Marvel vs. Capcom 3: Fate of Two Worlds18.02.2011, Paul Kautz
Marvel vs. Capcom 3: Fate of Two Worlds

Im Test:

Crossover sind nicht nur im Musikbereich, sondern auch und vor allem in Comics eine sehr populäre Sache - und wo der Comic ist, da ist auch das Videospiel nicht weit. Auftritt Capcom, die ungekrönten Meister der Verbindung von Dingen, die vorher getrennt waren - auch wenn diese Symbiose immer dafür sorgt, dass man sich gegenseitig aufs Maul haut.

Welten prallen aufeinander

Beat-em-Up-Freunde haben gegenwärtig keinen Grund zur Klage: Da gibt es Super Street Fighter IV für Prügel-Veteranen, Tekken 6 für 3D-Freunde, BlazBlue: Continuum Shift für Kombo-Profis, Soul Calibur IV für Schwertfans oder Tatsunoko vs. Capcom für Wii-Klopper - und nicht zu vergessen ganz harte Oldschool-Kost wie Super Street Fighter II Turbo HD Remix oder Marvel vs. Capcom 2 für die beinharten 2D-Fans. Und dann kommt ein Spiel wie Marvel vs. Capcom 3 (MvC 3) daher, das irgendwie alle in sich vereint - das kann nur faule Kompromisse bedeuten, oder?

Gedanken wie diese werden schon drei Minuten nach Starten des Spiels vertrieben: Wer ein derart geiles Intro auf die Beine stellt, der kann das Spiel unmöglich versauen. Jede Menge Marvel- und Capcom-Helden polieren sich hier in allen möglichen und unmöglichen Lagen die Visagen, Erinnerungen an die famose Street Fighter 4-Einführung werden wach. Und genau wie da das Intro den Weg zur großartigen Spielgrafik geebnet hat, ist das auch hier der Fall: BlazBlue mag die schönsten handanimierten 2D-Figuren bieten, aber in keinem anderen Spiel werdet ihr gegenwärtig derart wundervolle Comicfiguren zu sehen bekommen - versprochen! Capcom nutzt einen speziellen Shader, der alle Fighter mit dicken Strichen und tiefschwarzen Schatten versieht. Klingt in Worten trocken und mopsig, sieht in Bewegung einfach fantastisch aus. Und dankbarerweise beschränkt sich der optische Overkill nicht nur auf die exzellent animierten Kämpfer: Sie treten in wundervollen Levels  gegeneinander an, die sich im Laufe der Runde ständig verändern, alles ist in Bewegung, es gibt massig Anspielungen und Verbeugungen vor bekannten Marvel-

Sensorischer Overkill: In Marvel vs. Capcom 3 ist die meiste Zeit derart viel los, dass man anfangs Schwierigkeiten hat, Strukturen im Chaos zu erkennen - immerhin darf man jederzeit Teamkameraden rein- und rausspringen lassen. Aber schnell blickt man hinter den Wahnsinn und lernt das clevere Kampfsystem zu nutzen.
und Capcom-Lokalitäten. Und dann sind da natürlich noch die Effekte... sagen wir es mal so: Wer von Anfang an die volle Übersicht im Spiel hat, ist ein Teufelskerl. Was hier in nahezu jeder Spielsekunde auf dem Bildschirm abgeht, ist der Wahnsinn. Spätestens bei den fetten Drei-Mann-Kombos ist es mit der Konzentration auf den nächsten Angriff vorbei - dann bebt und wackelt das ganze Haus! Begleitet wird das optische Gemetzel von einem wunderbar treibenden, abwechslungsreichen Soundtrack, der darüber hinaus mit einer Besonderheit aufwartet: Jeder neu ins Spiel kommende Kämpfer wird mit seinem eigenen Thema begrüßt, das sich geschmeidig an das bereits laufende Musikstück anschmiegt. Dazu ertönt jede Menge Kampfgeschrei, wahlweise auf Englisch oder Japanisch. Außerdem darf man einen optionalen Kommentator dazuschalten, der abhängig von der Kampflage immer hysterischer wird.

