Hitman11.03.2016, Michael Krosta

Im Test: Klon-Killer im Episodenformat

Schurken auf der ganzen Welt haben wieder allen Grund, sich zu fürchten: IO Interactive und Square-Enix rufen mit Agent 47 einen der prominentesten und besten Auftragsmörder der Videospielgeschichte aus dem Ruhestand zurück. Kann der schweigsame Glatzkopf auch in episodischer Form mit bewährten Killer-Qualitäten überzeugen oder geht dem Einstiegs-Paket von Hitman (ab 18,80€ bei kaufen) zu schnell die Puste aus?

Zurück auf Anfang  

Anstatt eine direkte Fortsetzung zu Hitman: Absolution in Angriff zu nehmen, drehen die dänischen Entwickler die Uhr zurück: Das gilt nicht nur für die Story-Ebene, bei der sich ein junger 47 mit Gedächtnisverlust zunächst den beiden Aufnahmeprüfungen stellen muss, bevor er unter der Obhut seiner Agentenführerin Diana Burnwood als Auftragsmörder bei der International Contract Agency (ICA) anheuern darf. Denn auch hinsichtlich des Spieldesigns wagt IO Interactive den Schritt zurück und verabschiedet sich von der recht linearen Struktur und den kleinen Arealen, auf die man in Absolution gesetzt hatte. Stattdessen orientiert man sich bei diesem episodischen Reboot wieder stärker an Hitman: Blood Money und gibt Spielern damit nicht nur mehr Bewegungsfreiheit bei der Erkundung der weitläufigen Areale, sondern fördert anhand zahlreicher Wege und Varianten gleichzeitig auch die Kreativität, wie man sich Zugang zu gesperrten Bereichen verschafft und die Zielpersonen schließlich eliminiert.

Macht da etwa jemand auf James Bond 007?
Die Verkleidungen spielen dabei einmal mehr eine zentrale Rolle. Denn im Gegensatz zu anderen Schleich-Einsätzen wie etwa bei Metal Gear Solid, Thief oder Splinter Cell kommt es bei Hitman weniger darauf an, sich wie ein tödlicher Schatten von einer dunklen Ecke zur nächsten zu schleichen. Stattdessen geht man hier den umgekehrten Weg und sucht regelrecht die Menschenmenge, um in der Masse unterzutauchen. „Bloß nicht auffallen“, lautet die Devise und so schwingt man als Kellner auch schon mal den Wischmob oder betätigt sich als Barmann, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Trotzdem muss man weiter auf der Hut sein: Manche Leute kennen z.B. ihre Kollegen und schöpfen auch dann Verdacht, wenn man sich ihnen in einer Verkleidung nähert. Die entsprechenden Personen werden mit einem kleinen Symbol über ihren Köpfen markiert, so dass man ihnen gezielt aus dem Weg gehen kann. Alternativ nutzt man Ablenkungsmanöver, die vom einfachen Werfen einer Münze über Krach und mutwillige Zerstörung bis hin zu überschwemmten Waschbecken führen.

Sinnvolle Entsorgung

Als Meister der Verkleidung kann es den Auftragskiller sogar als Model auf den Catwalk verschlagen.
Schaltet man Wachen und andere Leute aus, um entweder an ihre Klamotten zu gelangen oder sie von ihrem Posten wegzulocken, sollte man immer darauf bedacht sein, keine Spuren zu hinterlassen. Zum Glück finden sich in der Regel genügend Schränke, Eistruhen und zur Not auch andere „stille Örtchen“, wo man seine Opfer verschwinden lassen kann. Wie schon in den Vorgängern gilt auch hier: Tötungen abseits der Zielpersonen sollte man vermeiden, wenn man am Ende eine gute Bewertung erhalten will. Man sollte sich also genau überlegen, ob man Unschuldigen als Alternative zum Ohnmächtig-Würgen unbedingt das Genick brechen oder ihnen eine Kugel in den Kopf jagen muss. Trotzdem ist es selbstverständlich möglich, den blutigen Weg zu wählen. Doch zum einen raubt man sich damit einen Großteil der Spannung und zum anderen holen die schwer bewaffneten Wachen den Spieler bei einem zu brachialen Vorgehen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Trotzdem entdeckt man viele Schlupflöcher, wie man seinen Verfolgern entkommen kann. Da wäre z.B. das Untertauchen in der Menge oder der Weg zur Toilette, wo man idealerweise oft sogar noch einen Schrank findet, in dem man wieder von der Bildfläche verschwinden kann. Eine übertrieben sichere Bank ist der Fluchtweg über die Häuserfassade: Baumelt man an Vorsprüngen, klettert an Kanten oder Außenwänden entlang, ist man vor den Adleraugen der Verfolger meist sicher, weil sie es zu oft versäumen, ihren Blick nach oben zu richten oder an einem Geländer auch mal nach unten zu schauen. Darüber hinaus gibt es weitere Schwachpunkte bei der KI, wenn meine Anwesenheit trotz geringem Abstand und Sichtlinie nicht wahrgenommen wird oder die Tätersuche eher den Eindruck eines unkoordinierten Hühnerhaufens erweckt. Etwas befremdlich wirkt zudem die Tatsache, wie rüpelhaft sich manche Nebenfiguren den Weg durch die Menge bahnen. Gerade in solchen Situationen, in denen Charaktere strikt und auffällig ihrem Skript-Pfad folgen, verpufft zu schnell die Illusion, sich in einer authentischen Spielwelt zu befinden. Zudem hätte ich mir gewünscht, dass die Ausgänge zum Abschluss der Missionen stärker mit den Identitäten bzw. Verkleidungen in Relation gesetzt werden. Warum darf ich z.B. als einfacher Kellner oder Mitarbeiter der Stage-Crew

