NHL 1024.09.2009, Benjamin Schmädig
NHL 10

Im Test:

EA Sports tut sich in diesem Jahr irgendwie schwer: FIFA stürmt zwar weiterhin an die Spitze, aber weder Madden noch Tiger Woods konnten die Erfolge des vergangenen Jahres fortsetzen. Spielerisch tat sich bei beiden Sport-Simulationen einfach zu wenig, als dass an Gold auch nur zu denken war. Warum ich so weit aushole? Weil die NHL-Simulation leider das gleiche Schicksal erfährt wie ihre Golf- und American Football-Pendants...

"War das schon alles?"

Wenn man etliche Matches ausgetragen hat, wenn die Kufen mehr Eis zerkratzt haben als 2Ks drolliges Zamboni-Mobil in drei Minuten polieren kann - dann bleibt in diesem Jahr ein bitterer

So sieht es aus, wenn man im neuen Kampf um den Cup um die NHL-Krone ringt.

Nachgeschmack. Es liegt nicht daran, dass EA Sports die mit Gold prämierte Erfolgsformel des Vorgängers über Bord geworfen oder gar verschlimmbessert hätte. Nein, es liegt ganz einfach daran, dass es sich auf Lorbeeren offenbar ganz vorzüglich ausruhen lässt! Auf jeden Fall ist die diesjährige Saison auf den ersten Blick kaum vom letzten Jahr zu unterscheiden. Nach den ersten Matches fragten sich unsere runzligen Falten jedenfalls: "Ist das alles?"

Die Steuerung wurde aus dem Vorgänger übernommen, die detaillierteren Strukturen erkennt man nur im peniblen Direktvergleich und die Karriere verläuft noch in den gleichen Bahnen. Ist es da wirklich der Rede wert, dass der Dynasty- jetzt Be a GM-Modus heißt und im Detail verbessert wurde? Erweitert es tatsächlich den Horizont, dass man die entscheidenden Partien um den Stanley Cup oder eine andere Meisterschaft jederzeit ohne Saison-Vorspiel austragen kann? Ist es sinnvoll, dass ich jedem Ereignis und Modus meinen eigenen Soundtrack verpassen darf? Bringt es denn nennenswerte Vorteile, dass dem Bandenspiel eine neue Bedeutung zukommt? Und trägt es wirklich zum Spielspaß bei, dass ich Prügeleien jetzt aus der Ego-Perspektive austragen darf?

Sei ein GM!

Natürlich tut es das! EA feilt nach dem Erfolg des letzten Jahres zwar nur mit feinem Schleifpapier, aber die neue Politur fällt z.B. beim Blick in die Ränge auf, wo deutlich weniger Klon-Geschwister sitzen. Die Vergrößerung der Spielvarianten bekommt dem Spiel sogar noch besser; zuletzt fehlte schließlich nicht nur die wichtige einzelne Saison sowie das separate Austragen der Playoffs. Inzwischen möchte ich besonders die Pokalendrunde um den Stanley Cup nicht mehr missen. Das Austragen sieben schneller Matches gegen einen beliebigen Kontrahenten - menschlich oder vom Spiel gesteuert - ist nämlich eine hervorragende Alternative zum Einzelspiel, in dem es um nichts geht. Selbstverständlich darf man den aktuellen Stand dabei

Mehr Möglichkeiten, heere Ziele: Die Manager-Karriere wurde sinnvoll ausgebaut.

jederzeit speichern und beim nächsten Spielstart wieder aufnehmen. Alles in allem sorgt der Umfang, zu dem auch einzelne Meisterschaften mit unterschiedlicher Länge und verschiedenen Turniersystemen zählen, dafür, dass EAs NHL endlich vollständig wirkt und nicht zuletzt der Konkurrenz aus dem Hause 2K Sports eine ganze Schlägerlänge voraus ist. Ganz zu schweigen davon, dass hier neben NHL, AHL und internationalen Teams auch zahlreiche internationale Meisterschaften, u.a. die DEL, zur Verfügung stehen.

Ganz besonders freue ich mich darauf, mich an langen Winterabenden als Team-Manager (GM) um Vertragshandlungen, Spieler-Sichtungen, Verletzungen und die Minor League zu kümmern. Als GM stürze ich mich dabei nicht mehr ziellos in die Meisterschaft (wahlweise einschließlich Fantasy-Draft) und beginne meine Karriere im NHL Draft oder sofort in der Liga. Vielmehr gibt mir das Spiel Aufgaben, die ich innerhalb meiner Laufbahn erfüllen sollte, während sich die Qualität meiner Arbeit auf meinen Status als Manager niederschlägt. Wieso mich mein Ansehen überhaupt kümmern sollte? Immerhin kann ich jetzt auch einstellen, dass ich als schlechter Manager gefeuert werden kann! Alles in allem rechtfertigen die vorsichtigen Neuerungen alleine zwar nicht die Namensänderung des Modus'. Dank ihnen wirkt die Manager-Karriere aber vollständiger als in der vergangenen Ausgabe.        

