Shaun White Skateboarding12.11.2010, Paul Kautz
Shaun White Skateboarding

Im Test:

Zuerst war da Tony Hawk, dann lange Zeit nichts, oder zumindest nichts wirklich Erwähnenswertes. Dann kam skate genau zur richtigen Zeit, als der Birdman langsam die Flügel verlor, und zeigte, dass Skate-Spaß auch anders möglich ist. Ein dritter Spieler betritt den Raum. Hat er Skills?

1984 Reloaded

Video: Da fliegt er, der Ausnahmesportler - merkwürdig nur, dass man im Spiel von Shaun White nur sehr wenig zu sehen bekommt.Otto Normal-Skatespiel dreht sich fast immer um die folgende Prämisse: Du bist ein junges Talent, das einem berühmten Rollengott rein zufällig vors Brett kullert. Er ist von deinen schlummernden Skills begeistert und verspricht dir die Traumkarriere auf den Verts dieser Welt, aber vorher musst du Buchstabenfolgen sammeln und versteckte Tapes finden. So ungefähr jedenfalls. Shaun White Skateboarding (ab 8,97€ bei kaufen) (SWS) hat da einen interessanten neuen Ansatz: Die Menschheit wird von einer düsteren Macht namens »Das Ministerium« unterdrückt. Die Welt ist grau, es gibt keine Fröhlichkeit, nur noch Konformität - eine Orwell'sche Dystopie in Reinkultur. Doch natürlich ist ein Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen, und er hat wuschige rote Haare - Shaun White bringt die Farbe und die Lebensfreude zurück zu den unterdrückten Menschen. Jedenfalls so lange, bis er, der Staatsfeind Nummer Eins, verhaftet und in die Ministeriums-Kerker verbannt wird. Vorher allerdings übergibt er dir, dem Spieler, sein magisches Skateboard - das als erste Aktion gleich mal dein Herz erfreut und dir seine Mission übereignet. Sprich: Der Spieler muss Shauns Kampf weiterführen und die Gesellschaft von der Herrschaft des Ministeriums befreien. Umgekehrt bedeutet das allerdings auch, dass man Shaun White in seinem eigenen Spiel so gut wie gar nicht zu sehen bekommt.

Der danach folgende Editor ist angesichts der Fortschritte, die gerade dieser Bereich in der Videospielewelt in den letzten Jahren gemacht hat, erschreckend rudimentär: Männlein und Weiblein stehen zur Wahl, ebenso eine Hand voll Frisuren, ein paar Klamotten sowie wenige Personalisierungen für das Board. Weiteren Kram spielt man im Laufe der knapp zehn Stunden langen Karriere frei, es bleibt trotzdem ein sehr oberflächliches Vergnügen. Ganz besonders angesichts der Tatsache, dass das Alter Skato keinen Namen trägt und im ganzen Spiel nicht ein Mal zu Wort kommt. Ganz im Gegensatz zu Jonah, dem Anzugträger, der dem namenlosen Rollhelden alle wichtigen Tricks beibringt - und dabei so aussieht, als wäre er ein Ministeriumsagent.

Der Flow, Mann! Der Floooooooow!

SWS ist eine Mischung aus den früheren Tony Hawks (die Brettcontroller-Teile ignoriere ich) und skate , in beiden Fällen allerdings »light«. Es geht deutlich in die Arcade-Richtung, die Tricks werden allerdings in erster Linie über die Sticks kontrolliert. Allerdings wird niemals die Tricktiefe beider Spiele erreicht: Zwar kann man sein Trickbuch immer weiter füllen, aber weil das für den Kauf benötigte Sammeln von Erfahrung an 

Selbst mit dem simpelsten Board-Trick wird aus der grauen Umgebung eine blühende Landschaft. Für manche Bereiche und Menschen braucht man allerdings eine entsprechend gefüllte Flow-Anzeige.
den Spielfortschritt gekoppelt ist, kommt man erst sehr spät in den Genuss anspruchsvollerer Manöver. Das erste Tony Hawk bot vom Start weg mehr Möglichkeiten, als man hier nach sechs Spielstunden hat.

