Im Test:
Altnordische Fantasywelt
Wenn man sich für Wikinger oder deren Götterwelt interessiert, muss man (auch) in der Spielewelt mit viel Kitsch und Klischees leben. Die Entwickler von The Banner Saga haben sich lediglich von der Zeit der Runen und Langschiffe inspirieren lassen, um ihr eigenes Universum zu erschaffen. Sie nutzen trotz vieler authentisch anmutender Aspekte hinsichtlich der Sprache, Kleidung und Bewaffnung keinen historischen Hintergrund für ihr Abenteuer, sondern entführen in eine alternative nordische Fantasywelt, in der Machtpolitik und Magie lebendig werden.
Namen wie Hakon, Egil und Skogr erinnern zwar an das Altnordische, es wird mitunter sogar Isländisch gesungen. Aber nicht nur die Königreiche und Konflikte, auch die Völker und Götter wie Dundr oder Ingrid entspringen der Fantasie der Entwickler. Hier kämpfen nicht Norweger, Iren und Franken, sondern Menschen, Varl und Dredge miteinander. Nach zwei Kriegen gibt es allerdings eine brüchige Allianz zwischen den gehörnten Riesen (Varl) und den Menschen, die sich gegen die roboterhaften Gestalten (Dredge) richtet. Das Spiel beginnt, als die Sonne plötzlich stillsteht und diese alten Feinde zum Angriff übergehen. Droht ein dritter großer Krieg? Oder angesichts des bösen Omens noch Schlimmeres?
Zwei Reisegruppen
Eine andere Karawane startet im Osten der Karte und ist scheinbar gewöhnlicher besetzt. Eine Gruppe Menschen um den Jäger Rook und seine Tochter Alette muss vor den Dredge aus einem Dorf fliehen. Dazu gesellt sich ebenfalls ein Varl sowie je nach Entscheidung andere Menschen. Hier geht es etwas persönlicher zu, aber auch mit dieser zweiten Gruppe wird nicht nur recht schnell deutlich, wie brüchig die Allianz zwischen Menschen und Varl ist. Auch untereinander herrschen Missgunst und Misstrauen, so dass man in der Rolle von Rook immer wieder als Schlichter, Entscheider und Richter agieren muss – keine leichte Aufgabe, denn man wird selbst misstrauisch von allen Seiten beäugt. Neben politischen gibt es aber auch viele dramatische Situationen, in denen man handeln muss.
Die Qual der Wahl
Die lange Reise unter dem blutroten Banner hat uns zusammengeschweißt. Übrigens: Je mehr Ruhm ich über Kämpfe oder weise Entscheidungen anhäufe, desto länger wird das Banner, das dann wie ein stolzer Drache über dem Zug aus Mensch und Tier flattert. Auch wenn man dabei nur durch eine 2D-Landschaft marschiert, hinterlassen die scharf konturierten Ebenen, Wälder und Fjorde ein erhabenes Gefühl – die Karawane wirkt manchmal wie ein Wurm, der sich durch verschneite Gebirge oder riesige Götterstatuen schlängelt. Es gibt eine tolle Szene, in der drei bemalte Bruchstücke erst langsam über den Marsch der Karawane und den Wechsel der Perspektive zu einem Ganzen verschmelzen.
Allerdings darf man leider keine freie Route auf der vergilbten Karte mit all ihren Orten wählen. Nur in bestimmten Situationen kann man mal einen Umweg oder eine Abzweigung nehmen. Jeder Reisetag verbraucht Proviant, wobei die Aufnahme von weiteren Flüchtlingen oder Kämpfern dafür sorgt, dass er noch schneller dezimiert wird. Man kann auf dem Weg durch die malerische Kulisse lediglich einen Befehl geben: Campieren. Dann kann man sich um Aufstieg und Ausrüstung seiner Gefährten kümmern oder trainieren.