Die russische Militärbasis ist eine von zwei Trainings-Arealen.
in einem Privat-Helikopter auf und davon fliegen? Ich fände es besser, wenn solche Fluchtmöglichkeiten nur dann angeboten würden, wenn man z.B. die Identität einer der deutlich seltener vorhandenen und oft abgeschotteten VIP angenommen hat.

Positiv dagegen, dass die Umwelt überwiegend gut auf meine Aktionen reagiert – sei es aufgrund meiner ungewollt verdächtigen Handlungen oder den bewusst inszenierten Ablenkungen. Es macht einfach Spaß, mit diesem Element zu experimentieren und zu schauen, ob meine Taten Konsequenzen nach sich ziehen. Dabei muss es nicht unbedingt relevant für die Mission oder den Spielablauf sein: An einer Stelle kann man z.B. einem TV-Team während der Aufnahme durch das Bild rennen und erntet ein entsprechendes Dankeschön des Kameramanns und der Moderatorin.

Augen und Ohren auf!

Abseits solch kleiner Späße sollte man generell Augen und Ohren offen halten, denn lauscht man Gesprächen oder findet bestimmte Objekte, eröffnen sich mitunter ganz neue Ideen und Gelegenheiten, wie man sich den Zielpersonen nähern und im Idealfall sogar an einem abgelegenen Ort ohne großes Aufsehen ausschalten kann. Ungeduldigen Naturen greifen die Entwickler mit einem optionalen Anzeigensymbol unter die Arme, um diese Gelegenheiten nicht zu verpassen und sich über weitere Hinweise regelrecht zum Ziel leiten zu lassen. Profis verzichten dagegen auf solche Unterstützung und dürfen auf Wunsch sogar sämtliche Hilfen aktivieren. Dazu zählen z.B. die Mini-Karte, Angaben zu den Einsatzzielen sowie Verdachts-, Informations- und Bedrohungsanzeigen. Auch die Anwendung des Instinkts bleibt optional: Mit ihm schaltet man eine Art Röntgenblick frei und bekommt sowohl visuelle Hinweise für wichtige Objekte als auch zum aktuellen Standort der Zielpersonen, die selbst durch Wände hindurch rot hervorgehoben werden. Musste man sich bei Absolution noch mit diverse Aktionen den Einsatz der Instinkt-Fähigkeit erarbeiten, steht sie hier uneingeschränkt zur Verfügung. Mir hat die alte Variante etwas besser gefallen, weil der Instinkt dort besser in die Spielmechanik eingebunden und gleichzeitig nicht auf dem Silberteller präsentiert wurde. Hier kommt man faulen Spielern für meinen Geschmack etwas zu sehr entgegen, aber um es nochmal zu betonen: Man kann all die Hilfsmittel ja auf Wunsch ausschalten oder ignorieren!

