Club Football 200507.11.2004, Jörg Luibl
Club Football 2005

Im Test:

Alle Welt schaut immer noch auf den Zweikampf zwischen PES4 und FIFA 2005. Mal erobert Konami, mal EA die Verkaufscharts. Dabei ist völlig untergegangen, dass es in der zweiten Liga des virtuellen Fußballs eine Wachablösung gegeben hat: Sonys TIF 2005 muss sich Codemasters Club Football 2005 geschlagen geben.

Zweite Liga

Pro Evolution Soccer 4 ist göttlich, FIFA 2005 sehr gut. Wer soll sich da noch mit Club Football 2005 beschäftigen, das beiden Konkurrenten klar unterlegen ist? Machen wir es kurz: Der absolute Bayern- oder Real-Fan, der seinem Verein auch virtuell die Treue halten und schnell ein paar Tore schießen will. Ihr habt die Wahl zwischen 21 verschiedenen Versionen, die alle europäischen Top-Teams

Edle Menüs, coole Tricks - aber welcher Bayer soll das sein? (PC)
abdecken. Obwohl das angesichts der Teilnahme von Dortmund und Hamburg etwas zu viel versprochen ist; immerhin könnt ihr die beiden in Liga und Superliga selbst wieder an die Spitze schießen.

Letztes Jahr haben wir dem Kick 68% gegeben. Dieses Jahr packen wir noch mal ein Prozent drauf - damit schlägt man TIF 2005 um satte zehn Prozent und sichert sich Platz 3 in der virtuellen Fußball-Liga. Wie ist das möglich? Codemasters hat die Kritik in einigen Bereichen ernst genommen: Das fängt schon bei den unterschiedlichen Intros an, die jetzt je nach Version stimmungsvolle Fanmärsche zum Stadion samt der Architektur der Fußballtempel zeigen. Hier bietet man gegenüber dem Vorjahr endlich einen Hauch von Atmosphäre. Die vergeht allerdings wieder nach dem Anpfiff mit Breitners stocksteifen Einleitungen und Marcel Reifs emotionlosen Kommentaren. Aber man hat auch in anderen Belangen zugelegt, so dass das Spiel insgesamt durchaus gereift ist.

Ein Strauß an Neuerungen

Die Menüführung ist edel, es gibt mehr taktische Optionen als bei FIFA (inklusive Manndeckung), die Statistiken sind detailliert und das freizuspielende Vereinsmaterial wurde aufgestockt: Neben der Club-Geschichte sowie Infos über den Kader locken kleine Filmchen mit berühmten Tor-Delikatessen, die Basler, Ricken & Co mit einigen Glanzlichtern ins Gedächtnis rufen, sowie eine virtuelle Stadiontour. Allerdings dürften die Ultras unter den Fans selbst diese netten Dreingaben in und auswendig kennen und mit einem Blick auf ihre Merchandise-Schatzkisten nur müde lächeln. Irgendwie fehlen hier die besonderen und wirklich einzigartigen Zugaben. Wie wär´s nächstes Jahr mit Exklusiv-Interviews? Trainingskamera? Fan-Gesänge zum Runterladen?

Aber spielerisch hat sich auch etwas getan: Zwar erinnern die Steuerungsbelegung sowie das Bewegungs- und Schussrepertoire immer noch frappierend an Pro Evolution Soccer 4 (flache und hohe Pässe in die Tiefe, zweiten Verteidiger hinzuziehen, Lupfer etc.), aber es gibt einige Zusätze. Ihr

Einige Stars sind sofort zu erkennen, viele andere sind einfach nicht markant genug porträtiert. (Xbox)
könnt jetzt Schüsse besser antäuschen, leichter dribbeln, deutlich schneller sprinten, verschiedene Kopfbälle ansetzen, schärfer in den Strafraum flanken und auf aktivere Mitspieler zählen, die schon mal von alleine in den freien Raum vorstoßen - die Offensiv-KI ist besser geworden.

