Im Test: Mit Grips, Charme und Melone
Krimi zum Mitspielen
Die Geschichte bleibt nah an der Romanvorlage von 1936: Eigentlich wollte der belgische Gentleman mit Hut und Schnauzer sich in London zur Ruhe setzen. Doch als der mutmaßliche Kopf einer Mordserie ihn persönlich herausfordert, fühlt Poirot sich natürlich verpflichtet, Scotland Yard auszuhelfen. Wieder und wieder kündigt der unbekannte Verfasser seine Gräueltaten in Briefform an. Poirot und seinem unbeholfenen Begleiter Hastings bleibt nichts anderes übrig, als in die südenglischen Provinzörtchen zu fahren, die Leichen an den Tatorten zu begutachten und sich auf die Suche nach Indizien zu machen. Ein Detail bleibt stets gleich: Immer wieder lässt der Mörder als Signatur einen aufgeschlagenen ABC-Fahrplan der Bahn auf dem Opfer liegen. Die Spielmechanik orientiert sich in erster Linie an Sherlock Holmes' letzten Abenteuern, setzt die Deutung der Indizien sowie andere Elemente aber weniger komplex und viel einsteigerfreundlicher um. Außerdem streut Entwickler Artefacts Studios immer wieder ausgelagerte Mechanik-Puzzles im Stil von Professor Layton ein.
Auch Rüpel kommen ans Ziel
Zusätzlich verdient man sich Extrapunkte, wenn man sich besonders stilecht wie in der Romanvorlage verhält. Schade, dass sich das Konversationsgeschick nicht stärker auf den Ausgang der Ermittlungen auswirkt. Beim ersten Mord z.B. habe ich mich im zweiten Anlauf absichtlich völlig daneben benommen und derart schroffe Fragen ausgewählt, dass die trauernde Nichte schnell mit einem Heulkrampf aus dem Zimmer rannte. Auch die Verkäuferin im Laden nebenan weigerte sich nach ein paar frechen Bemerkungen zunächst, mit mir zu sprechen. Dank ein paar vorgegebenen Scripts in der Handlung kam ich trotzdem wieder relativ schnell ans Ziel – hatte allerdings ein paar Erkenntnisse weniger über die Umstände gewonnen.
Geheimnisvolle Apparate
In solchen Momenten werden Erinnerungen an The Room wach, wobei die Konstruktionen hier einfacher konzipiert sind. Es macht Spaß, mit ihnen zu experimentieren, wirklich fordernd wird es aber selten. Zur Not verrät ein Hilfe-System mit nur kurzer Cooldown-Zeit den nächsten Schritt. Dass sich das Spiel vor allem an Gelegenheitsknobler richtet, bemerkt man auch beim Untersuchen der Umgebung: Hotspots lassen sich zwar nicht per Tastendruck anzeigen, meist beschränkt sich die Suche aber auf wenige Objekte. Das aufgeräumte Cel-Shading-Design passt gut zu diesem Prinzip, ein kleiner Nachteil sind allerdings die schlampig gesetzten Grenzen der Hotspots, welche auch mal über das eigentliche Objekt herausragen. Mit einer Art Fokus-Blick werden Details an der Leiche oder die Mimik von Zeugen analysiert: An sich ein schönes Konzept, leider spiegelt die simple Mimik der Comic-Figuren nicht immer ihre tatsächliche Stimmung wider. Allgemein wirkt die Grafik nur zweckmäßig. Im Vergleich zum realistischeren Sherlock Holmes oder den verschrobenen Figuren in Professor Layton fehlt es dem Art-Design einfach an markanten Merkmalen. Der ruhige Soundtrack passt aber gut zur relaxten Stimmung.
Kombiniere, kombiniere!
Offenbar orientierte man sich bei der Dramaturgie ein wenig an Telltales interaktiven Geschichten, die Umsetzung wirkt allerdings nicht so professionell. Am meisten Mühe ist in die französische Original-Synchro geflossen, in der die Sprecher auch sehr routiniert klingen. Da Poirot als gebürtiger Belgier sehr langsam und deutlich spricht, lässt sich das Spiel übrigens auch gut zum Aufpolieren des eingerosteten Schul-Französisch nutzen. In der englischen Fassung klingt Poirot ebenfalls überzeugend, die übrigen Figuren teilen sich aber mitunter die gleichen Sprecher mit hörbar verstellten Stimmen. Eine deutsche Vertonung fehlt, stattdessen gibt es nur Untertitel. Auf dem PC geht die klassische Point-and-Klick-Steuerung gut von der Hand; auch Beweise und Puzzle-Apparaturen lassen sich bequem mit der Maus drehen, untersuchen oder aus dem winzigen Inventar holen.
Fazit
The ABC Murders wirkt wie eine Light-Version des Sherlock-Holmes-Prinzips, denn nahezu alles ist eine ganze Ecke kürzer, schlichter und weniger komplex: Von der Untersuchung des Tatorts über die etwas karge Comic-Grafik bis hin zur einsteigerfreundlichen Umsetzung der Schlussfolgerungen. Die klassische Kriminalgeschichte wirkt bei weitem nicht so ausführlich, abwechslungs- und wendungsreich wie bei der modernen Konkurrenz. Es gibt zwar erfreulich viele Dialogrätsel, das Fingerspitzengefühl beim Verhör wirkt sich aber leider kaum auf den Spielverlauf aus. Wer eine Art Krimi zum Mitspielen sucht, wird aber trotzdem befriedigend unterhalten, denn die gemütliche Stimmung der Romanvorlage rund um den charmanten Hercule Poirot wird gut eingefangen. Der ständige Mix aus Mechanik-Puzzles und Dialogrätseln sorgt für einen angenehm abwechslungsreichen Spielrhythmus. Schade, dass das Abenteuer schon nach wenigen Stunden geknackt ist: Wer Lust auf entspanntes Knobeln im Stil von Agatha Christies Romanen hart, wird mit The Raven also besser bedient (dessen technische Probleme mittlerweile zum Großteil ausgebügelt wurden).
Pro
Kontra
Wertung
PC
Gemütlicher, sehr klassischer Krimi zum Mitspielen; die Mechanik-Puzzles und Dialog-Rätsel lassen sich aber oft zu schnell durchschauen.
XboxOne
Ständiges Ruckeln und eine umständliche Steuerung machen die Konsolenfassungen eher mühsam als gemütlich.
PlayStation4
Ständiges Ruckeln und eine umständliche Steuerung machen die Konsolenfassungen eher mühsam als gemütlich.
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