Farpoint17.05.2017, Michael Krosta

Im Test: Shooter-Traum mit bösem Erwachen

Mit Farpoint (ab 13,89€ bei kaufen) will Sony endlich wieder Großes und Exklusives für PlayStation VR abliefern, nachdem zuletzt vornehmlich kleine Indie-Spiele und Experiences das Headset davor bewahrten, zu viel Staub anzusetzen. Wir haben uns durch den fremden Planeten gekämpft und dabei auch den neuen Ziel-Controller ausprobiert. Kann Farpoint für das Shooter-Erlebnis in VR neue Maßstäbe setzen?

Fremde statt Heimat

Na, so haben sich die beiden Wissenschaftler Dr. Grant Moon und dessen Kollegin Dr. Eva Tyson die Erforschung einer mysteriösen Energiewolke im All sicher nicht vorgestellt: Kurz vor ihrer geplanten Rückkehr zur Erde entpuppt sich das Phänomen als gigantisches Wurmloch, das die beiden samt der Forschungsstation „Pilgrim“ verschlingt und auf einem fremden Planeten wieder ausspuckt. Man selbst verfolgt das Drama aus den Augen des Piloten, der die beiden eigentlich einsammeln sollte, aber schließlich selbst mit seiner Rettungskapsel auf der neuen Welt strandet.

Als Spieler schlüpft man in die Rolle dieses Nachzüglers und begibt sich auf die Suche nach anderen Überlebenden. Zum Glück haben die beiden Wissenschaftler ein Video-Logbuch in Form von holographische Aufnahmen hinterlassen, in denen man ihren Weg nachverfolgen kann und sich schnell die Frage stellt, wie viel Zeit zwischen deren und der eigenen Ankunft wohl bereits verstrichen sein mag. Außerdem werden mit der Zeit Übertragungen rekonstruiert, durch die man Einblicke in das Habitat erhält, das beide als Unterschlupf genutzt haben. Von Leben fehlt in dieser staubigen Einöde mit ihren

Bugs...

kargen Felsformationen, Höhlen und bedrohlichen Abgründen aber zunächst noch jede Spur. Nur die vereinzelten Trümmerteile der Station erinnern an die Katastrophe. Aber wo sind alle abgeblieben?

Auf die Ruhe folgt der Sturm

Entwickler Impulse Gear lässt sich im Einstieg angenehm viel Zeit: Angefangen bei der prima inszenierten Introsequenz, in der man bereits einen ersten Eindruck von den hervorragend modellierten Gesichter und den professionellen Sprecherdarbietungen bekommt, gibt man dem Spieler genug Raum, nach den dramatischen Ereignissen erstmal anzukommen, durchzuatmen und sich mit in der fremden Welt umzusehen. Im Gegensatz zu VR-Titeln wie Until Dawn: Rush of Blood handelt es sich bei Farpoint bekanntlich nicht um eine Ballerei auf Schienen, sondern man kann sich wie in einem Call of Duty, Battlefield oder anderen klassischen Ego-Shootern frei bewegen. Zwar sollte man angesichts künstlicher Grenzen nicht die ganz große Freiheit erwarten. Trotzdem wird man innerhalb der Areale neben zahlreichen Deckungsmöglichkeiten häufig auch kleinere Alternativ-Routen entdecken.

Spätestens mit dem Auftauchen der ersten Gegner wird schnell klar, dass man das Sturmgewehr nicht nur wegen der praktischen Scan-Funktion für die Video-Logs mitschleppt. Zwar sind die kleinen Exemplare der spinnenartigen Aggro-Krabbelviehcher nicht mehr als Kanonenfutter, aber die Gefechte geben zumindest ein erstes Gefühl für den Umgang mit der Waffe. Und das ist fantastisch: Vor allem mit dem Ziel-Controller wird die ohnehin großartige Immersion noch weiter gesteigert, wenn man die Plastik-Wumme anlegt, ganz natürlich durch das Visier zielt und dabei die akkurate sowie flotte Umsetzung der Bewegungen genießt. Ja, genau SO müssen sich Shooter in VR anfühlen!

Auf Dauer anstrengend

...und noch mehr Bugs.

