Legacy of Kain: Defiance23.02.2004, Jens Bischoff
Legacy of Kain: Defiance

Im Test:

Vampirfürst Kain und Racheengel Raziel sind zurück und dieses Mal sogar mit vereinten Kräften. In Legacy of Kain: Defiance (ab 6,99€ bei kaufen) dürft ihr nämlich erstmals in ein und demselben Spiel sowohl in die Rolle des finsteren Blutsaugers als auch des geläuterten Seelenfressers schlüpfen, um das Schicksal Nosgoths in neue Bahnen zu lenken.

Zwei Wege, ein Ziel

Zu Spielbeginn trennen die einstigen Blood Omen- und Soul Reaver-Protagonisten noch ganze fünf Jahrhunderte. Doch keine Angst: Kain und Raziel werden sich begegnen und nebenbei werden auch einige schon seit langem quälende Fragen beantwortet. Zwar ist die Kenntnis der überaus komplexen Vorgeschichte nicht unbedingt erforderlich, damit euch die düstere Handlung in ihren Bann zieht, aber wer schlecht bis gar nicht über Kains und Raziels Vorleben informiert ist, wird der facettenreichen Story nur halb soviel abgewinnen können wie ein Fan der ersten Stunde. Ihr werdet jedenfalls viele bekannte Gesichter treffen, unglaubliche Entdeckungen machen und einmal mehr versuchen, eurem tragischen Schicksal zu trotzen - mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Körperlose Trennkost: Raziel muss sich von den Seelen getöteter Feinde ernähren (PS2).

Abgespeckter Individualismus

Treue Anhänger der Serie werden sich spielerisch schnell zurechtfinden, obwohl das Kampfsystem völlig umgekrempelt und die Fähigkeiten der beiden Helden neu abgestimmt wurden. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile, denn die Angleichung der beiden Charaktere erleichtert zwar Einstieg und Handhabung, kostet aber auch einige vormals individuelle Stärken. Gerade Kain büßt fast seine ganzen aus Blood Omen 2 bekannten telekinetischen Spezialkräfte ein; dafür verfügt nun auch Raziel über die Macht der Telekinese.

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So können beide per Willenskraft Gegner zurückstoßen, brüchige Objekte einstürzen lassen und unerreichbare Schalter betätigen. Kain kann seine Opfer sogar quer durch den Raum schleudern und auf lodernden Fackeln oder spitzen Fleischerhaken zur letzten Ruhe betten - angesichts des neuen Kampfsystems ist diese Mühe aber eigentlich gar nicht nötig, denn gefahrloses Metzeln ist auch ohne Telekinese ein Kinderspiel.

Kleiner Imbiss für Zwischendurch: Auch wehrlose Opfer wie dieser Gefangene werden von Kain zum Aderlass gebeten (PC).

Dante lässt grüßen

Waren die Kämpfe in den Vorgängern noch von taktischem Ausweichen und Blocken geprägt, ist nun bedingungsloser Angriff die beste Verteidigung. In Defiance wandeln Kain und Raziel nämlich auf Dantes Devil May Cry-Spuren und dezimieren die Gegnermassen mit blitzschnellen Kombos, brachialen Aufwärtshaken und verheerenden Spezialangriffen rasch und schonungslos. Geblockt wird überhaupt nicht mehr und ausgewichen nur noch bei besonders zähen Brocken. Dafür können in die Luft beförderte Widersacher mit fulminanten Mid-Air-Kombos malträtiert und kraftvoll zu Boden geschleudert werden. Benommene Opfer können anschließend wie gewohnt ihres Bluts bzw. ihrer Seele beraubt werden, um Energie zu tanken oder eure einzige Waffe, den Reaver, zu füttern. Dieser entfesselt voll geladen nämlich erst seine ganze Kraft, durchdringt gegnerische Blocks, verteilt elementare Extraschäden und ermöglicht flächendeckende Spezialattacken.

Die Beherrschung der Elemente

Raziel kann mit der elementaren Ladung des Reavers auch abseits der Kämpfe wieder nützliche Dinge anstellen. So kann er sich mit der Kraft der Dunkelheit unsichtbar machen und Lichtsphären verdunkeln, mit der des Lichts Dunkelsphären erhellen, mit Windkraft Luftstrudel aktivieren, mit Feuerkraft Fackeln entzünden, mit Wasserkraft Wasserfälle gefrieren und mit der Kraft der Erde Plattformen entstehen lassen. Erfreulich dabei ist, dass Raziel fürs Ändern seiner Klinge keine speziellen Umwandler mehr aufsuchen muss, sondern überall und jederzeit alle bisher gefundenen Elementarladungen aktivieren kann. Es sei denn, er wandelt in der Welt der Toten, wo es keine elementaren Eigenschaften gibt und lediglich der spektrale Reaver zum Einsatz kommt.

