Ori and the Blind Forest13.03.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Reise durch den Zauberwald

Microsoft will noch mehr Arcade-Freude auf die Xbox One locken: Im Jump-n-Run Ori wartet ein wunderschöner Zauberwald darauf, vom Spieler erkundet zu werden. Vor drei Jahren nahm Microsoft das Projekt der Moon Studios unter seine Fittiche, um es zu einem Vorzeigetitel herauszuputzen. Auch eine PC-Fassung wurde veröffentlicht. Ist der Plan aufgegangen?

Sieht das schön aus…

Dass sich die Mühen visuell ausgezahlt haben, sieht man auf den ersten Blick: Egal, wer mir beim Zocken über die Schulter geschaut hat, der erste Kommentar lautete stets „Sieht das aber schööön aus!“ Auch ich habe mich sofort in den leuchtenden kleinen Wächtergeist und seine geheimnisvolle Umgebung verliebt. Während Ori mit geschmeidigen Bewegungen über den Waldboden trippelt, wiegen sich Farne im Wind und zwischen den knorrig verästelten Bäumen hängen unheilvolle Nebelschwaden. Im Hintergrund gibt es magisch bunte Lichter, die sanft die Umgebung erhellen. Im spielbaren Intro lebt der kleine Wächtergeist noch in trauter Zweisamkeit mit dem tapsigen Wesen Naru. Doch als sein Ziehvater nach einem Unfall stirbt, wird Ori dazu gezwungen, den Wald auf eigene Faust zu erkunden. Hat sein Verlust etwas mit dem Verschwinden magischer Lichter aus dem Wald zu tun, die offenbar von einer verbitterten großen Eule gestohlen wurden?

Die feinfühlig reagierende Analogsteuerung macht das Hüpfen und Kämpfen zu einer griffigen Angelegenheit.
Die Geschichte an sich hat mich zwar nicht mitgerissen, als mystische Rahmenhandlung für die Action funktioniert sie aber gut. Nach der ausführlichen Einleitung konzentriert sich der Ablauf auf die Erforschung des Waldes. Ab und zu treffe ich noch den einen oder anderen Bewohner, am meisten erfahre ich aber von Oris Gefährten „Sein“, den der Held zu Beginn des Abenteuers findet. Die glimmende Kugel schwebt stets über Ori und erklärt ihm an magischen Portalen, was hinter den magischen Kräften steckt, die im Kampf nützlich werden.

Es zischt und schwirrt

Das wichtigste Gadget sind kleine Leuchtgeschosse. Zu Beginn fand ich es etwas schade, dass sie automatisch gelenkt zum Ziel zischen. Doch während der knackig schweren Sprungpassagen lernte ich das System zu schätzen. Als ich zwischen bockschweren Stachelfallen herumturnte, war ich ziemlich erleichtert, dass ich nicht auch noch manuell auf die aggressiv attackierenden Gegner zielen musste. Um trotzdem ein wenig Herausforderung in den Kampf zu bringen, muss ich mich ziemlich nah an den Feind wagen, bis der Schuss sein Ziel findet. Auch die Gegner zögern ihrerseits keine Sekunde, mich blitzschnell mit explosiven Geschossen einzudecken. Ein aggressiver Frosch z.B. schleudert mir explosive Leuchtgranaten entgegen. Die an Decken hängende Glubschmonster lassen gerne mehrere Zeitbomben fallen, die mir mehrfach zusetzen können. Kurz gesagt: Es kommt an jeder Ecke zu knackigen, aber befriedigenden Scharmützeln, bei denen ich hellwach bleiben und ständig ausweichen muss.

Je tiefer Ori in den Wald vorstößt, desto finsterer wird die verzauberte Welt.
Im Laufe des Spiels erwirbt Ori noch eine Reihe anderer Fähigkeiten, die neue Abschnitte im verzweigten Grottensystem eröffnen. Zuerst lernt Ori, sich in Wände zu krallen und so langsam an ihnen empor zu hoppeln; später klettert er einfach elegant und schnell hinauf. Mit Hilfe eines Doppelsprungs und einer zum Gleitschirm umfunktionierten Feder erreicht er später höhere Abschnitte, mit einer Stampfattacke durchbricht er poröse Durchgänge.

