Agatha Christie: The ABC Murders05.02.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Mit Grips, Charme und Melone

Sherlock Holmes und Professor Layton bekommen Konkurrenz aus Belgien: Der gemütliche Privatdetektiv Hercule Poirot greift dem hoffnungslos überforderten Scotland Yard bei der Jagd auf einen Serienmörder unter die Arme. Können die zahlreichen Dialogrätsel und Mechanik-Puzzles den Roman aus den Dreißigern bereichern?

Krimi zum Mitspielen

Die Geschichte bleibt nah an der Romanvorlage von 1936: Eigentlich wollte der belgische Gentleman mit Hut und Schnauzer sich in London zur Ruhe setzen. Doch als der mutmaßliche Kopf einer Mordserie ihn persönlich herausfordert, fühlt Poirot sich natürlich verpflichtet, Scotland Yard auszuhelfen. Wieder und wieder kündigt der unbekannte Verfasser seine Gräueltaten in Briefform an. Poirot und seinem unbeholfenen Begleiter Hastings bleibt nichts anderes übrig, als in die südenglischen Provinzörtchen zu fahren, die Leichen an den Tatorten zu begutachten und sich auf die Suche nach Indizien zu machen. Ein Detail bleibt stets gleich: Immer wieder lässt der Mörder als Signatur einen aufgeschlagenen ABC-Fahrplan der Bahn auf dem Opfer liegen. Die Spielmechanik orientiert sich in erster Linie an Sherlock Holmes' letzten Abenteuern, setzt die Deutung der Indizien sowie andere Elemente aber weniger komplex und viel einsteigerfreundlicher um. Außerdem streut Entwickler Artefacts Studios immer wieder ausgelagerte Mechanik-Puzzles im Stil von Professor Layton ein.

Frische Seeluft, frische Leiche - was will man mehr?
Schon beim ersten Mord an der Tabakladenbesitzerin Alice Ascher wird klar, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Überfall gehandelt haben kann. Das Geld liegt unangetastet in der Kasse, es gibt keinerlei Anzeichen für einen Kampf oder andere Verwüstungen. Außerdem stellt sich im Gespräch mit Zeugen heraus, dass auch verhasste Bekannte wie der versoffene Ehemann nicht wirklich ein Motiv besitzen - obwohl der unbedarfte Chefinspektor Japp natürlich voreilig davon ausging. In solchen Momenten macht sich Poirots Fingerspitzengefühl in den zahlreichen Dialog-Rätseln bezahlt. Seine innere Ruhe macht nicht nur das Knobeln für den Spieler zu einer entspannten Angelegenheit, sie wirkt sich idealerweise auch auf seine Gesprächspartner aus. Die strenge Chefin eines Cafés an der Küste z.B. taut schnell auf, wenn der belgische Gentleman alter Schule erst einmal ein paar nachdenkliche Sprüche über die „Jungend von heute“ zum Besten gibt. In jedem Gespräch hangelt man sich durch einen verzweigten Baum alternativer Fragen, welche die bebilderte Zeitleiste im Menü mit neuen Erkenntnissen füllt – oder auch nicht.

Auch Rüpel kommen ans Ziel

Zusätzlich verdient man sich Extrapunkte, wenn man sich besonders stilecht wie in der Romanvorlage verhält. Schade, dass sich das Konversationsgeschick nicht stärker auf den Ausgang der Ermittlungen auswirkt. Beim ersten Mord z.B. habe ich mich im zweiten Anlauf absichtlich völlig daneben benommen und derart schroffe Fragen ausgewählt, dass die trauernde Nichte schnell mit einem Heulkrampf aus dem Zimmer rannte. Auch die Verkäuferin im Laden nebenan weigerte sich nach ein paar frechen Bemerkungen zunächst, mit mir zu sprechen. Dank ein paar vorgegebenen Scripts in der Handlung kam ich trotzdem wieder relativ schnell ans Ziel – hatte allerdings ein paar Erkenntnisse weniger über die Umstände gewonnen.

