Im Test:
Apocalypse Soon!
Es ist nicht das kreativste aller Szenarien, aber es ist dennoch eines, das immer wieder mitreißt: Ein Asteroid namens Apophis (den es übrigens tatsächlich gibt ) rast unaufhaltsam auf die Erde zu, die Menschheit ist dem Untergang geweiht, jedenfalls der größte Teil davon. Denn ausgewählte Individuen werden in Archen tief in der Erde verbuddelt, im Kryoschlaf vor sich her schnarchend - in der Hoffnung, dass sie, sobald das Leben wieder seinen Weg durch den Fallout gefunden hat, den zerstörten Planeten repopulieren. Das Ganze wird mit Moll-lastiger Klavier- und Streichermusik so herzerweichend schön präsentiert, dass selbst Chuck Norris gegen die Tränen zu kämpfen hätte.
Was danach passiert, ist allerdings weniger mitreißend: Man erwacht aus dem Tiefschlaf, offenbar als einziger Überlebender einer Arche - die anderen Besatzungsmitglieder sind nur noch Mumien in gläsernen Särgen. Kaum betritt man die Frischluft der postapokalyptischen Welt, wird man auch schon von einer bizarren Kreatur angefallen, die allerdings von einem mysteriösen Scharfschützen erledigt wird. Der stellt sich einem kurz darauf als Dan Hagar vor, nimmt einen mit in seine Siedlung - und bittet einen darum, doch bitte direkt allein zurück zu fahren, alle Gegner (so genannte »Ghosts«) zu erledigen und dann zurück zu kommen. »Ihr Archentypen sollt doch etwas Besonderes sein« ist seine Begründung dafür. Und was ist, wenn ich der beste Flötenspieler der untergegangenen Welt war, der gerade aus einem hundertsechsjährigen Kryoschlaf erwacht ist, soll ich dann auch noch die Waffen schwingen? Halten wir fest: id Software kann wirklich viel - tolle Technik, fette Action, geiles Deathmatch. Nachvollziehbare Handlung können sie nicht, konnten sie nie, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie können.
Keine Arme, keine Beine, keine Stimme, kein Name
Früher musste Shooter-Helden vor allem schießen können, ihr Hintergrund war im Grunde egal - oder hat sich jemand wirklich für das Leben des Space Marine interessiert? id Software bleibt dieser Tradition treu, denn der namenlose Held von Rage (ab 8,99€ bei kaufen) ist offenbar mit Gordon Freeman verwandt: Er spricht im ganzen Spiel kein einziges Wort, man bekommt ihr nur ganz selten mal selbst zu sehen. Viel wichtiger ist - ballern kann er.
Flieg, Mutant, flieg! Die Rage-Waffen sind id-typisch sehr druckvoll und lassen sich mit zusätzlichen Munitionstypen noch mächtiger machen. |
Generell steht der MacGyver-Faktor erstaunlich im Vordergrund, denn das Inventar füllt sich sehr, sehr schnell. Zwar hauptsächlich mit Müll, den man beim nächstgelegenen Händler verkaufen kann, aber auch mit sehr vielen Bauteilen. Hat man die entsprechende Blaupause dazu (die man ebenfalls erwerben oder vereinzelt auch finden kann), dann darf gebastelt werden: Bandagen, Türknacker, bombige RC-Autos, stationäre und mobile Selbstschussanlagen sowie frische Munitionstypen füllen schnell den unbegrenzt aufnahmefähigen Rucksack. Vier Sachen darf man sich für schnellen Zugriff auf das Digipad legen.
