Aven Colony26.07.2017, Mathias Oertel
Aven Colony

Im Test: Klassischer Städtebau im All

Seit Jahrzehnten träumt die Menschheit davon, außerirdische Welten zu besiedeln. Mit Aven Colony (ab 5,40€ bei GP_logo_black_rgb kaufen), das im Prinzip nur von einem Quartett unter dem Namen Mothership Entertainment entwickelt wird, kann dieser Traum zumindest im Rahmen einer futuristischen Aufbau-Strategie wahr werden. Wir haben den intergalaktischen Städtebaukasten als Gouverneur begleitet.

Alle Mann an Deck

Es beginnt mit einer rudimentären Basisstation, auf der einige wesentliche Rohstoffe an den Standort der neuesten Kolonie auf dem mitunter erdähnlich aussehenden Planeten Aven Prime transportiert werden. Darunter sind ein paar Nahrungsmittel, Wasser, Nanite (als Hauptbaustoff für Gebäude) sowie das, was im Englischen gerne als “menschliche Rohstoffe” (human resources) bezeichnet wird: Arbeitskräfte. Denn mit Ausnahme von nur wenigen Gebäudetypen, werden stets Kolonisten benötigt, um Rohstoffe zu gewinnen, weiterzuverarbeiten oder auch nur, um die Wartung zu erledigen. Damit die Kolonisten, die es im Gegensatz zu den verschiedenen Arbeits- bzw. Bürgerklassen in der Anno-Serie nur in einer grundsätzlichen Variante gibt, bei Laune gehalten werden, müssen verschiedene Bedürfnisse erfüllt werden.

Universell geeignete Anbaugebiete gibt es nicht - mitunter hat man sogar keine Chance auf einen sinnvollen Gemüsegarten...

Das geht los bei Nahrung und Wasserversorgung, geht weiter bei sauberer Luft oder adäquater Freizeitbeschäftigung und endet erst bei möglichst kurzen Arbeitswegen und Sicherheit vor Verbrechen. Da viele dieser kleinen Bedingungen aber mitunter voneinander abhängen und man auch auf Nanite als häufig knappen Baustoff achten muss, kann man nicht wie wild drauflos bauen, sondern muss ggf. überlegen, was man priorisiert. Sprich: Man hat hier zwar nur hunderte statt hunderttausende Zivilisten, über deren Gedeih und Verderb man entscheidet. Doch innerhalb dieser reduzierten Skala ist Aven Colony als intergalaktischer Städtebauer á la SimCity bzw. Cities Skylines konzipiert.

Außerirdisches Cities Skylines

Doch es gibt auch zwei andere Punkte, bei denen man sich am derzeitigen Genre-Vorreiter von Colossal Order orientiert: Steuerung und Kulisse. Erstere ist auf dem PC klar strukturiert und bietet hierarchische Navigationsleisten, in denen man sich schnell zurechtfindet, sobald man die Piktogramme der ersten Navigationsstufe verinnerlicht. Und auf Konsole bietet man ein Radialmenü, das die unter dem Strich überlegene PC-Steuerung zwar nicht komplett ersetzen kann, sich aber als komfortabel zeigt. Der andere Bereich, in dem man sich an den demnächst auch auf PlayStation 4 erscheinenden Städtebau-Primus anschmiegt, ist die Kulisse, die in der höchsten Zoomstufe den gleichen Diorama-Effekt samt Weichzeichner im Hintergrund aufbaut. Natürlich entwickeln die unterschiedlichen Klimazonen mit extraterrestrischer Flora und Fauna sowie ihren schroffen Gebirgsformationen schnell eine eigenständige Stimmung. Doch von der grundsätzlichen Struktur könnte Aven Colony auch als außerirdischer Bruder von Skylines durchgehen.

Als Gouverneur muss man u.a. mit Gefahren wie Giftwolken, Häuser vernichtenden Sporen oder angreifenden Riesenwürmern fertig werden.

Da die Atmosphäre von Aven Prime mit ihrer Kohlendioxid-Konzentration für Menschen in dieser Form tödlich ist, sind die Kolonien, die man im Lauf der über elf Kapitel (inkl. zwei kurzer Tutorial-Missionen) laufenden Kampagne oder dem Sandkasten-Modus mit neun Karten aufbaut, ein hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenes Konstrukt. Dort kommt den Glastunnels eine besondere Bedeutung zu: Über sie kommen die Kolonisten nicht nur gefahrlos von ihrem Wohnort zu ihrer Arbeit, sondern die verschiedenen Gebäude werden auch mit dem nötigen Strom oder Sauerstoff versorgt. Natürlich kann man die verschiedenen Bauvorhaben auch dicht an dicht setzen, um sich die Kosten für die Tunnel zu sparen. Doch über kurz oder lang werden Beschwerden auflaufen, dass Wege zum jeweiligen Arbeitsplatz zu weit sind - es scheint, dass die Kolonisten einen über 15 Felder laufenden Tunnel einem Weg vorziehen, der zwar kürzer ist, sie aber durch verschiedene Gebäude führt. Davon abgesehen sind die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung bei den eventuellen Abhängigkeiten der 40 Gebäude (plus unterschiedliche Ausbaustufen), die man in den 13 Hauptkategorien findet, gut herausgearbeitet sowie logisch.

