Im Test: Der Geist der Rache
Teleport aus dem Schatten
Irgendwo im alten Japan: Ein verzweifeltes Mädchen namens Yokami vollzieht ein Ritual, um einen Rachegeist namens Aragami zu beschwören. Der Clan der Kaiho und seine Armee des Lichts haben nicht nur ihre Familie ermordet, sondern sie wird mit der Macht von sechs Talismanen gefangen gehalten. Als man in der Rolle des Gerufenen beginnt, sieht man zwar aus wie ein gefährlicher Ninja, aber braucht ohne Erinnerungen zunächst selbst etwas Hilfe und ist leicht verwirrt: Über welche Fähigkeiten verfügt man als Geist? Wieso suchen einen diese Traumbilder heim? Sind das die eigenen Erinnerungen oder teilt man eine Vergangenheit mit Yokami?
Auch wenn die Zwischensequenzen bieder sind und die Bildrate manchmal stockt, macht die Ausgangslage durchaus neugierig und die Story wird unterhaltsam erzählt. Zwar erreicht das Abenteuer grafisch nur solides Niveau, aber das Artdesign wirkt sehr elegant und die Spielmechanik erinnert mit ihrer Teleportfunktion umgehend an eine kreative Interpretation von Dishonored: Die Maske des Zorns. Aragami kann sich quasi auf Knopfdruck von A nach B beamen. Was nach Stealth auf Speed klingt, wird jedoch in guter Balance gehalten, so dass man taktisch und clever vorgehen muss.
Nicht in die Sonne gehen...
Denn Aragami besteht aus Dunkelheit und das Licht ist sein größter Feind. Sobald ihn eine Wache entdeckt, hat er keine Chance in einem Handgemenge, zumal ein feindlicher Hieb mit dem Katana auch gleißende Strahlen verschießt - es gibt also
keinen optionalen Nahkampf mit Konter & Co oder ein Waffenarsenal wie etwa in Tenchu Z, keinen alternativen "Actionweg" - und das finde ich gut.
Aragami muss entweder ungesehen schleichen oder überraschend töten. Da hilft ihm natürlich sein luftiges Geisterwesen: Wenn er sich im Schatten befindet, kann er auch entfernte schattenhafte Orte anvisieren, um sich z.B. neben einer Wache zu materialisieren und einen hübsch animierten Todeshieb einzuleiten. Kniffliger ist es, jeden Abschnitt ohne Blutvergießen zu meistern.
Sehr nützlich ist auch das Erschaffen von Schatten an hellen Orten: Man kommt nicht durch ein Tor, weil dahinter alles hell ist? Dann kann man dort einen Punkt anvisieren und dort kurzfristig einen dunklen Fleck entstehen lassen, um sich schnell hinein zu teleportieren, bevor er wieder verschwunden ist. Nutzt man diese Funktion in höheren Regionen, muss die Kombo aus Fleck und Sprung noch flotter funktionieren, denn manchmal stürzen Simse oder Statuen unter dem Aufprall von Aragami ein. Schön ist übrigens auch, dass man komfortabel Kanten anvisieren und so in die Höhe gelangen kann. Wer mal nicht weiter weiß, kann seinen Raben rufen und sich die nächsten Zielorte anzeigen lassen.
Der lebendige Umhang
Man kann aber nicht endlos seine geisterhafte Macht einsetzen. Wie viel Schattenkraft aktuell verfügbar ist, wird durch die Farbe des Umhangs angezeigt, der mit seinen Runen ein wenig an Journey erinnert. Sie zeigen auch an, welche Fähigkeit und wie viele Ladungen davon man gerade aktiviert hat: Zwei blau glimmende Runen unter der Pfeilspitze bedeuten z.B., dass man nur noch zwei mal aus der Distanz sein Schattenprojektil werfen kann - eine coole Idee. Apropos: Findet man die versteckten Schriftrollen, bekommt man Punkte, die man in etwa 20 Spezialfähigkeiten investieren kann.
Unterteilt in die Bereiche allgemein, defensiv und offensiv kann man z.B. die Erholungsrate im Schatten eröhen,
Leichen verschwinden lassen, Ziele markieren, durch Wände schauen, sich unsichtbar machen, von Kanten direkt töten, Köder auslegen, Fallen stellen oder aus der Distanz einen oder mehrere Feinde attackieren. Die Möglichkeiten der Infiltration, der Ablenkung und des Eliminierens steigen im Spielverlauf, aber auch die Gegenseite wird stärker: Bald bewachen Bogenschützen das Vorfeld oder Barrieren aus Licht blockieren Zugänge, so dass man erstmal Kristalle zerstören muss.
