The Amazing Spider-Man05.07.2012, Paul Kautz
The Amazing Spider-Man

Im Test:

50 Jahre Netzschwinger! Und gerade im Kino so jung und gelenkig wie nie zuvor! Wenn das mal kein Grund für glorreiche Partynächte ist. Leider dürfte dem Spinnenfan in den letzten Jahren kaum nach Feiern zumute gewesen kam, diente der blau-rote Name des New Yorkers doch als Deckel für mäßige bis grottenschlechte Software. Aber wenn auf der neuen Packung schon "The Amazing Spider-Man (ab 14,99€ bei kaufen)" steht, dann kann ja wohl kaum "The Mediocre Spider-Man" drin sein. Oder?

Aus großer Lizenz folgen große Spiele?

Beenox hat ein Problem: So richtig geil sind die Spiele der Kanadier nicht. Nie wirklicher Mist, aber auch nie ernsthaft in „Muss man gespielt haben!“-Bereiche vordringend. Schade, denn die Ansätze für Exzellenz sind meistens da. Auch The Amazing Spider-Man: Manhattan sieht einfach fantastisch aus! Und wenn man sich ohne den kleinsten Ruckler in die mächtig gewaltigen Hochhausschluchten stürzt, der Boden wahnsinnig auf einen zurast, man im letzten Moment die rechte Schultertaste drückt und danach von herrlichem Gejubel und Gejuchze seitens des Spinnenmanns durch die faszinierenden Straßen der Stadt schwingt und zischt, in die strahlende Sonne hinein – dann, ja dann zeigt das Spiel echte Größe. Ärgerlicherweise beginnt das Spiel nicht so. Stattdessen muss man einen langatmigen Prolog im Innern eines Forschungslabors ertragen.

Das wunderbar dynamische Schwingen durch die edel gestaltete Stadt ist das Highlight des Spiels.
Das wunderbar dynamische Schwingen durch die edel gestaltete Stadt ist das Highlight des Spiels.
Dieser Mangel an Unbedingtheit ist leider symptomatisch für das Spiel: Es könnte so viel besser sein, strauchelt aber immer an der entscheidenden Hürde. Fassen wir doch mal die Eckpunkte des Spinners zusammen: Jede Menge Schwing-Action durch New York. Viele Kämpfe gegen kleine Gauner und große (zum Teil sehr außerweltliche) Gangster. Immer im Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und flapsigen Sprüchen. All das gibt es hier. Worüber beschwere ich mich dann also?

Der bunte Ritter

Zäumen wir den Gaul doch mal von hinten: Die Handlung ist gar nicht schlecht. Das Spiel schließt direkt an den aktuell in den Kinos laufenden Film an (und beinhaltet dadurch zwangsläufig den einen oder anderen Spoiler) und dreht sich um das Hin und Her zwischen Spider-Man (der übrigens im ganzen Spiel nicht ein Mal seine Maske abnimmt), Gwen Stacy, Alistair Smythe und Curt "The Lizard" Connors. Eine eklige Infektion ergießt sich über den Bewohnern von Manhattan,

Die Handlung ist ordentlich und solide inszeniert, leidet in der deutschen Fassung allerdings an der furchtbaren Sprachausgabe.
Die Handlung ist ordentlich und solide inszeniert, leidet in der deutschen Fassung allerdings an der furchtbaren Sprachausgabe.
zwischen den Missionen bekommt man angezeigt, wie viele Opfer die Erkrankung bereits gefordert hat. Eigentlich düster, aber Spidey hat trotzdem immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Merkwürdigerweise scheint es ihm egal zu sein, dass ihn die Designer für einen Großteil der Missionen durch zum Teil einschläfernd uninteressante Labore, Abwasserkanäle und sonstige Hallen sowie ganz viele Luftschächte zum Durchkrabbeln schicken – mit immergleichen Aufgaben, immergleichen Simpel-Puzzles und immergleichen Kämpfen.

Womit wir beim zweiten Punkt wären: dem Kampfsystem. Dass die Entwickler große Fans von Batmans Arkham-Abenteuern sind, sah man schon am Vorgänger Edge of Time. Auch dieses Mal kommt einem das von Feind zu Feind fließende Gekloppe bekannt vor, was ja per se nichts Schlechtes ist. Allerdings ist das Ganze hier extrem simpel gehalten: Timing spielt beim Kloppen keine Rolle, ein pausenlos behämmerter Angriffsknopf reicht normalerweise. Lediglich wenn der Spinnensinn aufleuchtet, ist etwas zusätzliche Aktion gefragt – nämlich der Druck auf den Ausweichknopf, durch den Spidey der nahenden Attacke entgeht und ohne Unterbrechung weiter arbeitet. Das Ganze ist hübsch anzusehen, aber aufgrund der quasi nicht vorhandenen Gegner-KI wirklich keine Herausforderung.

