Im Test:
In drei Episoden nach Afrika
Mit The Raven steigen King Art und Publisher Nordic Games auf eine digitale Strategie um: Das Spiel erscheint als Download in drei Episoden. Anders als bei Telltale können die Kapitel aber nicht einzeln erworben werden. Stattdessen gibt es nur die komplette Staffel zu kaufen, je nach Anbieter und Edition für 19,99 bis 26,99 Euro. Sobald weitere Episoden fertig sind, werden sie dem Spiel mit einem automatischen Update hinzugefügt.
Für den Start des ersten Kapitels hat King Art hat das Team den idealen Release-Termin gefunden, denn das entspannte Knobeln passt prima zum sonnigen Wetter: Die zweite Hälfte des Abenteuers spielt auf einer Kreuzfahrt, die Maus-Steuerung lässt sich bequem mit einem Eis in der Hand bedienen und die logisch gehaltenen Rätsel überfordern die von der Hitze gestressten grauen Zellen nicht.
Mord im Orientexpress?
Offenbar befindet sich das „Auge der Sphinx“ an Bord, dessen Gegenstück aus dem britischen Museum gestohlen wurde. Am Tatort wurde eine Rabenfeder gefunden – ganz wie beim legendären aber für tot erklärten Meisterdieb „The Raven“. Diesmal ging der Unbekannte ungewohnt schlampig und gewalttätig vor – anders als bei früheren Coups gab es sogar Todesopfer. Damit der zweite Stein auf seinem Weg nach Kairo nicht auch noch gestohlen wird, unterstützt Zellner den Ermittler und seinem britischen Gehilfen. Bevor das Duo ihm vertraut, muss der Eidgenosse sich allerdings mehrmals energisch aufdrängen. Eine erzählerische Besonderheit haben sich die Entwickler übrigens auch ausgedacht: Nachdem das Geheimnis gelüftet wurde, soll man das Abenteuer im dritten Kapitel aus der Sicht des Bösewichts spielen können.
Scharfe Kombinationsgabe
Meist komme ich allerdings alleine auf die Lösung, denn die Puzzles sind fast durchgehend logisch aufgebaut. Als der Zug nach einer Explosion zum Stehen kommt, versuche ich z.B. einen Wagen abzukoppeln, damit der intakte Teil des Zuges aus dem verrauchten Tunnel fahren kann. Da es dort zu finster ist, bastle ich mir eine Fackel. Ich wickle ein Tuch um ein abgetrenntes Stuhlbein und versuche, es zu entzünden. Weil der hochprozentige Alkohol aus der Bar zu dunkel brennt, helfe ich mit dem Öl von der Zugkupplung nach und schon habe ich genügend Licht zum Bedienen der Hebel.
Kriminologische Bastelstunde
Auch Grafikfehler haben mich manchmal aus dem Spiel gerissen: Anton wechselt z.B. abgehackt zwischen zwei Animationsphasen, läuft gegen die Wand oder dreht sich wie ein Hund im Kreis, bevor er eine Kabine betritt. Wirklich ärgerlich wurde es aber nur, als plötzlich das komplette Bild schwarz wurde und ich das Spiel mehrmals neu starten musste. Im Gegensatz zu The Inner World half mir aber zum Glück ein älterer Spielstand aus dem Dilemma.
Karge Einrichtung
Auch bei der Zusammenstellung der Reisenden hat King Art ein glückliches Händchen bewiesen. Nach und nach offenbaren sich in Gesprächen immer mehr Details, welche sie interessant oder verdächtig machen. Die entspannte Inszenierung trägt ebenfalls die typische Handschrift der Entwickler. Ich hatte sofort wieder das Gefühl, mich auf einem großen Abenteuer zu befinden, fernab von Hektik, Smartphones und anderen ablenkenden Faktoren unserer heutigen Gesellschaft. Auch die dezenten humoristischen Untertöne passen zum Spiel. Als ich mich z.B. beim zwielichtigen Doktor nach Obduktions-Ergebnissen am Mordopfer erkundigte, antwortete der zunächst schroff „Es ist tot!“. Auch die Kommentare von Lady Westmancott („Ich habe leider schon geschlafen und alles verpasst“) oder des Butlers („Kein Gärtner an Bord, man wird’s wohl mir in die Schuhe schieben“) haben mich zum Schmunzeln gebracht.
Fast wie im Kino
Nachdem sich der Abschnitt im Zug etwas in die Länge zieht, nimmt das Spiel auf der Kreuzfahrt nach Afrika ein wenig Fahrt auf. Die Decks lassen sich etwas freier erforschen als die engen Wagons. Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, als auf der Überfahrt nach Afrika ein mysteriöser Mord passiert. Also dränge ich mich LeGrand ein weiteres Mal auf und recherchiere auf eigene Faust. Viele Dialogrätsel oder alternative Abzweigungen gibt es zwar nicht, einige Gespräche laufen je nach Antwort aber leicht unterschiedlich ab. Außerdem lassen sich ähnlich wie in Professor Layton einige Extra-Punkte mit optionalen Rätseln verdienen. Was im Detail belohnt wird, ist zwar schwer zu erkennen, doch hinterher lassen sich die Punkte im Tagebuch gegen kleine Hinweise eintauschen.
Technische Nicklichkeiten
Trotz des klassischen Krimi-Themas muss ich nur selten kriminologische Untersuchungen im Stil von Sherlock Holmes anstellen. Erst als ich mich in LeGrands Kabine geschlichen habe, kommt sein Labor zum Einsatz: In einer Nahansicht untersuche ich gefundene Beweisstücke mit Hilfe diverser Chemikalien. Knallharte Rätsel-Profis werden sich vom moderaten Schwierigkeitsgrad sicherlich unterfordert fühlen – auch ich steckte nur ein einziges Mal in einer Sackgasse. Die Entscheidung für logische überschaubare Puzzles ist mir hier aber um einiges lieber als zu schwere Kopfnüsse, welche die Abenteuergeschichte unnötig ausgebremst hätten.
Fazit
The Raven ist das richtige Programm für entspanntes Knobeln an lauen Sommerabenden. Die Hommage an Agatha Christie verströmt das typische Krimi-Flair der Vorbilder. Die Detektivarbeit ist zwar nicht so knifflig und anspruchsvoll wie bei Sherlock Holmes, die Geschichte und ihre Figuren haben mich aber sofort ins Spiel gesogen. Ähnlich wie bei The Book of Unwritten Tales versteht King Art es, den Spieler auf eine große Abenteuerreise mitzunehmen – inklusive interessanter Dialoge mit leicht humoristischem Unterton und professioneller deutscher Vertonung. Schade, dass viele kleine Grafikfehler mich gelegentlich aus dem Spiel gerissen haben. Zum Glück führen die Bugs aber nie in die Sackgasse: Notfalls konnte ich mich mit einem alten Spielstand retten. Ärgerlich ist es trotzdem. Auch die etwas kargen, neuerdings komplett dreidimensionalen Kulissen sind eine Enttäuschung – vor allem im Vergleich zum wunderhübschen Fantasy-Abenteuer davor. Krimi-Freunde sollten sich davon aber nicht abschrecken lassen. Mich hat die gut sechs Stunden lange Geschichte um den sympathischen Wachtmeister gut unterhalten – trotz einiger Mankos und technischer Fehler. Ich bin gespannt darauf, wie es weiter geht und wie sich das Abenteuer sich in der letzten Episode aus der Sicht des Raben spielt.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Das unterhaltsam erzählte Adventure im Orientexpress verströmt gemütliche Krimi-Stimmung - trotz kleiner technischer Mankos.
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