Yesterday Origins02.12.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Makabrer Ausflug ins vergangene Leben

Vor vier Jahren erforschten die Entwickler der unbeschwerten Runaway-Adventures eine unerwartet düstere Seite ihrer Persönlichkeit. Nach dem Story-Twist von Der Fall John Yesterday macht sich der Protagonist in Teil 2 auf die Suche nach den Urspüngen der dämonischen Magie, die sein Leben bestimmt. Kann die Verschwörungsgeschichte im Stil einer Graphic Novel erneut fesseln?

Let’s twist again?

Die Story-Wendungen von Teil 1 gehören nach wie vor zu den spannendsten des Genres. Falls ihr Teil 1 noch nachholen wollt, würde ich also empfehlen, nicht weiterzulesen. Diesmal versetzt die Geschichte den Spieler abwechselnd in unsere Zeit und das Jahr 1481, in dem Johns früheres ich von der spanischen Inquisition gefangen genommen und als angeblicher Sohn Satans hingerichtet werden soll. Warum sonst besitzt er Gaben wie das Beherrschen zahlreicher Sprachen ohne großen Lernprozess? Als der verschlagene Franziskaner-Mönch Ginés de Orduna ihn aus dem Folterkeller befreit und dabei auch nicht vor Morden zurückschreckt, muss der Protagonist herausfinden, was sein neuer Tutor und Ordensvater wirklich im Schilde führt.

Sidekick Boris sorgt immer wieder für unerwartete Lacher.
Der im heutigen Paris lebende John will ebenfalls das Mysterium erforschen, das ihn unsterblich gemacht hat, ihm aber nur bruchstückhafte Erinnerungen an frühere Leben  beschert. Die Flashbacks suchen ihn z.B. in Alpträumen heim. Eine wichtige Rolle scheint hierbei die reiche Unternehmerin Victoria Baxter zu spielen, bei der John und seine Freundin Pauline hoch verschuldet sind. Also versuchen die beiden Antiquitätenhändler, ihrer Gläubigerin eine alte Statue anzudrehen, sie mit geschickt präparierten Geschenken milde zu stimmen und mehr über ihre Forschungen im Bereich okkulter alter Sekten zu erfahren.

Verstörende Macken

Wer den Vorgänger nicht kennt, könnte sich zu Beginn durch allerlei bizarre Story-Details überfordert fühlen. Ein als Webadresse getarnter Punkt im Hauptmenü erklärt allerdings die wichtigsten Aspekte. Da man diesmal schon zu Beginn mit vielen okkulten Hintergründen konfrontiert wird, kann sich leider nicht die gleiche Spannung wie im Vorgänger aufbauen, als man zunächst einmal ahnungslos durch die New Yorker U-Bahn irrte und dort auf verwirrte Figuren oder seltsame Rituale vor Armeen von Schaufensterpuppen stieß. All das wirkte viel cooler und weckte mehr Neugier als die neuen Schauplätze wie eine mondäne Kopfsteinpflastergasse in Paris oder das alte Kloster. Trotzdem ist dem spanischen Team die visuelle Umsetzung wieder ordentlich gelungen. Der eine oder andere Gesichtszug sieht wieder arg eckig aus, davon abgesehen bekommt man aber meist ansehnliche 3D-Kulissen zu sehen.

Der ständige Wechsel zwischen Pauline und John läuft etwas sperrig ab - ähnlich sperrig wie manch andere Steuerungsmechanik.
Auch diesmal mangelt es nicht an verstörenden Dialogen oder persönlichen Macken, die mich schon früh aus der Komfortzone befördert haben. Bei Johns wahnwitzigem Sidekick Boris z.B. ist man sich nie wirklich sicher, ob er nur aus Verwirrung so entstellt grinst, oder ob er im nächsten Moment eine seiner nihilistischen Weisheiten von sich gibt. Das coolste an ihm ist aber, dass er manche Dialoge völlig zusammenlos mit einem fröhlichen „Happy Birthday!“ abschließt. Angenehm gruselig sind auch die Ausführungen des eigentlich atheistischen Folterknechts, der nur zu seinem sadistischen Vergnügen zum Handlanger der Inquisition wurde. Er lässt die Triebe bewusst über seine Moralvorstellungen siegen und schreckt nicht davor zurück, vor seinen Opfern mit den verabscheuungswürdigen Details seiner Gräueltaten zu prahlen. Auch Pauline schafft es mit ihrem schroffen Umgangston immer wieder, mir ein ungutes Gefühl zu verpassen. Da sie ebenfalls unsterblich ist, entscheidet sie sich schon zu Beginn des Spiels zu einer reichlich morbiden Art der Faltenentfernung. Ihre nervig krächzende Synchronstimme trägt auch nicht gerade dazu bei, Sympathiepunkte zu gewinnen. Andere Stimmen wie die von John klingen deutlich angenehmer, der ruhige Soundtrack ging mir mit seinen kurzen Loops aber immer wieder auf den Wecker. Statt einer deutschen Vertonung gibt es übrigens wahlweise nur englische und französische Sprachausgaben mit deutschen Untertiteln (oder Untertitel in diversen anderen Sprachen).