Nach der Sammlung von Indizien rekonstruiert Poirot den Tathergang Schritt für Schritt in seinen Gedanken. Am diesem Strand erwischt es Sängerin und Lebefrau Betty Barnard.
Eine wichtige Rolle spielen auch die Mechanik-Puzzles, welche ähnlich wie in Professor Layton auf einen Extrabildschirm ausgelagert werden. Meist handelt es sich um Apparate mit allerlei mechanischen Rädchen, Hebeln und versteckten Schlüsseln. Ein eleganter Schellack-Plattenspieler z.B. lässt sich nur starten, wenn man das Geheimfach mit der Handkurbel findet. Vorher muss man einen Code aus Musiknoten entschlüsseln, dessen Schema sich natürlich anderswo findet. Meist lassen sich diese Rätsel relativ leicht und in einem Rutsch lösen. Mit Hilfe der Maus lässt sich das Objekt um die eigene Achse drehen, per Zoom nimmt man kleinere Mechanismen unter die Lupe, legt Schalter um oder schiebt Holzklötze zur Seite.

Geheimnisvolle Apparate

In solchen Momenten werden Erinnerungen an The Room wach, wobei die Konstruktionen hier einfacher konzipiert sind. Es macht Spaß, mit ihnen zu experimentieren, wirklich fordernd wird es aber selten. Zur Not verrät ein Hilfe-System mit nur kurzer Cooldown-Zeit den nächsten Schritt. Dass sich das Spiel vor allem an Gelegenheitsknobler richtet, bemerkt man auch beim Untersuchen der Umgebung: Hotspots lassen sich zwar nicht per Tastendruck anzeigen, meist beschränkt sich die Suche aber auf wenige Objekte. Das aufgeräumte Cel-Shading-Design passt gut zu diesem Prinzip, ein kleiner Nachteil sind allerdings die schlampig gesetzten Grenzen der Hotspots, welche auch mal über das eigentliche Objekt herausragen. Mit einer Art Fokus-Blick werden Details an der Leiche oder die Mimik von Zeugen analysiert: An sich ein schönes Konzept, leider spiegelt die simple Mimik der Comic-Figuren nicht immer ihre tatsächliche Stimmung wider. Allgemein wirkt die Grafik nur zweckmäßig. Im Vergleich zum realistischeren Sherlock Holmes oder den verschrobenen Figuren in Professor Layton fehlt es dem Art-Design einfach an markanten Merkmalen. Der ruhige Soundtrack passt aber gut zur relaxten Stimmung.

Die schlichte Mimik spiegelt nicht immer die tatsächliche Gemütslage wider - Poirot schätzt sie trotzdem stets richtig ein.
Immer wenn Poirot genügend Indizien zusammen hat, geht es an die Kombination derselben in seinen „kleine grauen Zellen“: Dort lassen sich die Erkenntnisse anfängerfreundlich in Symbolform in eine Reihe schieben, bis Poirot schließlich ein Licht aufgeht – zur Not auch mit mehreren falschen Versuchen, die nicht bestraft werden. Anders als bei Sherlock Holmes gibt es keine wirklich harten Kopfnüsse oder verrückte Gedankengänge. Auch komplexe Labor-Tricks oder wilde Story-Wendungen fehlen. Trotzdem sorgt es auch hier für es ein befriedigendes Gefühl, durch logisches Kombinieren die richtigen Folgerungen zu treffen, zumal das Erzähltempo nicht so oft ausgebremst wird wie in rätsellastigeren Adventures.

Kombiniere, kombiniere!