Gespielte Überwältigung

Der große Nachteil des optischen und akustischen 16 Tonnen-Gewichts ist natürlich das Chaos - auch in SF 4 oder BlazBlue ist bei einer Kombo die Hölle los, aber das gibt sich auch schnell wieder. Hier werden gelungene Aktionen zelebriert, außerdem lädt sich die für mächtige Kombinationen benötigte Leiste sehr schnell wieder auf. Was zur Folge hat, dass man mit manchen Figuren fiese Kombos spammen kann. Auch die Beschränkung auf Drei-Mann-Teams (man spielt nie allein) trägt ihren Teil zum Bildschirmwahnsinn bei: Ständig hüpfen die Kameraden ins Bild, hauen schnell zu und hopsen wieder hinaus, eine Kombo gesellt 

Einsteiger können sich das Leben im Simpel-Modus etwas leichter gestalten, allerdings lernt man darin nicht die Feinheiten des Kampfsystems.
sich an die andere, ständig wechseln die Figuren. Und dabei habe ich noch nicht mal was vom Luftkampf erzählt: Eine der vier Angriffstasten kümmert sich ausschließlich darum, den Gegner hoch zu schleudern - springt man dann nicht hinterher, bekommt man nicht zu sehen, was am Boden los ist. Wird man in diesem Moment von einem Partner angegriffen, kann man kaum etwas dagegen tun. All das macht MvC 3 in den ersten Spielstunden zu einem sehr überwältigenden Erlebnis, das man schnell mit »Was zum Geier? Wie soll man denn...? Hä?« abtun kann. Tut das nicht! Hinter dem Chaos verbirgt sich mehr Taktik, als man zunächst vermuten könnte!

Wie schon seine Vorgänger ist auch der dritte Teil ein reiner 2D-Prügler - und ist somit natürlich über die Benutzung eines Arcade-Sticks sehr dankbar, auch wenn man mit dem Standard-Pad gut fährt. Im Gegensatz zu anderen Prüglern gibt es hier nur drei Angriffstasten, die nicht auf Arme oder Beine gemünzt sind, sondern nur auf leichte, normale und harte Attacken - in Kombination mit Richtungsangaben ergeben sich Kombos. Einsteiger können sich das Leben einfacher machen und den »Simple Mode« aktivieren, intern auch als »Buttonmasherpass« bekannt: Die Kämpfer haben dann weniger Angriffe, Spezialmanöver sind einfacher auszulösen. Dieser Modus taugt aber wirklich nur zum Eingewöhnen, denn an die wahren Schmankerl des Spieldesigns kommt man damit nicht ran. Profis versinken in der Tiefe von Kombos, Crossover Counters, Hyper Combo Finishers und Advancing Guards, außerdem sollte man schleunigst den »X-Faktor« zu beherrschen lernen. Das ist eine Art Rettungsring, wenn man kurz vor der Niederlage steht: Mit einer speziellen Kombination leuchtet der Kämpfer rot, regeneriert ein wenig Energie, bewegt sich schneller und schlägt härter zu - aber nur für kurze Zeit. All diese Manöver muss man sich aber selbst im Trainingsmodus beibringen, denn eine Kampfschule oder ein Tutorial gibt es nicht.       __NEWCOL__

Welcome to the Jungle, Baby!

