The Saboteur03.12.2009, Jörg Luibl
The Saboteur

Im Test:

Der Zweite Weltkrieg. Unendliche Weiten. Enge Corsagen. Wir schreiben das Jahr 1940. Jedenfalls ungefähr. Dies sind die Abenteuer des Sean Devlin, der als Mitglied der Résistance in Paris unterwegs ist, um die Stadt von der Wehrmacht zu befreien. Viele Kilometer von seiner Heimat Irland entfernt, dringt er als starker Rebell nicht nur in schwache Kulissen und schlüpfrige Bordelle, sondern auch in idiotische Bereiche vor, die kaum ein Tester zuvor gesehen hat. Pandemic, was ist das für ein Abschiedsmurks?

Der rebellische Ire

Sean blickt auf das düstere Paris: Erst wenn er Stadtviertel befreit, kommt Farbe ins Spiel...
Ich bin Sean, von Beruf eigentlich Rennfahrer, aber mittlerweile Mitglied des französischen Widerstandes. Warum? Rache. Und weil ich als Ire gerne austeile. Zu meiner Ausrüstung zählen u.a. Pistole, Karabiner, Granaten und Dynamit. Leider hat die letzte Detonation eines Flugabwehrturms mal wieder für Aufsehen bei den Deutschen gesorgt - Paris ist zwar besetzt, aber mein Kampf gegen die Besatzer läuft auf Hochtouren. Wenn ich genug Stützpunkte der Wehrmacht in einem Viertel zerstöre, kann ich im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel bringen und Straßen wie die Champs-Élysées erstrahlen wieder in ihrem warmen Glanz. Dann sieht man schöne Limousinen, bunte Nachtclubs und hört ein wenig Jazz oder Chansons. Es gibt Schmuggelware, Strapse und sogar nackte Brüste, wenn man vorher den beiliegenden Code für die "Mitternachtsshow" eingibt (PC-Kämpfer haben gleich alles intus), der auch Lapdance sowie Glücksspiele freischaltet.

Nichts gegen schöne Frauen. Und das Artdesign macht mit diesem farblichen Kontrast zunächst sehr neugierig. Blöd ist nur, dass man bei Licht auch sieht, wie viele Jahre dieses Paris auf dem Buckel hat - es wirkt zwar authentisch, was die vielen Brücken über der Seine, die Sehenswürdigkeiten wie den Eiffel-Turm, Sacré-Coeur oder Notre-Dame angeht, aber hinsichtlich der Details sieht es fast aus wie ein Starttitel für Xbox 360 oder PS3: Schwache Texturen, platte Böden, üble Pop-ups, starkes Tearing selbst in unbelebten Gegenden - alles dabei. Assassin's Creed II  sieht dagegen zwei Welten besser aus und Uncharted 2 strahlt dagegen in einer ganz anderen Galaxie. Hat man zu Beginn angesichts der Oldtimer und historischen Kleidung noch fast ein Gefühl wie in Mafia , zeigen sich später immer mehr hässliche Seiten der Metropole in der Distanz - zumal schon die ersten Videos von Mafia II demonstrieren, wie stimmungsvoll man den Anfang des 20. Jahrhunderts mit moderner Technik inszenieren kann. Falls ihr die Wahl habt, spielt ihr die PC-Version (die Installation scheiterte auf unserem ATI-Rechner, lief auf dem nVidia-PC problemlos), auf Wunsch auch mit Gamepad: Hier wirken nicht nur das Gewebe von Kleidung oder Kopfsteinpflaster körniger bzw. plastischer, es gibt auch kein Tearing sowie eine bessere Weitsicht ohne Pop-ups.

Die Résistance heuert den Iren in einem Nachtclub an.
Es macht aber trotz der spröden Kulisse in den ersten Stunden durchaus Spaß, den schwarzweißen Faschismus mit seinen Blutfahnen über gezielte Sabotagen zu exorzieren - aber nicht, weil die Story oder die Missionen so gut wären, sondern weil man zum ersten Mal in einer offenen Welt innerhalb des Zweiten Weltkriegs unterwegs ist; selbst ein Abstecher nach Saarbrücken ist dabei, wo Lackdominas mit Armbinde gleich im Klonrudel herum stolzieren. Das ist nicht gerade heimatlich realistisch, aber übt durchaus seine Reize aus, selbst wenn diese nur auf handwerklich solidem Niveau befriedigen, was GTA seit Jahren in filmreifer Variante mit doppelt Käse anbietet. Wenn man den erzählerischen Rahmen betrachtet, der hier in Form von Story-Sequenzen aufgebaut wird, dann erkennt man erstmal, wie gut die Jungs von Rockstar sind, wenn es um Dialoge, Charakterisierungen, Witz und Drama geht. Hier gibt es Schmalz, Klischee und Chauvinismus.