Aber: Man braucht auch keine außergewöhnlichen Tricks. Denn der Kern des Spiels dreht sich um den ominösen »Flow«. Der sorgt dafür, dass man die graue Welt in eine bunte verwandelt, aus Anzugträgern wieder normale Menschen macht und vormals saubere Wände wieder mit Graffitis vollgestopft sind. Aber der Reihe nach: Das Zauber-Skateboard kann mit einem Trick die Umgebung wieder mit Leben füllen. Das muss kein besonderer Trick sein, ein stinknormaler Ollie reicht schon, um die Bäume grün zu färben und Rampen wachsen zu lassen - so ähnlich wie in de Blob. Allerdings lässt sich nicht die gesamte Umgebung so einfach in ein Skaterparadies verwandeln; manche Plätze und Personen benötigen ein bestimmtes Flow-Level, um ihrem tristen Dasein zu entfliehen. Davon gibt es drei, die nach und nach freigeschaltet werden. Die Flow-Anzeige wird über Tricks gefüllt und entleert sich auch von selbst wieder, was dafür sorgt, dass man eigentlich die ganze Zeit am Hopsen und Drehen ist. Richtig leer wird sie nur, wenn man richtig fies fällt oder z.B. durch einen Fehlsprung im Wasser landet. Letzteres passiert schon mal, Ersteres ist sehr selten - die Physikengine ist Arcade pur, richtige Physik ist weit und breit nicht auszumachen. Man muss sich also schon ziemlich viel Mühe geben, um einen gescheiten Bail auf den Asphalt zu nageln - und das Ergebnis ist nicht etwa ein knirschender Knochen, sondern ein Skater, der sich ganz esoterisch in einen Haufen heller Bälle auflöst. Eh?        

Die Form, Mann! Die Fooooooooorm!

Grün leuchtende Rails verwandeln sich zu Schienen in der Luft, Verts können aus dem Nichts erschaffen werden - das »Formen« ist ein neuer und sehr merkwürdiger Spielbestandteil.
Neben dem Flow ist das »Shaping« (deutsch: das Formen) die andere ungewöhnliche Säule: Hopst der Skater auf eine grün leuchtende Rail mit Pfeil an der Spitze, geht er auf einmal in die Luft und fährt auf ebendieser wie auf einer Schiene durch den Level. Eh... was? Ja, genau. Das ist extrem irritierend, weil es im Grunde nur dazu dient, den Spieler an Stellen zu befördern, an die er normalerweise nicht käme. Man kann damit auch Verts erschaffen oder später auch selbst die Ausrichtung der Formen bestimmen, um etwa auf bestimmte Plattformen zu gelangen. Und trotzdem bleibt die Frage, wieso zum Henker man das machen soll - denn einen praktischen Nutzen hat das Shaping nicht. In früheren Teilen musste man vom Brett steigen und den persischen Prinzen machen, um an bestimmte Boni zu gelangen, hier muss man einen grün leuchtenden Teil der Straße richtig verbiegen, um an mehr Klamotten zu gelangen. Selbstzweck pur! Apropos: Vom Brett steigen kann man hier auch, aber sonst nichts - kein Springen, kein Klettern, keine Einbindung in Kombos.

Das Befreien der Menschen im Allgemeinen und Shaun White im Speziellen bilden die beiden Hauptziele des Spiels. Auf dem Weg dahin sieht man sich allerdings mit immergleichen, in die Länge gezogenen Aufgaben konfrontiert, welche direkt aus dem Lehrbuch für generisches Funsportgame-Design stammen: Mal muss man Ministeriums-Plakate per Wallride in Werbeflächen für Bobs Skateladen verwandeln, mal Propaganda-Lautsprecher zu Tode grinden, mal Tauben von einem Riesenrad verscheuchen, mal Anti-Skate-Klammern entfernen. Interessante Momente wie die Flucht vor einem Helikopter sind extrem rar gesät, den allergrößten Teil seiner Zeit in New Harmony, so der Name der Stadt, verbringt man mit Wasserträger-Aufgaben. In der zweiten Spielhälfte wird das sogar noch schlimmer, denn dann gesellen sich völlig hirnlose Hacking-Minigames und nervende Jump-n-Run-Einlagen dazu.