Quid pro Quo

Produktionsstätten z.B. sorgen für Luftverschmutzung, der man mit der Installation von Filteranlagen oder Ansaugschächten begegnen kann, wobei Erstere das teurere Konzept darstellen. Letztere wiederum sind anfällig für Giftgaswolken, die sich dann in der gesamten Kolonie verteilen können. In vielen Bereichen sollte man das Für und Wider abwägen und zumindest in der Kampagne nicht ohne Rücksicht auf Verluste losbauen, was die Nanites hergeben. Denn ist die Zufriedenheit der Bevölkerung durch variationslose Nahrungsversorgung, Stromausfälle Luftverschmutzung etc. erst einmal stark gesunken, ist sie nur schwer wieder in den Griff zu kriegen. Das wiederum wird in zyklischen Gouverneurs-Wahlen wichtig, da die Kolonisten darüber votieren, ob man seinen Job weiter machen darf. Dieses System ist ähnlich oberflächlich wie bei Urban Empire und mangels Wahlkampf-Optionen eigentlich nur ein Effektivitäts-Indikator. Lässt man sich jedoch Zeit beim Aufbau, wird man trotz Umwelteinflüssen wie Angriffen außerirdischer Lebensformen, Pilzbefall, fieser Gewitter oder kleinen Meteoritenstürmen nur sehr selten in unruhige Fahrwasser kommen. Daher ist es auch kaum nötig, sich die übersichtlichen Overlays mit ihren Informationen anzuschauen oder mit Gesetzen bzw. Regelungen auf den Energieverbrauch, die Essgewohnheiten oder sonstige Verhaltensweisen Einfluss zu nehmen.

Es gibt haufenweise nützliche Overlays, um die Auswirkungen seiner Bauvorhaben anzuzeigen. Doch die Anforderungen der Kolonisten sind in eigentliche jeder Mission gleich.

Was fehlt, ist eine gewisse Zufälligkeit innerhalb der Bevölkerung, die sich von Karte zu Karte in unterschiedlicher Ausprägung zeigen könnte. In den arktisch anmutenden Gebieten z.B. könnte der Energieverbrauch höher liegen, da mehr geheizt wird. Oder es gibt bestimmte Nahrungsmittel, die von der Bevölkerung boykottiert werden, während andere Teile der Kolonisten bestimmte Arbeitsplätze meiden. Es gäbe sicherlich zahlreiche dieser Modifikationen, die den Verlauf interessanter gestalten würden. Die Herausforderung liegt daher eher in den spezifischen Eigenheiten jeder Karte. Mal liegen die für effektive Stromerzeugung genutzten geothermischen Kanäle sehr weit auseinander, so dass man das Gebiet der Kolonie entweder schnell erweitern oder auf andere Energieerzeugung umstellen muss. Solar fällt in der Winterphase allerdings aus und Wind hat auf Dauer eine verheerende Kosten-Nutzen-Effizienz. Auf anderen Karten wiederum lässt sich ausschließlich für Kolonisten ungeeignete Nahrung finden oder herstellen, so dass man auf Importe angewiesen ist, die man eintauschen kann, was ab einer bestimmten Bevölkerungszahl zu einer nicht unterschätzenden Herausforderung wird. Doch selbst diese Probleme hat man als erfahrener Gouverneur irgendwann im Griff, so dass der Aufbau trotz unterschiedlicher Schauplätze von einer gewissen Routine eingeholt wird.

Kampagne vs. Sandkasten

In der Kampagne wird dies durch "Missionen" kompensiert. Dahinter verbergen sich zumeist kleine Meilensteine wie bestimmte Einwohnerzahlen oder eine festgelegte Minimalzahl dieser oder jener Gebäude, kann aber auch der Im- oder Export bestimmter Güter sein. So bekommt man immer wieder eine Karotte vor die Nase, die einen zum Weiterspielen bewegt und die Motivation trotz des eher entspannenden als fordernden Aufbaus aufrechterhält. Im Sandkasten-Modus kann man sich durch zu erreichende Bevölkerungszahlen ebenfalls "Leitplanken" setzen lassen. Doch hier hat man ein paar zusätzliche Optionen zur Verfügung, um auf den Spielverlauf Einfluss zu nehmen. Dazu gehört der allgemeine Schwierigkeitsgrad, Ressourcen zum Start, wie schwer die Bevölkerung bei Laune zu halten ist und einiges mehr. Doch unter dem Strich sind dies alles mehr oder weniger oberflächliche Strukturen, auf die man Einfluss nehmen kann. Ein klassischer Szenario-Editor ist ebensowenig am Start wie eine Einbindung des Steam-Workshop am Rechner. Das wiederum wäre ein