Allerdings fühlen sich immer noch alle Spieler gleich an - egal ob Balltänzer Ronaldo, Flankengott Figo oder ein Durchschnittskicker der Reserve. All die feinen Spielerdaten und Detailwerte, die ebenfalls deutlich an PES4 erinnern, kommen auf dem Platz nicht zur Geltung; man vermisst einfach die Individualität. Daher schrumpfen die edlen Tabellen schnell zur Fassade.

Präzisionsauslöser?

Hinzu gekommen ist auch der "Precision-Trigger", mit dem eure Stars millimetergenaue Bewegungen auf den Platz zaubern sollen und in der Verteidigung einen Angreifer in der Rückwärtsbewegung  fokussieren. Letzteres zeigt kaum Erfolge und bei Ersterem sind die Möglichkeiten in der Offensive weder spektakulär noch besonders ansehnlich oder spielerisch sinnvoll. Auch ohne diese schlecht animierten Zentimeter-Dribblings kommt man gut voran. Und auf der Xbox sind sie viel zu umständlich über den schwarzen Button zu erreichen - dieses wohlklingende Feature hätte man sich sparen können. Trotzdem: Club Football spielt sich insgesamt dynamischer als der zähe Vorgänger, der Ball rollt schneller durch die Reihen, TIF 2005 lässt man alt aussehen.

                

Und warum geben wir dann "nur" 69%? Nur ein Prozentchen mehr als im Vorjahr? Weil das Spielgefühl den echten Fußballer einfach nicht satt macht, weil einige Stars trotz fotorealistischer Texturen nicht richtig getroffen werden (wo ist Ronaldos Zahnlücke?), weil die Fangesänge trotz authentischer Schlachtrufe knackiger sein könnten, weil die Freistöße zum Unspektakulärsten gehören, was es im virtuellen Fußball gibt - die Perspektive gleicht

Leider werden die Torhüter ihren realen Pendants weder in Sachen Animation noch Haltkunst gerecht. (Xbox)
der bei Ecken und entfacht kaum die Anspannung, die ein Beckham-Antritt aus 18 Metern auslösen sollte; auch hier vermisst man die bereits erwähnte Individualität der Spitzenspieler.

Vor allem aber, und das ist der wichtigste Punkt, weil die Ballphysik trotz einiger Verbesserungen in Sachen Flankenschärfe und Schnitt immer noch enttäuscht -  das Leder lässt jegliche Schwere vermissen, präzise Schüsse sind kaum möglich. Man hat das Gefühl, einen Federball mit 200 km/h durch die eigenen Reihen zu jagen. Hätte Codemasters hier physikalischen Pfeffer aufgetischt, wäre Club Football sicher in höhere Regionen vorgestoßen. Außerdem reagiert die Schuss-Taste selbst mit der aufladbaren Balkenanzeige viel zu empfindlich, so dass feine Schlenzer oder gezielte Abschlüsse kaum möglich sind.

Enttäuscht sind wir auch von den Torhütern: Weder die Animationen noch die KI kann mit Realismus überzeugen. Da werden Volley-Abnahmen vom Elfmeterpunkt oder Kopfballraketen aus fünf Metern ganz locker abgefangen - einfach so, ohne Abpraller, ohne einen Hauch von Hektik. Aber gerade diese Unberechenbarkeit im Strafraum ist es ja, die z.B. PES4 so auszeichnet. Und wo wir die offensive KI noch gelobt haben, muss die defensive gleich einen großen Rüffel einstecken: Die Flügelverteidiger ziehen sich meist passiv bis auf die Fünfmeterlinie zurück, ohne den Stürmer anzugreifen. Der kann manchmal locker bis in den Fünfmeter-Raum laufen und dort in einer unrealistischen Kerze noch über den Torwart lupfen.