32 Figuren stehen von Anfang an zur Auswahl, 16 auf jeder Seite - und vier weitere sind freispielbar. Darunter sind alle Gassenhauer aus der Marvel- und Capcom-Historie, von Ryu und Chun-Li über Spider-Man und den Hulk bis hin zu Iron Man und Viewtiful Joe. Jede Figur verfügt über mehrere Spezialangriffe, die sich bekannte Eigenschaften zunutze machen: Iron Man verschießt einen gigantischen Laserstrahl, Viewtiful Joe friert seine Widersacher kurz in einer Zeitlupe ein, der Hulk lässt die Erde erbeben und Rastalocke Spencer schwingt sich mit seinem bionischen Arm über den Bildschirm. Im Vergleich zum Vorgänger vermisst man einige liebgewonnene Figuren wie Juggernaut, dafür gibt es einige sehr& ahem& spezielle Neuzugänge wie She-Hulk, M.O.D.O.K. oder Taskmaster, die in erster Linie durch abgefahrenes Design als Kadernutzen glänzen.

Da man immer in Dreierteams kämpft, sollte man sich mit den Figuren und ihren speziellen Eigenheiten vertraut machen, bevor man Online-Terrain betritt: Manche sind klare Nahkämpfer, andere haben ihre Stärken im Fernkampf, einige sind gute Mischungen. Gerade für Einsteiger wäre es sinnvoll, wenn man Männlein und Weiblein nicht nur nach Herkunft, sondern auch nach Anspruch ordnen könnte. Denn während Captain America, Chun-Li oder Ryu problemlos beherrschbar sind, stellen Figuren wie Albert Wesker, Hsien-Ko, Magneto oder der Okami-Import Amaterasu eine echte Herausforderung dar. Echte Balance-Probleme konnte ich während des Tests nicht feststellen, aber es fällt auf, dass online die 

Da knackt der Kiefer: Haggar gegen den Hulk! Was könnte die Erde mehr zum Beben bringen?
Fernkämpfer überdurchschnittlich stark vertreten sind. Ein langsamer Koloss wie Sentinel kann sich Gegner mit seinem durchschlagskräftigen Laser und seiner Raketenkombo ziemlich gut vom Leib halten.

Das Dreiersystem ist nicht nur Show, sondern essenzieller Bestandteil des Spieldesigns: Solange die Partner am Leben sind, kann man jederzeit zwischen allen wechseln, teilweise auch mitten in die Kombo hinein - und natürlich darf man die beiden anderen entweder einzeln oder zusammen für schlagkräftige Unterstützung in den Ring holen. Wechselt man eine Figur aus, erholt sie sich außerhalb des Kampfes zum Teil wieder, allerdings gibt es die Möglichkeit, mit einem speziellen Manöver einen Rückwechsel zu erzwingen.

Lieber online statt allein

Die wichtigste Beat-em-Up-Erfahrung, das klassische Match Mann gegen Mann, wird auf zwei Arten unterstützt: lokal und online. Beides funktioniert wunderbar problemlos und im Falle der Online-Version auch bemerkenswert lagfrei. Allerdings beschränken sich die Entwickler in jeder Variante auf das Nötigste: Online kann man entweder Ranglistenspiele absolvieren oder sich durch Lobbys kämpfen. Wobei man den Kämpfen anderer Lobby-Teilnehmer zwar nicht zusehen darf, aber immerhin verfolgen kann, wie ihre Lebensenergiebalken abnehmen - irgendwie witzig. Sehr praktisch ist online auch, dass man bis zum Rundenbeginn nicht zu sehen bekommt, welche Kämpfer der Gegner nimmt - so kann man sich keine Strategie zurechtlegen oder von vornherein Schwächen ausnutzen. Lokal darf man die Handicaps dem Spielerkönnen anpassen - aber das war's auch schon wieder. Pures Gegeneinander-Kloppen, so wie es sein sollte, aber vielleicht etwas spartanisch.

