Life Is Strange - Episode 5: Polarized22.10.2015, Benjamin Schmädig

Im Test: Im Irrgarten der Zeit

Und dann ist es auch schon vorbei: Fünf Episoden enthielt die erste Staffel Life is Strange und sie hätte gerne doppelt so lang sein können. Das liegt allerdings nicht nur an den überraschenden Erkenntnissen des spannenden Finales. Unser Test blickt auf die letzte Folge "Polarized" und bewertet die komplette erste Staffel Life is Strange.

Gefühlschaos statt Zombies

Entwickler Dontnod (Remember Me) machte schon im Vorfeld kein Geheimnis daraus, dass Life is Strange vom hervorragenden The Walking Dead und anderen Telltale-Spielen inspiriert ist. Und trotzdem unterscheidet sich die Geschichte um Max Caulfield ganz deutlich von den Telltale-Erzählungen. Denn sie dreht sich nicht um Monster oder Comicfiguren; im Vordergrund stehen ganz normale Teenager, ihre schulischen Probleme, Beziehungsschwierigkeiten – viel von dem, das gemeinhin "Erwachsenwerden" heißt.

Immer wieder lässt Max ihre Erlebnisse Revue passieren. Es passiert dann nichts, wenn die Herbstsonne den späten Nachmittag in ein warmes Rot taucht und sanfte Gitarrenmusik aus dem Alltag der jungen Frau zählt. Kaum ein Spiel trifft den Tonfall des ganz normalen Gefühlschaos' so gut wie Life is Strange in diesen Augenblicken.

Alle Zeit der Welt

Im Vordergrund steht Max' Beziehung zu ihrer besten Freundin Chloe, die sie vor fünf Jahren auf dem Weg nach Seattle in dem verschlafenen Arcadia Bay zurückließ. Im Mittelpunkt steht aber auch das große Geheimnis um ihre Vision, in der ein riesiger Tornado die Stadt zu zerstören droht – und die Tatsache, dass Max mit einem Mal die Zeit

Von Beginn an hatte Max den Tornado vorhergesehen - jetzt bewahrheitet sich ihre Vision.
zurückdrehen kann. Vier Episoden lang nutzt sie ihre neue Fähigkeit, um Freundschaften zu schließen oder davon Abstand zu halten, Menschen das Leben zu retten und gemeinsam mit Chloe das Verschwinden einer Freundin aufzuklären.

Jederzeit kann man das Geschehen bis zum Anfang der aktuellen Szene zurückdrehen; selbst nach wichtigen Entscheidungen beliebig oft. Immerhin hat man häufig die Wahl zwischen Handlungsmöglichkeiten, deren langfristige Folgen gar nicht absehbar sind. Weil Max aber stets die neue Ausgangslage nach einer Entscheidung erläutert, ist immer klar, für welchen Weg sie sich entschieden hat. So entsteht kein Frust über falsch gedeutete Optionen und man kann einen ungewollt eingeschlagenen Weg sofort rückgängig machen. Auch durch den Verzicht auf zeitkritische Entscheidungen ist das Einfühlen in die jeweilige Situation wichtiger als die knisternde Spannung des Augenblicks in den Abenteuern von Telltale.

Zuschauer oder Handelnder?

Bis zuletzt nutzt Dontnod das Manipulieren der Zeit allerdings nicht für anspruchsvolle Rätsel. Echte Kopfnüsse knackt man nicht, wenn Max etwa zu einem früheren Zeitpunkt an einem anderen Fleck stehen muss, um dort rechtzeitig ein Missgeschick zu verhindern. Schade, dass der spielerischer Anspruch so niedrig ist.

Zumindest darf man sich an zahlreichen Schauplätzen frei umsehen, etliche Fotos, Computer sowie andere Gegenstände untersuchen und erfährt auf diesem Weg viel über das Leben in Arcadia Bay und das seiner Bewohner. Dieses Dabeisein verleiht der Erzählung eine plastische Dimension, die z.B. The Walking Dead zwei Staffeln lang fehlte.

Durch den Irrgarten der Zeit

Und gerade gegen Ende der fünften und letzten Episode der ersten Staffel (die Entwickler sprechen offen von einer "Staffel", eine zweite dürfte in Anbetracht des Erfolgs also längst geplant, wenn nicht gar schon in Arbeit sein) spielt Dontnod geschickt mit den Kulissen, nutzt sie für surreale Rückblicke und sich ständig verändernde Kulissen. Mal erinnert das an Batman: Arkham Asylum, mal an BioShock Infinite – nicht im technischen Aufwand, aber in der Art, wie sie den Spieler in Max' von der Zeit verschobene Wahrnehmung hineinziehen. Ähnlich wie das abschließende BioShock-Kapitel ruft Life is Strange wichtige Ereignisse ins Gedächtnis zurück, bevor es die Fäden zu einem starken Ende zusammenführt – egal, für welches man sich entscheidet. Es wird viele geben, denen eine der Auflösungen allzu bekannt vorkommt. Dennoch gelingt dem Pariser Studio in jedem Fall ein guter, logischer Abschluss seiner Geschichte.