Sei ein Profi!

Weniger Feinschliff ließen die Entwickler bei der Be a Pro-Karriere walten, die ihrem Vorläufer beinahe wie ein Ei dem anderen gleicht. So darf ich erneut ein Alter Ego erstellen, das an einer festen Position spielt und dessen Fähigkeiten ich im Laufe seiner Karriere stetig verbessere. Für Einzelsportler ist dies nach wie vor der perfekte Weg, sich im virtuellen Eishockey selbst zu verwirklichen! Schade aber, dass ich mich selbst in dieser Spielvariante nach wie vor wie eine zum Leben erweckte Statistik fühle. Zwar steuere ich stets nur meinen eigenen Profi oder wahlweise seinen Ersatz auf derselben Position. Doch obwohl mir der Trainer Hinweise zu meiner Leistung gibt, fehlt besonders zwischen den Matches die Kommunikation zwischen meinem Spieler und seiner Umwelt. Ich will weiß Gott keine Eishockey-Soap erleben! Zwischenmenschliche Beziehungen und Gängeleien unter den Profis würden der Karriere allerdings ebenso gut tun wie eine Berichterstattung in den virtuellen Medien. Und wieso pfeifen mich die Fans selbst dann nicht vom Eis, wenn ich offensichtlich und mit voller Absicht gegen meine eigene Mannschaft spiele? So grandios die Stimmung beim Herauskommen aus der Kabine ist - hier hat selbst NHL 2K10 mit seinen ausgefeilten Inszenierungen vor dem Anpfiff das Nachsehen - so wenig wird der gute Ansatz zu Ende gedacht. Einziger Schritt in diese Richtung ist das Beschützen eines Superstars im eigenen Team. Auch als "Tough Guy" kommt man zwar nicht groß raus; EA weiß aber offenbar, dass die sportliche Solokarriere nicht das Ende der Fahnenstange war... Nicht zuletzt ist es bedauerlich, dass noch immer keine der wählbaren Kameraperspektiven das gesamte Geschehen einfängt, denn zu oft sehe ich entweder meinen Profi oder den Puck nicht. Wie soll ich da wissen, ob ich einen Gegenspieler decken oder mich freiskaten soll?

Wo sich ebenfalls nichts getan hat, ist die Internet-Anbindung - was in diesem Fall jedoch kein Nachteil ist. Die EA Sports Hockey League ist damit nämlich erneut die beste Möglichkeit, den selbst erstellten Be a Pro-Sportler weltweit bekannt zu machen! Dank weiterer Einzelspiel-, Turnier- und Liga-Varianten und des allgemein flüssigen Online-Spiels kommt damit beinahe jeder Gesellschaft

In der Rolle des eigens kreierten Profis zählt jedes geschossene Tor umso mehr!
suchende Skater auf seine Kosten. Nur, dass einige Pausen aufgrund von Synchronisierungsproblemen eine halbe Minute oder länger andauern, ist ärgerlich. Mir fehlt auch ein globales Netzwerk, in dem Manager mit den Möglichkeiten des Be a GM-Modus' gegen menschliche Konkurrenten um Punkte pokern können. Immerhin darf man aber erneut seine schönsten Momente als Foto oder Video festhalten und bei Bedarf online stellen.

Dynamische Altlasten

Und vielleicht geht es ja ohnehin weniger ums Drumherum als um das Geschehen auf dem Eis - die 4P-"Stars" verbringen jedenfalls für gewöhnlich mehr Zeit im schnellen Einzelspiel als vor dem Manager-Schreibtisch. Konnte EA hier vielleicht noch eine Schippe drauflegen? Schließlich war der Streit um den Puck bereits im vergangenen Jahr eine gelungene Simulation. Legen die Entwickler vielleicht noch einen drauf oder bleibt auch im eigentlichen Spiel das meiste beim Alten? Letzteres ist der Fall; beim gewöhnlichen Passspiel, in der Verteidigung und beim Angriff ändert sich sogar praktisch gar nichts und das ist ernüchternd! Weil sich bei einer Sportsimulation letztlich alles ums Spiel dreht, stand uns nach den ersten Partien deshalb ein enttäuschtes "Und jetzt?" ins Gesicht geschrieben. Die Erweiterung des Umfangs ist lobenswert - der Stillstand in den Arenen legt sich jedoch zunächst wie ein ärgerlicher Makel auf die schönen Kulissen.