Im Sandkasten-Modus kann man vom Start weg auf jeder Karte starten und Bedingungen vorgeben.

probates Mittel, um Aven Colony auch über den unterhaltsamen Aufbau hinweg langfristig interessant zu machen - wie es bei Cities Skylines der Fall ist.

Die Unterschiede zwischen PC- und Konsolensystemen halten sich in überschaubaren Grenzen. Am Rechner bekommt man naturgemäß die im Detail bessere Grafik und die unter dem Strich gelungenere Steuerung. Das reicht in der Summe allerdings nicht aus, um sich wertungstechnisch entscheidend von PS4 oder One abzusetzen, da sich die vereinzelten Pop-ups von Gebäuden bei schnellen Kamerafahrten in Kombination mit der höchsten Zoom-Stufe nicht negativ auf den Spielverlauf oder den Spaß auswirken und die Radialmenüs ebenfalls eine gute Kontrolle erlauben. Beiden gemeinsam ist übrigens die nicht immer saubere Übersetzung der deutschen Texte. Lokalisierte Sprachausgabe gibt es nicht: Dialoge und Anweisungen tönen auf Englisch aus den Lautsprechern.

Fazit

Aven Colony macht Spaß, keine Frage - das Entwickler-Quartett von Mothership Entertainment hat einen interessanten Städtebau im All abgeliefert. Die Zusammenhänge sind logisch, die Ressourcen-Wege und -Anforderungen sind klar strukturiert und mit den außerirdischen Schauplätzen auf Aven Prime bekommt der Aufbau ein exotisches Flair. Doch um den Genreprimus Cities Skylines herauszufordern, fehlt letztlich doch einiges, obwohl man sich sowohl beim ansehnlichen Dioramadesign in der höchsten Zoomstufe als auch der hierarchischen Menünavigation am PC bzw. dem Radialmenü auf Konsolen am vermeintlichen Vorbild orientiert. Insofern man nicht wie ein Wilder durch die Botanik baut, sondern sich Zeit lässt, wird man von den im Vordergrund stehenden sowie auf die Moral Einfluss nehmenden Bedürfnisse der Kolonisten nur selten vor schwierige Situationen gestellt. Was auch daran liegt, dass sich zwar die Basisvoraussetzungen der neun Gebiete ändern, die Bevölkerung aber stets die gleichen Wünsche in identischer Ausprägung zeigt. Im Sandkasten-Modus hingegen kann man wenigstens noch ein paar zusätzliche Optionen festlegen, die jedoch beim langfristigen Spiel kaum Auswirkungen haben. Ein Missions-Editor und vor allem die Einbindung in den Steam-Workshop am PC samt Modifikations-Tools hätten hier Wunder gewirkt. Unter dem Strich wird man als Gouverneur auf Aven Prime gut unterhalten, doch im Zweifelsfall wende ich mich auch auf Konsole lieber Cities Skylines zu.

Pro

interessanter Städtebau im All
ansehnliche Kulisse, u.a. mit dynamischem Tag-/Nachtwechsel
40 Gebäude, davon viele mit verbesserten Stufen möglich
Umweltgefahren
Sandkasten-Modus
anständiger Aquarium-Effekt
gelungene Steuerung mit hierarchischer Navigation am PC und Radialmenü auf Konsolen

Kontra

zu wenig Variation innerhalb der Kampagne
Bevölkerung stets mit identischen Bedürfnissen
kein Missionseditor
keine Mod-Tools oder Anbindung an Steam-Workshop
spartanische Missions-Parameter im Sandkasten-Modus

Wertung

PC

Prinzipiell unterhaltsamer Städtebau vor extraterristrischem Hintegrund mit ansehnlicher Kulisse und gelungener Steuerung, dem man aber hinsichtlich der Missions-Variation die geringe Teamgröße anmerkt.

PlayStation4

Prinzipiell unterhaltsamer Städtebau vor extraterristrischem Hintegrund mit ansehnlicher Kulisse und gelungener Steuerung, dem man aber hinsichtlich der Missions-Variation die geringe Teamgröße anmerkt.

XboxOne

Prinzipiell unterhaltsamer Städtebau vor extraterristrischem Hintegrund mit ansehnlicher Kulisse und gelungener Steuerung, dem man aber hinsichtlich der Missions-Variation die geringe Teamgröße anmerkt.

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