Spielerisch ist SWS eine Mischung aus frühen Tony Hawks und skate - ohne jedoch die Tiefe eines der beiden zu erreichen.
Der Mehrspielerpart gehört seit dem ersten Tony Hawk-Spiel zum wichtigsten Teil jedes Funsportvergnügens, und auch SWS hat einen entsprechenden Modus an Bord - entweder zu zweit am Splitscreen oder online spielbar. Drei Spielvarianten stehen zur Auswahl: Ein normaler Punktkampf (wobei  Punkte hier durch Flow ersetzt werden), eine »King of the Hill«-Variante, in der man bestimmte Punkte für sich gewinnen muss sowie ein Modus, in dem der gewinnt, der die meisten Formen für sich gewinnt. Alles sehr unspektakulär (im Falle des Splitscreens auch enorm unübersichtlich) und unbefriedigend: Wo sind die Trickduelle? Wo sind die Statistiken am Spielende? Nix. Gerade im Vergleich zu den fantastischen Modi, die zuletzt die skate-Reihe bot sowie der offenen Welt, in der man sich in Shaun White Snowboarding austoben konnte, ist das bisschen Multiplayer hier eine herbe Enttäuschung. Genau wie die Präsentation: Krude Figuren rollen etwas steif durch eine zwar interessant aufgebaute, aber hässliche Stadt - lediglich der »Aufblüh-Effekt«, wenn man aus Grauem wieder Buntes macht, ist ein Lichtblick. Das Ganze erinnert stark an Tony Hawk's American Wasteland ; ein viereinhalb Jahre altes Spiel, das deutlich kürzere Ladezeiten hatte.   

Fazit

Ein Shaun White-Spiel, das fast komplett ohne Shaun White auskommt - das ist mal was Neues. Keine Ahnung, ob der Ausnahmesportler gerade wenig Zeit hatte oder erkennen musste, dass er seinen Namen für ein höchst durchschnittliches Spiel hergibt. Jedenfalls dürfte es seinem Ansehen nicht gut tun, damit längerfristig in Verbindung gebracht zu werden: Es stecken einige interessante Ideen unter der schlaffen Hülle, aber auch sehr viele komplett unnütze - allen voran das »Formen« der Stadt, das kompletter Selbstzweck ist. Das Missionsdesign blubbert die meiste Zeit auf durchschnittlichem Niveau herum, nur selten gibt es mal einen Auftrag, der aus der »Schon tausend mal gemacht«-Reihe ausbricht. Schade, denn grundsätzlich bin ich für eine Mischung aus Tony Hawk und skate immer zu haben, aber statt das Beste aus beiden Spielen zu vereinen, schafft es SWS gerade mal, die Merkwürdigkeiten beider Vorlagen unter einen Hut zu bringen. Es ist keine komplette Zeitverschwendung wie Tony Hawk: Ride oder Shred, aber kann lange nicht mit echtem Bretterspaß wie skate 3 oder Project 8  mithalten.

Pro

interessante Steuerung
abwechslungsreiches Leveldesign
interessantes Flow-Konzept

Kontra

schwache Grafik
rauschige Fahrgeräusche
größtenteils langweiliges Missionsdesign
dumpfe Minispiele
öder Mehrspielermodus
nutzlose »Formen«-Funktion

Wertung

360

Nicht Fisch, nicht Fleisch - Shaun White ist ein Ausnahmesportler, das Spiel ist aber ausnehmend uninteressant.

PlayStation3

Nicht Fisch, nicht Fleisch - Shaun White ist ein Ausnahmesportler, das Spiel ist aber ausnehmend uninteressant.

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