Eine lange Reise voller Gefahren
Denn je nachdem, für welche Antwort ich mich wie im obigen Beispiel entscheide, stirbt entweder meine Tochter, ihr Freund Egil oder niemand. Die Bindung an die Charaktere, die in vielen Dialogen als Zeichentrickfiguren auftauchen und ohne große Mimik lediglich leicht animiert werden – hier ein funkelndes Auge, da nervös am Schildrand trommelnde Finger - ist nach wenigen Stunden bereits stark. Man will keinen Gefährten verlieren, aber The Banner Saga scheut sich nicht, dem Spieler selbst lieb gewonnene Charaktere zu rauben - man fühlt sich fast ein wenig wie in den Sieben Königreichen von George R.R. Martin, wenn einem plötzlich von einem Verräter ein Messer in die Rippen gerammt wird. Wieso hat man diesen Typen damals aufgenommen? Der war doch schon immer komisch! Ja, aber man braucht auch Kämpfer, um die lange Reise zu bestehen.
Menschen und Riesen
Man führt jeweils eine in die Hunderte gehende Gruppe an, die aus Zivilisten, menschlichen Kriegern und Varl besteht. Größere Schlachten werden zunächst über ein Auswahlmenü simuliert: Trifft man z.B. auf eine Armee an Dredge, hat man fünf taktische Optionen, die leider nicht im Feld, sondern lediglich als Texte abgehandelt werden. Man kann vorwärts stürmen, sich offensiv formieren, den Feind defensiv aufhalten, sich zurückziehen oder erstmal die Lage sondieren. Je nach Gegnerzahl und Art kommt es dann zu einer weiteren Entscheidung sowie zu einem Kampf - der wird meist stellvertretend von einer kleinen Gruppe geführt.
Rundentaktik mit vielen Möglichkeiten
Erst in diesen Rundengefechten führt man dann sechs Helden aktiv in einer Arena von Feld zu Feld. Schade ist, dass man in der Vorauswahl eines Kampfes nicht auf die Werte und Fähigkeiten schauen kann – man muss auswendig wissen, wer was kann. Schade ist auch, dass Höhen, Untergründe oder Deckungen hier keine Rolle spielen - alle Gefechte finden immer in einem flachen, relativ kleinen Raster statt. Und obwohl man z.B. die Fähigkeit hat, andere Charaktere zu schubsen, kann man sie nicht in sichtbare Abgründe stürzen. Außerdem darf man mal ohne Folgen durch eigene Leute schießen, dann wiederum verletzt man sie im Friendly Fire. Diese räumliche Statik und diese kleinen Inkonsequenzen sind ärgerlich, aber die Rundentaktik macht trotzdem richtig Laune, weil das Kampfsystem überraschend innovativ und die Inszenierung sehr lebendig ist.
Das Innovative besteht darin, dass jeder Charakter einen blauen Rüstungswert und einen roten Stärkewert besitzt, der gleichzeitig die Lebenspunkte darstellt - wer verletzt wird, schlägt also auch weniger hart zu. Das sorgt dafür, dass reine Schadenverteiler wie mächtige Varle nur auf den ersten Blick für Ehrfurcht sorgen: Denn was bringt einem die famose Stärke von 18, wenn sie nach zwei Attacken auf neun oder fünf gesunken ist? Man muss also auch die Reihenfolge des Schlagabtausches sowie die Position seiner Figuren berücksichtigen, damit sie ihre volle Kraft ausspielen können.
Sobald man einen Gegner attackiert, kann man sich aussuchen, ob man seine Rüstung oder seine Stärke und damit seine Gesundheit dezimieren will. Einige Feinde sind so gut geschützt, dass man erst dann Schaden anrichten kann, wenn man ihre Panzerung vorher stückweise zerbricht. Nicht nur weil die KI schon auf dem zweiten der drei Schwierigkeitsgrade recht clever die Schwachstellen attackiert, entsteht ein spannender Schlagabtausch.
Klassen und Spezialfähigkeiten
Die letzte Würze kommt durch das Sternesystem hinzu: Man kann sowohl seine Bewegungsreichweite als auch seine Angriffe mit Sternen aufwerten, um weiter laufen oder schwerer zuschlagen zu können. Man sollte nur wissen, wann man diesen Boost einsetzt: Jeder Charakter besitzt zu Beginn je nach Fähigkeiten eine gewisse persönliche Anzahl.