Zynismus des ewigen Lebens

Passend zur finsteren Stimmung wirken auch die Dialoge meist gefühlskalt - eine schöne Abwechslung zu all den tollpatschig-sympathischen Charakteren der Adventurewelt. Obwohl ihre Erinnerung im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gelöscht wurde, hat sich beim Umgang des Pärchens doch eine gewisse Verbitterung durch die Zeit gerettet. Von kleinen Gesten wie einem Küsschen abgesehen erinnert ihr Pragmatismus eher an den eines alternden Ehepaars – sogar, wenn es zum Ende hin um ernsthafte Konsequenzen durch alternative Entscheidungen geht. Johns Abgeklärtheit äußert sich auch darin, dass er moderne Dinge wie Turnschuhe oder soziale Netzwerke tendenziell verabscheut – ein schönes Detail. Das gelungene Ende beschert der in Teilen vor sich hin plätschernden Geschichte noch mal etwas mehr Tempo und Dramatik.

Was führt der neue Mentor tatsächlich im Schilde?
Beim Vorgänger reichte es trotz der fesselnden Geschichte nur zu einer Wertung von 75%. Schuld daran waren vor allem Probleme bei Bedienung und dem Rätseldesign. Auch diesmal gingen mir von Beginn an einige Macken der technischen Umsetzung auf die Nerven. Vor allem mit der eigentlich empfohlenen Controller-Steuerung übersieht man gerne mal einen wichtigen Gegenstand. Manchmal muss man sich erst ein paarmal umdrehen, bis man den passenden Hotspot per A- bzw. X-Taste  auswählen kann.  Wenn sich nach dem Anklicken ein Comic-Panel öffnet, wird außerdem oft erst nach einer Weile ersichtlich, dass man es noch näher untersuchen kann, indem man die Kamera auch zu unerwarteten Ecken bewegt.

Technische Störfaktoren

Das Kombinieren von bis zu fünf Gegenständen bleibt manchmal ebenfalls undurchsichtig: Um etwa eine Tabakpfeife detailgenau zu bemalen, muss das Vergrößerungsglas in der richtigen Reihenfolge mit der Pfeife, dem Pinsel, der Tinte und der Vorlage verbunden werden. Obwohl ich bereits die Lösung kannte und alle Gegenstände im Inventar hatte, bin ich vor der Malstunde also erst einmal ahnungslos durch die Kulisse geirrt. Auf dem PC habe ich gelegentlich sogar Bugs erlebt, so dass sich Hotspots nicht mehr anklicken ließen oder eine Figur komplett aus dem Bild verschwand. In der PS4-Umsetzung sind uns solche Probleme aber bislang nicht begegnet. Die Maussteuerung am PC geht etwas leichter von der Hand, allerdings bewegen sich dabei die eingezoomten Comic-Panels zu träge.

Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel liegt meist auf mittlerem Niveau: Manchmal benötigt man mehrere Objekte, bevor es weitergeht.
Im Grunde sind die meisten Rätsel logisch gestaltet, so dass man z.B. eine Zeichenvorlage ausdruckt, mit Werkzeugen oder chiffrierten Codes Geheimfächer öffnet und andere verschwörerische Aufgaben erledigt. Immer wieder wechselt man frei zwischen John und Pauline, um sich beim Rätseln mit Inventargegenständen gegenseitig zu ergänzen und Dinge auszutauschen. Auch Erkenntnisse und Gedankengänge werden als Symbole im Inventar gespeichert und müssen in Puzzles kombiniert werden. Im Vorgänger gab oft der mysteriöse Erzähler hilfreiche Hinweise, diesmal wurden sie meist in die Dialoge eingeflochten. Pendulo hat sich viel Mühe gegeben, dem Spieler mit vielen sinnvollen Anmerkungen auf die Sprünge zu helfen. Klickt man z.B. im unpassenden Moment auf eine Statue, erläutert John, warum man sich vorerst nicht mehr darum zu kümmern braucht und welche Probleme wichtiger sind.

Fazit

Bei Geschichten mit einer einschneidenden Wendung ist es natürlich gar nicht so einfach, die hohen Erwartungen an einen Nachfolger zu erfüllen. Auch bei John Yesterday hat mich das Original stärker gefesselt als Teil 2, in dem schon zu Beginn viele Karten auf dem Tisch liegen. Die verstörenden Rituale in den Katakomben der Yew Yorker U-Bahn aus Teil 1 sind einfach deutlich cooler als die Schauplätze des Nachfolgers. Trotzdem ist es Pendulo erneut gelungen, einen unterhaltsamen Thriller mit erfreulich schroffer und düsterer Stimmung zu inszenieren. Die übernatürliche Geschichte mit all ihren bizarren Dialogen und ihrem schwarzen Humor hat mich im Laufe der Zeit immer mehr in ihren Bann gezogen. Auch die Rätsel sind im Grunde angenehm logisch aufgebaut und werden in den Dialogen geschickt mit Hinweisen begleitet. Trotzdem funken immer wieder die hakelige Bedienung und auf dem PC auch kleine Bugs dazwischen, so dass ich oft ahnungslos durch die Kulissen irrte. Unter dem Strich also ein erzählerisch routinierter Mystery-Thriller mit handwerklichen Ecken und Kanten.

Pro

unterhaltsame Mystery-Story
angenehm finstere Stimmung
schwarzer Humor
vorwiegend logische Rätsel
sinnvolle Hinweise in Dialogen
ansehnliche Comic-Kulissen

Kontra

einige Steuerungs-Macken sorgen oft für Verwirrung
etwas fade Schauplätze
teils unpassende englische Vertonung
kleine Bugs lassen Figuren oder Hotspots verschwinden (PC)

Wertung

PlayStation4

Nicht so spannend und überraschend wie der Vorgänger, aber trotzdem ein erzählerisch starker okkulter Thriller mit Steuerungs-Problemen.

PC

Nicht so spannend und überraschend wie der Vorgänger, aber trotzdem ein erzählerisch starker okkulter Thriller mit Steuerungs-Problemen - und auf dem PC auch mit kleinen Bugs.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.