WET23.09.2009, Mathias Oertel
WET

Im Test:

Spätestens seit Grindhouse, der Kollaboration der Kult-Regisseure Robert Rodriguez und Quentin Tarantino, steht nicht nur bei Filmemachern die Hommage an B-Filme sowie die Exploitation-Kinophase der 70er Jahre hoch im Kurs. So hat sich vor gar nicht all zu langer Zeit das mittlerweile indizierte House of the Dead Overkill erfolgreich daran gemacht, Humor, Figuren und Storylines dieser Phase wieder aufleben zu lassen. Und das nun von Bethesda veröffentlichte WET (ab 17,52€ bei kaufen) schlägt ebenfalls in diese Kerbe: Sex & Guns & Rock’N’Roll oder nur ein lahmer Action-Aufguss?

Wie mixt man einen Action-Cocktail?

Zutat1: 6 cl Stranglehold

Schaut man der Hauptdarstellerin Rubi Malone, einer zwischen alle Fronten geratenen Auftragskillerin, bei ihrer Arbeit zu, fühlt man sich trotz des groben Grafikfilters, der an Filme der Siebziger Jahre erinnert, an eine weibliche Version von Inspector Tequila aus John Woos Stranglehold erinnert. Mit ihrer doppelten Bewaffnung, die im Laufe des Spieles nicht nur aus Pistolen mit unendlich viel Munition und bar jeder Nachladepflicht besteht, sondern auch aus abgesägten Schrotflinten,

Rubi Malone: Eine starke Frau, die sich als Mischung aus Django, Dirty Harry und Inspector Tequila deutlich und angenehm vom Babe-Image einer Lara Croft unterscheidet
Uzis und Sprengbolzen (jeweils mit begrenzter Munition) sowie ein Katana mit rudimentären Kombo-Möglichkeiten, passt die junge Dame nicht nur in das Spiel des chinesischen Kultregisseurs, sondern hätte auch problemlos in jedem seiner Filme Platz gefunden.

Doch es ist nicht nur die gewaltige Feuerkraft, die hinsichtlich Durchschlagskraft oder Munitionskapazität aufgerüstet werden kann, die an Stranglehold (4P-Wertung: 80%) erinnert: Vor allem die seit Max Payne so populären, aber mit dem virtuellen Inspector Tequila auf ein neues Niveau gebrachten explosiven Zeitlupen (seinerzeit als "Bullettime" populär geworden) samt spektakulärer Sprünge und sonstiger Stunts, bei denen die Bleispritzen wie wild zucken, erinnern an das letztjährige Action-Spektakel aus dem Hause Midway.

Egal, ob Rubi kopfüber eine Leiter runterrutscht, über den Boden gleitet, springt, sich wie weiland Lara Croft von horziontaler Stange zu Stange schwingt oder im Stile eines persischen Prinzen an Wänden entlang läuft: Sobald sie dabei ihre Knarren zieht und zu ballern beginnt, wird automatisch eine Zeitlupe angeschmissen.

Das ist cool, das sieht gut aus, führt aber ähnlich wie beim mittlerweile indizierten Total Overdose zu einer gewissen Übersättigung: Irgendwann hat man alles gesehen und ab diesem Moment (etwa zur Hälfte des Spieles) wiederholt WET nur noch diese Elemente.

Und obendrauf ist diese Zeitlupe auch enorm mächtig. Da man Sprünge und Bodengleiten schnell miteinander kombinieren kann, werden selbst Gefechte gegen die stärkeren der ohnehin eher spärlich variierenden und kaum intelligent angreifenden Gegner eher zu einem Geduldsspiel denn zu einer Herausforderung der eigenen Fähigkeiten.

Bei Midways Gegenstück musste man sich seine Zeitlupen und sonstigen Spezialfähigkeiten taktisch sinnvoll einteilen - und genau das hätte WET auch gut zu Gesicht gestanden.

Hinsichtlich der Interaktion mit der Umgebung hängt man zudem weit hinter Stranglehold zurück. Konnte man mit Inspector Tequila große Teile der Kulisse in Kleinteile verwandeln, zerspringt bei Rubi nicht einmal ein laufender Fernseher, wenn man auf ihn schießt. Angestrebtes B-Film-Flair hin oder her: Selbst in Steven Seagal-Filmen, die direkt für DVD-Vermarktung produziert werden, ist mehr Wumms im Hintergrund zu sehen als hier.