Zumal schon vorherige Szenen durch interessante Zeitsprünge führen. Während sich Max in den ersten Minuten der letzten Folge etwa aus der Gewalt eines Mörders befreit, reicht ihr kein einfaches Zurückspulen mehr, um eine für sie bessere Realität zu schaffen. Es fällt ihr immer schwerer, zwischen dem gewünschten Ergebnis und den damit

Max' Beziehung zu ihrer besten Freundin steht im Mittelpunkt des emotionalen Dramas.
verbundenen Folgen zu leben; mehr und mehr Kraft kostet sie der Einsatz ihrer Fähigkeit. Als der von Beginn an prophezeite Tornado endlich Arcadia Bay erreicht, kann sie außerdem einige Menschen vor dem Tod bewahren – falls man herausfindet, wie. Inhaltlich inszeniert Dontnod also ein packendes Finale...

Der richtige Ton

… erzählerisch unterstreicht das Spiel aber ausgerechnet in der abschließenden Episode auch seine größten Schwächen: der fehlende spielerische Anspruch und die über weite Strecken seltsam aufgesetzten Dialoge. Kein Teenager würde so sprechen, wie es die Figuren dieses Dramas tun, und das steht gerade den jetzt so wichtigen großen Gefühlen nicht gut. Mal fehlt den Sprechern der passende Ton, mal das richtige Timing und gelegentlich auch der Mut einfach nichts zu sagen.

Vor allem aber leidet "Polarized" unter dem Zwang, sämtliche Handlungsfäden auf einen Schlag zu Ende zu führen. Eine oder mehr zusätzliche Folgen hätten der ersten Staffel gut getan, denn dann hätten die Autoren ihre Erklärungen stückweise einstreuen können, anstatt sie in gefühlt ellenlangen Quasi-Monologen "vorzulesen". Dass sich die Figuren stets gegenüber sitzen oder stehen, unterstreich den starren Eindruck nur: Die Charaktere bewegen sich nicht innerhalb der Kulisse oder interagieren gar mit ihr - schade. Manche Offenbarung hätte Dontnod zudem mit dem interaktiven Erleben verbinden sollen, anstatt seinen Spielern fast jede Auflösung wie ein visuelles Hörspiel vorzutragen. Beides ist ermüdend und raubt ausgerechnet dem Finale einen Teil der erlebten Spannung.

Fazit

Es ist symptomatisch für Life is Strange, dass die leidenschaftliche Fotografin Max Caulfield kein Foto eines am Boden liegenden, längst unschädlichen Mörders macht: Auf der Zielgeraden lässt das starke emotionale Abenteuer zu viel liegen. Sein ganzes Potential schöpft das Spiel einfach nicht aus. Es sind vor allem die Worte seiner Protagonisten, die sich zu sehr auf vermeintliche Klischees der Jugendsprache stützen, anstatt wie glaubwürdige Teenager zu klingen. Und zu viele lange Sätze müssen sämtliche Fragen binnen einer Episode klären. Ein Videospiel sollte mich zum Handelnden machen, nicht zum Zuschauer. Zumal gerade das dem Spiel an anderer Stelle auch in seiner abschließenden Episode besser gelingt als den Telltale-Abenteuern: Das ruhige Erkunden vieler Schauplätze und Aufdecken zahlreicher Hintergründe macht die Erzählung vielschichtiger und damit interessanter. Bevor Max endlich am Leuchtturm ihrer Vorhersehung ankommt, jagt Life is Strange seine Protagonistin schließlich durch ein faszinierendes Labyrinth zwischen dem wirklich Erlebten und den Irrungen eines Zeitwanderers, gefühlvolle Pausen und viele bodenständige Erlebnisse erden den Mystery-Krimi als glaubhaftes, sehr persönliches Drama. Das ganz große Abenteuer mag Dontnod nicht gelungen sein. Dennoch erzählt Life is Strange eine bemerkenswerte Geschichte mit einer starken, ganz alltäglichen Heldin.

Pro

zwei starke emotionale Enden
stilistisch interessanter Irrgarten ähnlich Batman: Arkham Asylum und BioShock Infinite
ruhiges Entdecken aller Schauplätze
Max schaut zahlreiche Gegenstände an und kommentiert sie
umfangreiches Tagebuch mit interessanten Einblicken – auch in alternativen Zeitlinien
schwierige Entscheidungen im Finale
beliebiges Zurückdrehen der Zeit bringt Ruhe in Entscheidungen
gute Kameraarbeit mit vielen gelungenen Einstellungen
Soundtrack, meist mit sanfter Gitarrenmusik
optionales Suchen von Sammelgegenständen ohne getroffene Entscheidungen zu beeinflussen

Kontra

fast ausschließlich in langen Gesprächen vorgetragene Auflösungen aller Rätsel
Geschichte bedient sich allzu deutlich bei klar erkennbarer Inspirationsquelle
gekünstelte Dialoge fallen bei emotional starken Szenen noch stärker auf
übermäßig viele Unterhaltungen wirken ermüdend
Rätsel nach wie vor weitgehend trivial
ausschließlich Englische Sprache und Texte

Wertung

360

Starkes emotionales Finale eines spannenden Mystery-Krimis, das zu viele Rätsel binnen kurzer Zeit auflöst.

XboxOne

Starkes emotionales Finale eines spannenden Mystery-Krimis, des zu viele Rätsel binnen kurzer Zeit auflöst.

PC

Starkes emotionales Finale eines spannenden Mystery-Krimis, des zu viele Rätsel binnen kurzer Zeit auflöst.

PlayStation3

Starkes emotionales Finale eines spannenden Mystery-Krimis, des zu viele Rätsel binnen kurzer Zeit auflöst.

PlayStation4

Starkes emotionales Finale eines spannenden Mystery-Krimis, des zu viele Rätsel binnen kurzer Zeit auflöst.

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