Von Geistern und Mutanten
Die verschiedenen Gegner-Fraktionen unterscheiden sich deutlich voneinander. Leider in der deutschen Fassung nicht sprachlich. |
Zurück zum Kampf: Hat man von einem Gegner etwas mehr als nur einen blutigen Stumpf hinterlassen, sollte man seine leblose Überreste nach nützlichem Kram durchwühlen - dabei erntet man u.a. Munition, Geld oder Bastelteile. Neue Waffen leider nicht, denn das von erledigten Feinden fallen gelassene Ballergut darf nicht aufgesammelt werden, neue Wummen gibt es nur durch Kampagnen-Fortschritt oder beim Händler. Die Kämpfe sind über weite Teile extrem simpel, mit wenigen Ausnahmen bewegen sich die Widersacher stoisch auf den Lauf des Spielers zu - lediglich die Regierungstruppen stellen mit ihren Energieschilden eine Herausforderung dar, die aber mit EMP-Granaten schnell geknackt ist. Teilweise fühlte ich mich sogar an Serious Sam erinnert: In einer Mission musste ich in eine Destillerie, ein paar Chemikalien holen. Während die Zentrifuge werkelt, stehe ich in einer Ecke und muss nur abwarten. Aus allen Richtungen kommen Mutanten angekreischt, aber alle fädeln sich zum Abschuss vor mir auf. Hm. Das heißt aber nicht, dass sie nicht gefährlich sind: Wurde man erwischt, findet man sich im von Nanotriten befeuerten Defibrillator wieder, mit dem man sich sofort wieder heilen kann. Auf dem PC ist das ein reiner Reaktionstest, auf den Konsolen zusätzlich in ein kleines Spielchen eingebunden.
Die Bosskämpfe sind eine Enttäuschung: Sowohl die Herausforderung als auch die Zahl der Begegnungen hält sich in Grenzen. |
Das blutige Lied der Wüste
Wenn man im Hinterkopf behält, dass die Shooter von id Software einst für alle Probleme dieser Welt verantwortlich gemacht wurden, ist Rage geradezu anämisch. Ernsthaft, ich musste aktiv nach Blut suchen: Okay, mit der richtigen Waffe kann man Gegner komplett zerfetzen, auch verschwindet hin und wieder mal ein Kopf oder Arm von seinem angestammten Platz, aber im Zeitalter von Rückenmarkszerhackstückungen mit Kettensägenbajonetten wirkt das geradezu niedlich. Etwas dramatischer wird's da schon bei den Bossgegnern, wobei der Plural schon fast fehl am Platze ist: Eigentlich gibt es nur einen echten Bosskampf, der Rest ist nur etwas größer, aber nicht sehr viel interessanter als die Mutanten-Standardware. Und das Spielende, das mit Verzicht auf Forschergeist locker in acht Stunden erreicht werden kann? Höchst enttäuschend.
Zwischen Haupt- und Nebenmissionen darf man sich die Zeit mit diversen Minigames vertreiben - u.a. einem Kartenspiel oder einer Art Mini-Guitar Hero. |
Feuer im Tank
Während man innerhalb der Missionen normalerweise zu Fuß mit der Waffe in der Hand unterwegs ist, bringt man den Weg dahin meist im Vehikel hinter sich. Anfangs hat man lediglich ein lumpiges ATV zur Verfügung: Keine Waffen, keine Panzerung, kaum Geschwindigkeit. Später verfügt man über einen Buggy und zwei dick gepanzerte Sportkarossen, Käufer der Anarchy Edition bekommen auch noch einen (ziemlich nutzlosen) Hot Rod dazu. Die Karren steuern sich sehr spaßig, das Fahrmodell ist wunderbar arcadig - und hat man Waffen auf den Hobeln, faucht der Tiger im Tank! Mit Geld und Rennscheinen (die man
Gib Vollgas, Mann! Das Fahrmodell der Vehikel ist einfach und zugänglich, die Gefechte von den Karren aus machen viel Spaß. |
Was aber kaum jemanden stören dürfte, denn Rage ist ein verdammt gut aussehendes Spiel. Nicht Crysis 2-geil, sondern auf subtile Art wundervoll. Die zerklüftete, dreckige, abwechslungsreiche Landschaft ist einfach umwerfend, kein Meter sieht wie der andere aus - der Detailreichtum im Ödland ist höchst beeindruckend! Auch die Figuren sind nicht nur im Falle der gut gebauten weiblichen Ödland-Bewohner mehr als einen Blick wert: Den Gegnern mangelt es zwar an Abwechslung, aber die Animationen sind exzellent – die Körperhaltung, die Gestik, die strauchelnden Bewegungen angeschossener Feinde. Und die Personen, mit denen man es innerhalb der Städte zu tun bekommt, sind echte Individuen. Wie Starky, das unfähigste Rennfahrer-Großmaul aller Zeiten, Crazy Joe mit seinem so genannten »Sumpf« oder der in jeder Hinsicht völlig abgefahrene Dr. Kvasir.