Wenn's kracht, dann kracht's richtig: MvC 3 bietet spektakuläre Kombos, die das Haus zum Wackeln bringen.
Ähnliches gilt auch für das Einzelspielererlebnis: Die wichtigste Solo-Variante ist der Arcade-Modus, in dem man sich durch sechs Feindtrios prügelt, bevor man dem gigantischen Endgegner den galaktischen Scheitel bürstet. Das ist je nach Geschick eine Angelegenheit von einer Viertelstunde, danach warten zwei dezent enttäuschende Standbilder nebst etwas Text sowie den schweinecool präsentierten Credits. Die nächste Station für Solisten ist der Missionsmodus, dessen Name aber mehr verspricht als er halten kann: Pro Figur muss man zehn Kombos ausführen, das wars. Okay, das klingt einfacher als es ist, denn die Kombos werden sehr schnell extrem kompliziert und anspruchsvoll, das geforderte Timing ist teilweise brutal. Da es keine Möglichkeit gibt, die Kombos etwas langsamer zu üben, nur die Namen der Aktionen gezeigt werden (wie man sie ausführt, muss man über das Pausenmenü erstmal selbst rausfinden) und es keine KI-Demonstration gibt, ist dieser Modus nur auf Vollständigkeit bedachten Profis vorbehalten. Die haben sowieso einen gigantischen Fundus an Freispielkram vor sich: Ähnlich wie in Street Fighter 4 gibt es auch hier eine Übersichtsseite, die man personalisieren darf - Icons und Sprüche werden freigeschaltet, man kann sich drei feste Standardteams zusammenstellen, man darf in Unmengen Statistiken wühlen. Außerdem schaltet man mit fortschreitender Spieldauer für jeden Fighter Videos, Informationen, Epiloge, 3D-Modelle, Artworks und Musik frei.   

Fazit

Eigentlich spaltet man mit jedem neu erschienenen Prügler die Beat-em-Up-Gemeinde - mal ist es zu kompliziert, mal zu arcadig, mal zu Tekken, mal nicht 2D genug. MvC 3 wird aus einem anderen Grund für ein paar gerümpfte Nasen sorgten: Es belohnt, anders als seine Vorgänger, chaotisches Vorgehen. Einsteiger schalten in den simplen Modus und dreschen wild aufs Gamepad ein, damit werden sie ziemlich weit kommen. Nicht online, keine Frage - ein Profi-Spieler wischt auch hier mit einem Buttonmasher problemlos die Bodentextur. Aber so kommt man dennoch deutlich weiter als noch bei Street Fighter 4 oder den BlazBlues. Das hat MvC 3 seiner Herkunft zu verdanken, die Tatsunoko vs. Capcom-Wurzeln sind nicht zu übersehen. Das bedeutet ein etwas leichteres Prügelerlebnis als gewohnt, herrlich viel Kloppchaos, jede Menge wahnwitziger Bildschirmfüllerkombos und eine großartige Präsentation, die ihresgleichen sucht. Allerdings hätten die Entwickler neben der Prachtgrafik und dem superben Soundtrack auch etwas mehr Spielinhalt reinkippen können: Der Arcade-Modus ist prima, aber ziemlich kurz, die Missions-Variante sehr unausgereift - und der (immerhin lagfreie) Mehrspielermodus beschränkt sich auch nur auf das Nötigste. Aber das, was man geliefert bekommt, hält sein Versprechen von einem coolen, aufwändigen, wunderbar überdrehten Prüglerspaß - doppelt und dreifach!

Ihr wollt das Chaos in Bewegung erleben? Dann seht euch unser Video-Fazit an!

Pro

brillante Comic-Präsentation
großartiger Soundtrack
lagfreier Mehrspielermodus...
einfache Steuerung
riesiger Kämpfer-Kader

Kontra

uninteressanter Missionsmodus
kurzer Arcade-Modus
...der sich allerdings auf das Nötigste beschränkt

Wertung

360

Bunt, laut, krachend, chaotisch, wahnwitzig - Marvel vs. Capcom 3 besitzt nicht die spielerische Tiefe von Street Fighter 4 oder BlazBlue, aber dafür tonnenweise Style und Charme!

PlayStation3

Bunt, laut, krachend, chaotisch, wahnwitzig - Marvel vs. Capcom 3 besitzt nicht die spielerische Tiefe von Street Fighter 4 oder BlazBlue, aber dafür tonnenweise Style und Charme!

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