Das deutlich von den Batman-Spielen inspirierte Kampfsystem ist sehr simpel, ermöglicht aber schön fließende Kloppereien.
Das deutlich von den Batman-Spielen inspirierte Kampfsystem ist sehr simpel, ermöglicht aber schön fließende Kloppereien.
Nur selten muss man seine Vorgehensweise variieren – etwa wenn Gegner einen Schild haben oder Angriffe von vorn blocken (dann werden sie einfach von hinten bearbeitet) oder wenn sie derart schwer bewaffnet sind, dass der Spinnenanzug unerwartet schnell zu viele Lüftungslöcher aufweist. In diesem Fall muss die Schleichspinne ans Werk: Nähert man sich dem Feind von der Decke, kann man ihn ab einer bestimmten Entfernung per lautloser Netzattacke ausschalten. Was am Anfang noch aufregend wirkt, aber später derart überstrapaziert wird, dass man schnell merkt, dass man mit der Taktik "An die Decke zischen -> Gegner von oben mit Stealth-Attacke ausschalten -> schnell in Sicherheit rasen -> so oft wiederholen, bis alle Feinde weg sind" meist problemlos durch die Räume kommt. Lediglich die wenigen Bosskämpfe erfordern eine Kombination aller Spinnenfähigkeiten.

Spinnen mögen kein Wasser

Beim Netzsprint hat man die Möglichkeit, rasend schnell durch die Stadt zu flitzen oder sich in aller Ruhe Zielpunkte auszusuchen.
Beim Netzsprint hat man die Möglichkeit, rasend schnell durch die Stadt zu flitzen oder sich in aller Ruhe Zielpunkte auszusuchen.
Bleibt noch das Geschwinge. Und das ist, wie bereits erwähnt, das wie ein Diamantenobelisk in der Mittagssonne funkelnde Highlight des Spiels: Es sieht super aus, steuert sich toll und bietet ein herrlich-beflügeltes "JAHAAAAAAAAA!"-Gefühl. Wirklich großartig! Kurze Bemerkung an alle "Woran macht er eigentlich seine Spinnenfäden fest?"-Nörgler: Richtig frei schwingen kann man nur, wenn man von Häusern umringt ist. Im Park wird’s sehr ebenerdig, über Wasser geht’s gar nicht.

Neu ist der "Netzsprint": Das ist ein System, mit dem der Blaurotling noch schneller (und spektakulärer) durch die Straßen Manhattens reisen kann. Man visiert einfach einen der auf Wunsch deutlich markierten Netzsprint-Punkte an (von denen es massenhaft gibt) und schon hetzt Spidey los – an Wänden entlang, zwischen Autos hindurch, wilde Luftsprünge und dramatische Dreher machend, bis er schließlich, tiefenentspannt wie ein bekifftes Chamäleon, am Zielpunkt ankommt. Wer auf diesen fetzigen Automatismus keine Lust hat, kann die entsprechende Taste auch gedrückt halten, wodurch man die Welt durch die Spinnenaugen zu sehen bekommt – deutlich verlangsamt. Wodurch man alle Zeit der Welt hat, um sich in Ruhe nach einem Zielpunkt umzusehen, während die Umgebung mit der Hektik einer Kontinentalverschiebung an einem vorbei gleitet.

Schwingen für die Erstausgabe

Und wozu das Ganze? In erster Linie, um punktgenau bei Zielen anzukommen. Denn in Manhattan wartet jede Menge Arbeit: Man muss Passanten retten, die gerade überfallen werden. Aus der Irrenanstalt entflohene Patienten finden und zurück in die gut gummierten Wände bugsieren. Infizierte Zivilisten in eine Klinik schaffen. Oscorp-Labors nach wichtigen Upgrades durchforschen. Foto-Herausforderungen von Reporterin Whitney Chang meistern. Der Polizei helfen, Straßengefechte und Verfolgungsjagden schnell zu beenden.