Schwache Story und Charaktere

Dabei trifft man auf hitzige Rebellen, gierige Schmuggler, intelligente Matronen des Widerstandes, enttäuschte Priester, von der Gestapo verstümmelte Kämpfer, deutsche Juden und britische Agenten - und in der deutschen Version werden alle sehr gut gesprochen, teilweise mit Akzent (eine originale englische Tonspur haben wir weder auf PC, 360 noch PS3 gefunden). Das hört sich nach bunter Vielfalt und interessanten Hintergründen an, zumal der Ire auf einer historischen Persönlichkeit beruht, die tatsächlich im Widerstand aktiv war, aber all diese Figuren sind nicht mehr als Marionetten für die nächste Mission. Es gibt aber nicht viele Charaktere, die über eine Statistenrolle hinaus kommen, obwohl die Story ab und zu auf die Tränen-, Erotik- und immer wieder auf die Rachedrüse drückt. Das liegt auch daran, dass die Fronten zwischen Gut und Böse so klar gezogen werden - auf deutscher Seite trifft man eigentlich nur auf plumpe Comicgestalten, die auch in Doom auftreten könnten. Der blonde Antagonist, der Sean im ersten Rennen düpiert, wird als Konkurrent so lächerlich inszeniert, er könnte auch Adolf

Aber was durchaus hübsch anzusehen ist, ist alles andere als interaktiv - keine Gespräche, kein Gefummel, alles nur Staffage.
Schumacher heißen - hier ist es Kurt Dierker. Und natürlich ist die Lady, die den deutschen General Eckhardt beschützt, eine sadistische Dummheit von Frau. Als man in Saarbrücken umher spaziert, tragen gefühlte zwanzig weibliche Nazi-Klone glänzend schwarzen Lack, reizende Strümpfe und natürlich eine pralle Theke vor sich her.

Pandemic hätte hier so viel aus dem Thema herausholen können, aber lässt mich einen Prügelaffen mit Sprengstoff-Fetisch in einer Strapswelt spielen. Das Abgrasen auf einer riesigen Karte übt hier eine ganz unpatriotische, fast schon stupide, aber dennoch schwelende Sammelfaszination aus: Schließlich gilt es in drei Zonen von Paris sowie Landstrichen von der Normandie bis zur Bourgogne dutzende Wachtürme, Radarantennen, Lautsprecher, Tankstationen, Suchscheinwerfer oder FLAK auszuschalten. Immer wieder macht es dabei ganz laut Krabumm und in der Statistik steht dann 13/45 Tankstationen oder 22/50 Benzinlagern. Und was man alles kaputt machen kann...                                

Der Blick in die Figurenhölle

Die Action versinkt angesichts des katastrophalen Figurenverhaltens in der lächerlichen Beliebigkeit: Hier im Video.
...ohne dass es einen juckt. Das mache ich schon eine ganze Weile, weil es so leicht ist. Saboteur bietet auf den ersten Blick mit seinen Alarmstufen, die sich, falls man ihrem Umkreis nicht entkommt, in ihrer Intensität steigern und immer mehr sowie schwerer bewaffnete Truppen nach sich ziehen, ein solides Fundament. Aber das stürzt nicht irgendwann ein mal, sondern immer wieder komplett in sich zusammen. Deshalb stehe ich jetzt auch zum hunderteinundzwanzigsten Mal relativ relaxt auf einem Dach (hier im Video). Um mich herum jaulen natürlich die Alarmsirenen. Unter mir stehen auch schon die ersten Jäger in ihren graugrünen Uniformen und zücken ihre Gewehre. Eigentlich müsste ich jetzt Panik oder wenigstens etwas Angst bekommen, denn ich bin hier oben gut sichtbar und alleine unterwegs. Außerdem rufen diese fünf Landser bereits Verstärkung! Ich hätte den Typen mit der Trillerpfeife zwar töten können, um dem vorzubeugen, aber warum? Diese Deutschen sind zwar trotz meiner Anschläge noch in der bewaffneten Überzahl, aber das ist mir schnurzpiepegal.