Gefangener der Unterwelt: Raziel muss erst den Fängen seines Schöpfers entfliehen, bevor er das Totenreich verlassen kann (PC).

Ausflüge ins Jenseits

Raziel begibt sich jedoch nicht nur durch unfreiwilliges Ableben in die Welt der Toten, sondern auch absichtlich, da aufgrund des veränderten Raumgefüges oft nur im Jenseits ein Weiterkommen möglich ist. So kann er dort wie ein Geist durch Gitter gleiten oder in Gewässern wandeln als bestünden sie aus Luft. Bei Kain ist hingegen jeder längere Wasserkontakt tödlich und Gitterstäbe stellen auch in der materiellen Welt keine Hindernisse für ihn dar. Selbst längere Strecken überwindet er als Fledermaus wie im Flug.__NEWCOL__

Zudem kann der Vampirfürst mittels spezieller Sprungmarkierungen über besonders weit auseinanderklaffende Abgründe springen. Den Gleitflug beherrschen wiederum beide, auch wenn Raziels Flügelreste ihm hierbei  einen gewissen Vorteil verschaffen. Die Einsätze der beiden Protagonisten sind aber fest vorgeschrieben und lassen euch Kapitel für Kapitel Zeit, Ort und Rolle wechseln, was oftmals etwas verwirrt, dramaturgisch gesehen aber durchaus Vorteile hat.

Feuriges Schutzschild: Wenn Kain jetzt attackiert, verbrennt er sich die Finger (PS2).

Orientierungsprobleme

Was man nach wie vor vermisst, ist eine Kartenfunktion. Zwar sind die Spielabschnitte relativ kompakt, aber oftmals verliert man dennoch die Orientierung oder weiß nicht mehr, wo sich das Tor für den gerade gefundenen Schlüssel befindet. Dafür könnt ihr jederzeit den Spielstand sichern und euch an fair verteilten Checkpoints stets mit voller Energie wiederbeleben. Neben der in Defiance mehr in den Vordergrund gerückten Kampf-Action kommen aber auch Rätsel- und Geschicklichkeitsaufgaben nicht zu kurz. Diese sind anfangs zwar kaum fordernd, halten euch im weiteren Spielverlauf aber doch ausreichend auf Trab. Meist müssen aber lediglich Objekte gefunden, verschoben, aktiviert oder mit dem passenden Reaver bearbeitet werden, um weiterzukommen. Neuerdings lassen sich manche Hindernisse aber auch mit einfachen Schwerthieben einreißen.

Neuer Kameramann

Eine der gravierendsten Neuerungen ist jedoch der Umstieg auf eine vollautomatische Kameraführung im Stile von Ico. Aber so komfortabel und stylisch diese auf den ersten Blick wirkt, so sehr verflucht man sie, sobald man erst einmal ihre Macken kennt: Da verschwindet die eigene Spielfigur im Kampf hinter Objekten, bleibt die Kamera hilflos in einem anderen Raum hängen oder schwenkt die Perspektive mitten in einem riskanten Sprung einfach um. Die manuellen Eingriffsmöglichkeiten sind zudem sehr beschränkt und die Übersicht geht oftmals in den ungünstigsten Momenten flöten. Die meiste Zeit bewegt sich die Kamera  zwar im grünen Bereich, aber die Nachteile überwiegen die Vorteile eindeutig und eigentlich gab es an der halbautomatischen Kameraführung der Vorgänger nichts auszusetzen. Hoffentlich besinnt man sich im nächsten Teil wieder auf alte Tugenden...

