Im Test:
Interessante Zukunftsvision
Die Xbox One ist ja laut dem Bundesbeauftragten für Datenschutz ein „Überwachungsgerät“. Aber man sollte fairerweise attestieren, dass es als externes auch ein überaus schlechtes Spionagegerät ist – stöpselt man die Konsole ab, darf man sich ungeteilter Unbeobachtung erfreuen. Im Neo-Paris des Jahres 2084 ist der Körper jedes Menschen quasi Always-on. Alle Bewohner haben im Nacken ein Modul namens „Sensen“, das vollen Zugriff auf die gespeicherten Gedanken ermöglicht. Natürlich verspricht die Reklame an der schönen Oberfläche, dass man damit nur Gutes in seinen Kopf laden kann. Es gibt sogar Automaten für den schnellen Erinnerungskick gegen Cash! Was würden Microsoft oder Google wohl damit anfangen?
Die Firma „Memorize“ hat sich jedenfalls bereichert, das System monopolisiert und schließlich die politische Macht an sich gerissen. Ganz im Stile von George Orwell wird man als Spieler in eine düstere Überwachungswelt entführt, die zwischen Neonreklame, Androiden und Mutanten wohlige Erinnerungen an Bladerunner weckt. Die stimmungsvollen ersten Minuten machen Lust auf ein futuristisches Abenteuer der anderen Art: Dort kann man in der Rolle von Nilin am eigenen Leib erfahren, wie Menschen manipuliert werden. Ihre Verzweiflung und Angst werden spürbar, als man sie völlig entkräftet in Schulterperspektive zwischen Wachen nach vorne taumeln lässt. Kurz vor ihrer Auslöschung hackt sich jemand namens „Edge“ in ihr Gedächtnis - und so kann sie fliehen. Ein starker Einstieg!
Ernüchterung in den Slums
Es geht meist im engen Levelkorsett geradeaus, wenn Nilin à la Uncharted an Fassaden und Dächern entlang kraxelt oder über Abgründe springt – dabei erreicht sie allerdings weder die Eleganz noch die akrobatische Spannung des Nathan-Drake-Abenteuers. Zu sicher und klar ist die Route. Das geht manchmal sogar so weit, dass man augenscheinlich erreichbare Hindernisse oder Simse erst gar nicht ansteuern kann. Zwar wird sie dabei auch mal von kleinen Fallen aus Strom oder weg klappenden Jalousien gefordert, aber meist geht es komfortabel ohne großen akrobatischen Anspruch vorwärts. Warum zeigt man dann bloß die penetranten orangen Pfeile an? Wie soll man sich denn in diesem Schlauch verirren? Es gibt ja nur einen Weg! Zwar kommt mal eine Abzweigung hier oder eine Gasse dort für Sammelbares, aber es ist unheimlich schade, dass sich dieses Neo-Paris nie richtig öffnet. Hier geht es mir nicht um "Open World" wie in GTA, sondern einfach um größere Bereiche.
Prächtige SciFi-Metropole
Aber Remember Me ist voller Brüche. So schön die Kulisse stellenweise auch ist, so steril wirkt die Welt: Zwar sorgen fluchende Bewohner oder Verkäufer hier und da für Leben, aber sobald man sich den Einwohnern nähert, muss man sich teilweise seltsame Einzeiler anhören, kann nicht in ein Gespräch gehen. Und das, obwohl Nilin mehr als genug Gründe hätte. In den wenigen automatischen Dialogphasen bemerkt man auch, dass Remember Me hinsichtlich Mimik, Gestik sowie Lippensynchronität bestenfalls solides Niveau erreicht. Auch die deutsche Lokalisierung ist spätestens dann zweitklassig, wenn Olga auftaucht. Und selbst Nilin, die sehr gut gesprochen in inneren Monologen der Ladephasen philosophiert, plappert kurze Zeit später wie eine schnippische Göre im Spiel. Hinzu kommen Abmischungsprobleme und Soundfehler – manchmal wird der Ton ganz leise oder es gibt Stottereffekte.
Das Labor für Kombinationen
Immer dann, wenn sich irgendwo ein Platz oder eine Halle öffnet, weiß man, dass es gleich Gefechte mit teilweise mehreren Feindwellen gibt. Warum die Lady überhaupt so schlagfertig ist? Nilin war mal eine Gedankenjägerin, die jetzt Stück für Stück nicht nur ihre Erinnerungen, sondern auch ihre Kampfmanöver zurückgewinnt. Mit jedem Gefecht sammelt sie Erfahrung und schaltet neue Kombinationsmöglichkeiten frei. Was zu Beginn verwirrend wirkt, besteht eigentlich nur aus zwei Angriffsknöpfen: Viereck und Dreieck. Es gibt also weder Griffe noch Konter, so dass das Kampfsystem eher einen offensiven Stil mit Ausweichsprüngen als ein Handgemenge inszeniert. Allerdings kann man jederzeit
Wie funktioniert das mit den Kombinationen? In einem separaten Bereich kann man bei aktivierter Pause bis zu vier Ketten zusammenfügen, die aus drei bis acht Gliedern bestehen können. Zunächst darf man nur recht einfache und kurze erstellen, im Laufe des Spiels öffnen sich dann die Möglichkeiten sowie die Auswahl an Manövern – insgesamt sind es 24, verteilt auf vier Arten. Dazu gehören die Attacke, die Abkühlung, die Duplikation bei gleichzeitiger Verstärkung des vorhergehenden Effekts sowie die Regeneration. Obwohl man bei Letzterem optisch angreift, wird nur wenig Schaden ausgeteilt, aber dafür wird man effizienter geheilt.