Mein Puls ist kaum spürbar. Denn da unten wimmelt es nicht vor deutscher Gründlichkeit oder gar Effizienz, sondern vor Idioten. Und zwar Vollidioten, die sich selbst bei einem erhöhten Schwierigkeitsgrad (es gibt derer vier) wie Bots aus dem Jahr 1988 verhalten. Da kommen gerade noch mehr in einem Schützenwagen heran gekurvt - und jetzt aufpassen: Der fährt in vollem Tempo zwei von seinen wartenden Kameraden über den Haufen! Ist das nicht cool? Ohne dass ich einmal

Zwar machen die Bombenjobs zwischendurch Spaß, aber die Stealth-Elemente gehen unter.
schießen musste, sind schon zwei tot. Aber es geht ja noch weiter: Der Fahrer und die Besatzung steigen aus und da der Alarm noch anhält, ich stehe ja als Rebell noch mit Popcorn (okay, das habe ich mir jetzt dazu gedacht) auf dem Dach, kommt weitere Unterstützung heran gefahren, die mit Schmackes in den Trupp rast, der erneut um zwei Mann dezimiert wird, während die anderen verzweifelt auf mich schießen.

Kampf gegen uniformierte Idioten

Ob sie mich treffen? Nö. Ich stehe halt verdammt gut. Also so fünf Meter weiter oben im Blickfeld. Und wenn sie mal treffen und der Bildschirm Blutflecken zeigt, gehe ich halt etwas weiter. Wie lange kann ich wohl hier oben stehen und dem Suizid auf der Straße zuschauen? Hey, das tut einem jungen Mann aus dem Land der Autofetischisten durchaus weh, wenn die eigenen Vorfahren da nicht nur als, ich zitiere, "Hurensöhne", "Kakerlaken", "Abschaum" und "Bestien", sondern auch als Verkehrsidioten lächerlich gemacht werden. Muss das denn sein? Nichts gegen ein klares Feindbild ohne Nuancen, aber muss man auch die Fahrkünste der Urgroßväter so diskriminieren? Amerikanische Entwickler sind schon seltsam oberflächlich...

Wie schnell wäre der Zweite Weltkrieg wohl vorbei gewesen, wenn die Genies von Pandemic im deutschen Generalstab gesessen hätten? Nach einer Stunde Endlosfahrtotschleife? Diese selbstmörderische Farce von Figurenverhalten geht tatsächlich noch einige Runden weiter, denn schließlich wollen ja auch noch Motorräder und LKW der Deutschen beweisen, wie akkurat die Wehrmacht ihre eigenen Soldaten überfahren kann. Hier sind sie sowas von effizient, dass ich mich jetzt doch wieder geschmeichelt fühle - so kann sich immerhin nur ein Volk mit ungeheurer Disziplin selbst ausrotten. Dass der Entwickler von EA danach gleich mit wegrationalisiert wurde, zeugt nur von Konsequenz.

Moorhühner und Geisterfahrer

Ich soll endlich weg vom Sarkasmus, der einem Spiel mit RTLII-Böse-Nazi-Story und 08/15-Charakteren vielleicht gar nicht gerecht wird? Das ist ja nur ein Spiel? Okay. Ich beruhige mich ja wieder. Aber diese grottenschlechte Szene will mir deshalb nicht aus dem Kopf gehen, weil sie symptomatisch für das Versagen der Entwickler ist, eine glaubwürdige Welt mit ernst zu nehmenden Gegnern zu inszenieren: Denn irgendwann, als da unten ein Dutzend Leichen lagen, habe ich nicht mehr gezählt und wollte mitmachen und nicht nur spannen. Ich habe also einfach den Karabiner gezückt und munter drauflos geballert - das ist in diesem Spiel übrigens einfacher als in Moorhuhn: Denn im Gegensatz zu dem Federvieh, das

Die deutschen hat man immer ohne Nervenkitzel im Visier: Sie verhalten sich strunzdämlich.
sich auch bewegt, präsentieren sich die deutschen Landser und Wachleute gerne statisch im freien Schussfeld, anstatt gezielt Deckung zu suchen, einen Sturmtrupp auf das Dach zu schicken oder gar Granaten hinauf zu werfen. Dafür werfe ich selbst fleißig welche runter.