Wachen, Leveldesign und Online-Koop
Und sobald man im Hellen unterwegs ist, verliert man ratzfatz all seine Fähigkeiten, ist von weitem sichtbar und ein gefundenes Fressen für die Wachen. Hat man das System der Teleports in Kombination mit den Fähigkeiten
verinnerlicht, kann man diese zwar leicht ausschalten, vor allem aus der Höhe, weil sie oftmals hintereinander in ihren Tod laufen und ihre Sichtweite recht beschränkt ist. Aber sie reagieren zum einen so gut auf Geräusche, dass auch der Lärm eines Todeshiebs zu viel sein kann, zum anderen rufen sie bei Sicht oder Leichenfund nach Verstärkung und suchen danach auch in der Gruppe. Die Routinen danach sind zwar etwas lasch und flauen etwas zu zügig ab, aber man sollte sich gut verstecken.
Auf Dauer ist das Leveldesign etwas zu generisch, zumal sich die Gegner zu sehr ähneln und man die Vertikale nicht immer konsequent nutzen kann: Nur an bestimmten Stellen ist die Höhe in Form von Plattformen oder Dächern eine Option, obwohl man alternative Wege sehen kann. Außerdem muss man sich als Schattengeist natürlich fragen, warum man Lichtquellen wie Fackeln oder Feuer nicht löschen kann.Trotzdem macht das Durchqueren der Abschnitte Laune, zumal das eigene Spiel am Ende von einer Statistik illustriert wird - je nach Zeit, Leichen- oder Schatzfund, Alarm & Co wird man in Rängen bewertet. Sehr angenehm ist, dass man in den Optionen auch viele Anzeigen abschalten kann; hier sollte man gegen das Flimmern übrigens Vsync aktivieren. Die zur japanischen Sprachausgabe optionalen deutschen Texte sind gut übersetzt, nur manchmal hapert es - das Machtrad soll man angeblich mit der "ps4-Taste" aktivieren, dabei ist es die Kreistaste. Ärgerlicher sind da schon die sporadischen Bugs - es kann passieren, dass plötzlich Anzeigen fehlen, Grafikfehler auftauchen oder dass man aus einem Schatten nicht mehr heraus kommt.
Ihr könnt alle freigeschalteten Kapitel auch kooperativ spielen - wie das aussieht, zeigen diese Spielszenen. Lokal ist das nicht möglich, aber online könnt ihr als Host ein Spiel öffentlich oder privat anlegen, Freunde einladen oder selbst nach einer offenen Sitzung suchen. Davon gibt es aktuell sehr wenig, aber wenn es mal klappt, ist das gemeinsame Schleichen durchaus unterhaltsam, auch wenn man lange nicht so viele Möglichkeiten hat wie anno dazumal in Splinter Cell. Schade ist, dass es online zu technischen Problemen kommen kann und dass es abseits der bekannten Areale keine speziellen Herausforderungen für das Duett gibt. Last but not least sei der gelungene Soundtrack vom Komponisten-Duo Two Feathers erwähnt, der das fernöstliche Ambiente stimmungsvoll untermalt.
Fazit
Aragami ist eine angenehme Überraschung. Wer Lust auf elegante Stealth-Action im fernöstlichen Ambiente hat, wird hier trotz einiger technischer Defizite und kleiner Bugs gut unterhalten. Die spanischen Entwickler von Lince Works haben sich von Dishonored und Tenchu inspirieren lassen, um cleveres Schleichen zu inszenieren. Die mächtige Teleportfunktion wird von einem System aus Licht und Schatten in der Balance gehalten, das sich auch auf die freischaltbaren Kräfte des Rachegeistes auswirkt. Es gibt einige coole Kombinationen und Möglichkeiten, außerdem nette Details wie etwa den illuminierten Umhang, der aktive Fähigkeiten sowie Ladungen anzeigt. Präsentation und Leveldesign haben zwar ebenso Luft nach oben wie das solide, aber recht einfach zu durchschauende Wachverhalten, aber die Story ist unterhaltsam, die sofortigen Tode im Nahkampf sorgen für den nötigen Anspruch und man kann online kooperativ spielen. Wie nach der Premiere von Styx: Master of Shadows darf es auch hier gerne einen Nachfolger geben!
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Aragami ist eine angenehme Überraschung. Wer Lust auf elegante Stealth-Action im fernöstlichen Ambiente hat, wird hier trotz einiger technischer Defizite richtig gut unterhalten.
PC
Aragami ist eine angenehme Überraschung. Wer Lust auf elegante Stealth-Action im fernöstlichen Ambiente hat, wird hier trotz einiger technischer Defizite richtig gut unterhalten.
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