Innerhalb von New York gibt es jede Menge Arbeit - leider spielen sich all diese Aufträge immer gleich.
Innerhalb von New York gibt es jede Menge Arbeit - leider spielen sich all diese Aufträge immer gleich.
Oder die von Altmeister Bruce Campbell moderierten "Xtreme Reporter"-Geschicklichkeitsprüfungen meistern. All das gibt in erster Linie Erfahrungspunkte, die über Levelaufstiege für zusätzliche Spinnen-Verbesserungen sorgen. Am interessantesten sind aber die vielen, vielen Comic-Seiten, die man überall findet. Sammelt man diese auf, werden in unregelmäßigen Abständen klassische Spider-Man-Comics freigeschaltet – u.a. die mittlerweile unbezahlbare Erstausgabe oder das Magazin mit dem frühesten Auftritt von Rhino. Die Comics sind exzellent eingescannt; scroll-, zoom- und dadurch sehr gut lesbar. Sehr unterhaltsam ist übrigens auch das "New York City Thoughts"-System: Eine Art spielinterner Twitter, über den man während der teilweise sehr langen Ladepausen die mit zunehmender Spieldauer immer verzweifelteren (und teilweise auch sehr albernen) Gedanken der Bewohner Manhattans verfolgen kann.

Ordentlich gemacht, Spider-Man. Noch nicht optimal, aber die Richtung stimmt.
Ordentlich gemacht, Spider-Man. Noch nicht optimal, aber die Richtung stimmt.
So toll die Technik zum Teil auch ist, so doof sind manche Schlampigkeiten. Besonders die störrische Kameraführung ist ein Grund für ergraute Spinnenhaare: Hängt man an Wänden oder Decken, spielt die Steuerung verrückt, freies Umsehen ist nicht mehr ohne weiteres möglich. Sehr ärgerlich auch die deutsche Version: Das geht bei den Sprechern los, die mit dem Elan eines Backsteins zu Werke gehen, und endet bei Übersetzungspatzern wie "Kavaliersdelikte" für "petty crimes" – ich bin nicht sicher, ob ich das so nennen würde, wenn mir vier grimmige Schränke damit drohten, ebenso viele Messer in meinen Rippen zu deponieren. Dankbarerweise sind auf den deutschen Discs auch die englischen Versionen enthalten. Zwar bieten die leider nicht die Original-Sprecher aus dem Film, aber sehr gute Alternativen.

Fazit

Der eine trägt schwarzes Latex, der andere blau/rotes Spandex – wo ist da schon der Unterschied? Das muss sich Beenox auch gefragt haben, denn die Ähnlichkeiten zu Batmans Arkham-Ausflügen sind frappierend: Klar, den größten Teil seiner Zeit verbringt man mit dem wunderbar beschwingten Zischen durch die Hochhausschluchten durch New York. Aber sobald es in den Kampf geht, werden die Parallelen offensichtlich – nur dass hier alles auf halber Flamme gekocht wird: Das Kloppsystem ist extrem simpel, die Gegnerschar dumm wie Klappstühle. Die wahre Motivation bezieht The Amazing Spider-Man aus dem faszinierenden Schwing-Rausch außerhalb der Missionen. Dort gibt es zwar von der Comicjagd bis hin zur Polizei-Unterstützung jede Menge zu tun, aber leider mangelt es der Nebenher-Aktivität arg an Abwechslung. Da ist die Kampagne auch aufgrund der soliden Handlung interessanter – aber die findet in größtenteils langweiligen Innenlevels mit jeder Menge Luftschachtgekrauche, stupiden Feinden und schwachen Puzzles statt. Immerhin ist The Amazing Spider-Man deutlich besser als Edge of Time – das ist doch auch was. Es wirkt zwar in vielerlei Hinsicht schludrig, zeigt aber auch viel Potenzial. Wenn Beenox für den nächsten versponnenen Titel mehr als gefühlt vier Minuten Entwicklungszeit bekommt, könnte sogar mal wieder ein beschwingter Ausflug in vorzeigbare Wertungsregionen drin sein. Die Hoffnung stirbt ja zuletzt.

Pro

schön inszeniertes Manhattan
fröhliches Schwingen durch Straßenschluchten
viel Sammelkram
ordentliche Handlung
sehr viel Nebenher-Aktivität
gut inszenierte Bosskämpfe
nützliches Netzsprint-System
teilweise sehr amüsante Sprüche
flexibles Upgrade-System

Kontra

schlimme deutsche Sprachausgabe
langweiliges Kampfsystem
größtenteils uninteressante Innenlevels
immergleiche Sprüche
dumpfe Gegner-KI
teilweise sehr störrische Kameraführung
niedriger Schwierigkeitsgrad
viel lahmes Luftschachtgekrieche

Wertung

360

Der Spinnenmann erreicht nicht die beschwingten Höhen früherer Titel - aber die Richtung stimmt.

PlayStation3

Der Spinnenmann erreicht nicht die beschwingten Höhen früherer Titel - aber die Richtung stimmt.

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