Ich ziele also bequem auf Beine, Torso oder Köpfe und meist reicht ein Schuss, um diesen Witz von Soldateska ins Jenseits zu befördern. Wer Shooter kennt, muss hier viel Espresso trinken, um nicht sofort einzunicken. Kurzum: Das ist die mit Abstand schlechteste KI, die mir seit Jahren begegnet ist. Erst wenn in der letzten Alarmstufe die Schergen der Gestapo heran rücken und Flammenwerfer zum Einsatz kommen, gerät man etwas ins Schwitzen.  Aber das ist noch nicht alles. Immerhin ist sie in den Verfolgungsjagden für Lacher und Stunts gleichzeitig gut: Es kann sein, dass mich verfolgende LKW einfach mal so, ohne dass sie abgedrängt werden, von einer Brücke fallen, weil der Fahrer scheinbar nicht geradeaus steuern kann - das sieht aus, als würde das Fahrzeug plötzlich von einem Dimensionstor verschluckt; diese Szene hat drei Redakteure in ungläubiges Staunen versetzt. Klasse ist dann auch, wie die Besatzung aussteigt und dann stehend (!) aus dem Wasser der Seine heraus feuert, bevor sie nach ein paar Sekunden elendig ersäuft, anstatt zum rettenden Ufer zu schwimmen, wo eine klar sichtbare Leiter wartet. Soll ich vom idiotischen Verkehr erzählen, in dem sich Fahrzeuge blockieren? Warten wir einfach auf YouTube.

                  

Verdachtsanzeige und Uniformwechsel

Einige Ideen wurden gut umgesetzt: Wer sich verdächtig verhält, lässt die entsprechende Anzeige anschwillen...
Reden wir über die guten Seiten, nicht dass die noch komplett untergehen, weil es weder ein glaubwürdiges Figurenverhalten noch spürbare Konsequenzen gibt. Dieses Spiel hat durchaus einige interessante und motivierende Ansätze, die mich trotz dieser Katastrophen einige Zeit unterhalten haben. Da ist z.B. die Verdachtsanzeige, die mir darüber Auskunft gibt, wann die Deutschen mich auf dem Kieker haben - so kann ich quasi kurz vor dem Pfiff einem Alarm entgehen. Dass der aufgrund blöder Landser keine Panik auslöst, entwertet diese Idee zwar wieder, aber das System wird gut umgesetzt: Wenn ich einfach so schleiche oder an Fassaden hinauf klettere, die Waffen offen trage, deutsche Wagen ramme oder zu nah an besonders gesicherte Sperrgebiete komme, dann steigt die Anzeige nämlich. Erst wenn ich mit den verdächtigen Aktionen aufhöre, sinkt sie wieder.

Auch die Möglichkeit der Tarnung ist eine clevere Idee: Ich kann jedem getöteten Soldaten nicht nur die Waffen, sondern auch die Uniform abnehmen, um sie dann selbst anzuziehen - allerdings sollte man den Feind dann im Nahkampf besiegt haben, denn Schusswaffen zerstören die Kleidung. So kann ich dann als Deutscher umher stolzieren, sehe dann aber einen großen Wahrnehmungsradius um mich herum auf der Minikarte zusammen mit roten Punkten, die deutsche Wachen markieren. Gerät einer davon in diesen Kreis, dann wird er auf mich aufmerksam und die Verdachtsanzeige schwillt an.

Zwar kann man selbst auf den Eiffel-Turm klettern, aber die Kraxelei wirkt plump und anspruchslos.
In diesem Fall muss ich meinen Erkennungsradius verkleinern. Aber das geht nur, wenn ich über die Schleichentaste einen militärischen Gang nachahme. Dann bin ich zwar langsamer, aber der Kreis um mich herum ist deutlich kleiner, so dass ich ganz nah, bis auf ein, zwei Meter an die Deutschen heran komme - ideal, um Attentate zu verüben oder in gesicherte Bereiche vorzudringen, denn nur die Geheimpolizei durchschaut die Verkleidung mit einem Blick. Schade ist nur, dass sich die Scharade kaum lohnt, denn wenn man erwischt wird, kann man die dummen Deutschen viel zu leicht ins Jenseits befördern, da sie weder Umzingelungen noch die Umgebung clever nutzen, in die man selbst jederzeit abtauchen kann. Noch einfacher wird es, wenn man die Hilfe der Résistance rufen kann: Dann kommt ein bewaffneter Mob samt Fluchtwagen und greift mit ein.

Deckung suchen und Feuer frei!

