Spider-Man: Dimensions17.09.2010, Mathias Oertel
Spider-Man: Dimensions

Im Test:

Die letzten Spider-Man-Titel jagten uns durch ein Wechselbad der Gefühle. Das eher offene "Web of Shadows" z.B. konnte an die glorreichen Ausflüge mit den Filmumsetzungen zu Sam Raimis Peter Parker-Interpretation anknüpfen. Der dröge Prügler "Freund oder Feind" hingegen sorgte davor bei vielen Fans für Unverständnis. Und nach einer längeren Pause soll der Spinnenheld ausgerechnet von den Lizenz-Verwurstern von Beenox wieder belebt werden.

Triumvierat

Peter Parker, den meisten unter seinem hauptberuflichen Titel Spider-Man bekannt, hat ein gewaltiges Problem: Bei einem Kampf gegen Mysterio wurde ein Artefakt zerstört und in zig Teile zerschmettert. Als ob es aber nicht genug ist, dass der Wert dieses magischen Gegenstandes kaum zu beziffern und damit nicht zu ersetzen ist, hat die Zerstörung eine Tragweite, die sich nicht nur in Peters Welt, sondern auch in anderen Dimensionen bemerkbar macht, in denen Spider-Man beheimatet ist. Nur wenn alle Spideys in ihrer jeweiligen aus den Comics bekannten Welt die Bösewichte besiegen, die mit der Magie der Steintafel mächtiger als je zuvor sind, kann das Unglück ungeschehen gemacht werden.

Die Ölplattform in der Dimension des Ultimate Spider-Man ist eines der Highlights, dessen überraschende Elemente ebenso überstrapaziert werden wie viele andere grundsätzlich gute Ideen.
Und damit geht es hinein in ein gut zehn Stunden dauerndes Abenteuer, in dem man nicht nur wie man es bisher gewohnt war, mit dem "normalen" Spider-Man unterwegs ist, den man aus den Comicheften der "Amazing"-Serie kennt. Denn in Dimensions (SMD), das im außerdeutschen Raum mit dem Untertitel "Shattered Dimensions" versehen wurde, darf man zusätzlich noch in der Ultimate-Dimension sein Unwesen treiben, mit dem futuristischen Spider-Man 2099 durch die Lüfte schwingen oder mit dem Netzwerfer in der Noir-Version durch die Gegend schweifen.

Fantastisches Artdesign

Das Besondere daran: Jeder Arachno-Schwinger hat nicht nur eine eigene Dimension, sondern auch einen eigenen Design-Stil, der sich nicht nur in den famosen Zwischensequenzen und Boss-Vorstellungen widerspiegelt, sondern sich auch in der gelungenen Spielgrafik zeigt. Während die Amazing-Welt wie ein klassischer Comic von starken Umrandungen und einem Design à la Borderlands geprägt ist, bleibt die Noir-Dimension bis auf wenige Farbeinsprengsel in Sepia- Schwarz-Weiß-Tönen. Die Ultimate-Areale hingegen bestechen durch eine intensive Farbgebung. Und die Gebiete, in denen Miguel OHara als Spider-Man 2099 für Recht und (Un-)Ordnung sorgt, bieten eine Mischung aus glatten Strukturen und einem futuristisch-klinischen Neonlook. Dazu gesellen sich in jeder Epoche entsprechende Gegner mit interessanten Fähigkeiten, die aber unter dem Strich durchaus noch umfangreicher hätten ausfallen dürfen, da man letztlich immer wieder den selben, meist kaum eine Hand voll übersteigenden Varianten gegenüber tritt.

Deadpool ist einer der Bosse, gegen die man antreten muss und die in coolen Sequenzen vorgestellt werden.
In den drei Akten (plus Tutorial-Prolog sowie Finale) muss man mit jedem Spidey einmal losziehen und sich Bossen wie Hammerhead (Noir), Sandman (Amazing), Carnage (Ultimate) oder Doctor Octopus in einer weiblichen Form (2099) stellen. Die Reihenfolge ist dabei jedoch nicht vorgegeben, so dass man eine gewisse Form von Freiheit genießt.