Hinzu kommt eine universelle Anzahl für alle Beteiligten, wenn man Feinde tötet. Der Einsatz dieser Sterne kann über den Sieg entscheiden. Man muss also taktisch ein wenig umdenken, was sich auch auf die Charakterentwicklung mit ihren sechs Fähigkeiten auswirkt, denn mindestens genauso wichtig wie Strength sind z.B. Exertion und Break: Ersteres beeinflusst die Anzahl an Sternen, die man zusätzlich in Bewegung und Attacke investieren kann. Letzteres beeinflusst die Menge an Schaden, den man der Rüstung zufügt.
So entsteht ein überaus interessantes Management beim Aufstieg und im Gelände ein abwechslungsreiches Schachspiel, zumal manche Klassen nur vertikal oder horizontal, andere wiederum diagonal oder über weite Distanzen attackieren können und das Nebeneinanderstehen für einen Defensivbonus sorgt. Und das Ganze wird überaus elegant animiert: Bei einem schweren Treffer brechen Kämpfer zusammen, es wird nach Schaden gezuckt, gestöhnt und geschrien, selbst Waffen werden fallen gelassen, so dass man immer mitfiebert. Es gibt tolle Kampfchoreografien, wenn Axtkämpfer wirbeln oder sich durch den Feind arbeiten. Hat jemand keine Lebenspunkte mehr, ist er nicht permanent tot, sondern schwer verletzt und kann in diesem Gefecht auch nicht mehr geheilt werden - erst auf der Reise kann er sich erholen.
Alles eine Frage des Ruhms
Kaufe ich Vorräte für meine Karawane? Investiere ich lieber in die Charakterentwicklung? Oder in magische Artefakte? Diese Fragen beschäftigen während des gesamten Spiels. Denn egal für was man sich entscheidet - alles kostet Ruhm. Man gerät in Situationen, in
Wer zusätzlichen Ruhm benötigt, kann ihn entweder über den Kampf oder die Gespräche gewinnen. Man wird also nicht nur für Gefechte, sondern auch für Entscheidungen belohnt. Schön ist, wie gut alles miteinander verzahnt ist: Wenn die Moral der Karawane sinkt, weil ich zu wenig raste, um weniger Vorräte aka Ruhm zu verbrauchen, wirkt sich das auf die Willenskraft im Kampf aus - man hat dann weniger Sterne zur Verfügung. Wenn ich meine Charaktere nicht aufsteigen lasse, weil ich in Vorräte investiere, bleiben nicht nur ihre Fähigkeiten im Kampf überschaubar, auch ihr Itemlevel reicht dann nicht für wirklich effiziente Artefakte. Hier ist alles sinnvoll miteinander verwoben.
Fazit
Das letzte Mal, dass ich so lange über Entscheidungen gegrübelt habe, war in The Walking Dead von Telltale. Und das letzte Mal, dass ich so laut über den Verlust eines lieb gewonnen Charakters geflucht habe, war in G.R.R. Martins Lied von Eis und Feuer. The Banner Saga ist zwar „nur“ Rundentaktik, aber dieses edle Abenteuer bereichert das Genre um ein interessantes Reise-Management sowie eine Dramaturgie, die mich als Anführer einer Karawane immer wieder in die verzwickte Position des moralischen und strategischen Entscheiders bringt. Zudem entfaltet sich über den Zeichentrickstil mit seinen malerischen 2D-Kulissen sowie den eindringlichen Soundtrack mit seinen isländischen Gesängen eine ganz eigene Ästhetik. Das Erhabene und Edle des Altnordischen wird gekonnt mit fiktiven Elementen verknüpft, so dass abseits von Kitsch und Klischees eine glaubwürdige Welt mit inneren Konflikten entsteht. Das ist aber nicht nur sehr elegant inszenierte, sondern überaus motivierende und vor allem innovative Rundentaktik, in der man seine Gefährten clever positionieren und entwickeln muss. Ja, es gibt auch ärgerliche Defizite, was die fehlende Routenwahl oder die immer gleichen Arenen mit ihrer Statik betrifft. Aber hier bekommt ihr Schach und Drama, Kampf und Konsequenzen – was will man mehr? Schnellstmöglich Umsetzungen für iPad, PSN und Xbox Live sowie das zweite Kapitel!
Pro
Kontra
Wertung
PC
Schach und Drama, Kampf und Konsequenzen - sehr gute Rundentaktik mit toller Story in altnordischer Fantasywelt!
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.