Wie in gewöhnlicher Schulter-Action kann man hinter Mauern und Wänden Schutz suchen, um sich dann eng an diese geschmiegt weiter zu bewegen oder aus der Deckung heraus zu feuern. Man kann auch lautlos töten, wenn man nah genug an einen Deutschen heran kommt. Aber selbst wenn ab und zu so etwas wie Stealth-Action aufkommt, ist das nicht mehr als eine primitive Oberfläche, die noch nicht mal belohnt wird, da man auch wie Rambo loslegen kann. Von Schleichatmosphäre ist nämlich irgendwann keine Spur mehr. Der lobenswerte Stealth-Action-Bereich wird komplett ad absurdum geführt, weil ich ihn ja bis auf wenige Ausnahmen, wo man gezielt in Sperrgebiete eindringen muss, gar nicht brauche und aus jeder Situation fliehen kann - wer Schleichspannung im Zweiten Weltkrieg sucht, sollte lieber zu Velvet Assassin greifen, das zwar streng linear ist, aber besser aussieht und wesentlich unterhaltsamer ist.

Und so gut die Verdachtsanzeige auch funktioniert, so unglaubwürdig ist es, wenn Wachen einfach an toten Kameraden oder Zivilisten vorbei marschieren als wäre nichts gewesen. Und warum interessiert es die Franzosen scheinbar nicht, ob ich mit

Man ballert auf Moorhuhn-Niveau ganze Kompanien von Nazis nieder.
oder ohne deutsche Uniform umher spaziere? Nur äußerst selten gibt es mal so etwas wie einen Kommentar. Aber für jeden guten gibt es in diesem Spiel auch einen unglaubwürdigen Punkt. Die Nahkämpfe sind nicht mehr als plumpes Buttonmashing: Man kann leichte und schwere Hiebe, Tritte sowie Kopfnüsse verteilen - Konter sind Fehlanzeige. Aber es ist eigentlich auch egal, was man drückt, denn selbst schwer bewaffnete Feinde lassen sich mit zwei, drei Hieben totschlagen. Das geschickte Greifen und anschließende Werfen des Gegners lohnt sich daher kaum.

Das Tagebuch ist zwar prall gefüllt, aber alles andere als edel. Hier werden alle Gespräche gespeichert, Begriffe erklärt und Botschaften des Widerstandes angezeigt. Das Missionsdesign kann allerdings nicht begeistern, da man viel zu leicht ans Ziel kommt - egal ob man Gefangene befreien oder Gegenstände sichern soll: Mal soll man z.B. eine teure Flasche Alkohol stibitzen, mal einen teuren Wagen stehlen. In beiden Fällen sind die Orte natürlich streng bewacht, aber man klettert einfach auf die Dächer, lässt sich an einem Seil herab und über dem Objekt fallen und rennt bzw. rast dann einfach weg. In letzterem Fall gibt es noch nicht einmal einen Missionsabbruch, wenn die Limousine bei der Flucht beschossen, also beschädigt wird. Und das, obwohl es Ziel ist, diese wieder an eben jenen General zu verkaufen. Warum hat man den Aufrag nicht mehrstufig aufgebaut, damit man cleverer agieren muss? Immerhin gibt es auch Missionen, in denen man Gebäude infiltrieren und diese säubern muss. Hier deutet das Spiel ab und zu an, was möglich gewesen wäre, wenn man inkognito hinter Wachen her schleicht, diese meuchelt und dann ungesehen in ein Lager kommt. Aber sobald es dann in Gefechte geht, wird man mit gewöhnlicher Action und Moorhuhn-Intelligenz konfrontiert.

                  

Sabotage-Speedrun

Zeppelin im Visier: Auch die riesigen Luftschiffe lassen sich zerstören...
Trotzdem machen gerade die explosiven Geschäfte zwischendurch Spaß, wenn man etwa Ölfässer aus der Distanz unter Feuer nimmt, die daraufhin ganze Hallen brennen lassen, wenn man Gebäude für die britische Luftwaffe markiert, die dann heran gedonnert kommt und alles in Schutt und Asche bombt, wenn man ganze Ketten von Autobomben platziert, die dann krachend detonieren oder gar Züge entgleisen und die mächtigen Zeppeline der Deutschen explodieren lässt. Der lukrative Nebeneffekt: Für jede erfolgreiche Zerstörung oder auch mal in Kisten, winkt die einzige Währung des Spiels - Schmuggelware. Und die kann man investieren, um sich neue Waffen, Munition oder Sprengstoff zu kaufen. Aber das Zerstören der vielen deutschen Militäranlagen artet irgendwann in Sabotage-Speedruns aus, weil man quasi ohne viel taktische Überlegung oder Planung von einer zur nächsten Anlage sprinten oder rasen kann, um sie dem Erdboden gleich zu machen. Gerade das Dauersprinten hätte durch eine Ausdauer vermieden werden müssen!