Die findet sich übrigens auch hinsichtlich der rudimentären Charakterentwicklung wieder: Für jeden erledigten Gegner, für jede bewältigte der insgesamt 180 auf die Abschnitte verteilten "Mini-Aufgaben", für jedes Einsammeln von bestimmten Gegenständen oder die Zerstörung von Kisten etc. bekommt man Spinnenessenz. Diese kann man für Charakter- oder Kampf-Upgrades nutzen, die nach und nach ebenfalls mit den bewältigten Aufgaben freigeschaltet werden. Erstere verlängern z.B. die Gesundheitsleiste, die Aufladegeschwindigkeit von spezifischen Fähigkeiten oder schalten neue Kostüme schalten (herrlich: Amazing Bag-Man, ein Fantastic Four-Anzug, bei dem Spidey statt Maske eine Papiertüte auf dem Kopf hat). Und im Kampf-Upgrade-Shop gibt es genau das, was man dahinter erwarten könnte: Neue Kombos und Angriffsmöglichkeiten, die es einem erleichtern sollen, mit dem Gegneransturm fertig zu werden.

Vier Helden, vier Welten, ein Prügel-Prinzip

Denn natürlich geben die verschiedenen Haupt-Widersacher das Artefakt-Fragment natürlich nicht freiwillig her und kämpfen schließlich nicht nur selber gegen den maskierten Netzschwinger, sondern schicken ihre Lakaien vor - teilweise im Dutzend.

Und wenn es hart auf hart kommt, lässt man eben die Fäuste und Netze sprechen, wobei Spider-Man auch immer wieder für einen neunmalklugen Spruch zu haben ist, der beim ersten Hören noch ganz witzig ist, aber nach dem x-ten Mal an der Nervgrenze zu kratzt.

Dabei geht die trotz Upgrade-Möglichkeit überschaubare Anzahl an Kombos leicht von der Hand und führt dank einer eleganten Choreografie auch zu visuell durchaus interessanten Ergebnissen.

Mechanisch jedoch ist man schnell unterfordert. Nicht nur, weil die KI zu selten Ansprüche an die eigene

In der Noir-Dimension liegt das Hauptaugenmerk auf Schleichen und dem unbemerkten Ausschalten der Gegner. Das wäre jedoch deutlich spannender, wenn die KI besser reagieren würde.
Koordinationsfähigkeit stellt. Sondern auch, weil in den Prügelsequenzen nur minimale Unterschiede zwischen den Dimensionen festzustellen sind. In diesem Bereich sind die Spinnenmänner vollkommen austauschbar - leider: Sie haben nahezu identische Fähigkeiten, beinahe gleiche Kombos und ihre Interaktions-Möglichkeiten bei den Nahkampf-Auseinandersetzungen zeigen auch zu wenig interdimensionäre Differenz.

So finden sich z.B. auch ungeachtet der jeweiligen Welt-Zugehörigkeit immer wieder die gleichen Mechanismen: Erforschung der linearen Abschnitte (die Zeiten, in denen man durch ein offenes Design schwingen konnte, sind wohl endgültig vorbei), erste Bosskampf-Etappe, dann folgt weitere Erforschung (natürlich immer noch linear) sowie abschließend der finale Bosskampf, bei dem der Oberbösewicht mittlerweile die Kraft des Artefaktes in sich aufgenommen hat. Selbst die clever eingestreuten und interessanten, aber letztlich nach Schema F ablaufenden Nahkämpfe, in denen man den Boss aus Ego-Ansicht malträtiert, finden sich in allen Welten und nutzen sich dabei ebenso ab wie sämtliche Variationen, die anfänglich überraschen und für Auflockerung sorgen, dann aber übertrieben werden.

  

Zu viel des Guten

Nehmen wir z.B. Deadpools Ölplattform, die Schauplatz für die Reality TV-Show "Pain Factor" ist, an der Ultimate Spider-Man teilnehmen muss, wenn er den Artefakt-Stein haben will. Nicht nur, dass man hier mehr schwingen kann/soll als in den Arealen, weicht man hier auch von der Standard-Formel der anderen Abschnitte ab. Natürlich muss man hier immer noch kämpfen, aber irgendwann kommt auch der Punkt, an dem man die Kameras Deadpools zerstören muss, die teilweise gut versteckt und nicht immer einfach zu erreichen sind - eine schöne Idee, die gut umgesetzt wird. Nachdem man die letzte

Der Spider-Man der Zukunft kämpft in der "2099-Dimension".
Kamera erledigt hat, taucht eine neue Schwadron auf. Okay, geht noch in Ordnung. Danach noch eine. Und dann wird es langsam albern. Denn irgendwann hat man sich auch an der letzten guten Idee satt gesehen, die daraufhin die Frische verliert.