Spezialmanöver und Schüsse
Hinzu kommen schließlich fünf Spezialmanöver wie „Logic Bomb“ oder „Fury“, die man allerdings nicht in die Ketten einbauen kann. Erst wenn man mehrere Ketten erfolgreich durchgeführt hat, steigt die Fokus-Energie, die sie auslöst. Drückt man L2, kann man in einem Kreismenü eines auswählen: Dazu gehört z.B. das Hacken von Robotern, die daraufhin Feinde angreifen, Viren-Schaden gegen alle anwesenden Feinde, temporäre Unsichtbarkeit plus Finisher oder Betäubung und Enttarnung aller unsichtbaren Feinde. Immerhin sorgt das angesichts der relativen Leichtigkeit für etwas Abwechslung.
In Auseinandersetzungen mit mächtigeren Feinden sind diese Manöver dann endlich unabdingbar. Apropos Bosskämpfe: Auch hier schwankt die Qualität zwischen plump und unterhaltsam. Manchmal haut man kurz vorher aufgebaute Bösewichte wie normales Kroppzeug weg, plumpsen Bosse plötzlich so ins Spiel oder ziehen sich Feindwellen elendig in die Länge – hallo, Madame! Dann wiederum freut man sich über wütende Mechroboter, die toll animiert zum Tanz in mehreren Phasen einladen. Kurz vor der finalen Zerstörung kommt es meist zu recht leichten Reaktionstests, wenn man drei, vier Knöpfe rechtzeitig nacheinander treffen muss.
Das Remixen von Erinnerungen
Wie funktioniert das? Zunächst schaut man sich einen Kurzfilm dessen an, was wirklich in der Vergangenheit passiert ist. Dann kann man diese Szene vor- und zurückspulen, um zu interagieren und zu manipulieren. Wo das möglich ist, ist dabei offensichtlich, denn dort flackert es – mal wieder - orange auf. Man kann dann z.B. Geräte ein- oder ausschalten, Objekte verschieben oder öffnen, um ein spezielles Ziel zu erreichen wie z.B. den Tod eines Patienten. Dabei hilft einem zwar manchmal die Logik, was die sinnvolle Veränderung der Vergangenheit angeht, aber letztlich läuft es darauf hinaus, eine korrekte Abfolge der Objekte einzuhalten. Sprich: Ausprobieren, scheitern, ausprobieren – bis es klappt. Wenn man das zumindest etwas anspruchsvoller gestaltet hätte, indem man die Zahl der verfügbaren Objekte erhöht hätte oder indem man nicht nur eine, sondern zwei oder drei Szenen hätte verketten müssen! Aber so läuft es auf Minispiele hinaus.
Ärgerliche Fehler
Wir konnten sie zwar nicht immer replizieren, aber es gab einige sporadische Spielmechanikfehler, die zum Neustart ab dem letzten Speicherpunkt zwangen: Einmal erschien eine Lore trotz Betätigung des Schalters nicht, so dass Nilin nicht weiter kraxeln konnte. Ärgerlicher war der Bosskampf gegen Madame, der in eine Endlosschleife mündete, die man trotz komplett herunter gekämpften Lebensbalken nicht beenden konnte – sprich: Der Boss war eigentlich tot, machte aber weiter und ging nie in seine zweite Phase über, die Detonationen von oben einleitete.
Fazit
Remember Me ist ein Spiel voller Brüche. Es gibt unheimlich stimmungsvolle Szenen, aber auch verdammt schwache Momente und langweilige Phasen. Da ist auf der einen Seite ein außergewöhnliches Artdesign, das wie ein futuristisches Stillleben mit leuchtenden Farben und vielen Kleinigkeiten hinsichtlich Figuren sowie Interieur in eine düstere Überwachungswelt lockt – sieht cool aus! Allerdings ist diese eine sterile und die Entwickler zwingen mich nicht nur in ein enges Levelkorsett, sondern führen mich an kurzer Geh-jetzt-da-hin-Leine hindurch. Man würde so gerne, aber man darf einfach nichts frei erkunden, sondern wird mit billigen Rätsel abgespeist. Die aktiven Spielelemente unterhalten auf solidem bis guten Niveau, aber nutzen sich auf Dauer ab: Die Arenakämpfe sind trotz taktischem Kombosystem zu eintönig, dem kurzweiligen Klettern mit Navisystem fehlt die Spannung und vor allem das im Ansatz kreativste Element, die Gedächtnismanipulation, wird viel zu selten genutzt! Dann gibt es dort Trial&Error-Routine statt Was-wäre-wenn-Neugier. Mal ist die Lokalisierung klasse, mal dilettantisch. Mal machen Bosskämpfe Laune, mal wirken sie plump. Obwohl Dotnot einen interessanten Hintergrund à la George Orwell inszeniert und Nilin als Charakter einige starke Monologe zeigt, sorgt dieses ständige Auf und Ab nach knapp acht Stunden eher für ein durchwachsenes als gutes Erlebnis.
Pro
Kontra
Wertung
360
Remember Me inszeniert ein solides futuristisches Abenteuer. Schade, dass das Spieldesign nicht so stark ist wie das Artdesign!
PC
Auf dem Rechner ist Neo-Paris noch einen Tick hübscher als auf Konsolen. Aber sonst ändert sich nichts.
PlayStation3
Remember Me inszeniert ein solides futuristisches Abenteuer. Schade, dass das Spieldesign nicht so stark ist wie das Artdesign!
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