Natürlich kann man auch seine Fähigkeiten weiter entwickeln, aber das ist nicht besonders motivierend. Das funktioniert nach einer Art Achievement-System: Wer so und so viele Sprengungen hinter sich hat, darf sich z.B. über "schnelleres Anbringen von Sprengsätzen" freuen. Auch Kleinigkeiten wie der Rückstoß von Waffen gehören dazu. So kann man seine Fähigkeiten in knapp einem Dutzend Bereichen und drei qualitativen Stufen vom Nahkampf über Rennfahrerei oder Mechanik bis hin zum Snipern oder Detonieren verbessern. Aber meist geht es darum, dass man einfach kräftiger zuschlagen, mehr tragen, besser zielen oder schneller zerstören kann. Die Motivation für das Erreichen dieser Fortschritte ist relativ gering, weil man schon mit den Standardfähigkeiten sehr effektiv ist. Man kann übrigens nicht nur die Kapazität und Feuerkraft seiner Waffen, sondern auch die des Widerstandes verbessern. Zum Arsenal gehören neben klassischen deutschen und französischen auch amerikanische Bleispucker - von der Schall gedämpften Pistole bis zur brachialen Schrotflinte ist alles dabei. Wer unterwegs stirbt, kann zwar im Hauptquartier wieder starten, verliert aber alle Waffen und Granaten.

Keine Interaktivität oder Konsequenzen

Bei Schmugglern kann man sich mit weiteren Waffen, Granaten und Dynamit versorgen.
Vielleicht kann man jetzt verstehen, wieso einem irgendwann die Lust an dieser Kriegskulisse ohne Leben vergeht? Es fehlt auch überall an Interaktivität: Dass ich nicht mit Passanten kommunizieren kann, ist ja okay. Aber warum kann ich in dem Bordell oder im Rotlichtviertel niemanden ansprechen? Immerhin kann man beim Schmuggelexperten irgendwann auch Kondome erstehen, aber hier bleibt alles passiv. Hier hätten sich doch viele Möglichkeiten der aktiven Befriedigung angeboten. Stattdessen stolziert man an uniformierten oder kaum bekleideten Robotern vorbei.

Unverständlich ist aber, dass es keine Rolle spielt, ob ich als Mitglied der Rebellen mal eben Franzosen überfahre, erschieße oder auf offener Straße zu Tode prügle. Ja, da wenden sich einige ab oder kreischen, aber mehr kommt da nicht - ein paar Meter weiter interessiert das keinen mehr. Dagegen wirkt inFamous hinsichtlich der Passanten wie ein Paradies an Reaktionen, denn da werde ich sogar von den Leuten attackiert, wenn ich mir zu viel erlaube! Ich kann hier ganze Straßenzüge voller Franzosen totprügeln. Das ist ein Armutszeugnis, denn schließlich bin ich ein Mitglied der Résistance! Wenn schon keine Moral, dann hätte es eine Art Vertrauensverhältnis geben müssen, das abnimmt, sobald ich wahllos Zivilisten töte. Das hätte man sehr gut im Hauptquartier anzeigen können und so auch weitere Aufträge frei- oder andere abschalten können. Oder es hätte mindestens zu einem Missionsabbruch oder weniger Angebot an Schmuggelware führen müssen! Aber gar nichts? Warum interessiert es die Franzosen nicht? So beliebig wie sich Saboteur auf offener Straße präsentiert, ist das ganze Spiel. 