Blutiges Ende: Auch der Reaver ernährt sich vom Lebenssaft seiner Opfer (PC).
Optischer Festschmaus

Technisch wurde hingegen nichts verschlimmbessert. Präsentation, Spielwelt und Spielfluss lassen die meisten Konkurrenten erneut hinter sich und konnten auch im Vergleich zu Soul Reaver 2 nochmals eine Schippe zulegen. Die Charaktermodelle und Spielumgebungen sind vor allem für PS2-Verhältnisse unglaublich detailliert, die Texturen nicht nur auf dem PC gestochen scharf, die Animationen äußerst geschmeidig und die Licht- und Spezialeffekte die reinste Augenweide. Dank höherer Auflösung und Bildrate sowie leistungsfähigerem Anti-Aliasing sieht die PC-Fassung von Defiance zwar etwas hübscher aus, aber systembezogen reizt die ohne jegliche Slowdowns oder PAL-Balken auskommende PS2-Version die betagtere Hardware - für die Defiance ja auch in erster Linie entwickelt wurde - ebenfalls bestens aus. __NEWCOL__

Schade nur, dass sich bestimmte Level-Designs im weiteren Spielverlauf wiederholen und man sich die meiste Zeit in geschlossenen Räumen fortbewegt. Dafür sind die in Spielgrafik präsentierten Zwischensequenzen einmal mehr kinoreif inszeniert und in punkto Coolness und Style nach wie vor eine Klasse für sich. Durch den Verzicht auf vorgerenderte Szenen fügen sich die zahlreichen, nun auch abbrechbaren Sequenzen sogar noch nahtloser ins Spielgeschehen ein.

Ärger mit den Toten: Auch im Jenseits muss Raziel ums Überleben kämpfen (PS2).

Exzellente Soundkulisse

Die akustische Seite präsentiert sich kaum minder imposant: Der Soundtrack untermalt das Spielgeschehen gewohnt dynamisch, dabei immer stilvoll mit unverkennbaren Rhythmen und Melodien. Hinzu gesellen sich markige Surround-Sound-FX sowie eine absolut erstklassige multilinguale Sprachausgabe. Für die deutsche Synchro konnten dabei erneut die Sprecher der beiden Vorgänger verpflichtet werden, wodurch Kain wieder mit der Stimme von Martin Kessler alias Nicolas Cage spricht - dieses Mal sogar lippensynchron. Doch auch die Übersetzungsqualität ist vorzüglich, der Spielumfang angemessen und Fans dürfen sich über freispielbares Bonusmaterial wie Entwürfe, Fotos, Artworks und 3D-Modelle freuen. Ladezeiten gibt es übrigens nur, wenn ein neues Kapitel beginnt oder man stirbt. Ansonsten werden neue Spielabschnitte wie eh und je während des Spielens unauffällig ins RAM gestreamt.

Bröselige Überraschung: Manche Steinstatuen erwachen unerwartet zum Leben (PS2).

Fazit

Mit Defiance führt Crystal Dynamics die Legacy of Kain-Saga erfolgreich in die fünfte Runde und liefert sowohl technisch als auch spielerisch ein schaurig schönes Vampirabenteuer ab, das sich dank Nixxes auch auf dem PC in Bestform präsentiert. Hätte man nicht versucht, die Kameraführung zu verschlimmbessern und die individuellen Fähigkeiten der beiden Protagonisten zu sehr anzugleichen, hätten sich Kain und Raziel dieses Mal sogar einen Award verdient. Aber auch ohne Auszeichnung sollte sich kein Genre-Fan dieses Schmuckstück entgehen lassen. Ohne entsprechende Serien-Vorkenntnisse sind die meisten Enthüllungen zwar nur halb so befriedigend, aber die Story ist auch für Neulinge durchweg spannend inszeniert. Schade nur, dass man erneut viele Abschnitte mehrfach bewältigen muss und sich manche Levels arg ähneln. Nichtsdestotrotz ist das eigentliche Leveldesign aber sehr attraktiv und das deutlich auf Action getrimmte Gameplay handlich wie eh und je - ein Analog-Pad vorausgesetzt! Rätsel- und Geschicklichkeitseinlagen wurden zwar reduziert, fügen sich aber stimmig in die jeweiligen Spielabschnitte ein. Zudem sind Systemanpassung und Lokalisierung vorbildlich und das faire Speichersystem lässt Frust erst gar nicht aufkommen. Daher können sowohl PS2- als auch PC-Besitzer bedenkenlos zubeißen und genießen!

Pro

ungeschnitten
spannende Story
gute Spielbalance
hervorragende Optik
handliches Gameplay
vorbildliche Lokalisierung
freispielbares Bonusmaterial
atmosphärische Soundkulisse
faires Speicher- & Rücksetzsystem

Kontra

keine Kartenfunktion
sich wiederholende Levels
oft problematische Kameraführung
für Neueinsteiger undurchsichtige Story
zu geringe Unterschiede zwischen den Charakteren

Wertung

PlayStation2

PC

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