Zutat 2: 3 cl The Club

Ja: Der Arena-Shooter von Sega ist mittlerweile ebenfalls auf dem Index gelandet, das hat jedoch das Team von Artificial Mind & Movement nicht daran gehindert, sich eine gewisse Inspiration in Form eines Arcade-Kombo-Systems samt Arenakämpfen zu holen:

Bei den Highway-Verfolgungsjagden weht ein Hauch Pursuit Force durch das spielerische "B-Movie"
Neben dem Durchstreifen linearer Abschnitte wartet immer wieder ein Raum auf einen, der nur dann das Weitergehen erlaubt, wenn man alle Zugänge der Feinde schließt und auch den letzten von ihnen beseitigt. Ziel ist es nun, nicht nur so schnell wie möglich, sondern auch so stilvoll wie möglich, also mit möglichst effektivem Einsatz aller akrobatischen Möglichkeiten, die Anforderung zu erledigen.

Das Ergebnis: Der Punktemultiplikator wird heftig in die Höhe getrieben (verringert sich aber wieder, wenn zu viel Zeit zwischen den Kills vergeht) und schüttet Stilpunkte aus. Diese wiederum kann man einsetzen, um Rubi und ihre Waffen mit besseren Fähigkeiten zu versehen.

Dieses Element funktioniert ebenfalls am Anfang gut und bietet sogar ab und an eine Herausforderung im Sinne von "Welcher Weg ist der effektivste, um sowohl Punkte als auch Multiplikator nach oben zu treiben?"

Doch leider finden auch in diesem Bereich keine Variationen mehr statt, so dass diese Herausforderungen schließlich zu einer Pflichtaufgabe verkommen. Auch hier verschenkt WET die Chance, sich nicht nur stilistisch, sondern vor allem inhaltlich vom durchschnittlichen Action-Einerlei abzuheben.

        

Zutat 3: 4 cl B-Film-Flair

Mit dem braungefilterten 70er-Jahre-Look samt Störstreifen und Filmrollenwechsel mit eingestreuter Werbung wird die Grundlage für eine spielerische Hommage an den klassischen B-Film gelegt. Und der zeichnetsich seit jeher durch Standard-Kulissen, plakative Charaktere und eine eher spartanische Story aus. Dementsprechend störe ich mich mit Ausnahme der fehlenden Zerstörung nicht daran, dass die Kulisse im Detail nicht so hochglänzend und detailliert ist, wie man es von einem HD-Titel im Jahre 2009 erwarten würde.

Die Waffen-Tutorials wirken aufgezwungen und verlängern künstlich die dennoch zu kurz geratene Spieldauer.
Auch die eher fragmenthaft erzählte Geschichte, die zu Gunsten der Action in den Hintergrund gerückt wird, kann ich angesichts einer derart starken Frauenfigur verschmerzen, die es in dieser Form schon lange nicht mehr in Softwareform gab. Videospiel-Veteranen erinnern sich vielleicht noch an Julie aus Heavy Metal FAKK 2 oder Kate Archer aus No One Lives Forever. Auch Rubi Malone ist stark und sexy, ohne die Reize wie Lara mit ihren immer knapperen Klamotten in den Vordergrund zu stellen. Sie ist tough, ohne übertrieben zu wirken und trinkt Whisky, um sich zu heilen - herrlich. Und gerade weil die Geschichte eher dünn ist und nur das Nötigste preisgibt, bin ich bis zum Abschluss der gerade mal fünf Stunden langen Kampagne neugierig, mehr über Rubi zu erfahren. Dass diese Neugier letztendlich unzureichend gestillt wird, ist einerseits sehr bedauerlich, lässt mich aber auch andererseits hoffen, dass Rubi vielleicht spielerisch erweitert und überarbeitet ein Comeback erlebt. Verdient hätte sie es. Vor allem, wenn nicht nur ihr Äußeres und ihr Verhalten an ein Tarantino-Drehbuch erinnern würden, sondern auch das, was sie von sich gibt.

