The Westport Independent02.02.2016, Jörg Luibl
The Westport Independent

Im Test: Endspurt für die Pressefreiheit

Wollt ihr die öffentliche Meinung so manipulieren, dass es zum Bürgerkrieg kommt? Nein, ihr müsst dafür kein Dschungelcamp mit Yogi Löw und Joachim Gauck organisieren, sondern eine Zeitung verlegen - inklusive Überschriftenmanipulation und Zensur. Für knapp zehn Euro lädt das Team von Double Zero One Zero zu einem heiklen Tanz mit der Pressefreiheit . Mehr dazu im Test.

Fiktives Szenario, realistischer Bezug

The Westport Independent spielt in einem fiktiven Staat nach dem Zweiten Weltkrieg mit gerade etablierter tyrannischer Regierung. Es versetzt euch in die Rolle eines Chefredakteurs des Jahres 1948, der mit seiner gleichnamigen Wochenzeitung die öffentliche Meinung in vier Stadtteilen beeinflussen kann - im Sinne des Regimes oder der Opposition. So kann es am Ende z.B. zu einer Mehrheit für die "Loyalisten", zu Aufruhr und Straßenkämpfen oder gar einer Rebellion kommen. Aber Letztere ist nicht so leicht in den ersten Anläufen zu erreichen...

Kann man die letzten zwölf Wochen Pressefreiheit so nutzen, dass die Regierung gestürzt wird?
Dieses Spiel ist gerade deshalb so interessant, weil es viele aktuelle Bezüge gibt. Nicht irgendwo weit weg in Nordkorea oder in Russland, wo die Einflussnahme des Staates auf die Medien fest etabliert ist, sondern mitten im "freien" Europa. Haben deutsche Zeitungen vor den Ereignissen in Köln ausreichend über die Schattenseiten der Integration berichtet? Hat hat man heikle Themen weggelassen oder beschönigt, damit Bürger nicht beunruhigt werden?  Aus der schnell krakeelten Verschwörungstheorie samt "Lügenpresse" wird in diesem Spiel ganz praktischer Alltag.

Drei Monate Endspurt der Pressefreiheit

Der Vergleich mit der Situation in Polen drängt sich noch viel deutlicher auf, weil die politische Ausgangslage ähnlich ist. Auch im Spiel sorgt eine gerade an die Macht gelangte rechtskonservative Regierung dafür, dass Demokratie und

Überschriften kann man auf Knopfdruck reißerischer gestalten, die Fakten darunter kann man streichen.
Pressefreiheit beschnitten werden.  Auch virtuell kündigen Journalisten, weil sie nicht manipuliert werden wollen, der Zensurhammer kreist bereits und die Gesellschaft scheint gespalten. Man startet das Spiel quasi im Endspurt der Pressefreiheit: Noch gibt es keine offizielle Zensur, noch darf man schreiben was man will. Aber das Mediengesetz wird in zwölf Wochen in Kraft treten, dann könnte die Regierung die Zeitung einfach dicht machen.

Wie kann man als Chefredakteur etwas beeinflussen? Man wählt einen Artikel aus einem Pool aus, klickt oder tippt auf eine Überschrift und bekommt sofort eine Alternative angezeigt - die z.B. ehrlicher oder reißerischer sein kann. Hier zeigt dieses Spiel sehr schön auf, welche Macht in der Wortwahl steckt. Aus dem eher lustigen "PRESIDENT STRUCK BY TOMATO" kann man auch ein bedrohlicheres "PRESIDENT VICIOUSLY ATTACKED BY REBEL SYMPATHIZER" machen. Statt "MAN ATTACKS POLICE OFFICER" heißt es "MAN DEFENDS TEENAGER, POLICE OFFICER PRESSES CHARGES" - das Spiel ist aktuell nur auf Englisch erhältlich.

Die Wahrheit ist relativ

Außerdem darf man jeden der bis zu vier Absätze mit Fakten darunter löschen, so dass vielleicht nur die halbe Wahrheit veröffentlicht wird - so kann man die Überschrift z.B. nochmal im Sinne der Opposition stärken, indem man unterschlägt, dass der Teenager vorher Rebellen-Propaganda an die Wand malte. Dann weist man jeden der vier Artikel einem Redakteur zu, der sie finalisiert und die Zeitung wird gedruckt. Sofort zeigt eine Statistik nicht nur an, wie sie sich in der Woche in den Northern Suburbs, Western Districts, Eastern Factories und Southern Docks verkauft hat.

Hinzu kommt auch, wie sich dadurch die aktuelle politische Meinung geändert hat. Schön ist, dass es eine recht

In vier Stadtvierteln wirkt sich die Wochenzeitung politisch aus.
klischeelastige, aber gesellschaftlich differenzierte Ausgangssituation mit unterschiedlichen Vorlieben sowie politischen Ansichten gibt: Im bevölkerungsreichen Süden der Arbeiter steht man der Regierung eher skeptisch gegenüber und liest am liebsten Artikel über Promis, während man im elitären Norden eher Artikel mit wirtschaftlichen Themen bevorzugt. Kann man die versnobbten Leute dort von der Rebellion überzeugen?

