Verschachtelte Labyrinthe
Das Positive: Die Spielwelt ist ähnlich verschachtelt, man erlebt also auch die angenehmen Déjà-vus, wenn man einen bekannten Ort aus anderer Richtung wieder entdeckt, weil man eine Abkürzung findet, eine Leiter runtertritt oder ein Tor öffnet. Allerding stellt sich bei der Erkundung der Areale viel früher eine grafische Gewöhnung ein. Obwohl es einige monumentale Aussichten gibt, kann das durchwachsene Artdesign allerdings keine Sogkraft entfalten. Schon das Gefängnis wirkt steril und das wird in den ersten Eis- sowie Waldgebieten zwar visuell vielfältiger, da gibt es tatsächlich mal Wind und Partikeleffekte, aber die Oberflächen glänzen künstlich und technisch gibt es einige Defizite von Pop-ups bis hin zu sporadischen Rucklern sowohl auf PS4 Pro als auch One X. Sehr lieblos wirken zudem die bruchstückhaften Texte mit ihren Beschreibungen von Natur, Story oder Umgebung, die man an einigen Stellen findet.
Man ist in der Schulterperspektive unterwegs, um zunächst aus der Distanz mit diversen Schusswaffen und Granaten zu
Gekämpft wird aus der Schultersicht ohne Deckungsfunktionen.
agieren, bevor die Gefechte nahtlos in den Nahkampf mit Finishern wechseln können - der ist zwar brachial, aber weit entfernt von den reaktiven Möglichkeiten der Soulsreihe. Je nach Klassenwahl startet ihr übrigens mit Dolchen, Äxten oder Schwertern auf dem Rücken. Der Spielrhythmus ist inklusive der Waffenwechsel und Feindfixierungen angenehm flüssig, aber gerade beim einzigen neuen Aspekt, den Schusswechseln, viel zu statisch. Und warum darf ich meine Fernwaffen nur an den Obelsiken wechseln, an denen ich wiederbelebt werde? Immerhin kann man bei gedrückter Schusstaste einen Spezialangriff wie sehr effiziente Feuerstöße mit dem Karabiner einleiten, der "Energie" verbraucht, und es ist möglich, die Gliedmaßen der Feinde abzutrennen. Das war es aber auch schon.
Statische Gefechte
Die Schulterausrichtung der Waffe lässt sich nicht wechseln, in die Hocke oder in eine liegene Haltung geht es ebenfalls nicht und es gibt auch kein Deckungssystem oder akrobatische Manöver neben der Ausweichrolle. Und warum hat man nicht zumindest die Erkundung freier gestaltet? Die Vertikale findet gar nicht statt, obwohl das gerade in einer futuristischen Welt mit Jetpack & Co gut gepasst hätte. Man kann also weder über hüfthohe Hindernisse springen noch die eigentlich nützlichen Laserbarrieren verschieben. Es kommt zu recht monotonen Ballereien, bei denen man die Feinde aus der Distanz mit Projektilen, Lasern & Co eindeckt, sobald die Zielerfassung rot leuchtet, während man immer wieder von links nach rechts hinter einen Felsen oder eine Säule in Deckung geht; die Feinde klettern keine Leitern
Obwohl es durchaus monumentale Aussichten gibt, kann die Spielwelt auf lange Sicht nicht faszinieren.
hoch oder runter, verfolgen nur selten konsequent und manche haben das Bewegungsprofil einer Schildkröte. Immerhin gibt es fiese Fallen, die plötzlich aus dem Boden schießen, aber die fairerweise zu erkennen sind, und die Munitionsknappheit sorgt manchmal für Engpässe.
Die Aufstufung der Attribute ist unheimlich wichtig, um mehr Schaden zu versursachen. Umso ärgerlicher, dass bei diesem Fokus auf Schusswaffen die Stärke noch so relevant für viele Waffen ist - mein Fährtenleser, der als Fernkämpfer beschrieben wurde, startete mit sechs Punkten und konnte viele Wummen lange Zeit nicht effizient einsetzen. Dass man schwere Schrotflinten so einschränkt, kann ich ja noch verstehen, aber Pistolen? Hinzu kam, dass über fünf Stunden (!) keine Karabiner oder Gewehre in Truhen zu finden waren. Auch wenn ich eine andere Waffe wie die Waldläuferpistole erfolgreich einsetzen konnte: Ich habe mich geärgert, dass ich nicht mit einem Wanderer, Söldner oder Plünderer gestartet bin, die höhere Basiswerte in der Stärke haben. Es ist nämlich nicht so, dass man im Nahkampf weniger Chancen hätte. Man kann überflüssige Flinten übrigens zerlegen und alles mit Zutaten in mehreren Stufen aufrüsten; außerdem kann man so genannte Aspekte aktivieren, die Spezialfähigkeiten freischalten.
Hoher Anspruch, wenig Identität
Toadman Interactive hat ein "gnadenloses" Abenteuer angekündigt und kann das zumindest hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades bestätigen. Der erste Boss "Huskarl-Invasor" rennt einen über den Haufen, wenn man nicht sofort wegrollt und verlangt Konzentration, so dass man möglichst seinen verwundbaren Rücken anvisiert - danach wird es immer kniffliger, auch wenn der zweite Boss schon zu sehr wie eine Kopie des ersten wirkt; kein Vergleich zu den bizarren Kreaturen
Die Schusswechsel laufen alle ähnlich ab.
der Soulsreihe oder Nioh. Trotzdem: Wer sich zu früh vorwagt, kann sehr schnell sterben. Und zur Motivation trägt bei, dass man auch kleine Fortschritte innerhalb der Entwicklung seiner Fähigkeiten oder beim Tausch einer Waffe im Kampf spürt. Nur bei der Rüstung wird es wieder statisch: Man kann sich nicht manuell einkleiden, sondern findet ab und zu automatisch aktivierte Rüstungen oder kann an Obelisken permanent bestimmte defensive Werte steigern. Warum habe ich da keinen Einfluss?
Was viele bei der Diskussion über die Soulsreihe vergessen, wenn sie über die Schwierigkeit, die Bosse, den Kampf oder die zig Tode sprechen, ist die geniale Weltschöpfung mit ihren vielen Geheimnissen. Erst die kreative Vision hinter dieser Fantasy macht sie so anziehend. Erst die vielen magischen Momente abseits (!) der Klingentänze sorgen für diese Sogwirkung. Man kann zwar ein Dark Souls über seine Spielmechanik kopieren, wie etwa in
Lords of the Fallen, aber damit es keine seelenlose Hülle bleibt, braucht es auch kreatives Feuer auf Seiten des Storytellings, des Artdesigns und der Weltkonzeption. Und all das fehlt Toadman Interactive. Das unabhängige Studio aus Stockholm hat sich da zu viel vorgenommen. Vielleicht brauchen sie noch etwas Zeit. Auch Deck 13 konnte sich erst im zweiten Anlauf mit The Surge vom japanischen Original emanzipieren.