            

Großer Spielplatz, plumpes Klettern

Hübsche Ladies, schwache Story: Der Reiz des Rotlichmilieus vergeht sehr schnell in einer kaum interaktiven Spielwelt.
Irgendwann öffnet sich die zoombare und angenehm große Karte, auf der ich Schmuggler, Autohändler und Missionsorte erkenne - es gibt entweder freie Aufträge oder Story-Aufträge. Und in Paris verirrt sich niemand; man kann Routen anlegen, speichern und sich während der Fahrt anzeigen lassen. Diese offene Welt kann aber weder mit den eleganten Reizen eines Assassin's Creed II noch mit den rasanten Ausflügen eines inFamous glänzen. Dafür ist der Held einfach zu plump animiert und dazu gibt es letztlich zu wenig Möglichkeiten für Akrobatik: Man kann zwar Leitungen nutzen, um von einem erhöhten Dach zu einem tieferen zu gleiten bzw. sich umgekehrt hoch zu hangeln, aber das war's auch schon. Und falls man wirklich mal verfolgt wird, reicht über den Dächern oder in den Straßen der Sprung in eines der gekennzeichneten Verstecke - dann sinkt der Alarm sofort auf null.

Das Klettern selbst wirkt zwischen den angenehm verschachtelten Häuserfassaden schwerfällig und ist alles anders als anspruchsvoll: Man klickt sich einfach blind die Mauern hoch, ohne dass mal etwas bröckelt oder wenigstens waghalsige Absprünge dabei wären - so kann man selbst den Eiffel-Turm hinauf. Immerhin bekommt man auf der Spitze dieser Sehenswürdigkeiten ähnlich wie Ezio zusätzliche Karteninfos und kleine Boni. Besonders nervig beim Abstieg: Sean hält sich automatisch fest, so dass man bei jedem kleinen Sims ins Stocken gerät und den Knopf für's Loslassen betätigen muss. Besserer wäre es gewesen, den Spieler selbst entscheiden zu lassen, wann er im Fall zugreifen will.

In der Garage stehen irgendwann nicht nur Limousinen und Sportwagen...
Außerdem ist man auf den Dächern fast immer sicher, denn im Gegensatz zu Assassin's Creed II oder inFamous hat man es da oben fast nie mit Wachen zu tun, die einen auch mal hetzen, sondern nur mit Projektilen, die einem um die Ohren sausen - meist reicht aber ein Schritt in Deckung oder der Sprung in eines der auf der Karte markierten Verstecke, um sicher zu sein. Trotz einer ganzen Kompanie bewaffneter Uniformierter auf den Straßen braucht man sich da oben fast nie Sorgen machen. Warum hat man da nicht Scharfschützen eingesetzt oder das Stürmen des Gebäudes simuliert, damit wenigstens etwas Spannung aufkommt?

Arcadeflair auf den Straßen

Nicht nur in den Verfolgungsjagden, auch in den Autorennen kann man einfach mal Gas geben und dem Arcadespaß mit jeder Menge Kurvenschlitterei bei angezogener Handbremse, halsbrecherischen Sprüngen aus fahrenden Wagen und Rampensprüngen bei spektakulärer Kameraperspektive frönen. Weniger fulminant oder gar realistisch ist es auf der echten Piste: Schon im Grand Prix von Saarbrücken gähnt man am Lenkrad schneller als einem lieb ist. Die schwammige Mittelachsensteuerung und die Gummiband-KI stellen gerade mal einfachste Bedürfnisse zufrieden. Mehr als anspruchsloses Bremsen und Beschleunigen ist nicht drin.

Es gibt hitzige Verfolgungsjaden in den Straßen sowie offizielle Rennen in Sportwagen.
Ähnlich wie in Grand Theft Auto IV kann man auf Knopfdruck jedes Auto stehlen, in dem man den Fahrer hinaus befördert und selbst Platz nimmt. Obwohl man im Laufe des Spiels auch Garagen freischaltet, in denen geparkt, sogar mit Waffen aufgerüstet und repariert werden kann, sorgen die gewöhnlichen Karren, Oldtimer, Rennschlitten im Silberpfeil-Stil sowie Militärwagen kaum für Sammelreize. Das liegt nicht daran, dass es leider keine offiziellen Lizenzen bekannter Marken gibt, sondern eher daran, dass die Wagen nicht besonders detailliert aussehen. Die Authentizität der Spielwelt hat natürlich auch ihre politischen Grenzen. Die moderne Hakenkreuz-Hysterie sorgt dafür, dass ich als Erwachsener viele rotweiße Fahnen, einschlägige Armbinden und martialische Symbole sehen darf, aber keine Swastika oder gar SS-Runen. Das schmälert das ausreichende schwache Spielerlebnis zwar nicht, raubt einem Schauplatz im Zweiten Weltkrieg allerdings etwas an Glaubwürdigkeit - hier müssen sich die tapferen Entwickler natürlich unserer Gesetzgebung anpassen, so dass sich das nicht auf die Wertung auswirkt.