Trotzdem wird es auf Dauer anstrengend, wenn man – wie empfohlen – im Stehen spielt. Irgendwann schmerzen nicht nur die Beine, auch der Gleichgewichtssinn schlägt vor allem in hektischen Situationen gerne Alarm und man versucht, die Aktionen im Spiel mit der eigenen Körperhaltung auszugleichen. Zwar kann man sich tatsächlich daran gewöhnen, aber das Spielen im Sitzen bleibt trotzdem komfortabler. Auf der anderen Seite sind Immersion und Coolness-Faktor im Stehen deutlich höher. Hier muss jeder für sich selbst entscheiden, was ihm eher zusagt. Das gilt auch für die vielen Optionen, um den Wohlfühl-Faktor in VR den eigenen Bedürfnissen anzupassen. So darf man sich u.a. wieder zwischen einem geschmeidigen oder der schrittweisen Kameraführung beim Umsehen entscheiden. Oder man bewegt sich einfach nur dorthin, wohin die Waffe zeigt, was in hektischen Momenten aber nicht gut und schnell genug funktioniert.  

Bei der Verwendung des DualShocks muss man zwar gewisse Abstriche hinsichtlich des Mittendrin-Gefühls hinnehmen, aber trotzdem hat man die Bewegungssteuerung des Ziel-Controllers ordentlich auf das Standard-Eingabegerät übertragen. Denn auch hier führt man die Waffe nicht mit dem rechten Analogstick, sondern mit den Gyroskop-Sensoren in Kombination mit der Leuchtleiste. Damit erreicht man zwar nicht das grandiose Spielgefühl des Aim-Controllers, befindet sich aber näher dran als man es im Vorfeld vielleicht vermutet hätte.

Cooles Arsenal

Aber die Wummen fühlen sich nicht nur gut an, sondern sehen mit ihren deutlichen Abnutzungserscheinungen wie Kratzern und Dellen sowie dem futuristischen Design auch noch klasse aus. Das gilt vor allem für die beiden späteren Alien-Waffen, die das „geerdete“ Arsenal aus Sturm- und Scharfschützengewehr sowie einer Pump-Gun ergänzen und neben Plasma-Geschossen mitunter sogar die zeitlich begrenzte Verwendung eines regenerativen Schutzschilds erlauben. Darüber hinaus stehen in der Auswahl weitere Sekundärfunktionen wie Granatwerfer und zielsuchende Raketen zur Verfügung, wobei man Letztere manuell durch Anvisieren zur gewünschten Trefferzone führen muss. Allerdings darf man lediglich zwei Waffen gleichzeitig mit sich herumschleppen. Der Wechsel zwischen beiden erfolgt entweder langweilig auf Knopfdruck oder indem man lässig nach hinten greift. Für einen Austausch legt man seine aktuell ausgewählte Waffe dagegen einfach über das neue Modell, das man stattdessen aufnehmen will – eine schöne Mechanik, die in der Praxis aber leider nicht immer einwandfrei funktionierte. Zudem kam es manchmal zu einer De-Kalibrierung des Ziel-Controllers, so dass die Waffe im Spiel zu weit rechts oder links abgebildet wurde. Zwar lässt sich auf Knopfdruck ein Gitternetz aktvieren, mit dessen Hilfe man sich wieder ideal im Raum positionieren kann, doch ein Neustart ist in diesem Fall die bessere Wahl.

Huch, sind das etwa Bugs? Aber okay: Das Spielgefühl ist schlichtweg fantastisch!

Aber Vorsicht: Zwar gibt es Checkpunkte innerhalb der Level, doch handelt es sich dabei leider nicht um Speicherpunkte. Bricht man ein Level also vorzeitig ab, muss man ihn beim nächsten Mal wieder komplett von vorne beginnen – eine ziemlich unsinnige Design-Entscheidung, zumal die meisten Kapitel nicht gerade kurz ausfallen.

