Im Test: Zwischen Maschinen und Mystik
Tante ex machina
Corvo Attano kann stolz sein. Der leicht ergraute Leibwächter hat nicht nur seinen Ruf und das Reich gerettet, sondern seine Tochter Emily sitzt mittlerweile auf dem Thron. Als Kaiserin von Dunwall erfüllt sie zwar eher widerwillig ihre politischen Pflichten, außerdem bereitet eine Mordserie sowie eine Blutfliegenplage gewisse Sorgen, aber die Familie regiert in Frieden. Zum fünfzehnten Jahrestag des Attentats auf ihre Mutter empfängt die junge Herrscherin gerade Delegationen. Und eine davon wird ihr zum Verhängnis.
Subtiles Schleichen, brachiales Kämpfen
Vater oder Tochter spielen?
Corvo und Emily besitzen etwas andere Fähigkeiten: Nur der Leibwächter kann z.B. in Tiere schlüpfen, eine Rattenmeute rufen oder die Zeit anhalten – all das lässt sich wie im Vorgänger durch das Sammeln von Herzen noch verfeinern. Nur seine Tochter kann einen Doppelgänger zur Verwirrung oder gar als Killer einsetzen, sich in Schatten hüllen und so früher Entdeckung ausweichen oder über „Domino“ einem Feind etwas antun, was dann auf bis zu vier Markierte übertragen wird – einer bewusstlos, alle bewusstlos. Da ergeben sich je nach Figur durchaus coole Möglichkeiten und es macht Spaß, diese zu kombinieren. Und weil die für die Aufrüstung benötigten Herzen (sowie die für passive Boni sorgenden
Aber unterm Strich spielen sich die beiden recht ähnlich in Akrobatik sowie Kampf, zumal sie die meisten Fähigkeiten wie das Teleportieren sowie das komplette Bewegungs-, Zubehör- und Waffenrepertoire ja teilen. Außerdem durchlaufen sie natürlich dieselben Areale und auch in der Reaktion anderer Figuren bemerkt man zu selten markante Unterschiede. Trotzdem lohnt es sich, das Abenteuer nach dem Ende mit dem anderen Charakter nochmal zu starten, denn dieses Dishonored 2: Das Vermächtnis der Maske hat viele alternative Wege, Taktiken und zwei Enden zu bieten, die für reichlich Wiederspielwert sorgen.
Vier Schwierigkeitsgrade
Ein ganz großes Lob verdient die KI: Das Verhalten der Wachen gehört zum Besten, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. Sie reagieren aufmerksam auf Sicht und Geräusche, sie schauen durch Fenster und entdecken mich dort kauernd, sie rufen Verstärkung und suchen die Gegend angenehm weitläufig ab, sie treiben einen mit Würfen oder Schüssen aus der Deckung oder von erhöhten Positionen, so dass man auch über Teleports nicht so sicher in der Vertikalen ist. Man muss schon ein ordentliches Stück weit flüchten, was angesichts der angenehm großen Schauplätze auch meist möglich ist.
KI & Figurenverhalten
Zwar gibt es kleine Aussetzer, einige Patrouillenwege sind leicht durchschaut, aber das Katz-und-Mausspiel macht richtig Laune, zumal die Offiziere auch aufmerksamer sind als gewöhnliche Soldaten. Man kann durch Schlüssellöcher spicken, mit dem Fernglas aus der Distanz ihre Gespräche belauschen und nützliche Informationen erhalten oder ganz nah ran, um ihnen Geld, Waffen oder Schlüssel zu stibitzen. Es lohnt sich auch, Flaschen & Co zur Ablenkung zu werfen oder einen Alarm an einer Uhr zu aktivieren, bevor man sich in einer Nische versteckt. Vor allem Leichen oder Bewusstlose sollte man verstecken, damit sie nicht entdeckt bzw. aufgeweckt werden. Das läuft per Huckepack übrigens sehr intuitiv, man muss also keine Ragdoll-Körper hinter sich herzerren.