         

Fazit

Titten, Nazis und Action? Und zum ersten Mal Zweiter Weltkrieg in einer offenen Spielwelt à la GTA? Diese ebenso anrüchige wie explosive Mischung hat nicht nur in Amerika für Neugier gesorgt. Spätestens das interessante Artdesign mit seinem Wechsel vom bedrohlichen Schwarzweiß hin zur warmen Farbe der Befreiung hat sicher auch viele Europäer aufhorchen lassen. Aber was sich im Ansatz noch gut anhört und Lust auf den Widerstand weckt, scheitert in der Praxis - egal ob banale Story oder plumpe Inszenierung. Zum einen ist die technische Umsetzung eine Enttäuschung: Saboteur hätte vielleicht als Starttitel eine solide Figur gemacht, aber im aktuellen Wettbewerb mit anderen offenen Welten geht es mit seinen schwachen Texturen, dem Tearing und den Pop-ups vor allem auf Konsolen unter - die PC-Version wirkt deutlich harmonischer und hübscher. Die Kulisse von Paris kann immerhin auf allen Systemen mit ihrer Größe sowie der Authentizität der Sehenswürdigkeiten etwas trösten. Die Jungs von Pandemic hatten mich mit der Uniformtarnung, den hinterhältigen Attacken sowie der Verdachtsanzeige auch noch geködert, aber dieser Hauch von Stealth-Action verfliegt schnell - irgendwann interessieren einen die Wachen gar nicht mehr, weil man ohne Gefahr regelrechte Bomben-Speedruns hinlegt. Sobald man auf den Straßen oder den Dächern unterwegs ist, vermisst man lebendige Reaktionen, elegante Animationen, forderndes Klettern und vor allem überzeugendes Figurenverhalten: Die idiotischen Kämpfe erreichen manchmal nicht mal Moorhuhn-Niveau und zerstören die teilweise aufkeimende Atmosphäre. Wenn ich nicht wüsste, dass das Spiel von Pandemic entwickelt wurde, also jenen Leuten, die mit Full Spectrum Warrior einen realistischen Kriegsschauplatz inszenierten, würde ich vielleicht auf die Jungs von Alarm für Cobra 11 wetten. Wer hier einen Alarm auslöst und von deutschen Soldaten gejagt wird, darf sich auf programmierte Realsatire freuen, die jeden Anflug von Verfolgungsspannung im Keim erstickt. All das explosive Zerstören, das Sammeln, das Rasen und Aufrüsten macht vielleicht zwischendurch Laune, aber liegt zwei bis drei Klassen hinter der Faszination eines Assassin's Creed II, inFamous oder GTA IV. Pandemic hätte sich weniger auf Möpse und Strapse, sondern mehr auf das Spieldesign konzentrieren sollen.

Pro

Premiere: offene Welt im Zweiten Weltkrieg
angenehm große Spielwelt
authentische Kleidung & Architektur
viele explosive Aufträge & Zerstörbares
klettern auf Eiffel-Turm & Notre-Dame
kreative Ideen: Verdachtsanzeige, Uniformwechsel
Fahrzeuge kapern, fahren, kaufen, modifizieren
knapp zehn Fähigkeiten verbessern
Musik zwischen Jazz & Chanson
gute deutsche Sprecher

Kontra

schwache Story
eindimensionaler Held
wenig spannende Missionen
katastrophales Figuren
& Fahrverhalten
plumpe Animationen
billig inszenierte Nahkämpfe
kaum Gebäude zu betreten
anspruchsloses Klettern
klobige Figuren in Zwischensequenzen
Gewalt gegen Zivilisten ohne Konsequenzen
enttäuschende Technik: Tearing, Ruckler Pop-ups (PS3,360)
zu wenig lebendige Reaktionen in den Straßen
kaum Interaktion in der Stadt möglich
deutsche Figuren wirken lächerlich überzeichnet

Wertung

360

Interessanter Stil, angenehm explosiv, aber am Ende nicht mehr als GTA für Arme.

PlayStation3

Eine misslungene Premiere: Pandemic serviert grenzdebiles Figurenverhalten im Zweiten Weltkrieg.

PC

Auf dem PC hinterlässt die schwache Technik noch die beste Figur, aber das beflügelt den Spielspaß nicht.

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