Die Präsentation von Rage ist im Großen und Ganzen exzellent - nicht nur die Landschaften, sondern auch die Figuren sehen erstklassig aus! |
Ich und mein Mutanten-Kumpel
Neben der Kampagne wartet auch noch der Mehrspielermodus auf den Rage-Freund - aber der sollte auf eine Überraschung vorbereitet sein. Denn klassisches Deathmatch mit der doppelläufigen Schrotflinte in der Hand gibt es hier nicht, genau genommen gar keine Mano-a-Mano-Varianten, jedenfalls nicht zu Fuß. Der Ersatz dafür nennt sich »Road Rage« und platziert bis zu vier Spieler hinter die Steuer diverser Fahrzeuge, um sich mit MGs und Raketen die Hölle heiß zu machen. Neben dem einfachen Gegeneinander darf man auch Rallyes fahren bzw. um die Wette wertvolle Meteoritenbrocken sammeln - allerdings merkwürdigerweise keine klassischen Rennen. Mit der Zeit steigt man in den Rängen auf und schaltet so weitere Fahrzeuge, Waffen und Abzeichen frei.
Darüber hinaus warten noch neun Koop-Missionen für zwei Spieler, die entweder online oder lokal am Splitscreen loslegen dürfen. Das sind spezielle Abschnitte aus der Kampagne, die allerdings für den Koop-Auftrag umdesignt wurden: Mal muss man eine Bohrung innerhalb von Gefängnismauern verhindern, mal eine Vergiftung des Stadtbrunnens, mal eine besonders heftige Folge »Mutant Bash TV« überleben. Man sieht den zweiten Spieler immer als Umriss durch Wände hindurch und muss tatsächlich direkt zusammenarbeiten - z.B. dreht mal einer ein Ventil, während der andere einen dadurch erreichbaren Gegenstand an sich nimmt. Außerdem sollte man aufeinander aufpassen: Zwar gibt es hier zwei Defibrillator-Einsätze pro Nase, aber die sind schnell verbraucht - danach muss man sich auf die Heilkräfte des anderen verlassen.
Fazit
Die verfallene Erde des 22. Jahrhunderts ist ein technisches Glanzstück, in dem kein Meter wie der andere aussieht! Ja, aus der Nähe betrachtet sind die Texturen matschiger Dreck, aber das große Ganze, das wunderbare Ödland, die herrlich versifften Städte, die liebenswert schrulligen Figuren - einfach fabelhaft! Spielerisch gehen die Entwickler in eine für Firmenverhältnisse geradezu revolutionäre neue Richtung, entfernen sich dabei aber nie zu weit von ihren Leisten: Das Herumfahren mit den diversen Vehikeln ist sehr unterhaltsam, die Rennen sind spaßig (wenn auch kaum herausfordernd), der Shooter-Part ist in jeder Hinsicht grundsolide. Mit einer Ausnahme: Das Herumexperimentieren mit neuer Munition sowie das Gebastele macht tierisch viel Spaß! Schade nur, dass man nach den hoffnungsvollen Intro-Auftakt direkt wieder die »Handlung? Nee, können wir nicht!«-Keule auspackt, denn die Geschichte ist bescheuert und voller Lücken, die größer sind als alles, was ein Asteroid je zurücklassen würde. Ärgerlich ist auch, dass die Welt zwar toll und groß, aber auch sehr leer ist - ein paar Sprungeinlagen hier, ein paar versteckte Objekte da, aber sonst dient das Ödland nur als Zeitvertreib zwischen Stadt und Mission. Sehr große Fragezeichen gehen auch in Richtung Mehrspielermodus: Koop schön und gut, aber kein Deathmatch? In einem Spiel von id Software? Dass ich das nochmal erleben würde! Am Ende ist und bleibt Rage ein guter Shooter, der sich keine groben Schnitzer erlaubt, aber auch weniger bemerkenswert ist, als er zunächst aussieht.
Der Test in bewegten Bildern: Unser Video-Fazit.
Pro
Kontra
Wertung
360
Die 360-Fassung muss mit Textur-Abstrichen leben, entspricht aber sonst in jeder Hinsicht der PC-Version.
PlayStation3
Die technisch schwächste aller Fassungen, spielerisch allerdings mit den anderen identisch.
PC
Der ganz große Wurf ist id Software mit der neuen Shooter-Welt nicht gelungen - das Resultat ist trotzdem eine sehr unterhaltsame Ballerei!
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