Im Gegenzug gingen dank des sehr guten Fundaments aus dem Vorjahre allerdings sehr bald packende Matches hervor! Der Kampf um den losen, von einem Könner aber stets kontrollierbaren Puck, ist auch in diesem Jahr ungemein spannend! Hat man die Spielmechanik erst mal verinnerlicht, stochert man im richtigen Moment den Puck vom gegnerischen Schläger, macht geschickt Laufwege zu, fängt Pässe ab, skatet elegant durch die Defensive und erarbeitet durch Fleiß und clevere Spielzüge Torchancen. Die Hartplastik-Scheibe landet dabei seltener im Netz als bei NHL 2K10, weshalb Tore hier umso befriedigender sind. Bei der Konkurrenz nimmt man Tore zur Kenntnis - hier jubelt man! Die Schiedsrichter pfeifen konsequent, aber nicht übermäßig streng, so dass meist nur übereifrig eingesetzte Body oder Poke Checks zu einem Foul führen. Lediglich die Einführung, das Tutorial, darf beim nächsten Mal gerne mehr erklären als das grundlegende Skaten und Schießen; die Erklärung von Schlenzern oder Handgelenkschüssen entdeckt man nur beim Studium des viel zu mageren Handbuchs oder der optionalen Trainingssitzungen.     

Entschlacktes Reglerwerk

Eine kleine, aber sehr wichtige Neuerung kommt dabei vor allem jenen Spielern zugute, denen der Ablauf zu schnell oder zu langsam ist und denen das Spiel zu leicht oder zu schwer fällt: Jetzt muss man Werte wie Geschwindigkeiten, Passgenauigkeit oder Ermüdungseffekt nicht mehr in mühevoller Kleinarbeit an seine Vorlieben anpassen, sondern wählt bequem zwischen Einfach, Standard, Normal und Hardcore. Wer will, stellt einzelne Werte anschließend natürlich weiterhin separat ein. Das etwas gemächlichere Geschehen in NHL 10 (ab 5,98€ bei kaufen) betont den Simulationsanspruch ohnehin deutlicher als sein Vorgänger - und mit den Voreinstellungen habe ich diesmal noch schneller "meine" Mischung aus Anspruch und

Jeder spielt anders: Ein einfacher Druck auf das Digikreuz bestimmt die taktische Ausrichtung des Teams.
Spielbarkeit gefunden. Dabei konnte ich auch wählen, ob ich die Pässe ohne Hilfe des Programms schlagen wollte. Da man in diesem Fall aber die Stärke des Schusses manuell einstellt, wobei sich ein flotter Puck nur nach einem unangenehm langen Drücken der Passtaste vom Schläger löst, wirkt das eigenständige Passen noch eine Idee zu unausgereift.

Gewohnt vorbildlich lösen die Entwickler hingegen das schnelle Wechseln der Strategie - kurze Eingaben auf dem Digikreuz und schon sind Formation sowie defensive und offensive Taktiken geändert. Ein großer Vorteil der "Altlast" NHL 09 sind zudem die cleveren Mitspieler. Meine Team-Kameraden verhalten sich zwar vor der blauen Linie zum gegnerischen Drittel zu passiv, so dass schnelle Spielzüge oft an einem am Fleck verweilenden Mitspieler verpuffen; das hat NHL 2K10 besser gelöst! Allerdings denken die Kollegen vor dem eigenen Tor besser mit und laufen sich stets so frei, dass ich entweder in die Spitzen oder hinter dem Tor passen kann. In der Defensive kann ich mein Spiel somit besser aufziehen als bei der 2K-Konkurrenz. Und die Pässe hinterm Tor, also entlang der Bande, haben noch einen weiteren Nutzen: Neu ist nämlich ein Bandenspiel, bei dem ich nicht länger zusehen muss, wie ein Gegenspieler an meinem Body Check vorbei läuft. Stattdessen kann ich ihn jetzt per Knopfdruck an die Bande pressen.

Der Y-Faktor

Und das hat nicht nur spielerische Auswirkungen; auch das Publikum geht richtig mit. Sie jubeln, pochen ans Glas - die ohnehin schon aufgeladene Atmosphäre wird so nur noch mehr angeheizt! Falls der Gepresste es schafft, kann er den Puck dabei mit dem Fuß

Und jeder kämpft auch anders - aber alle aus der Ego-Perspektive.
wegkicken. Wer in Bedrängnis kommt, kann sich sogar selbst an die Bande lehnen, um die Hartgummi-Scheibe auf diese Weise zu schützen. Kommen weitere Spieler hinzu, werden diese wiederum versuchen, den Puck für ihr Team zu erstochern. Oberflächlich gesehen ist das Drücken, Haken und Stochern an der Bande nur eine Kleinigkeit. Doch weil sich der ohnehin relativ lose Puck dadurch noch freier anfühlt, wird der Kampf um die Scheibe dynamischer und taktisch abwechslungsreicher. Bei einer kurzen Rückkehr zu NHL 09 fühlte sich das Eis jedenfalls merkwürdig leer an. Und das ist immerhin eins der größten Komplimente, die man einem Nachfolger machen kann.