BioShock und Skyrim lassen grüßen
Der Einstieg in dieses Dishonored 2 ist zwar turbulent, aber für die Identifikation nicht
Die Arkane Studios bemühen sich mit einer Flut an Notizen, Audiologs, Biografien sowie innenpolitischen Reibereien darum, eine in sich plausible und interessante Spielwelt aufzubauen. Man fühlt sich in manchen Situationen an BioShock und angesichts der vielen Texte fast an ein Rollenspiel wie Skyrim erinnert – hier ist viel Arbeit in die Hintergründe geflossen. Und die verbreiten mit edel gezeichneten Karten, tollen Ölgemälden und skurrilen Apparate sehr viel gediegenes Flair, so dass man das liebevoll arrangierte Interieur immer wieder gerne auf sich wirken lässt. Vor allem Freunde von naturhistorischen Museen werden auf ihre Kosten kommen. Man fühlt sich dank des ausgezeichneten Artdesign sofort wohl in dieser Steampunkwelt.
Automatische Hinweise entwerten Rätsel
Die deutsche Lokalisierung ist übrigens sehr gut, sowohl was die Sprecher als auch die Texte betrifft. Gerade die Kombination aus Dasha und Manfred Lehmann, die auch im Spiel Vater und Tochter sprechen, ist natürlich ein Glücksgriff. Umso ärgerlicher ist, dass sich das Lesen der gut geschriebenen Briefe, Lieder und Anekdoten spielerisch oftmals nicht lohnt, weil jeder noch so kleine Hinweis oder mögliche Code sofort als Hilfestichwort in Kurzform auftaucht – so entwertet man natürlich den Rätselanspruch. Dieser unsägliche Archivautomatismus plagt ja viele moderne Spiele und ich frage mich immer wieder, warum man da nicht mal gegenwirkt. Denn das macht das selbstständige Recherchieren und Notieren überflüssig, so dass man alles Gesammelte schnell wegklickt, weil die aktive Lektüre nicht nötig ist. Schade ist übrigens auch, dass man z.B. Zeitungsartikel nicht wirklich in deren Layout darstellt, sondern sofort in moderne Schrift überträgt.
Und schließlich ist die Zusammenfassung der Ereignisse auf dem Schiff, das als eine Art Hauptquartier fungiert, lobenswert, denn so kann man trotz der vielen Details immer dem roten Faden folgen. Allerdings vermisse ich auf diesem Schiff mehr Entwicklung und Möglichkeiten: Es passiert an Bord zu wenig, es gibt kaum Geheimnisse und man kann dort nichts herstellen - man muss jeweils den Schwarzmarkt eines Viertels aufsuchen, um Waffen, Munition & Co zu kaufen oder aufzurüsten.
Spieldesign deluxe
Außerdem kommt am Ende eines Kapitels meist eine politische Komponente hinzu, denn man hat meist die Wahl, ob man bestimmte Antagonisten tötet oder im weitesten Sinne heilt bzw. verschont. Das geht so weit, dass man der einen oder anderen Fraktion den Kopf des Anführers überbringen kann, um ihre Gunst zu gewinnen – man kann auch eine neutrale Lösung suchen. Je nach Wahl, ändert sich die Machtsituation in dem Viertel und man schafft sich später Freunde oder Feinde.
Der begehbare Zauberwürfel
Dass man sich dabei gerne umschaut, weil dieses Dishonored so malerisch inszeniert wird, kennt man aus dem Vorgänger – besonders gut gefallen hat mir das Konservatorium mit seinen ausgestopften Rieseneulen an der Decke. Aber diesmal versetzen einen die Leveldesigner in mindestens zwei von neun Kapitel regelrecht in Staunen. Zum einen ist da das faszinierende Maschinenhaus. Man fühlt sich wie in einem architektonischen Zauberwürfel, wenn sich Flure plötzlich aufrollen oder sich ganze Boden- und Wandkonstruktionen verschieben, um den Blick auf untere Etagen oder ganz neue Zimmer zu richten – das wird unheimlich gut inszeniert!