Spielumfang

Zwar fehlt auf allen Systemen ein Online-Modus, aber in Sachen Spielumfang hat Codemasters

Ganz neu: der Trainingsplatz. Hier könnt ihr alle Feinheiten einstudieren. (PC)
aufgeholt: Endlich gibt es ein freies Training, um Doppelpass, Finten und Schusstechnik zu üben - angesichts der empfindlich leichten Ballphysik ist das auch bitter nötig. Hinzu kommt der neue Karrieremodus, in dem ihr einen jungen Profi nach Maß erstellen könnt, um ihn im Kader eures Teams als Neuverpflichtung zu etablieren. Nachdem ihr ihn mit dem Editor von Kopf bis Fuß euren Wünschen angepasst habt, dürft ihr auch aus einem Pool an Punkten seine Fähigkeiten festlegen. Danach liegt es an euch, ob ihr in Spiel für Spiel zum Stammspieler aufsteigen lasst. Ihr steuert nur diese Figur und könnt diese immer weiter verbessern.

Sehr reizvoll ist auf den ersten Blick auch das Szenario: Hier könnt ihr in klassische Begegnungen der Clubgeschichte eingreifen, um das Blatt zu wenden. Meist ist schon ein bestimmtes Ergebnis erreicht und muss von euch gehalten oder korrigiert werden. Das ist wirklich innovativ und hätte sicher auch viel Spaß gemacht, wenn man nicht einen schweren Fehler begangen hätte: Man spielt all diese historisch brisanten Matches mit dem aktuellen Kader! Also das Champions League-Halbfinale aus dem Jahr 2001 zwischen dem FC Bayern und Real Madrid tatsächlich mit Ballack und Ze Roberto - das ist ein Dolchstoß in das Herz aller echten Fans. Gerade eine Club-Edition, die sich an treue Anhänger richtet, hätte hier die alten Profis aufstellen müssen.

             

Fazit

In Zeiten von Genialität hat es das Mittelmaß schwer. Aber immerhin bleibt festzuhalten, dass sich Club Football 2005 dieses Jahr den dritten Platz in der Fußballhierarchie erkämpft hat - es ist besser als TIF 2005. Codemasters hat aus den Fehlern der ersten Version gelernt und die Präsentation atmosphärisch aufpoliert. Auch in Sachen Umfang schlägt man dank Training, Karriere, Szenarien und Ligen den enttäuschenden Sony-Kick. Aber was hilft das alles, wenn auf dem grünen Rasen keine Stimmung aufkommt? Die Kommentatoren sind miserabel, die Schüsse gleichen Federballraketen und die Torhüter halten und bewegen sich unrealistisch. Pro Evolution Soccer 4 und FIFA 2005 spielen einfach auf einem anderen Niveau, in einer ganz anderen Spaßliga. Vor allem die schlechte Ballphysik und die lethargische Defensiv-KI dürften selbst eingefleischte Club-Fans nur mit Murren verdauen. Der einzige Reiz dieses Kicks besteht wirklich im Freispielen der vielen filmischen Ausschnitte, denn die können wenigstens für ein paar Sekunden echten Fußballzauber entfachen.

(Die PC-Version lief bei uns nur in Zeitlupe und zeigte böse Grafikfehler - selbst bei einer niedrigen Auflösung von 800x600. Codemasters konnte uns noch keine technische Hilfe geben oder eine andere Version zusenden, so dass wir den Test vorerst auf Eis legen. Deshalb gibt es lediglich ein paar Bilder der PC-Fassung. Anm. d. Red.)

Pro

scharfe Flanken möglich
einfache Steuerung
freispielbares Vereinsmaterial
historische Matches nachspielbar
Profi-Karriere möglich
fünf Schwierigkeitsgrade
stimmungsvolle Intros
detaillierte Statistiken
gute Menüführung
dynamischer Spielaufbau
freies Training

Kontra

viele gleiche Tore
kein Online-Modus
Ball wirkt viel zu leicht- unrealistische Torwart-KI- lethargische Defensiv-KI
langweiliges Freistoßsystem
Breitner & Reif emotionslos
empfindliche Schusstechnik
zu wenig Bewegungsvariationen
Precision-Trigger ist sinnlos
historische Spiele ohne Originalkader
schlechte Torwart
& Dribbelanimationen
alle Spieler fühlen sich gleich an
echte Fans kennen das Material schon

Wertung

XBox

PlayStation2

Nur für echte Club-Fans empfehlenswert. Alle anderen spielen besser FIFA 2005 - oder noch besser PES4.

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