Aber die neue Dreiecks- bzw. Y-Taste zieht auch einen Nachteile mit sich: Sie dient ja nicht nur dem neuen Bandespiel, sondern leitet nach jedem Pfiff auch einen Kampf ein, der neuerdings ähnlich wie Fight Night 3 auf PS3 aus der Ego-Perspektive geführt wird. Mit dem linken Stick kann man dabei ausweichen, per Tastendruck blocken und mit dem rechten Stick schlägt das Alter Ego zu. Das funktioniert, ist spannender als im vergangenen Jahr und zieht mitunter überraschende Ergebnisse nach sich (ich werde angegriffen, verliere und bekomme deshalb als einziger eine Strafzeit aufgebrummt!). Richtiggehend dämlich ist allerdings die Art und Weise, mit der mich die KI-Kontrahenten zum Kampf "überreden" wollen: Da checkt mich nach jedem Pfiff des Schiedsrichters ein gegnerischer Spieler wie ein hyperaktiver Boxsport-Laie "zu Tode", um mich zu provozieren. Manchmal greift ein Streithahn seinem Opfer zwar mit einer dafür vorgesehenen Animation an den Helm - insgesamt wirkt das Prinzip "Provokation" aber unfertig.     

Fazit

EA und 2K nehmen sich in diesem Jahr nicht viel: Beide machen es sich sehr einfach, indem sie sich zum größten Teil auf ihre bewährten Erfolgsformeln verlassen. Blöd für 2K, dass die hauseigene Zauberformel etliche Jahre auf dem Buckel hat, während EA auf ein sehr gutes Spiel aus dem vergangenen Jahr zurückgreifen kann. Es ist so als würde ein mäßig engagiertes Bayern München gegen einen ähnlich ambitionierten FC Kleinunterdingsdorf antreten... Das neue Bandenspiel hat es mir allerdings angetan - ohne möchte ich nicht mehr auf dem Eis stehen! Auch wenn sich sonst im eigentlichen Spiel nichts ändert: Diese kleine Neuerung erweitert den taktischen Spielraum und erzeugt ein intensiveres Mittendrin-Gefühl! Dank der zusätzlichen Spielvarianten, allen voran dem Kampf um den Cup, hat man jetzt hingegen bei jeder Gelegenheit einen Grund, die Schlittschuhe auszupacken. Besonders die kleinen Änderungen in der Manager-Karriere sind dabei willkommene, wenn auch unwesentliche Erweiterungen. Letztlich sind das aber nur kleine Schliffe. Und nur weil NHL 10 unterm Strich das bessere Spielgefühl bietet und in Sachen Umfang sowohl offline als auch online nicht zu schlagen ist, klammert sich die Nummer eins im Eishockey auch in diesem Jahr noch an die 80 Prozent. 2010 muss aber mehr kommen!

Pro

großartiges Spielgefühl mit Simulationsanspruch
etliche Spielvarianten, u.a. Kampf um den Stanley Cup
neues Bandenspiel erweitert taktischen Spielraum
Mitspieler laufen sich für Passspiel frei
zahlreiche Ligen, u.a. AHL und DEL
packende Atmosphäre auf den Rängen
Publikum geht spürbar mit Geschehen mit
umfangreicher Online-Modus mit Spielen, Liegen und Turnieren
eigener Spieler in EA Sports Hockey League
jederzeit schnelles Ändern der Taktik
Schiedsrichter pfeifen fair
Vorgaben für unterschiedliche Spielweisen

Kontra

bis auf Bandenspiel unveränderte Spielmechanik
Mitspieler laufen sich im Angriff selten frei
eingeschränkte Übersicht im Be a Pro-Modus
einige Synchronisierungsprobleme online
Tutorial erklärt nur notwendige Grundlagen
Be a Pro-Karriere wird zu nüchtern inszeniert

Wertung

360

Eine umfangreiche Simulation des Sports, die sich zu wenig von ihrem Vorgänger unterscheidet.

PlayStation3

Eine umfangreiche Simulation des Sports, die sich zu wenig von ihrem Vorgänger unterscheidet.

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