Der Fall des Hauses Stinter
Das ist schon ein außergewöhnliches Erlebnis, aber später gibt es in einem
Dieser Wechsel zwischen den Zeiten wird taktisch umso interessanter, weil man über dem Chronowandler auch ein Fenster in die jeweils andere Zeit öffnen kann, so dass man parallel sieht, was in der anderen Zone geschieht: Will ich eine Wache in der Vergangenheit ausknocken, kann ich mich gefahrlos und punktgenau in der Gegenwart an sie heranschleichen, weil ich sie ja links sehe – bin ich nah genug dran, wechsle ich die Zeit und schlage zu. So kann ich natürlich auch wunderbar nach einem Alarm fliehen, außerdem ist der Wechsel für die Route wichtig, denn manchmal gibt es in der Vergangenheit geschlossene Türen, aber heute einen offenen Korridor oder umgekehrt. Hinzu kommen kleine physikalische Manipulationen, die Wege frei machen. Und wo es im Maschinenhaus die bissigen Kommentare gibt, sorgt hier ein böses Flüstern in der düsteren Gegenwart für etwas Horrorflair: „Sie wollen dein Blut, also hol ich es.“
Fazit
Dishonored 2 ist ein Genuss für Schleicher. Die Arkane Studios entführen über 20 Stunden in eine malerische Steampunkwelt, in der man sich mit subtiler Raffinesse oder brachialer Gewalt austoben kann – was zu spürbaren Konsequenzen sowie einem anderen Ende führt. Nach dem etwas zu hektischen Einstieg war ich noch skeptisch, außerdem spielen sich Corvo und seine Tochter zu ähnlich, aber die spielerische Freiheit ist enorm. Von der Wahl der Route über die Taktik der Infiltration bis hin zur Frage von Gnade oder Rache hat man viele Möglichkeiten. Es macht richtig Spaß, die übersinnlichen Fähigkeiten zu kombinieren und die überraschend cleveren Wachen in ein Katz-und-Maus-Spiel zu verwickeln. Der große Star ist das Leveldesign, das mit dem Maschinenhaus samt seiner architektonischen Verwandlungen sowie dem verfluchten Anwesen mit seiner Zeitreise zwei der besten Schauplätze der letzten Jahre anbietet. Die Geschichte um die Rückeroberung des Throns kann trotz charismatischer Antagonisten und einer Flut an Texten allerdings nicht so fesseln wie die Spielmechanik. Ärgerlich ist neben den Performance-Problemen auf dem PC, dass die Lektüre sowie der Rätselanspruch durch die automatischen Hinweise entwertet werden und dass die Bewohner trotz guter Ansätze inkonsequent reagieren. Aber dieses Dishonored 2 ist ein überaus stimmungsvolles, höchst ansehnliches und spielerisch vielfältiges Abenteuer, das hinsichtlich der Stealth-Action sowohl Thief, Styx als auch Deus Ex schlägt.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Dishonored 2 ist ein Genuss für Schleicher. Die Arkane Studios entführen in eine malerische Steampunkwelt, in der man sich mit subtiler Raffinesse oder brachialer Gewalt austoben kann - technisch ärgern die Performance-Probleme am PC.
PlayStation4
Dishonored 2 ist ein Genuss für Schleicher. Die Arkane Studios entführen in eine malerische Steampunkwelt, in der man sich mit subtiler Raffinesse oder brachialer Gewalt austoben kann - was zu spürbaren Konsequenzen sowie einem anderen Ende führt.
XboxOne
Dishonored 2 ist ein Genuss für Schleicher. Die Arkane Studios entführen in eine malerische Steampunkwelt, in der man sich mit subtiler Raffinesse oder brachialer Gewalt austoben kann - was zu spürbaren Konsequenzen sowie einem anderen Ende führt.
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