Coole Katapult-Tricks

Das mit Abstand coolste Gadget ist die vielseitige „Stoßen“-Fähigkeit: Nachdem ich lang genug mit ihr experimentiert hatte, habe ich erstaunlich viele Dinge mit ihr bewerkstelligt. Wenn vor mir z.B. bedrohliche Flammenkreise mit tödlichen Leuchtkugeln um sich ballern, drehe ich den Spieß um und benutze ihre Schüsse als Katapulte: Ich springe den Geschossen einfach entgegen, drücke im passenden Moment auf Y, ziele kurz mit dem Analogstick und werde in die gewünschte Richtung geschleudert. Dabei ist viel Timing nötig, denn oft muss ich erst einen zweiten Gegner provozieren, damit er ebenfalls ein paar Kugeln in meine Richtung abfeuert. Als an der gewünschten Stelle schließlich genügend Projektile durch den Himmel schwirren, gelange ich mit einer Katapult-Kombo auf einen abgelegenen Vorsprung. Der Stunt sorgt nicht nur für ein erhebendes Gefühl, sondern bringt mich auch zu einem fetten Steinbrocken, den ich prompt in den Abgrund schubse, wo er krachend eine brüchige Luke zerschlägt. Aah – genau: Jetzt ist unten endlich der Eingang frei!

Hart aber fair

Solche Aha-Erlebnisse kamen mir meist genau zum richtigen Zeitpunkt: Immer wenn ich ein Weilchen die Gegend erforscht hatte und nicht weiter wusste, ging mir nach ein paar Minuten ein Licht auf – oder ich fand ein neues Gadget, das mir den Weg eröffnete. Es ist fast schon unheimlich, wie motivierend die Fähigkeiten auf versteckte Abschnitte abgestimmt sind – exakt so, wie ich es mag. Die Testspieler haben offenbar ganze Arbeit geleistet und der Spielwelt eine tolle Balance verpasst. An anderer Stelle leite ich mit Hilfe der „Stoßen“-Fähigkeit auch Schüsse in Richtung von Portalen um oder stelle andere coole Dinge mit ihr an, die ich hier noch nicht verraten möchte. Zu Oris neun Standard-Moves gesellen sich 28 Aufrüstungen aus dem dreigliedrigen Fähigkeitenbaum. Mit ihnen kann man das Spiel auf gelungene Weise ein wenig an eigene Vorlieben anpassen. Wer z.B. Tauchgänge hasst (die sich hier allerdings intuitiv steuern), kann mit verdienten Punkten Unterwasser-Atmung freischalten.

Nicht im Bild: Die Übersichtskarte hilft bei der Orientierung - je nach Freischaltungen mehr oder weniger.
Außerdem lässt sich die Flamme in zahlreichen Stufen aufrüsten und ein Dreifachsprung freischalten. Oder ich verpasse den manuellen Speicherpunkten einen Boost der Lebensenergie. Moment mal, manuelle Speicherpunkte? Ja, von einigen Portalen abgesehen sollte man hier möglichst oft speichern – damit man es nicht übertreibt, leert sich dabei eine begrenzte Energieanzeige. Zu Beginn habe ich es oft vergessen, nach einer Gewöhnungsphase empfand ich es aber als praktisch, vor kniffligen Sprungpassagen einen Speicherpunkt zu setzen.

Nerviges Bildstottern

Sobald ich ein Areal gemeistert habe, macht es richtig Spaß mit der neuen Fähigkeit zurückzukehren, um dort endlich alte Barrieren zu durchbrechen. Die Kammern der mittelgroßen offenen Welt sind schön miteinander verknüpft. Obwohl der Großteil der Areale mit Pflanzen überwuchert ist, habe ich mich nur selten verlaufen. Wuchtige Kultstätten, umgestürzte Bäume und Änderungen in der Lichtstimmung verleihen vielen Orten einen charakteristischen Wiedererkennungswert. Leider haben es die Entwickler ein wenig mit dem Unschärfefilter übertrieben: Vor allem am Bildrand versumpft das Bild ab und zu in einem Schleier – selbst, wenn ich vorher den Unschärfefilter abschalte.

Vorsicht, pieksig!
Noch ärgerlicher ist das leichte Ruckeln, welches auf der Xbox One mehrmals pro Minute kurz das Bild einfriert. Die Action stockt dann zwar nur einen Sekundenbruchteil lang, so dass das Sprung-Timing nur selten darunter leidet. Trotzdem sollte so etwas in einem Jump-n-Run nicht vorkommen. An der externen Festplatte kann es übrigens nicht liegen: Auf einer zweiten Konsole mit der Installation auf dem internem Speicher kam es zu den gleichen Problemen. Auf dem PC trat das leichte Ruckeln zum Glück viel seltener auf – dabei macht es keinen Unterschied, ob wir das Spiel auf einer SSD oder einer konventionellen Festplatte installierten. Eine Xbox-360-Version ist übrigens ebenfalls in Arbeit – hoffentlich schrauben die Entwickler dort die Grafikqualität weit genug herunter, um für ein flüssiges Spielgefühl zu sorgen.