Zu wenig Abwechslung

Doch das Spieldesign zählt ohnehin nicht zu den Stärken des bisher noch unbekannten Teams, das sich auf VR-Inhalte spezialisieren will. Vor allem der wichtige Faktor „Abwechslung“ kommt bei den generischen Gefechten zu kurz: In den ersten Stunden der erfreulich umfangreichen Kampagne trifft man ständig auf die gleichen Gegnertypen. Zwar sorgt der dynamische Schwierigkeitsgrad dafür, dass man ständig gefordert wird, aber recht schnell hat man sich an dieser mangelnden Artenvielfalt satt gesehen und rollt irgendwann nur noch genervt mit den Augen unter dem Headset, wenn die nächste Welle der gefühlt ewig gleichen Käferwesen anrückt. Was war ich froh, kurz nach einem sehr imposanten Bosskampf endlich mal auf etwas anderes als diese Brut ballern zu dürfen. Gleichzeitig wird der Spielverlauf ab diesem Moment durch eine angenehme Stealth-Komponente bereichert, wenn man bewaffneten Wach-Drohnen mit ihren Suchstrahlern aus dem Weg gehen oder sich bei Gefechten mit Kampfrobotern vermehrt hinter Deckungen verschanzen muss. Doch Impulse Gear macht den gleichen Fehler nochmal: Plötzlich wird man fast nur noch von diesen neuen Gegnern attackiert. Wieder. Und wieder. Welle für Welle.

Erst zu spät werden andere Gegnertypen aufgefahren, die einem durchaus die Hölle heiß machen.

Und so verfestigt sich der Eindruck, dass die Entwickler abseits der interessanten Story mit ihren tollen Dialogen und der überzeugenden Vorstellung der Akteure leider zu wenige Ideen hinsichtlich des Spieldesigns hatte. Das fantastische Gefühl, das vor allem der Ziel-Controller verleiht, reicht alleine auf Dauer einfach nicht aus. Was Farpoint fehlt, sind mehr Höhepunkte vom Kaliber des eindrucksvollen Bosskampfes, der übrigens der erste und einzige bleiben wird. Dazu mehr Abwechslung hinsichtlich der Gegner bzw. ein besseres Gespür dafür, wann man neue Typen einführen oder mit Variationen im Spielverlauf überraschen sollte. Warum hat man z.B. nicht einfach mal eine Rail-Sequenz eingestreut, um den Trott zu durchbrechen? Auch die Scan-Funktion hätte man deutlich stärker ausbauen können, um etwa eine Datenbank der Kreaturen aufzubauen oder mögliche Schwachstellen herauszufinden. Selbst kleine Umgebungsrätsel oder weitere Anreize für die Erkundung hätten nicht geschadet. So aber verkommt die Action trotz der schicken Kulisse mit ihren sehenswerten Partikeleffekten und dem großartigen Spielgefühl schnell zu einem recht einfallslosen Wegballern von Gegnern, deren Intelligenz ebenso zu wünschen übrig lässt wie der Abwechslungsreichtum. Bei den tierischen Biestern kann man das vielleicht noch verzeihen, doch den späteren Alien-Gegnern, darunter auch Scharfschützen, hätte man gerne die eine oder andere Gehirnzelle mehr spendieren dürfen, anstatt sie vor allem durch ihr zahlreiches Auftreten gefährlich zu machen. Über Leichenberge muss man sich trotzdem keine Sorgen machen, denn die Kadaver werden bereits nach kurzer Zeit einfach ausgeblendet – schade. Auch die üblichen Probleme mit der Kollisionsabfrage rauben der ansprechenden Welt ihre Glaubwürdigkeit, wenn die Waffe in Felswänden, Kisten oder anderen Objekten verschwindet, wenn man zu nah an sie heran geht. Zudem fällt die fehlende Kantenglättung auf, die besonders auf der Standard-PS4 recht ausgeprägt ist.

Die Unreal Engine zaubert auch in VR eine ansehnliche Kulisse mit schicken Licht- und Staubeffekten auf den Bildschirm.

Dort muss man auch mit Abstrichen bei den Texturen leben, wodurch die Kulisse auf der Pro-Variante einfach einen Tick schöner, schärfer und detaillierter wirkt.   

Auf Punktejagd

Abseits der Kampagne, die selbst im Finale nur noch eine letzte Gegnerwelle und damit keinen spielerischen Höhepunkt mehr auffährt, darf man im Herausforderungsmodus in bekannte Gebiete zurückkehren, um dort mit Waffen nach Wahl sowie neuen Gegner-Konstellationen auf Punktejagd für die Online-Bestenliste zu gehen. Eine nette Ergänzung, die man ruhig noch um eine lokale Komponente im Stil von Space Pirate Trainer hätte erweitern dürfen, wo Spieler nacheinander antreten und ihren Namen in der Highscore-Tabelle verewigen dürfen.

