aus dem relativ gewöhnlichen Arsenal aus futuristischen Pistolen und (Scharfschützen-)Gewehren hervor. Cool ist außerdem das Sprungmodul, das Titus in einigen Abschnitten zur Verfügung gestellt wird. Mit ihm katapultiert sich der Space Marine nicht nur in ungeahnte Höhen, sondern kann auch einen verheerenden Rammangriff von oben ausführen, mit dem er durch den starken Aufprall am Boden gleich mehrere Gegner auf einen Schlag ausschalten kann.
Es wird wild
Mit jedem Schlag und jeder Vernichtung treibt man außerdem die Wildheits-Anzeige nach oben. Diese funktioniert ähnlich wie bei God of War und wird auch hier mit einem gleichzeitigen Druck auf die beiden Analogsticks entfesselt, sobald man genügend Energie gesammelt hat. Genau wie Kratos wird auch Titus dabei für eine kurze Zeit zum Berserker, der hier nicht nur kräftig austeilt, sondern auch seine Lebensenergie regeneriert, obwohl Titus auch während der Wildheit nicht unverwundbar ist und durchaus noch sterben kann. Anstatt die Energie in brachiale Angriffe zu investieren, lässt sie sich alternativ für einen Scharfschützenmodus verwenden, der mit einer klassischen Zeitlupenfunktion vergleichbar ist. Allerdings darf man hier nicht den Fehler machen, das Auslösen der Wildheit ausschließlich für das potenzielle Auftauchen von dicken Brocken aufzubewahren. Im Gegensatz zu God of War ist die Leiste hier fix wieder gefüllt – später geht es dank Upgrades sogar noch schneller. Für meinen Geschmack sogar zu schnell. Zwar ist die Wildheit angesichts der Gegnermassen oft angebracht und auch willkommen, aber sie verliert auf der anderen Seite durch ihren potenziell verschwenderischen Einsatz das Besondere.
Viel Munition, wenig Munition
Die fliegenden Orks sorgen fast schon für einen kleinen Lacher. |
Leider wird der Munitionsvorrat künstlich klein gehalten – zumindest wenn man dringend auf frische Magazine angewiesen ist. Denn an anderen Stellen wird man mit den blau schimmernden Nachschub-Kisten regelrecht erschlagen, obwohl man noch bestens ausgerüstet ist. Schon allein daran wird deutlich, dass sich Relic beim Leveldesign entweder kaum Gedanken gemacht hat oder Praktikanten mit dieser Aufgabe betraut hat. Auch die Verteilung der Speicherpunkte sorgt für Kopfschütteln. Quizfrage: Wenn ein fetter Gegner zum ersten Mal auftritt, bei dem die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man den Kampf im ersten Anlauf vielleicht nicht sofort überlebt – wo setzt man dann idealerweise den Speicherpunkt? Antwort: Man setzt ihn NICHT so, dass man zuvor erneut ein Waffen-Upgrade an einer Station einsammeln und schon wieder drei Ork-Wellen überstehen muss, bevor man wieder bei diesem Zwischenboss landet. Aber genau so läuft es hier – und das ist nur ein Beispiel von vielen. Auf der anderen Seite liegt manchmal nur das Aktivieren einer Brücke und dem Laufen zur anderen Seite zwischen zwei Speicherpunkten. Muss man nicht verstehen… Inkonsequent und nervig ist es allemal.
Ich stecke fest
Eine großer Nachteil der Space Marines ist, dass sie mit ihren schweren Rüstungen offensichtlich nicht springen können – die eingeschränkte Beweglichkeit lässt lediglich Ausweichrollen zu. Leider befinden sich in den technisch veralteten Kulissen mit ihren schwachen Texturen und meist langweiligen Architektur einige Objekte oder Unebenheiten, in denen man im Eifer des Gefechts immer wieder stecken bleibt. Wie schön wäre es, wenn man zumindest eine kontextsensitive Funktion integriert hätte, die meinen Space Marine auf Knopfdruck
Die Kulissen wirken technisch veraltet. |
über eine kleine Mauer springen lässt. So aber steckt man oft buchstäblich in der Klemme und auch die Kamera fängt die Action trotz manueller Korrekturen nicht immer optimal ein. Dazu gesellen sich Probleme mit der Kollisionsabfrage, denn gerade wenn man Exekutionen in der Nähe von Wänden oder Objekten ausführt, verschmilzt das Ork-Opfer gerne mal mit ihnen. Was die minimalen Gesichtsanimationen angeht, ist Relic scheinbar im Jahr 2000 stehen geblieben. Doch eines muss man der Engine zu Gute halten: Trotz der zahlreichen Gegner geht sie nicht in die Knie und läuft stets flüssig. Angesichts der schwachen Präsentation und kaum nennenswerten Grafikeffekte wäre alles andere aber auch eine Farce.