Kleine Kaffeepause

Wer Augen und Ohren offen hält, dabei auch wichtige Personen beschattet, wird mit günstigen Gelegenheiten belohnt.
Letzteres fällt beim Blick auf Technik und Umfang deutlich schwerer: Vor allem auf der Konsole muss man angesichts langer Ladezeiten viel Geduld mitbringen, wenn man nicht gerade mit einem natürlichen Hitman-Gen geboren wurde und deshalb nach fehlgeschlagenen Versuchen häufiger auf alte Spielstände zurückgreifen muss. Auch eine leicht schwankende Bildrate müssen PS4-Attentäter in Kauf nehmen, doch wirken sich die Ruckeleinlagen nicht allzu gravierend auf den Spielverlauf aus. Trotzdem ist es keine gute Idee, eine Gasflasche in einem Raum von 50 oder mehr Personen zur Explosion zu bringen – es sei denn, man möchte die Hardware der Konsole bewusst ans Limit peitschen. Auf dem PC hinterlässt der Hitman technisch insgesamt einen runderen Eindruck. Trotzdem bleibt man auch dort nicht von unangenehmen Glitches verschont: So ist es manchmal z.B. nicht möglich, einen Körper an die gewünschte Stelle zu ziehen, weil sie an einem unsichtbaren Hindernis hängen bleibt oder sogar teilweise mit der Umgebung verschmelzen.

Hohe Positionen eignen sich meist hervorragend, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Der Umfang ist ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei: Zwar darf man sich in den beiden Trainings-Missionen mit Tutorial-Charakter schon ordentlich an kreativen Mordplänen versuchen, doch fallen die bewusst künstlich angelegten Schauplätze mit einer Luxus-Yacht und einer russischen Militärbasis recht klein aus. Erst die große Story-Mission rund um eine Modenschau in Paris zelebriert den großen Schleich-Sandkasten, wo man sich mit 47 in dem mehrstöckigen Anwesen samt Garten- und Backstage-Anlagen so richtig austoben darf. Ohne weitere Details zu verraten ist es faszinierend, wie viele und mitunter ausgefallene Möglichkeiten hier geboten werden, um den ersten großen Feldeinsatz erfolgreich abzuschließen. Warum nicht einfach mal einen Gift-Cocktail mischen, anstatt auf die klassische Schalldämpfer-Pistole oder die Klaviersaite zu setzen? Auch manche Alltagsgegenstände eignen sich hervorragend als Mordwerkzeuge oder zur Manipulation der Umgebung. Die Königsdisziplin bleibt jedoch das Inszenieren von Unfällen: Wenn man z.B.  einen Kronleuchter zum richtigen Zeitpunkt löst und die ahnungslose Zielperson erschlägt, zeugt das nicht nur von einem stilsicheren Auftreten und einer gewissen Passion für den eigenen Job, sondern erhöht gleichzeitig den Unterhaltungswert enorm. Wir konnten uns außerdem schon selbst nach dem Anspielen davon überzeugen, dass auch die nächste Episode, die im sonnigen Sapienza angesiedelt sein wird, einen ähnlich großen Schauplatz und viele Freiheiten bieten wird. Dort wird der Auftrag darin bestehen, mit dem Wissenschaftler Silvio Caruso ein klassisches Hitman-Ziel zu liquidieren und ein tödliches Virus zu vernichten. Der Ausflug nach Marrakesh in der dritten Episode, die sich auf einen schwedischen Bänker und einen Armee-General konzentriert, verspricht mit überfüllten Märkten und dem Eindringen ins schwedische Konsulat ebenfalls ein schönes Kontrastprogramm zu den beiden anderen Szenarien.                

Aufträge statt Langeweile

Aber bis dahin ist es ja noch ein Weilchen. Kann man die Wartezeit auf die nächsten Episoden mit den Inhalten des Starterpakets gut überbrücken? Hätte IO tatsächlich nur das Tutorial und die Story-Mission in Paris veröffentlicht, hätte ich trotz der vielfältigen Möglichkeiten und dem Meistern der Herausforderungen wohl schnell die Lust daran verloren, mich immer wieder auf die gleichen Aufträge und Zielpersonen zu stürzen. Doch zum Glück haben die Entwickler ein paar Register gezogen, um der drohenden Langeweile entgegenzuwirken. Da wären zum einen die Eskalations-Missionen, bei denen man zunächst nur ein Ziel mit einer vorgegebenen Waffe ausschalten muss, in folgenden Stufen für einen erfolgreichen Abschluss aber immer mehr risikoreiche Nebenaufgaben zu erledigen hat. Interessant dürften zudem die schwer zu fassenden Ziele ausfallen, die man nur in einem begrenzten Zeitraum und unter erschwerten Bedingungen jagen darf. Zum Testzeitpunkt stand diese Variante allerdings leider noch nicht zur Verfügung.

