Warum ich mir dennoch von den Kollegen anhören muss, dass ich in den letzten Tagen Pipi in den Augen habe (als ob Snowboarder weinen würden!), liegt neben dem erhabenen Anblick der Natur auch an der Steuerung. Da wäre zum einen die überschaubare Trickkiste: Rotationsbewegungen lassen sich sehr simpel auflösen. Wer es schlicht mag, vollführt einfache Frontside-Drehungen mit einem Grab oder kann seine geraden Sprünge durch ein Tweaken (Verdrehen des Körpers) verfeinern. Wer mehr Punkte reißen will, kann mit dem Analogstick schräge Rotationen einleiten und Rodeos mit multiplen Grabs ansetzen. Die Schwierigkeit liegt in einem ganz anderen Bereich: Der Anfahrt. Denn in den späteren Challenges muss man Anfahrtswinkel und Geschwindigkeit regulieren, um nicht auf Steinflächen zu landen oder an einem Ring vorbeizufahren, die man z.B. in Rennen durchfahren muss. Zusätzlich wird ein gewisses Timing beim Absprung am Kicker (Rampe) abverlangt: Wer hier das
Beim Freestyle ist oftmals das Timing und die Anfahrt wichtig.
Zeitfenster verpasst, wird sich nur langsam drehen oder entwickelt keinen Pop (Sprungenergie). Kurz gesagt: Jeder kann hier was reißen. Aber verbissene Naturen auf Goldmedaillenjagd werden sich ihre Zahnwurzeln an den Vorgaben ausbeißen und das Zahnfleisch anschließend abraspeln. Zudem wirken G-Kräfte: Wer unsauber landet oder zu krasse Sprünge einleitet, wird quasi „angezählt“ und darf in den nächsten Sekunden keine Fehler machen. Diese zusätzliche Ebene wird auf den Anforderungsstapel für Perfektionisten ebenfalls draufgelegt. Goldmedaillen sind nur mit hohen Multiplikatoren zu erreichen, die bei jedem Sturz auf null zurückgesetzt werden. Spätestens hier trennt sich nicht der Pro vom Noob, sondern eher der Geduldige vom ADHS-ler, wenn der perfekte Lauf mindestens 30 Anläufe erfordert. Dafür ist die Freude aber umso größer, wenn etwas gelingt! Vor allen Dingen muss man hierfür auch in dem offenen Terrain die richtigen Absprungstellen aneinanderreihen.
Auch in der Luft an man eine stimmige Steuerung eingebaut.
Auch in der Luft wird dank der Steuerung ein stimmiges Gefühl vermittelt. Besonders bei den Wingsuit-Herausforderungen muss man mit dem Analogstick den „Sweet-Point“ für eine ruhige Fahrt treffen. Dieser liegt aber zwischen dem Ruhepunkt des Sticks und dem Anschlag. Nicht selten braucht man anfangs etliche Versuche, um einige Challenges zu meistern. Wer Steep spielt, wird die Dreieck-Taste, die einen sofort an den Startpunkt zurückbringt, derart abnutzen, dass man das Symbol nicht mehr erkennen wird. Dafür sind die Fahrten aber derart kurz, dass man sofort wieder drin ist. Und auch wenn sich ein Lerneffekt einstellt, hat man es meiner Ansicht am Ende leider übertrieben. Hier lauern unfassbar schwierige Wingsuit-Herausforderungen durch schnell aufeinander folgende Felslöcher, wobei man sich um die eigene Achse drehen muss, während gefühlt eine Armlänge als Platz reichen soll. Hier hat man entweder pures Glück oder besitzt die Reaktionsschnelligkeit von Fledermäusen. Wer „La Fieuse“ geschafft hat, möge doch einen Eintrag in den Kommentaren hinterlassen.
Nicht selten braucht man über 50 Versuche, um beim Wingsuit die Ziellinie zu überqueren.
Aber nicht selten hat die eigene Qual nach über 50 Versuchen zu dem anfangs erwähnten Schrei geführt, der all die vorherige Konzentration und den Druck mit einer erleichternden Freude entweichen lässt. Und auch in der Luft hat man sich wirklich alle Mühe gegeben, abwechslungsreiche Kurse zu gestalten. Überhaupt wirkt das Leveldesign angesichts der einschränkenden Umgebungen stets durchdacht. Ob Rennen durch Wälder, Freestyle-Punktejagd in engen Eisformationen, einer Abfahrt in einer stillgelegten Bobbahn, der Nordwand-Abfahrt vom Matterhorn, Halfpipe-Events, den Herausforderungen an Steilhängen, dem Balancieren auf Eisflächen, den Funparks, dem Red Bull Ultra Natural-Contest, dessen Strecke in einem von Tannen bewachsenen Hang gehämmert wurde, dem Überleben in Canyons oder den Rennen durch Dörfer: Steep ist wirklich abwechslungsreich. Und Steep treibt den Puls nach oben. Zusätzlich lockern immer wieder Bergaufgaben den Spielverlauf auf und beanspruchen im positiven Sinn sehr viel Spielzeit. Mal muss man per GPS-Daten Orte aufsuchen, mit schwierigen Sprüngen auf Dorfdächer gelangen, Schneemänner zerstören, eine singende Tanne finden oder schwierige Sprünge durch Ringe meistern.