Zutat 5: 2 cl Killer 7

Zusätzlich zum B-Film-Look-and-Feel wartet WET in regelmäßigen Abständen mit dem so genannten Rage-Modus auf. Das klingt beim ersten Hören sehr spannend und macht bei der ersten Begegnung auch einiges her. Die Kulisse schaltet in einen Comic-Look, der aus gerade mal zwei Hand voll Farben besteht und Rubi schnetzelt und ballert sich hier visuell eindrucksvoll durch monochrome Feinde, die im Gegensatz zum normalen Action-Alltag ihre Körperflüssigkeit nicht in Rot, sondern in Schwarz und Weiß verlieren und sich schließlich wie ein schlechter Traum in Dunst auflösen, anstatt den Boden zu verunstalten.

 

Der Rage-Modus ist visuell beeindruckend, nutzt das Potenzial aber nicht aus.
Dieses Element ist visuell sehr beeindruckend und stylisch, da sich aber spielerisch nahezu nichts ändert, nutzt sich auch der Rage-Modus irgendwann als notwendiges Übel ab. Abhilfe hätte es schaffen können, wenn man manuell die Wut aktivieren könnte oder sich dieser Modus quasi als letzter Strohhalm vor dem Ableben einschalten würde. Denn so wirkt Rage zwar interessant, aber auch aufgesetzt.

Garnierung: Ein Spritzer Pursuit Force

An ein paar Punkten im Spiel geht man sogar fast in Richtung des PSP-Klassikers Pursuit Force - zumindest bedient man sich eines Elementes daraus: Dem Springen von Fahrzeug zu Fahrzeug während halsbrecherischer Verfolgungsjagden. Dass sich dahinter letztlich nur Quicktime Events (QTE) verstecken, die sich mit Standard-Ballereien abwechseln (inkl. Zeitlupe und in einem Fall sogar im Rage-Modus), lässt sich verschmerzen. Denn mit sauberer Kameraarbeit, rasanten Schnitten und guten Effekten wird man hier ähnlich packend unterhalten wie bei From Softwares Ninja Blade, bei dem man teils sogar angesichts des auf dem Bildschirm Dargestellten vergessen hat, den Knopf rechtzeitig zu drücken.

Nicht vergessen: Gut mischen und abschmecken

Das Problem von WET ist nicht, dass es größtenteils aus bekannten Versatzstücken besteht. Denn bevor ein Entwickler sich krampfhaft bemüht, innovativ zu sein, daran aber im großen Stil scheitert, ist mir der Weg von AM2 lieber: Alles ist bekannt, aber gut umgesetzt. Aber etwa zur Hälfte des Spieles sind den Jungs die Ideen ausgegangen und die inhaltlichen Überraschungen halten sich ab dann in Grenzen. Man verlässt sich nur noch auf die vorgestellten Elemente und setzt Rubi nur noch mehr und stärkere Gegner vor die Knarren oder das Katana.

Und obendrauf zwingt man den Spieler jedes Mal, wenn eine neue ballistische Waffe freigeschaltet wird, zu einem Herausforderungslauf in Rubis Versteck, einem abgewrackten Flugzeug mitten in der Wüste. An sich ja eine gute Idee, doch wieso wird man dazu gezwungen und hat keine Wahl?

Sobald man Akrobatik einsetzt, wird die übermächtige Zeitlupe aktiviert.
Apropos Wahl: Wer des Englischen mächtig ist, sollte tunlichst die entsprechende Sprachversion nutzen. Die deutsche Synchro ist mit Ausnahme von Rubi, die allerdings auch hart an der Schmerzgrenze entlang schrammt, nicht mal B-Niveau. Böse Zungen würden behaupten, dass es Erotikfilme gibt, die besser vertont sind.

Apropos deutsche Version: Die USK-Variante musste im Vergleich zur europäischen PEGI-Variante einige Änderungen hinnehmen. Dass sämtliche rote Körperflüssigkeit entfernt wurde, ist bei den Schusswechseln zwar bedauerlich, aber eher unbedenklich, da das englische Original hier auch eher sparsam damit umgeht. Bei den Katana-Attacken hingegen fällt es deutlicher auf, stört aber vornehmlich auf einer unbewussten Ebene. Dass allerdings beim Einstieg in den arcadigen und vollkommen überzeichneten Wut-Modus nichts mehr passiert, zieht die Atmosphäre nach unten. Und wieso hier der Multiplikator entfernt wurde, der sich indirekt auch auf die Verteilung der Stilpunkte auswirkt, lässt sich für mich nicht nachvollziehen und sorgt für deutliche Abzüge in der B-Note. Ebenso wie das teilweise völlige Fehlen von Dialogen, während die virtuellen Mimen plaudern wie ein Wasserfall - selbst wenn es im englischen Original eigentlich nichts zu beanstanden gäbe. Aber um sicher zu gehen, wurde das anglizistische Dialog-Schnippselchen gleich mit entfernt, so dass ein Umstellen der Konsole auf eine andere Sprache nicht den gewünschten Erfolg bringt.