Und so cool das Finale hier auch inszeniert ist - man muss unter Zeitdruck zu einer rettenden Plattform schwingen, bevor eine Tsunami-Welle einen erreicht - hat dem Team die einmalige Sequenz nicht gereicht. Nein, man saugt dieses Element so lange aus, bis es einem aus den Ohren raus kommt. Das ist schade, da die Welle beim x-ten Mal ebenso an Reiz verliert wie viele andere, grundsätzlich gut gemeinte sowie solide implementierte Elemente, die vollkommen überstrapaziert werden. Dazu kann man zweifelsfrei auch die Verfolgung von Sandman als Hurricane in der Wüste zählen: Beim ersten Mal macht es noch Spaß, mit gut gesetzten (aber von Zielerfassung unterstützen) Netzzügen von Unrat zu Unrat zu springen, der unkontrolliert durch die Luft gewirbelt wird. Beim vierten Mal beginne ich, die Entwickler zu verfluchen - vor allem auch dann, wenn die Zielerfassung zwar anzeigt, dass ich mich irgendwo "anklinken" kann, beim Knopfdruck aber nix passiert und ich schließlich abstürze. Wobei die Kollisionsabfrage generell zwar gut arbeitet, sich aber auch immer wieder im Zusammenspiel mit der gelegentlich suboptimalen Kamera, die vor allem bei Klettersequenzen mit unkontrollierten Schwenks auf sich aufmerksam macht, den einen oder anderen Voll-Aussetzer leistet.

Vier Helden, vier verpasste Chancen?

Überhaupt hat man innerhalb der einzelnen Spinnen-Dimensionen viele Chancen ausgelassen, um aus einem passablen

Das Gegner-Design kann sich wie die gesamte Präsentation und Inszenierung sehen lassen!
Action-Adventure mit vielen Prügeleinlagen ein richtig gutes Superhelden-Spiel zu machen. Dabei hat man konzeptionell den richtigen Weg eingeschlagen, indem man versucht, nicht nur den Grafik-, sondern auch den Spielstil für jede Welt einzigartig zu machen.

So darf sich der Noir-Spider-Man z.B. nicht im offenen Scheinwerfer-Licht von den Gegnern erblicken lassen, da ansonsten Alarm geschlagen wird und die Feinde das Feuer eröffnen, von dem man nicht allzu viel vertragen kann. Stattdessen muss man sich im Schatten halten und kann aus dem Dunkeln "Takedowns" inszenieren. Das klingt fast nach einem Sam Fisher Light und trägt Züge von Batman Arkham Asylum.

Doch von beiden vermeintlichen Vorbildern ist man weit entfernt. Denn die KI reagiert zu behäbig, zu vorhersehbar und schaltet zu schnell von "Alarm" in "Ich geh wieder meine Route ab" zurück, ohne zu einer Gefahr zu werden - selbst wenn sie auf dieser Route an einem frisch eingesponnenen Freund vorbei läuft, der natürlich nicht von ihr wahr genommen wird.

Auch einige andere Spezialfähigkeiten oder mechanische Elemente wirken halbgar. Spider-Man 2099 z.B. kann die Wahrnehmung verlangsamen, doch gerade bei den Freifall-Sequenzen, in denen diese Fähigkeit helfen könnte, um Trümmern und Hindernissen auszuweichen, ist sie beinahe sinnlos, da die Steuerung in der Verlangsamung (un-)herrlich träge reagiert und man statt elegant im Stile der Matrix auszuweichen voll in das Teil reinrauscht.

Der Ton macht die Musik

Und dennoch weiß SDM immer wieder kurzzeitig zu motivieren - trotz aller Mankos, Schwächen und Fehler. Zum einen wird in beinahe jedem Abschnitt der Sammeltrieb angesprochen: Hier gibt es noch eine versteckte Spinne, da noch eine Aufgabe, die erfüllt werden muss und dort wartet noch ein Kostüm, für das man mehr Spinnenessenz braucht. Andererseits sind die Kämpfe zwar auf Dauer etwas eintönig, aber in ihrer Einfachheit auch eine Zutat für den Basis-Spaß, der vor allem auf der gelungenen Präsentation fußt. Figuren- und Dimensionsdesign passen und die zu Grunde liegende Geschichte ist auch nicht

Der "klassischste" der Spinnenriege präsentiert sich stilecht im Comic-Look.
schlechter als in einschlägigen Film-Produktionen. Und obendrauf gibt gelungene, wenngleich hinsichtlich der One-Liner wiederholungsanfällige Sprachausgabe, bei der sich auch Spider-Man-Schöpfer Stan Lee als  Erzähler die Ehre gibt, gibt es obendrauf.