Audiophiler Plattformer

Makellos wirkt dagegen jetzt schon die akustische Umsetzung. Für das Videofazit musste ich einige Passagen ohne Musik aufnehmen - doch immer wenn ich damit fertig war, bin ich sofort ins Menü gewechselt, um die Lautstärke aufzudrehen. Die sanften Piano-und Streicher-Melodien fangen die Stimmung der leuchtenden Welt perfekt ein. Komponiert wurden sie von Gareth Coker, der zuvor u.a. die Independentspiele inMomentum und Primal Carnage vertont hat. Für Ori and the Blind Forest (ab 4,99€ bei kaufen) nahm er ein Streichensemble auf und ergänzte die Melodien mit Bläsern sowie Gesang von Aeralie Brighton. Auch in die Soundeffekte ist derart viel Liebe geflossen, dass sie sich auf einem guten Kopfhörer noch eine ganze Ecke besser anhören. Trippelt Ori über einen ausgehöhlten Baumstamm klingt das ganz anders als auf Moos, Steinen oder festen Wurzeln.

Auf die Plätze, fertig, los: In weltweiten Bestenlisten kann man seine Leistung mit Freunden und Fremden vergleichen.
Trotz aller Qualitäten reicht es aber doch nicht ganz für eine Platin-Award, denn auf Dauer mangelt es ein wenig an Abwechslung. Von ein paar Gefechten gegen fette Gegner abgesehen gibt es z.B. keine spannenden Bosskämpfe. In Metroid Prime, Guacamelee! & Co. sorgten solche Einlagen aber stets für einen willkommenen Tempo-Wechsel, der hier ausbleibt. Auch in Shovel Knight oder Shantae and the Pirate’s Curse wechseln sich häufiger ruhige und spannende Aigenblicke ab, weil man dort auch mal die Stadt besuchen und die Seele baumeln lassen kann. Sicher - es gibt hektische Momente wie eine knifflige Fluchtsequenz vor ansteigenden Wassermassen. Trotzdem hätte das Spiel von etwas mehr Abwechslung profitiert.

Fazit

Was für ein wunderschöner und toll ausbalancierter Plattformer! Auf der E3 war ich noch skeptisch, ob hinter der grafischen Pracht von Ori auch genügend Ideen und spielerischer Anspruch stecken, doch mittlerweile bin ich hellauf begeistert! Es ist schon fast unheimlich, wie gut all die coolen Gadgets des kleinen Waldgeists auf die Erkundung der Welt abgestimmt wurden. Besonders gut gefallen mir die Experimente mit der vielseitigen „Stoßen“-Fähigkeit, die mich an den Projektilen der Feinde entlang in versteckte Areale bugsiert. Schon nach wenigen Minuten gelangte ich in einen tollen Spielfluss, so dass ich immer neue Teile des urigen Waldes erforschen wollte. Auch die stimmungsvolle Sounduntermalung unterstreicht die Stimmung perfekt. Bei so viel Feinschliff will mir ein Detail aber nicht einleuchten: Warum wurde solch ein Vorzeige-Titel nicht einmal vernünftig an die Technik der Xbox One angepasst? Das häufige Ruckeln fällt negativ auf. Auf dem PC kommt es zum Glück deutlich seltener zu Bildratenschluckauf. Außerdem hätte ich mir auf Dauer etwas mehr Abwechslung durch Bosskämpfe oder andere Tempowechsel gewünscht. Doch das ist Kritik auf hohem Niveau: Ori hat mich sogar deutlich stärker in seinen Bann gezogen als meine Genre-Lieblinge Fly'n und Shantae. Schön, dass Microsoft beim Unterstützen eines Exklusivtitels schon wieder den richtigen Riecher hatte.

Pro

fantasievoll gestalteter, verwunschener Wald
unheimlich motivierend versteckte Grotten und Gadgets
detailverliebte Animationen und Effekte erwecken die Welt zum Leben
knackige, aber faire Sprungpassagen
viele coole und toll aufeinander abgestimmte Fähigkeiten
Fähigkeitenbaum ermöglicht persönliche Spielstile
rührende Rahmenhandlung
sympathisches Figuren- und Gegnerdesign
feinfühlige Analogsteuerung

Kontra

immer wieder kleine, aber störende Ruckler (vor allem auf Xbox One)
kaum spannende Bosskämpfe
übertriebener Unschärfeeffekt an den Bildrändern

Wertung

PC

Traumhaft schöner Erkundungstrip durch einen verwunschenen Wald mit knackiger Hüpf-Action und clever versteckten Upgrades.

XboxOne

Wunderschön, fordernd und clever ausbalanciert: Auf der Xbox One stören die leichten Ruckler allerdings stärker als auf PC.

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