Langeweile in fünf Akten
Das größte Problem von Space Marine ist allerdings nicht die Technik, sondern das Leveldesign, Charaktere und Dramaturgie. Genau wie seine beiden Mitstreiter bleibt Captain Titus so interessant und tiefgründig wie eine Scheibe Brot. Zwar wird durch das Fußvolk gut rüber gebracht, welch hohes Ansehen die Space Marines genießen, doch viel über sie und das Warhammer-Universum erfährt man auch in den Tonbändern nicht, die mehr schlecht als recht auf den streng linearen Pfaden versteckt wurden. Das KO-Kriterium ist jedoch das Design der Kampagne, die mit fünf Akten recht umfangreich ausfällt. Doch was nützt eine große Spielzeit, wenn man die meiste Zeit damit beschäftigt ist, die ständig gleichen Ork-Wellen platt zu machen? Die erste Railsequenz an Bord eines Jets kommt viel zu spät, ist zu kurz und auch nicht sonderlich gelungen. Auch die wenigen (und z.T. fordernden) Bosskämpfe (u.a. gegen Waaaghboss Grimschäd’l) sorgen nur kurzzeitig für eine Abkehr vom Schema F.
Space Marine mangelt es schlichtweg an Abwechslung! Da hilft es auch nicht mehr viel, wenn nach stundenlangem Ork-Metzel-Einheitsbrei im letzten Drittel mit den Chaos-Truppen eine weitere Fraktion auftaucht,
Neben dem Metzeln wird auch fleißig geballert. Der Munitionsvorrat wird dabei oft künstlich klein gehalten. |
Karriere als (Chaos) Space Marine
Neben der Kampagne hat Relic außerdem einen Mehrspielermodus auf die Disk gepackt – und der hört sich auf den ersten Blick gar nicht so schlecht an: Sowohl auf der Seite der Space Marines als auch den Chaos-Gegenspielern stehen jeweils drei Klassen zur Auswahl, darunter Nahkampfexperten mit Sprungmodulen, Spezialisten für schwere Waffen sowie
Der Koop-Modus nach Horde-Vorbild wird Anfang Oktober kostenlos nachgereicht. |
taktische Allround-Künstler. Dank eines Erfahrungssystems steigt man nicht nur im Rang auf, sondern verbessert mit der Zeit auch seine Waffen-Power und Fähigkeiten. So erhöhen Charakterboni u.a. die Regenerationsgeschwindigkeit des Schilds, während sich Waffenboni z.B. in größeren Magazinkapazitäten bemerkbar machen.
Doch leider dürfen sich die bis zu 16 Spieler in gerade mal zwei Spielmodi untereinander messen: Einer von ihnen ist das klassische (Team-)Deathmatch, der andere die Eroberung, bei der man Ziele einnehmen und halten muss. Tja, das war's, liebe Warhammer-Freunde. Zumindest laufen die Partien meist ohne störende Lags ab. Warum man auf eine LAN-Unterstützung verzichtet hat, weiß nur Relic selbst. Anfang Oktober soll mit dem Exterminatus-Modus ein kostenloser Nachschub eintreffen, der den Fokus auf kooperative Action legen soll – eine Option, die man in der Kampagne vermisst, obwohl sie sich dort bis auf wenige Ausnahmen angeboten hätte. Doch auch von dieser Horde-Variante sollte man sich nicht zu viel erwarten: Beim Anspielen hinterließ das chaotische Ork-Gemetzel einen ähnlich Eindruck wie in der Kampagne. Am Anfang vielleicht noch ganz spaßig, lässt die Lust schon nach wenigen Runden rapide nach, zumal es hier nach kurzer Zeit ähnlich unfair zugeht wie beim Solo-Einsatz der Space Marines.
Fazit
Ein "Gears of Warhammer" sollte es werden – herausgekommen ist ein ideenloses Durchschnittsgemetzel mit einem wiederholungsanfälligen Spielablauf, enttäuschender Technik sowie einer lächerlichen Mehrspielerkomponente. Relic mag es verstehen, das Universum in ansprechenden Strategiespielen zu verwerten, aber Action zählt offenbar nicht zu den Stärken des Studios. Anstatt den Vergleich zu Epics Vorzeige-Shooter bei Präsentationen zu bemühen, hätte man sich besser hinsichtlich der Spielmechanik am Vorbild orientiert. Doch stattdessen schickt Relic die Space Marines mit einem stupiden Kampfsystem sowie fragwürdigen Heilmethoden in den Krieg gegen die immer gleichen Ork-Horden. Sorgen die brachialen Nahkämpfe in Verbindung mit Shooter-Action in den ersten Minuten noch für Stimmung, gestalten sich die folgenden Stunden so zäh wie Kaugummi, wenn man in den technisch veralteten Kulissen immer wieder gegen die Grünhäute ran muss und dabei nicht selten die unfairen Stellen sowie das dämliche Speichersystem verflucht. Es scheint fast so, als würde man nicht nur die Orks, sondern auch den Spielspaß mit jedem Hieb weiter zerstückeln. So gewinnt schnell die Langeweile den Krieg um die Fabrikwelt Graia. Dabei war es ein erklärtes Ziel von Relic, mit Space Marine auch weitere Spieler für das Warhammer-Universum zu begeistern. Bei mir haben sie das Gegenteil erreicht: Ich habe jetzt erst mal die Schnauze voll von Orks, Chaos Dämonen und Helden ohne Ausstrahlung.
Pro
Kontra
Wertung
360
Gears of War für Arme: Mit dem abwechslungsarmen Spielablauf, blassen Helden und stupidem Kampfsystem gewinnt schließlich die Langeweile den Krieg um die Fabrikwelt!
PC
Schickere Beleuchtung & mehr Details als auf den Konsolen. Inhaltlich aber identisch.
PlayStation3
Die PS3-Version ist technisch und inhaltlich auf dem Niveau der Xbox 360-Fassung.
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