Aber auch das Misstrauen der Regierung steigt mit jeder veröffentlichten Wahrheit - und diese Leiste sollte man besonders im Auge behalten. Denn wer seine Botschaft nicht subtil genug veröffentlicht, gerät schnell ins Visier des Staates und muss mit dem frühzeitigen Ende rechnen. Richtig gut ist, dass dieser irgendwann auch einzelne Redakteure auf dem Kieker hat, was ebenfalls in Form einer individuellen Misstrauensleiste angezeigt wird - um sie zu schützen, sollte man ihnen nur noch weiche Themen zuweisen. Man balanciert seine Artikel und ihre Redakteure also über zwölf Ausgaben so aus, dass die Lage nicht zu früh eskaliert, aber trotzdem genug Wahrheit ans Licht kommt, dass die Bevölkerung ihre Meinung ändert.

Wie viel Zeit habe ich noch?

Schade: Die eigenen Mitarbeiter bleiben trotz persönlichem Profil und Mittagspausentalk eher blass - man vermisst mehr Interaktion sowie Identifikation.
Allerdings gerät man abseits der rein redaktionellen Abwägungen sowie politischen Überlegungen nicht in größere Gewissenkonflikte. Es gibt keine Familie im Hintergrund, die sich vielleicht Sorgen macht oder versorgt werden müsste. Obwohl die eigenen Redakteure Julie, Phil, Frank und Anne ein persönliches Profil samt Wohlfühlanzeige sowie politischer Gesinnung haben, darunter sowohl regierungstreue Loyalisten als auch Rebellen-Sympathisanten, entsteht auch hier kaum eine emotionale Bindung. Zwar lehnen diese mitunter ihnen zugewiesene Themen ab, was gut ist, aber es gibt weder persönliche Gespräche oder direkte Interaktionen abseits vom Zwang zur Berichterstattung. Sie bleiben letztlich Scherenschnitte in den Mittagspausengesprächen, die zwar witzig oder bedrückend, aber manchmal willkürlich und langweilig sein können - vor allem, wenn man schon einen Durchgang erlebt hat, wiederholt sich alles viel zu schnell.

Gelingt es in den zwölf Wochen, die öffentliche Meinung für die Rebellen zu beeinflussen und dabei nicht zu viel Misstrauen zu erregen?
Es gibt auch keinen Verleger, der die eigene Zeitung wirtschaftlich beurteilt und vielleicht einen anderen Preis oder Kurswechsel verlangt, weil sich das Blatt schlechter verkauft. Die externe Beeinflussung durch sowie Hofberichterstattung für Werbekunden wird ebenfalls nicht thematisiert. Es gibt also keinerlei finanzielle Elemente, obwohl das Spiel ja Zeitungsmanagement suggeriert - eine hohe Auflage erzielt man einfach damit, dass man die beiden Kernthemen eines Stadtteils thematisch abdeckt, was auf Dauer sehr durchschaubar ist. Das einzige Feedback kommt über Briefe von verärgerten Firmen, Promi-Agenten oder der Regierung, die sich mal süffisant, mal arrogant oder auch drohend über die Berichterstattung aufregen - was nicht nur lustig, sondern auch recht nah an die Realität der heutigen Arbeit von Journalisten herankommt, wenn sich PR & Co z.B. über "die Tonalität im Text" beschweren.

Fazit

Ich habe The Westport Independent gerade zu Beginn richtig gerne gespielt. Es simuliert auf einfache gediegene Art eine hoch interessante Situation für Journalisten - gerade jetzt, wo hierzulande von "Lügenpresse" krakeelt wird und unsere Nachbarn stückweise Demokratie und Pressefreiheit beschneiden. Dieses Spiel wirkt fast wie eine düstere Variante des Status quo in Polen: Man darf noch über einige Wochen die Themen einer Zeitung festlegen, bevor der Staat sie per Gesetz mundtot macht. Gelingt trotzdem die Rebellion? Aber so angenehm brisant und frisch die anschließende Manipulation von Überschriften samt Feedback ist, wirkt das knapp dreißigminütige Spiel nur wie eine kleine Fingerübung - es fehlt an Tiefe, mehr Interaktion sowie emotionaler Identifikation. Da war Papers, Please deutlich immersiver und atmosphärisch dichter. Und spätestens beim dritten Versuch dämpfen leider auch viele nervige Wiederholungen den Spielspaß. Trotzdem würde ich mir angesichts der vielversprechenden Ansätze einen Nachfolger wünschen, der das Thema als ausgewachsene Simulation aufgreift.

Pro

gediegenes Artdesign passt zur Nachkriegsepoche
frisches Thema Pressefreiheit & Zensur
Termin bis zum Mediengesetz sorgt für Spannung
interessante Überschriften-Manipulationen
Zeitungsthemen beeinflussen vier Stadtviertel
Mitarbeiter reagieren auf Themenzuweisung
Feedback von Staat, Firmen und PR
unterschiedliche finale Situationen
angenehme Klaviermusik

Kontra

sehr bescheidene Präsentation
zu wenig Interaktionen möglich
keine emotionale Bindung an Redakteure
Themenfindung/zuweisung wird schnell zur Routine
nervige Tutorialwiederholungen bei Neustarts
teilweise willkürliche Cafepausengespräche
keine wirtschaftlichen Elemente, kaum Personaltaktik
extrem kurzes Spiel (30 Minuten)
komplett auf Englisch
sporadische Startprobleme (iPad)

Wertung

PC

Frisches Thema, gediegenes Artdesign, interessante Manipulation von Meinungen. Aber das knapp dreißigminütige Spiel wirkt nur wie eine kleine Fingerübung - es fehlt an Tiefe und emotionaler Anbindung.

iPad

Frisches Thema, gediegenes Artdesign, interessante Manipulation von Meinungen. Aber das knapp dreißigminütige Spiel wirkt nur wie eine kleine Fingerübung - es fehlt an Tiefe und emotionaler Anbindung.

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