Offenbar orientierte man sich bei der Dramaturgie ein wenig an Telltales interaktiven Geschichten, die Umsetzung wirkt allerdings nicht so professionell. Am meisten Mühe ist in die französische Original-Synchro geflossen, in der die Sprecher auch sehr routiniert klingen. Da Poirot als gebürtiger Belgier sehr langsam und deutlich spricht, lässt sich das Spiel übrigens auch gut zum Aufpolieren des eingerosteten Schul-Französisch nutzen. In der englischen Fassung klingt Poirot ebenfalls überzeugend, die übrigen Figuren teilen sich aber mitunter die gleichen Sprecher mit hörbar verstellten Stimmen. Eine deutsche Vertonung fehlt, stattdessen gibt es nur Untertitel. Auf dem PC geht die klassische Point-and-Klick-Steuerung gut von der Hand; auch Beweise und Puzzle-Apparaturen lassen sich bequem mit der Maus drehen, untersuchen oder aus dem winzigen Inventar holen.

Ähnlich wie in The Room besitzen die drehbaren Apparaturen zahlreiche Geheimfächer, Rädchen und Mechanismen.
Die Konsolen-Umsetzungen wirken dagegen lieblos hingeschludert: Um schneller zu laufen, muss man umständlich den R-Bumper gedrückt halten und auch das Hantieren mit Hotspots und ausgelagerten Mechanikrätseln fühlt sich durch die verwendeten Tastenkombinationen umständlich an. Leider lassen sich die Knöpfe nicht einmal umbelegen. Dazu kommt trotz der schlichten Kulissen ein leichtes, aber stetiges Ruckeln, vor allem auf der Xbox One. Auch die längeren Ladezeiten tragen ihren Teil dazu bei, dass sich das Abenteuer auf Konsolen eine ganze Ecke träger anfühlt als auf dem PC.

Fazit

The ABC Murders wirkt wie eine Light-Version des Sherlock-Holmes-Prinzips, denn nahezu alles ist eine ganze Ecke kürzer, schlichter und weniger komplex: Von der Untersuchung des Tatorts über die etwas karge Comic-Grafik bis hin zur einsteigerfreundlichen Umsetzung der Schlussfolgerungen. Die klassische Kriminalgeschichte wirkt bei weitem nicht so ausführlich, abwechslungs- und wendungsreich wie bei der modernen Konkurrenz. Es gibt zwar erfreulich viele Dialogrätsel, das Fingerspitzengefühl beim Verhör wirkt sich aber leider kaum auf den Spielverlauf aus. Wer eine Art Krimi zum Mitspielen sucht, wird aber trotzdem befriedigend unterhalten, denn die gemütliche Stimmung der Romanvorlage rund um den charmanten Hercule Poirot wird gut eingefangen. Der ständige Mix aus Mechanik-Puzzles und Dialogrätseln sorgt für einen angenehm abwechslungsreichen Spielrhythmus. Schade, dass das Abenteuer schon nach wenigen Stunden geknackt ist: Wer Lust auf entspanntes Knobeln im Stil von Agatha Christies Romanen hart, wird mit The Raven also besser bedient (dessen technische Probleme mittlerweile zum Großteil ausgebügelt wurden).

Pro

gemütliche Stimmung
sympathische Figuren
Romanvorlage gelungen umgesetzt
logische, einsteigerfreundliche Rätsel
verzweigte Dialogoptionen

Kontra

erfahrene Spieler werden kaum gefordert
schlichte Comic-Kulissen
Dialogrätsel haben kaum Einfluss auf den Spielverlauf
nur wenige Stunden kurz
ständiges leichtes Ruckeln (PS4 und Xbox One)
umständliche Controller-Steuerung (PS4 und Xbox One)

Wertung

PC

Gemütlicher, sehr klassischer Krimi zum Mitspielen; die Mechanik-Puzzles und Dialog-Rätsel lassen sich aber oft zu schnell durchschauen.

XboxOne

Ständiges Ruckeln und eine umständliche Steuerung machen die Konsolenfassungen eher mühsam als gemütlich.

PlayStation4

Ständiges Ruckeln und eine umständliche Steuerung machen die Konsolenfassungen eher mühsam als gemütlich.

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