Der Anfang ist gemacht: 47 ist bei der International Contract Agency (ICA) gelandet.
Dafür aber eine gefühlt unendliche Auswahl an Online-Herausforderungen, die von anderen Nutzern im Missions-Editor erstellt wurden und die man selbstverständlich ebenfalls selbst gestalten sowie veröffentlichen darf. Das Prinzip hinter dem Contracts-Modus wurde quasi 1:1 aus Absolution übernommen: Als Spieler darf man unter den zahlreichen Figuren selbst ein Ziel auswählen und bestimmte Konditionen festlegen. Die Art und Weise der Eliminierung wird dabei aufgezeichnet und als Auftrag gespeichert. In einem Tutorial lernt man, wie das Anlegen von Aufträgen funktioniert. Die Idee dahinter mag simpel sein, die Ausführung kinderleicht, aber das Konzept dahinter ist unglaublich motivierend und konnte bereits im Vorgänger viele Spieler begeistern. Dort erfreute uns auch noch die starke Lokalisierung mit professionellen und bekannten deutschen Stimmen. Das bleibt hier leider aus: Zwar leisten die englischen Originalsprecher gute Arbeit, doch werden abseits der übersetzten Menüs lediglich deutsche Untertitel geboten. Und die Leserei kann angesichts der vielen Dialoge schnell anstrengend für alle werden, die der englischen Sprache nicht so mächtig sind. Ich hoffe, dass Square-Enix noch eine komplette Lokalisierung auf dem hohen Niveau von Absolution nachreichen wird.

Fazit

Mit dem Starterpaket von Hitman liefern Square Enix und IO Interactive einen guten Auftakt in die Welt der Auftragsmorde. Vor allem die erste große Story-Mission in Paris unterstreicht den Ansatz und das Versprechen der Entwickler, wonach das kreative Töten in großen Arealen wieder in den Mittelpunkt rücken soll. Hier wird tatsächlich ein herrlicher Spielplatz geboten, auf dem man sich trotz Problemen bei der KI und vereinzelten Glitches wunderbar austoben und experimentieren kann. Trotzdem fällt der Umfang zusammen mit den beiden Trainingsmissionen etwas mager aus, was aber durch den gelungenen Missionseditor und die Online-Herausforderungen stellenweise kompensiert werden kann. Über das gewählte Episodenformat für Hitman lässt sich sicher weiter streiten. Ich selbst hätte nach dem Abschluss der Paris-Mission auch lieber sofort in Sapienza weitergemacht, anstatt die Wartezeit mit wiederholten Besuchen bekannter Schauplätze zu überbrücken. Zumal auch die Story rund um eine gestohlene NOC-Liste beim kurzen Auftakt noch nicht so richtig in Schwung kommen will. Aktuell müsste 47 vor allem auf der PS4 mit ihren elendig langen Ladezeiten und anderen technischen Abstrichen kämpfen, um die 80er-Marke zu knacken, aber der Ausblick auf die kommenden Inhalte macht Mut, dass sich Hitman mit den kommenden Episoden weiter steigern kann. Wir werden jede davon mit Schulnoten einschätzen und erst mit dem Finale eine abschließende Prozentwertung vergeben.

Einschätzung: gut

[Einschätzung der ersten Episode: Ein guter Einstieg, der angenehm viele Freiheiten beim Meucheln bietet und dank Online-Aufträgen trotz des knappen Umfangs zum Weiterspielen motiviert]

Pro

viele Möglichkeiten für (kreative) Eliminierungen, Ablenkungen und Verstecke
großes, weitläufiges (Paris-)Areal
Verkleidungen als wichtiges Spielelement
Gelegenheiten liefern wertvolle Hinweise auf alternative Anschlag-Methoden
gute Auswahl an konventionellen und ausgefallenen Mordwerkzeugen
angenehme Schleichmechanik
KI agiert oft aufmerksam bei verdächtigen Aktionen
überzeugende (englische) Sprecher
Instinkt- und Verdachtsanzeigen abschaltbar
mehrstufige Escalation-Aufträge und zeitlich begrenzte Jagd auf Zielpersonen
motivierende Online-Herausforderungen zum Selbsterstellen und Teilen

Kontra

vereinzelte KI-Aussetzer und ruppiges Verhalten in Menschenmengen
überschaubarer Umfang
Körper hängen manchmal fest und lassen sich nicht mehr ziehen
Story kommt nur sehr langsam in Gang
sehr lange Ladezeiten (Konsolen)
schwankende Bildrate (Konsolen)
nur deutsche Untertitel

Wertung

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