Außerdem wird auch eine Koop-Option geboten, in der man sich gemeinsam den Gegnern stellen und sich gegenseitig den Rücken freihalten kann. Bisher hatten wir mangels Mitspielern noch keine Möglichkeit, den Modus auszuprobieren. Mit einer guten Server-Verbindung dürfte es allerdings Laune machen, sich zu zweit durchzuballern.

Fazit

Farpoint sieht dank Unreal-Power nicht nur klasse aus, es spielt sich auch fantastisch. Vor allem mit dem neuen Ziel-Controller fühlt sich die Shooter-Action grandios an! Umso bedauerlicher ist es, dass es Impulse Gear nicht geschafft hat, ein ebenso fantastisches Spiel rund um die gelungene Mechanik zu erschaffen. Über weite Strecken wird mit ewig gleichen Gegnerwellen und wenig Variationen nur generische Baller-Kost geboten, der es an Abwechslung und Höhepunkten mangelt. Dabei deutet der erste und leider einzige wirkliche Bosskampf bereits das enorme Potenzial an. So aber muss man ganz klar sagen: Schon mit dem DualShock verliert Farpoint einen guten Teil seiner Faszination, obwohl die Bewegungssteuerung ordentlich auf den Standard-Controller übertragen wurde. Würde auch noch der VR-Faktor und damit der Immersions-Bonus wegfallen, wäre man wahrscheinlich nur noch ein Kandidat für den unteren befriedigenden Bereich. Dass es am Ende doch noch gerade so für eine gute Wertung reicht, verdankt man neben der interessanten Story sowie der ansprechenden Inszenierung vor allem dem famosen Shooter-Erlebnis mit dem Ziel-Controller, das für PlayStation VR derzeit einzigartig, mit einem Preis von knapp 100 Euro aber auch ganz schön kostspielig ist. Gleichzeitig nährt Farpoint aber die Hoffnung, dass es irgendwann einen Titel für Sonys VR-System geben wird, der genauso genial designt wird wie dieser Controller. Denn dann erreicht man mit dem Shooter in virtueller Realität auch endlich eine Intensität, die Schwergewichten wie Battlefield oder Call of Duty gefährlich werden könnte.

Pro

großartiges Spiel- und Mittendrin-Gefühl (mit Ziel-Controller)
schicke Kulisse mit sehenswerten Partikel-Effekten und toller Architektur
natürliches Zielen über Kimme/Korn möglich
keine spürbare Verzögerung bei Aktionen und Bewegungen
viele VR-Anpassungsmöglichkeiten
Schwierigkeitsgrad passt sich dynamisch an
großartige Figurenmodelle
gelungene Inszenierung (Video-Logs, Zwischensequenzen)
interessante Story
Herausforderungs-Modus für Highscore-Jäger
stylische Waffenmodelle
ordentlicher Umfang
Koop-Modus
sehr gute deutsche Sprecher

Kontra

mangelnde Gegnervielfalt (vor allem in den ersten Stunden)
Scan-Funktionen kommen etwas zu kurz
viele Gegnerwellen, wenig Höhepunkte (Bosskämpfe)
nur rudimentäre KI
fehlende Abwechslung innerhalb des Spielverlaufs
keine Kollisionsabfrage zwischen Waffen und Objekten
kein Speichern innerhalb der Levels möglich
Gegner-Kadaver werden schnell ausgeblendet
Spielen im Stehen auf Dauer sehr anstrengend
keine lokale Bestenliste für mehrere Spieler
mitunter stark ausgeprägtes Kantenflimmern (vor allem auf Standard-PS4)
vereinzelte De-Kalibrierung des Controllers

Wertung

PlayStationVR

Vor allem mit dem Ziel-Controller glänzt Farpoint mit einem exzellenten Shootergefühl in VR! Leider mangelt es an Abwechslung und Höhepunkten.

VirtualReality

Vor allem mit dem Ziel-Controller glänzt Farpoint mit einem exzellenten Shootergefühl in VR! Leider mangelt es an Abwechslung und Höhepunkten.

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