Grenzenlos gut und überaus gelungen hingegen ist der Soundtrack. Schmutziger Desert-Rock, gitarrenlastige Rhythmen mit 70er-Jahre-Funkrock-Einschlag und überhaupt scheinbar von Quentin Tarantino ausgewählte Melodien größtenteils unbekannter Bands passen sowohl zum Kinoflair als auch zur Gangster-Thematik.    

Fazit

Das Abenteuer von Rubi Malone ist ein ambitionierter Action-Cocktail mit hochprozentigen Zutaten, der aber dennoch nicht berauscht. Nicht nur, weil das Glas nach gut fünf Stunden geleert ist, sondern weil die Inhalte unnötig verwässert werden und spätestens ab der Hälfte ihren Überraschungsreiz verlieren. Der Rage-Modus z.B. ist visuell vollmundig, bietet aber inhaltlich nichts anderes als der Rest vom Spiel und hat in der mitunter unnötig veränderten USK-Version sogar die Multiplikator-Mechanik eingebüßt. Rubi als Charakter hingegen ist hochinteressant - nicht nur, weil bewusst darauf verzichtet wird, sie wie viele andere Videospielheldinnen als hirnloses Babe, sondern sie als ebenso stark und selbstbewusst wie geheimnisvoll darzustellen. Leider schaffen es die manchmal knappen Dialoge aber letztlich nicht, ein Tarantinoeskes Gefühl zu vermitteln. Das Vorhaben, einen "B-Movie" zum Spielen zu entwickeln, wurde ebenfalls nur in Ansätzen bewältigt: Auf der einen Seite passen die wortkargen Charaktere und die ebenso kargen Kulissen wunderbar, auf der anderen bleibt im HD-Zeitalter und in der Post-Stranglehold-Ära der Wunsch nach mehr Details und sei es auch nur rudimentär zerstörbarer Umgebung ungehört. Dadurch hätten die spektakulären akrobatischen Gefechte mit ihrer leider viel zu mächtigen Zeitlupe deutlich aufgewertet werden können. Dennoch unterhält Rubi von Anfang bis Ende, da die spielerischen Elemente immer im genau richtigen Moment wechseln. Dennoch: Am Ende möchte man allerdings nicht so häufig WET zu sich nehmen, bis man einen Kater hat und mit einer wildfremden Frau im Bett aufwacht, sondern wendet sich lieber wieder einem distinguierten Whisky wie z.B. Stranglehold zu. Unter dem Strich ist WET die Software-Version eines Alkopops: Geht gut runter, erfrischt sogar kurzzeitig, kann aber ein vollwertiges alkoholisches Edel-Getränk nicht ersetzen.

Zum Video-Fazit!

Pro

reizvolle Mischung aus ballistischer Action und Katana-Kampf
visuell gelungener Rage-Modus...
gelungenes B-Film-Flair der 70er Jahre
coole Akrobatik-Ballerei
Waffen und Fähigkeiten können aufgerüstet werden
grenzenlos cooler Soundtrack
akkurate Steuerung

Kontra

übermächtige Zeitlupe- ... der aber spielerisch keine Bedeutung hat
erzählerisch schwach
tumbe KI
enttäuschender "Bosskampf"
aufgezwungene Tutorials
schwache Lokalisierung
mitunter unverständliche Schnitte
kaum Umgebungs-Interaktion

Wertung

360

Rubi Malones Action-Premiere ist eine gelungene Hommage an Filme der 70er Jahre mit vielen gute Ideen, aber letztlich zu kurz, zu schlecht lokalisiert und leicht verschnitten.

PlayStation3

WET ist die Spieleversion eines Alkopops: Schick anzuschauen und schnell erledigt aber wenig gehaltvoll; obendrauf noch schlecht lokalisiert und verschnitten.

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