Die zerbrochene Konsolen-Dimension

Unterschiede zwischen Wii, 360 und PS3 halten sich ebenso in Grenzen wie die spielerischen Variationen innerhalb der einzelnen Dimensionen. Vor allem beim Vergleich der HD-Versionen muss man schon verdammt spitzfindig oder einer bestimmten Konsole abneigend gegenüberstehen, um Unterschiede festzustellen - sowohl hinsichtlich der grafischen Umsetzung als auch bei der Steuerung.

Bei der Wii-Variante sieht es natürlich anders aus. Das beginnt schon bei den gerenderten Zwischensequenzen, die standesgemäß nicht so hoch aufgelöst sind. Und das hört hinsichtlich der visuellen Qualität erst bei den innerhalb der Welten verwendeten Texturen auf, die teilweise mehr als die erwartete eine Klasse schlechter ausfallen. Vor allem beim 2099-Anzug ist der Qualitätsverlust höher als man anfänglich vermutet hätte.

Dafür jedoch wurden die Kontrollen nicht nur gut auf Remote und Nunchuk gelegt, sondern auch durch sinnvolle Gesten ergänzt, die die technischen Schwächen zu den HD-Versionen zwar nicht komplett auffangen, aber durch eine gesteigerte Immersion in die Spielwelt deutlich abmildern.    

Fazit

Auf den ersten Blick sieht es noch so aus, als ob Beenox mit Spider-Man Dimensions endlich den Sprung aus der Nische mittelprächtiger Lizenz-Umsetzungen hin zu guter Unterhaltung schafft. Vier thematisch und vom spielerischen Potenzial her unterschiedliche Dimensionen mit eigenen Spider-Männern machen zunächst Lust auf mehr. Doch spätestens im zweiten Akt wird klar, dass Beenox dieses Potenzial verschenkt. Denn gleichgültig, ob man mit Noir-Spidey kaum fordernde Schleichsequenzen erledigt, mit Ultimate Spider-Man in den alles vernichtenden Rage-Status gelangt oder mit der 2099-Variante in Freefall-Sequenzen den entgegen kommenden Hindernissen ausweicht: Letztlich lassen sich die Spinnenmänner dimensionsübergreifend stets auf die gleichen, auf Dauer trockenen Prügelmechanismen zurückfallen, die zu selten durch gelungene Momente wie Deadpools TV-Show auf der Bohrinsel aufgelockert werden. Wenn nicht das durchweg hervorragende Artdesign und die Präsentation samt cooler Sprachausgabe von u.a. Spidey-Schöpfer Stan Lee wären, die problemlos einen Platz in der Spitzengruppe der Superhelden-Umsetzungen einnehmen, würde die Jagd des Netzwerfers auf Mysterio komplett untergehen. Doch die Inszenierung, die letztlich gelungenen Bosskämpfe sowie zahlreiche Geheimnisse und freispielbares Material, das sich in den linearen Abschnitten versteckt hält, können einen immer wieder bis zum Finale bei der Stange halten, das sich nach acht bis zehn Stunden zeigt.

Pro

rundum gelungenes Artdesign
sehr schöne Zwischensequenzen und Gegner-Vorstellungen
cool inszenierte Ego-Kämpfe...
hervorragende englische Sprachausgabe
vier spielbare Spideys aus vier Epochen
witzige, teils herrlich selbstironische Dialoge
gute Steuerung
clevere Gesteneinbindung (Wii)

Kontra

trotz interessanter Ansätze zu wenig inhaltliche Abwechslung
Prügeln mit nur wenig Herausforderung- ... die sich spielerisch allerdings schnell erschöpfen
ab und an Probleme mit der Kollisionsabfrage
gelegentlich unfaire Momente
teils unerwartet schwache Texturen (Wii)
überraschende Elemente werden überstrapaziert

Wertung

360

Art-Design, Grundidee und Inszenierung verdienen ein Extralob, inhaltlich bleiben die Dimensions-Spinnen spröde und schöpfen das Potenzial nur ansatzweise aus.

Wii

Hinsichtlich Design und Inszenierung ebenso gut wie auf PS3 und 360 sowie spielerisch ebenso zwiespältig, technisch allerdings zeigt sich die Remote-Spinne mindestens eine Klasse schlechter.

PlayStation3

Das Konzept stimmt, das Artdesign ist über jeden Zweifel erhaben, spielerisch nutzt man das Potenzial der vier Dimensions-Spinnen aber zu selten aus.

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